Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 97 (Auslegung & Kommentar)


Inhalt

Wie der vorhergehende Psalm das Lob des HERRN verkündigt in Beziehung auf die Predigt des Evangeliums unter den Heiden, so dünkt uns dieser das mächtige Walten des Heiligen Geistes in dem Umstürzen der gewaltigen Bollwerke des Irrtums und dem Niederwerfen der Götzen vorauszusagen. Über das weite Meer hinweg zu den fernen Küsten und Inseln dringt hier ein Ruf, dass sie sich freuen mögen über Jesu Reich (V. 1); das heilige Feuer kommt hernieder (V. 3), mit Macht wie der Blitz bricht das Evangelium hervor und flammt über den Erdboden (V. 4), die Hindernisse schwinden (V. 5), und alle Völker sehen die Herrlichkeit des HERRN (V. 6). Die Götzen werden zu Schanden (V. 7), die Gemeinde des HERRN jubiliert (V. 8), und Jehovah wird erhöht (V. 9). Der Psalm schließt, indem er die Freunde des HERRN auffordert, unter allen Verfolgungen in heiliger Standhaftigkeit zu beharren und sich des zu freuen, dass ihr Weg lichtvoll und ihr herrlicher Lohn gewiss ist.1

Einteilung. Der Psalm teilt sich in vier Abschnitte zu je drei Versen. V. 1-3 wird das Kommen des HERRN geschildert, V. 4-6 die Wirkung beschrieben, welche dies sein Kommen auf die Erde ausübt, und dann V. 7-9 der Einfluss desselben auf die heidnischen Völker und auf das Volk Gottes. Der letzte Teil, V. 10-12, enthält Ermahnung und Ermunterung, dringt auf Heiligung und stellt Glückseligkeit in Aussicht.


Auslegung

1. Der HERR ist König; des freue sich das Erdreich
und seien fröhlich die Inseln, soviel ihrer sind.
2. Wolken und Dunkel ist um ihn her;
Gerechtigkeit und Gericht sind seines Stuhls Festung.
3. Feuer geht vor ihm her
und zündet an umher seine Feinde.


1. Der HERR ist König worden. (Grundtext2 Das ist das Losungswort des Psalms. Eben dasselbe ist der Kern der evangelischen Verkündigung und die Grundlage des neutestamentlichen Himmelreichs. Jesus ist gekommen, und alle Gewalt ist ihm gegeben im Himmel und auf Erden; darum werden die Menschen aufgefordert, sich ihm in gläubigem Gehorsam zu ergeben. Die Königstreuen schöpfen Trost aus diesen Worten; nur die Empörer murren darüber. Des freue sich das Erdreich. Es ist wahrlich Grund zum Jubeln da! Die Regierung so mancher andern König hat Ungerechtigkeit, Bedrückung, Blutvergießen und Schrecken angerichtet; die Herrschaft des unendlich gnädigen Jehovah aber ist die Hoffnung der Menschheit: wenn alle sich ihr unterworfen haben, wird das Paradies wiederhergestellt sein. Die Erde selber darf wohl darüber in Jubel ausbrechen, dass ihr Schöpfer und Lehensherr in sein Eigentum wiedergekehrt ist, und das ganze Menschengeschlecht hat auch zu hoher Freude Anlass, denn jedem willigen Untertan bringt Jesus ungezählte Segnungen. Und seien fröhlich die Inseln, soviel ihrer sind. Die alten Israeliten unterschieden nicht zwischen eigentlichen Inseln und Küstenländern; das Wort bezeichnet alle Länder, zu denen man mit Schiffen gelangt. Es ist immerhin bemerkenswert, dass gerade auf manchen Inseln die größten Siege des Kreuzes errungen worden sind. Das gilt von unserem eignen geliebten Angelland, aber nicht minder von den Inseln der Südsee und Madagaskar. Wie viele Inseln gibt es! Ach, dass sie alle Heilige Inseln und Inseln der Heiligen 3 würden; dann dürften sie auch den Namen der Glücklichen Inseln (Insulae fortunatae) und der Schönen (Formosa) tragen. Manches Inselland verdankt seinen Frieden dem Meer; läge es nicht so abgesondert, so wäre es längst zerstört. Darum sollen die Einwohner den HERRN loben, der sie mit einem solchen Wassergraben umschlossen und ihnen damit eine bessere Wehr als eherne Riegel gegeben hat. Jesus ist würdig, der Herrscher der Inseln zu sein, und es ziemt sich, dass sein Lob längs aller Meeresküsten hin schalle. Ja Amen, so sei es!

2. Wolken und Dunkel ist um ihn her. In solcher Weise hat der HERR sich am Sinai geoffenbart; so muss er stets das Innerste seines göttlichen Wesens verhüllen, wenn er sich den Menschenkindern zeigt, sonst würde seine übermäßige Herrlichkeit sie töten. Jede Offenbarung Gottes muss zugleich eine Verhüllung sein; es muss eine Beschattung seines blendenden Glanzes stattfinden, wenn denn beschränkte Wesen irgendetwas davon sehen sollen. Ähnlich ist es oft mit den Führungen des HERRN: bei dem Durchführen der Pläne seiner vollkommenen Liebe verbirgt er oft seine gnädigen Absichten, damit diese am Ende umso klarer erkannt werden. Es ist Gottes Ehre, eine Sache zu verbergen. (Spr. 25,2) Um die Geschichte seiner auserwählten Gemeinde schweben dunkle Wolken der Verfolgung, und manchmal senkt sich schauerliche Finsternis auf die Seinen nieder (vergl. 1. Mose 15,12 f.); aber doch ist der HERR da, und wiewohl die Menschen eine Zeit lang das helle Licht, das inmitten der Wolke ist, nicht sehen, bricht es zur rechten Stunde durch, den Widersachern des Evangeliums zum Schrecken. Unser Schriftwort mag uns lehren, wie ungeziemend es ist, in das überweltliche Wesen der Gottheit hineinspähen zu wollen, wie eitel alle Versuche sind, das Geheimnis der Dreieinigkeit menschlich zu ergründen, wie anmaßend es ist, den Allerhöchsten vor den Richtstuhl unserer beschränkten Vernunft zu fordern, und wie töricht, dem Ewigen vorzuschreiben, wie er handeln solle. Klugheit verhüllt ihr Antlitz und betet die Gnade an, welche den göttlichen Ratschluss verbirgt; Torheit stürzt tollkühn ins Heiligste und kommt um, von der Glut der Herrlichkeit Jehovahs erst geblendet und dann verzehrt.
  Gerechtigkeit und Gericht sind seines Stuhls Festung. Nie weicht der HERR von dem Recht; sein Thron ist auf den Fels der ewigen Heiligkeit gegründet. Gerechtigkeit ist bei ihm eine unverlierbare, unveränderliche Eigenschaft, und Rechtlichkeit ein Merkmal jeder seiner Taten. Ob wir auch, was er tut, nicht durchschauen oder verstehen können, dennoch sind wir des gewiss, dass er weder uns noch irgendeinem seiner Geschöpfe ein Unrecht zufügen wird. Ist das uns nicht voll genügender Grund, uns sein zu freuen und ihn anzubeten? Jehovah ist Autokrat, aber er ist kein Tyrann; seine Macht kennt, so frei sie ist, doch keine Willkür. Die unumschränkte Gewalt mag unbedenklich in dessen Händen ruhen, der weder irren noch ungerecht handeln kann. Wenn einst die versiegelte Buchrolle der Entschlüsse seines Willens und die Urkunden seiner Führungen offen vorliegen werden, wird kein Auge darin ein Wort entdecken, das ausgelöscht werden sollte, keine Silbe, die mit einem Irrtum behaftet, keine Zeile, aus der Ungerechtigkeit zu lesen wäre, keinen Buchstaben, von dem man auf Unheiligkeit schließen könnte. Das alles kann nur von einem König gesagt werden, von dem, der der Herr ist über alles.

3. Feuer geht vor ihm her: wie eine Vorhut, die ihm den Weg bahnt. So war es am Sinai und muss es allenthalben sein; denn das Wesen Gottes ist Macht, eine Macht, die jeden Widerstand verzehrt: und zündet an umher seine Feinde. Wohl ist Gott sehr langmütig; aber wenn er anfängt zu richten, macht er mit seinen Widersachern kurzen Prozess, sie sind vor ihm wie Spreu vor den Flammen. Wenn wir diesen Vers mit dem ersten Kommen Jesu und der Ausgießung des Heiligen Geistes in Verbindung bringen4, so werden wir an die feurigen Zungen erinnert und an die Kraft, welche das Evangelium begleitete, so dass aller Widerstand schnell gebrochen ward. Auch jetzt noch wohnt dem Evangelium solche Feuerskraft inne; wo es in Vollmacht des Geistes und der Kraft verkündigt wird, bricht es sich Bahn wie die Flammen und vernichtet unwiderstehlich Lüge, Aberglauben, Unglauben, Sünde, Gleichgültigkeit und Herzenshärtigkeit. In der Kraft dieses Feuers herrscht der HERR, des freue sich das Erdreich.


4. Seine Blitze leuchten auf den Erdboden;
das Erdreich sieht es und erschrickt.
5. Berge zerschmelzen wie Wachs vor dem HERRN,
vor dem Herrscher des ganzen Erdbodens.
6. Die Himmel verkündigen seine Gerechtigkeit,
und alle Völker sehen seine Ehre.


4. Seine Blitze leuchten auf den Erdboden. Bei einem schweren Unwetter wird die ganze Natur unheimlich grell beleuchtet; selbst das Licht der Sonne erscheint düster im Vergleich zu dem blendenden Leuchten der Blitze. Steht es so mit dem ganz gewöhnlichen Licht der Natur, was muss dann der Glanz der Gottheit selber sein? Schiebt Gott den verhüllenden Vorhang nur einen Augenblick ein wenig beiseite, so erschrecken die Völker; das blendende Licht zwingt die Menschenkinder, sich die Augen zu bedecken und das Haupt in heiliger Scheu zu neigen. Durch das Evangelium erhellt Jesus den Erdboden mit solchem flammenden Licht der Gnade und Wahrheit, wie man es nie zuvor gesehen oder geahnt hat. In der apostolischen Zeit blitzte das Wort von dem einen Ende des Himmels zu dem andern, dass kein Teil der gebildeten Welt unbeleuchtet blieb. Das Erdreich sieht es und erschrickt. Vor Gottes Gegenwart erzittert die feste Erde; ob der Offenbarung seiner Herrlichkeit erbebt sie in heiliger Ehrfurcht. Diese Worte eignen sich auch vorzüglich zur Anwendung auf die Erscheinung des Herrn Jesu und die Aufrichtung seines Reiches unter den Menschen. Nichts hat je eine solche Bewegung und Erschütterung der Welt verursacht wie die Verkündigung des Evangeliums, nichts war majestätischer als dessen Lauf. Es hob die alte Welt aus den Angeln, es kehrte das Oberste zuunterst auf Erden, erniedrigte die Berge und erhöhte die Täler. Jesus kam, sah und siegte. Als sich der Heilige Geist auf die Knechte des HERRN niederließ, ward ihr Lauf dem eines gewaltigen Sturmes gleich, die Wahrheit flammte über die Welt mit der Kraft und Schnelligkeit des Blitzes, und Philosophen und Priester, Fürsten und Völker wurden völlig verwirrt und aller Macht zum Widerstand beraubt. Es wird noch einmal so sein. Sogar jetzt setzt der Glaube noch die Welt in Flammen und erschüttert die Völker bis ins Mark.

5. Berge zerschmelzen wie Wachs vor dem HERRN. Die unbeseelte Natur kennt ihren Schöpfer und huldigt ihm nach ihrer Weise. Staaten und Reiche, die sich wie Berge in der Welt erheben, lösen sich auf in nichts, sobald er ihren Untergang beschließt. Einrichtungen und Systeme, so alt und fest gegründet wie die Alpen, schwinden hin, sobald sie nur ein Blick seiner Feueraugen trifft. Wie offenkundig geschah dies in der ersten Zeit der christlichen Kirche! Das Heidentum wich vor dem Lichtglanz Jehovahs, der sich in Jesu offenbarte, und die auf den Götzendienst gegründeten Gewaltreiche der Welt zerschmolzen wie Wachs. Vor dem Herrscher des ganzen Erdbodens. Sein Reich ist das einzige wirkliche Weltreich, seine Macht gibt sich allenthalben zu spüren. Die Menschen können wahrlich die Berge nicht bewegen; nur mit Mühe ersteigen sie sie, mit unsäglicher Anstrengung bohren sie sich Wege durch ihr festes Gemäuer. Wie ganz anders der HERR! Vor seiner Gegenwart macht alles Bahn, die Hemmnisse schwinden, eine königliche Heerstraße ebnet sich seinen Schritten; und zu dem allen bedarf es nicht seiner Hand, als kostete es ihn Mühe, sondern sein Erscheinen genügt: Macht geht von ihm aus, sei es durch Wort oder Blick. O dass der HERR sich zu dieser Stunde also in seiner Gemeinde offenbarte! Sein Erscheinen ist das Ein und Alles, das wir brauchen. Vor ihm würden Berge von Schwierigkeiten entfliehen und alle Hindernisse verschwinden. Ach, dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen! (Jes. 64,1.)
  In der kleinen Welt unseres persönlichen Lebens ist die machtvolle Gegenwart Jesu wie ein Feuer, das unsre Lüste verzehrt und unsre Seelen in Gehorsam zerschmelzen macht. Manchmal zweifeln wir zwar daran, ob der HERR in uns gegenwärtig ist, weil er sich in Wolken verhüllt; aber bald werden wir des wieder gewiss, wenn sein Licht uns bestrahlt und mit heiliger Furcht erfüllt, während zugleich die milde Wärme der Gnade unsre Herzen zu Buße, Ergebung und Gehorsam erweicht, wie das Feuer das Wachs formbar macht.

6. Die Himmel verkündigen seine Gerechtigkeit. Diese tritt vor aller Augen hervor, als stände sie am Firmament geschrieben; die himmlischen und die irdischen Welten strahlen in ihrem Schein. Es ist bei den von Gott erfüllten Dichtern Sitte, die ganze Schöpfung als voller Mitempfindung für Gottes Herrlichkeit darzustellen. Das ist auch keineswegs bloße Dichtung; vielmehr liegt dem eine erhabene Wahrheit zu Grunde: die ganze Schöpfung ist um der Sünde des Menschen willen dem Seufzen unterworfen und soll noch ebenso an der Freude der Wiederherstellung des Menschen teilnehmen. Und alle Völker sehen seine Ehre. In der Zeit der Apostel ward das Evangelium so allgemein bekannt und wurde so weit und breit verkündigt, dass es gleichsam war, als ob jeder Stern die Botschaft weiter trüge und der Himmel selbst sie ausposaunte; daher Menschen aller Stämme die frohe Kunde vernahmen und die leuchtende Herrlichkeit der Gnade Gottes, die darin erstrahlte, erblickten. Möge bald der alte Missionseifer neu belebt werden, so dass die herrliche Kunde zu jedem Teil von Adams Geschlecht hin dringe und abermals alles Fleisch die Herrlichkeit Gottes sehe. Es muss einmal so kommen, darum lasst uns frohlocken vor dem HERRN.


7. Schämen müssen sich alle, die den Bildern dienen
und sich der Götzen rühmen.Betet ihn an, alle Götter!
8. Zion höret’s und ist froh;
und die Töchter Judas sind fröhlich,
HERR, über deinem Regiment.
9. Denn Du, HERR, bist der Höchste in allen Landen;
du bist hoch erhöht über alle Götter.


7. Schämen müssen sich alle, die den Bildern dienen und sich der Götzen rühmen. So wird es werden. Schmach wird ihr Angesicht bedecken, sie werden erröten, wenn sie gedenken, wes sie sich früher gerühmt haben. Wenn ein Mensch im Ernst anbetet, was von Menschenhand gemacht ist, und sein Vertrauen setzt auf ein Nichts5, so ist er ein Tor; und wird er von solchem Unsinn bekehrt, dann hat er wahrlich Ursache, sich des Vergangenen zu schämen. Ein Mensch, der ein Bild anbetet, ist selbst nur ein Scheinbild von einem Menschen; der Verstand muss ihn verlassen haben. Und wer sich eines Nichtses rühmt, rühmt seine eigene Nichtsnutzigkeit. Betet ihn an, alle Götter. Werft euch vor ihm in den Staub, ihr Staubgebilde der menschlichen Einbildung! Jupiter huldige Jehovah, Thor lege seinen Hammer am Fuße des Kreuzes nieder, und Dschagannatha schaffe seinen blutbefleckten Wagen vor Immanuel aus dem Wege! Wenn die falschen Götter so aufgefordert werden, den nahenden HERRN anzubeten, wie viel mehr sollen die gottähnlichen Geschöpfe des Himmels, die Engel, ihm ihre Huldigung darbringen! Der Verfasser des Hebräerbriefs führt diese Stelle an6 als von Gott zu den Engeln gesprochen, da er den Erstgeborenen in die Welt eingeführt habe. Alle Mächte sollen sich vor der Obermacht Jesu beugen. Da sie selbst ihre Autorität, soweit sie rechtmäßig ist, von dem HERRN erhalten, sollen sie es sich auch angelegen sein lassen, seine Oberherrschaft zu allen Zeiten durch ehrerbietige Huldigung anzuerkennen.

8. Zion höret’s und ist froh. Während die Heiden beschämt werden, fängt das Volk Gottes an zu jubilieren; denn es sieht gerne seinen Gott erhöht. Der Tag wird kommen, da sich das so lang verlassene irdische Zion an dem gemeinsamen Heil mitfreuen wird. Einst herrschte zu Jerusalem Freude, als die Apostel da wohnten, und solch frohe Tage sollen wiederkehren. Und die Töchter Judas sind fröhlich, HERR, um deiner Gerichte willen. (Grundtext) Jeder einzelne Gläubige7 ist froh, wenn er sehen darf, dass Gebäude der Lüge zusammengerissen und Götzen über den Haufen geworfen werden. Die Gerichte des HERRN gewähren denen, die den lebendigen Gott im Geist und in der Wahrheit anbeten, ungetrübte Wonne. In der ersten Zeit des Christentums freute sich das gläubige Israel über die Siege, welche das Reich Christi unter den Heiden gewann; und wenn die Töchter Judas sich auch für eine Weile von dem HERRN abgewendet haben, werden sie doch einst mit Freuden teilnehmen an dem sich durch das Evangelium von seinem geliebten Sohne weithin ausbreitenden Reiche Jehovahs, ihres Gottes. Wie einst die Frauen Israels im Reigen Davids Sieg über die Philister besangen, so werden sie noch einmal mit Jubelliedern den Triumph dessen feiern, der Davids Sohn und Herr zugleich ist.

9. Denn Du, HERR, bist der Höchste in allen Landen. Und eben darum frohlocken wir, wenn wir sehen dürfen, dass die Götzen zunichte gemacht werden und sich alle Menschenkinder vor deinem Throne neigen. Es gibt nur einen Gott, es kann nicht noch einen geben, und er ist und muss sein der Herr über alles. Du bist hoch erhöht (oder erhaben) über alle Götter, so hoch wie das All über das Nichts und die höchste Vollkommenheit über die niedrigste Torheit. Jehovah ist der Höchste nicht nur in Juda, sondern in allen Landen; er ist erhaben nicht nur über alle Menschen, sondern auch über alle, die Götter genannt werden mögen. Die Tage sind im Kommen, da jedermann diese Wahrheit erkennen und dem HERRN die Ehre geben wird, die ihm gebührt.


10. Die ihr den HERRN liebet, hasset das Arge!
Der HERR bewahrt die Seelen seiner Heiligen;
von der Gottlosen Hand wird er sie erretten.
11. Dem Gerechten muss das Licht immer wieder aufgehen
und Freude den frommen Herzen.
12. Ihr Gerechten, freuet euch des Herrn
und danket ihm und preiset seine Heiligkeit!


10. Die ihr den HERRN liebet, hasset das Arge; denn er hasst es, sein Feuer verzehrt es, seine Blitze vernichten es, seine Gegenwart verscheucht es, und seine Herrlichkeit bringt Schmach über alle, die es lieben. Wir können Gott nicht lieben, ohne zu hassen, was er hasst. Wir müssen das Böse nicht nur meiden und uns jeder Begünstigung desselben enthalten, sondern wir sollen es mit Entrüstung von uns stoßen und stets dawider in Waffen stehen. Der HERR bewahrt die Seelen seiner Heiligen, die sich in einer Zeit des Abfalls bekenntnistreu zum HERRN halten. Darum brauchen sie sich nicht zu fürchten, denen den Krieg zu erklären, welche die Sünde begünstigen. Die Heiligen sind kraft des Glaubens unverletzlich; sie sind errettet und sollen errettet bleiben. Gott bewahrt die, welche sein Gesetz bewahren. Die den HERRN lieben, werden seine Liebe darin mächtig erfahren, dass sie vor ihren Feinden beschützt werden, und wie sie das Arge meiden, so wird das Arge auch von ihnen ferngehalten werden. Von der Gottlosen Hand wird er sie erretten. Es verträgt sich nicht mit der Ehre seines Namens, dass er diejenigen der Gewalt seiner Widersacher ausliefere, welche seine Gnade zu seinen Freunden erhoben hat. Mag er die nichtigen Leiber seiner verfolgten Heiligen den Händen der Gottlosen überlassen, so doch nimmer ihre Seelen; diese sind gar teuer geachtet in seinen Augen, und er behütet sie sorgsam an seinem Busen. Dieser Vers stellt zwar der Gemeinde des HERRN eine Zeit des Kampfes mit den Mächten der Finsternis in Aussicht; aber der HERR wird die Seinen bewahren und zum Licht führen.

11. Licht ist gesät dem Gerechten. So liest der gewöhnliche hebräische Text. Seinen ganzen Lebensweg entlang ist dem Gerechten Licht gestreut, so dass er Schritt für Schritt im Licht sich fortbewegt. Wir mögen da an Miltons Worte (im verlorenen Paradies, 5. Gesang) denken:

  Auf Rosenschritten naht der Morgen sich
  Im Osten, sät des Orientes Perlen
  Auf Erden aus.

  Die volle Wonneernte ist zwar noch nicht reif, aber doch schon ausgesät; sie keimt und sprosst und wird bald in den vollen Ähren stehen. Doch gilt dies nur für die, die in der Gerechtigkeit des HERRN richtig vor ihm wandeln; allen andern ist behalten das Dunkel der Finsternis in Ewigkeit. (Jud. V. 13.) - Die Übersetzung Luthers: Dem Gerechten muss das Licht immer wieder aufgehen schließt sich an mehrere alte Übersetzungen an8 und passt besser zu dem folgenden Glied: Und Freude den frommen Herzen. Freude ist nicht nur Einzelnen (dem Gerechten) zugedacht, sondern dem ganzen Geschlecht der Frommen; wie auch der Apostel, nachdem er von der ihm beigelegten Krone der Gerechtigkeit gesprochen hat, sich gleichsam verbessernd alsbald hinzufügt: nicht mir aber allein, sondern auch allen, die die Erscheinung des Herrn lieb haben. (2. Tim. 4,8) Die aufrichtigen Herzens sind, sollten sich freuen, denn sie haben allen Grund dazu, und sie werden sich freuen. Ob ihre Freude sich manchmal wie die Sonne hinter Wolken verbirgt, sie muss doch wieder hervorbrechen; oder ob sie in der Nacht der Trübsal zu versinken droht, wie das große Licht der Erde am Abend - sie muss doch wieder aufgehen, wie die Sonne am Morgen wieder aus den Schatten der Finsternis emporsteigt. Die im Herzen richtig stehen, sollen auch im Herzen Freude schmecken. Recht führt zum Licht. Friede mit Gott bringt Freude ins Gemüt. In den Furchen der Lauterkeit gedeiht die Saat des Glückes und wird sich zu einer Ernte der Seligkeit entfalten. Blitze für die Sünder, Licht für die Heiligen, das ist Gottes Ordnung. Wohin immer das Evangelium dringt, streut es überall in der Welt Freude aus für die, welche daran glauben; denn das sind die Leute, die vor dem HERRN recht beschaffen sind.

12. Ihr Gerechten, freuet euch des HERRN. Der Psalmdichter hatte vorher die Erde zu Freude und Frohlocken aufgefordert; jetzt wendet er sich an die Herrlichen der Erde (Ps. 16,3) und ruft sie auf, das Freudenlied anzustimmen. Ob alle andern es unterlassen den HERRN zu preisen, so dürfen doch die Gottseligen nicht schweigen. Ihnen hat er sich sonderlich geoffenbart, so sollen sie ihn denn auch sonderlich anbeten. Und preiset sein heiliges Gedächtnis (wörtl.), d. i. seinen heiligen Namen.9 Gottes Heiligkeit ist die Harmonie aller seiner Vollkommenheiten, sein ganzes Wesen fasst sich darin als in seiner Krone zusammen. Sie ist den Gottlosen ein Schrecken, den Begnadigten aber ein Gegenstand dankenden Lobpreises. Der Heiligkeit Jehovahs zu gedenken ziemt solchen, die in seinen Vorhöfen wohnen; dass sie ihm unter den Eindrücken solcher Erinnerung danken und lobsingen, ist ein sicheres Kennzeichen ihrer Würdigkeit, in seiner Gegenwart zu verweilen. Durch das Evangelium vor allem hat Gott sich ein heiliges Gedächtnis gestiftet, sich uns als der Heilige zu erkennen und zu gedenken gegeben; denn das Evangelium bringt der Sünde den Tod und der Tugend das Leben. Ein unheiliges Evangelium wäre kein Evangelium. Die Reinheit der Religion Jesu ist deren Herrlichkeit; dadurch wird sie erst zu einer frohen Botschaft. Denn solange der Mensch in seiner Sünde belassen wird, gibt es für ihn keine wahre Glückseligkeit. Rettung von der Sünde, das ist die unschätzbare Gabe unseres dreimal heiligen Gottes. Er wird die Welt mit Heiligkeit und darum dann auch mit Glückseligkeit erfüllen; so lasst uns denn seinen heiligen Namen preisen immer und ewiglich. Amen!


Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzen Psalm. Der vorliegende Psalm ist nach Inhalt und Form mit den demselben vorhergehenden Psalmen 93; 95; 96, sowie auch mit 98 und 99 aufs engste verwandt. Nur dass er das zu erwartende Kommen Gottes nicht sosehr von dessen die Völkerwelt beseligender Seite, als vielmehr von seiten des strafrichterlichen Ernstes Gottes gegen die ihm widerstrebenden Nationen auffasst. Lic. H.V. Andreä 1885.
  Was wir schon von Ps. 95 an bemerklich machten, dass die mit demselben beginnende Psalmengruppe es mit Liedern zu tun habe, die nicht sosehr aus einer privaten Frömmigkeitsäußerung, sondern sozusagen aus einer absichtlichen kirchlichen Tätigkeit hervorgegangen seien, dies tritt uns hier in Ps. 97 mit besonderer Deutlichkeit entgegen; denn derselbe besteht fast nur aus einer Anzahl von aus früheren Psalmen- und Prophetenstellen herangezogenen Ausdrücken und Gedanken, welche uns in ihrer Zusammenstellung den Charakter eines in heiligem der Tempelsprache angemessenem Stile gehaltenen Formulars zu Gottes Ehre und Lob gar nicht verkennen lassen. Man vergleiche nur z. B. V. 1 unseres Psalms mit Ps. 72,10; Jes. 26,15; 42,10.12; - V. 2 mit Ps. 89,15; - V. 3 mit Ps. 50,3; - V. 2-4 mit Ps. 18,9-14; - V. 5 mit Ps. 68,3; Nah. 1,5; - V. 10 mit Ps. 37,27; - V. 11 mit Ps. 37,6 und V. 12 mit Ps. 30,5; 32,11, um sich von der Wahrheit des soeben Gesagten zu überzeugen. Lic. H.V. Andreä 1885.
  Die nähere Betrachtung der Anspielungen und Entlehnungen unseres Psalms und der ganzen kleinen Sammlung, der er angehört, ist auch in anderer Beziehung von Bedeutung. Sie zeigt, wie falsch die besonders von Ewald auf die Spitze getriebene Vorstellung von einer verloren gegangenen umfassenden heiligen Literatur ist. Wir können in unserem Psalm von Vers zu Vers die Beziehungen verfolgen: kein Vers bleibt ohne seine nachweisbare Grundstelle. Das erklärt sich nur daraus, dass uns die heilige Literatur vollständig erhalten ist. Prof. E. W. Hengstenberg 1845.


V. 1. Der HERR ist König. Das ist fürwahr eine frohe Botschaft, die sich ohne Jubel, ohne Preis und Dank gar nicht verkündigen lässt. Sie ist so süß und trostreich, dass die ganze Welt darob mit Frohlocken erfüllt werden soll. Aller Ohr und Zunge und Herz preise Gott. Nur die Hölle erschrecke, nur die Teufel mögen darüber in Angst geraten.
  Das Reich, das Gott nun aufrichtet, ist ein ewiges Reich. Nicht in der Menschen Schwachheit, sondern in Gottes Kraft soll es verwaltet werden; nicht nach der Menschen Torheit, sondern nach Gottes allweisem Urteil. All der Hochmut und Ehrgeiz, all die Unterdrückung und tyrannische Willkür, all die Fehlgriffe und Übelstände, die mit dem Regieren von Menschen verbunden waren, sind gänzlich verschwunden; es herrschen Gerechtigkeit, Billigkeit und unfehlbare Weisheit, unbegrenzte Macht gepaart mit unendlicher Güte. Die Armen seufzen nicht mehr unter Schmach und hartem Druck, sie werden nicht mehr ein Opfer der Lüste und Begierden der Reichen, sie vergießen nicht mehr ihren Schweiß für die Genusssucht anderer; sie stehen unter Gottes Schutz. Der HERR ist König!
  Bis jetzt hat der HERR zumeist gedient, in Knechtsgestalt gedient. Er hat die Menschen versorgt, hat ihnen Kraft und Weisheit und Reichtümer und öffentliche Gewalt gegeben, dass sie groß und glücklich würden. Hinfort aber wird der HERR nicht mehr dienen, sondern herrschen; er wird alle Gewalt und Autorität in seine Hände nehmen, dass er Herr sei über alles. Es ist auch Zeit, dass es so werde, und es ist recht und billig. Alles muss sich jetzt ihm beugen, und kein Herz, kein Mund wird mehr erfunden werden, die sich gegen Gottes Herrschaft auflehnen.
  Bisher ist Satan Fürst gewesen, und er hat aus eurer Gefangenschaft und eurem Elend ein eisernes Gesetz gemacht und euch gezwungen, für ihn Frondienst zu tun, und hat es euch nicht zugelassen, Gott zu nahen. Aber jetzt hat es mit seiner gottlosen und grausamen Gewalt ein Ende. Jetzt soll das Sehnen eures Herzens nach Liebe, Friede, Freiheit, Gerechtigkeit und allem Guten vollauf gestillt werden. Nun ist euch ewig wohl.
  Dieses Gottesreich soll nach Dan. 7,27 zur Ehre Gottes von den Heiligen des Höchsten verwaltet werden. Das wird ein zartes, mildes Regiment sein, getragen von dem Geist der Bruderliebe. Man wird kein anderes Gesetz kennen als das Gottes, keinen andern Meister als Jehovah. Er hat uns gemacht zu Königen und Priestern, und wir werden mit ihm herrschen auf Erden. Er will nicht ohne uns herrlich sein. Sein Reich ist verhüllt, bis wir mit ihm hervorleuchten. Schon hören wir von ferne das Hallelujah, das dann von aller Kreatur im Himmel und auf Erden dem HERRN zu Ehren erschallen wird. - Nach William Sedgwick 1648.
  Der HERR ist König: derselbe, der einst vor dem Richter stand, der Backenstreiche erduldete, der gegeißelt und angespieen ward, der mit Dornen gekrönt, mit Fäusten geschlagen wurde, er, der ans Kreuz genagelt und, als er da am Fluchholz hing, verhöhnt wurde, er, der am Kreuze starb und mit dem Speer durchstochen wurde, er, der begraben wurde - er, der aus den Toten auferstand. Der HERR ist König. Mögen die Reiche dieser Welt toben, soviel sie wollen - was können sie gegen den König aller Könige, den Herrn aller Herren, den Schöpfer aller Welten ausrichten? Aurelius Augustinus † 430.
  Mykonius sagt in einem Briefe an Calvin im Blick auf die Feinde der Kirche Christi: Ich bin froh, dass Christus der Herr über alle ist, denn sonst wäre mir alle Hoffnung vergangen. John Trapp † 1669.
  Der HERR ist König. 1) Der HERR regiert als der einige Gesetzgeber. Nichts dient mehr zum Wohl der Gesellschaft als gute Gesetze; darum freue sich das Erdreich, dass der nunmehr herrscht, der die besten Gesetze für die sittliche Welt und namentlich für die Menschheit erlassen hat. Und diese Gesetze sind durch vortreffliche Bürgschaften gesichert, durch Gottes unendliche Weisheit, unbeschränkte Macht, unbeugsame Gerechtigkeit, fleckenlose Heiligkeit und unbegrenzte Güte. Menschliche Gesetze können im besten Fall nur das äußere Verhalten glätten, die Gesetze des himmlischen Königs aber dringen mit der Kraft des Geistes in den inneren Menschen, in Herz und Gewissen ein und haben keinen geringeren Zweck, als eine völlige Übereinstimmung zwischen Gesinnung und Wandel hervorzubringen. 2) Der HERR regiert durch seine Führungen, im Leben der Einzelnen, in der Geschichte der Völker und Reiche und in seiner Gemeinde. Des freue sich das Erdreich. 3) Er herrscht auf dem Gnadenthron. Das vor allem ist Grund zur Freude. Und 4) wird der HERR in einer Kürze den großen Gerichtsstuhl vor dem ganzen versammelten Weltall einnehmen. Des freue sich das Erdreich und seien fröhlich die Inseln, soviel ihrer sind. Samuel Davies † 1761.
  Als Bulstrode Whitelock sich als Gesandter Cromwells im Jahre 1653 nach Schweden einschiffen wollte, wurde er in der Nacht zuvor, da er sich bei sehr stürmischem Wetter in Harwich aufhielt, im Gemüte sehr erregt, während er über den schlimmen Zustand seines Volkes nachdachte. Ganz nahe bei ihm ruhte ein vertrauter Diener, der, da er merkte, dass sein Herr gar nicht schlafen konnte, endlich sagte: "Herr, darf ich mir eine Frage erlauben?" "Gewiss." "Mit Verlaub, Herr, glauben Sie, dass Gott die Welt weise regiert hat, ehe Sie da waren?" "Natürlich." "Nun, und meinen Sie,. mit Verlaub, er werde die Welt ebenso gut regieren, wenn Sie nicht mehr da sind?" "Ohne Frage." "Nun, dann bitte, entschuldigen Sie - meinen Sie nicht, Sie könnten es ihm zutrauen, dass er die Welt ebenso gut regieren werde, solange Sie leben?" Darauf wusste Whitelock nichts zu antworten; er kehrte sich auf seinem Lager um und fiel bald in festen Schlummer, aus dem er erst erwachte, als man ihn zum Einsteigen rief. G. S. Bowes 1862.


V. 2. Wolken und Dunkel ist um ihn her. Die Bildersprache in den poetischen Stücken des Alten Testaments ist oft den geschichtlichen Büchern entnommen und bezieht sich auf dort berichtete Ereignisse. So sind die von den Vätern erlebten Gotteserscheinungen der Ursprung des in unserer Stelle gebrauchten Bildes. Fast alle diese Erscheinungen waren von Wolken und Dunkel begleitet. Man denke unter anderem an die Wolken- und Feuersäule, an das Blitzen und die dicke Wolke auf dem Sinai (2. Mose 19,16), an die Wolke und die "Herrlichkeit des HERRN", welche den Tempel Salomos erfüllten. (1. Könige 8,10 f.) Bei allen diesen Kundgebungen der Gegenwart Gottes sehen wir eine Verbindung von heller Pracht und geheimnisvollem, schaurigem Dunkel. Und sogar bei der Verklärung Christi "überschattete sie eine lichte Wolke" (Mt. 17,5). Robert Hall † 1831.
  Gott regiert die Welt in geheimnisvoller Weise. Wie es in Gottes Wort Dunkelheiten gibt (vergl. 2. Petr. 3,16), so auch in seinen Taten und Führungen viele Rätsel, welche selbst Männer von umfassendem und tief eindringendem Verstande verwirren. Vergl. Hiob 23,8-10. Gott kennt alle unsre Wege, aber der Weiseste kennt nicht alle die Wege Gottes. Auch die ihn mit dem Auge des Glaubens schauen, sehen und begreifen ihn doch nicht mit dem Verstande. Manche seiner Wege liegen freilich offen und klar vor unserem Blick; Gerechtigkeit, Billigkeit, Freundlichkeit und Liebe erstrahlen aus ihnen. Aber öfters sind sie dunkel und rätselhaft, unerforschlich, wie Paulus sagt (Röm. 11,33). Wer auf ihnen Gott nachgehen will, kann sich leicht verlieren. Sie gehören zu den arcana imperii, zu den Staatsgeheimnissen, die nicht an die Öffentlichkeit gehören. Eins aber ist tröstlich: gibt Gott uns jetzt auch keine Auskunft - wozu er auch gar nicht verpflichtet ist - so könnte er es doch in völlig befriedigender Weise, und eines Tages wird er die Seinen in die Geheimnisse einweihen. (Vergl. Joh. 13,7; 16,12) Dann werden sie Gottes Walten nach Grund und Ziel begreifen und, völlig einverstanden mit all seinem Tun, ihn dafür preisen und anbeten. Samuel Slater † 1704.
  Gerechtigkeit und Gericht. Gerechtigkeit ist die innere Eigenschaft, Gericht oder Recht die Anwendung derselben in den Handlungen. Robert Hall † 1831.
  Soll die Freundlichkeit und Gnade unseres himmlischen Königs geschildert werden, so wird er mit der Sonne verglichen, wie sie am klaren Himmel scheint und die ganze Schöpfung mit ihren wohltuenden Strahlen erfreut. Soll Gott uns aber vor Augen geführt werden, wie er in Gerechtigkeit und Gericht einherschreitet, um seine Widersacher zu zerstreuen und zu strafen, so wird das Bild von dem finster umwölkten Himmel genommen; dann wird er dargestellt als von Wolken und Dunkel umgeben, aus denen Blitz und Donner, Sturm und Unwetter losbrechen, die die Gottlosen erschrecken und vernichten. Samuel Burder 1839.


V. 3. Feuer gehet vor ihm her. Wie der Hofmarschall oder die Leibwächter, die vor der königlichen Majestät einherschreiten, oder wie die Lictoren vor den römischen Richtern. Das Feuer ist ein Bild sowohl der Gnade als des Zorns (2. Mose 3,2; Ps. 18,9). In beiden Offenbarungen Gottes tut sich seine Majestät kund. C. H. Spurgeon 1874.
  Nicht geringerer, sondern größerer Zorn wartet derer, die das Evangelium verwerfen, als die traf, welche das Gesetz missachteten. Hebr. 12,29. David Dickson † 1662.


V. 4. Der bloße Anblick Gottes macht die Erde erzittern. A. R. Fausset 1866.


V. 5. Berge zerschmelzen usw. Vergl. Micha 1,4: Und es zerfließen die Berge unter ihm und die Täler spalten sich, wie Wachs vor dem Feuer. Das Präteritum steht auch dort prophetisch. Die Worte, welche dort zur Ankündigung des Gerichtes über Israel gehören, werden hier in die Schilderung des Gerichtes über die Heidenwelt verwebt, dessen faktische Weissagung das Gericht über Israel ist. Vergl. 1. Petr. 4,17. Die Berge werden individualisierend genannt als das Festeste und Erhabenste auf Erden. Berleburger Bibel: Auch die Berge der menschlichen Höhe und des Hochmutes, die Höhen der menschlichen Vernunft und Eitelkeit, und auch die Königreiche der Welt. Prof. E. W. Hengstenberg 1845.


V. 6. Die Himmel verkündigen usw. Die Kreatur dient der Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes. Und alle Völker - nicht nur die Gottlosen zur Strafe, sondern auch die anderen Sterblichen zu ihrer Erbauung - sollen die Herrlichkeit Gottes sehen. Sehen, nicht bloß davon hören oder wissen: es soll endlich einmal die Gerechtigkeit Gottes sich überzeugend und überwältigend erweisen. Der Zweck soll nicht nur die Vertilgung der Gottlosen und Errettung der Unschuldigen, sondern die Kundmachung der Ehre Gottes sein. Wolfgang Musculus † 1563.


V. 7. Alle Götter. Indem in Elohim ganz allgemein die im göttlichen Wesen liegende Machtfülle ausgeprägt ist, haftet an dem Wort eine gewisse Unbestimmtheit (wie an dem lateinischen numen). Der Ausdruck schließt in seiner unbestimmten Weite die konkreteren Bestimmungen der Gottesidee nicht aus, er bleibt durch das ganze Alte Testament hindurch der allgemeine Gottesname. Aber wegen der Unbestimmtheit seiner Bedeutung kann Elohim auch zur Bezeichnung heidnischer Götter gebraucht werden, ja einmal (1. Samuel 28,13 im Munde der Zauberin) zur Bezeichnung einer Grauen erregenden übermenschlichen Erscheinung. Danach könnte es nicht auffallen, wenn für die Engel, die als der göttlichen Natur teilhaftig öfters Söhne Gottes heißen, geradezu die Benennung Elohim vorkäme. Doch ist dieser Gebrauch des Wortes nirgends nachzuweisen; anerkanntermaßen nicht Ps. 8,6; 97,7; 13,1, wo es die LXX durch Engel übersetzen; aber auch Ps. 82 nicht, wo trotz der entgegenstehenden Versicherung Hupfelds Elohim nicht Engel, sondern die Träger der richterlichen Gewalt in der Theokratie bezeichnet. - Theol. des A.T. von Prof. Gust. Fr. Öhler † 1872.


V. 10. Die ihr den HERRN liebet, hasset das Arge. Unsere Bekehrung erweist sich dann als eine gesunde, wenn wir die Sünde von Herzen hassen und verabscheuen. Ob sein Hass der Sünde echter Art ist, kann einer erstens daran wissen, ob er jede Sünde hasst. Und dieser Hass muss ein unversöhnlicher sein, der nicht anders zu befriedigen ist, als durch Ausrottung dessen, das man hasst. Bloßer Zorn lässt sich stillen, aber der Hass bleibt tief eingewurzelt und bekämpft nicht nur einzelne Fälle, sondern das Böse in seiner Gesamtheit. Ist unser Hass gegen die Sünde aufrichtig, so werden wir nicht, wie Juda (1. Mose 38,24.23), streng im Tadel gegen andere, aber nachsichtig gegen uns selber sein. Verabscheuen wir die Kröten, so werden sie uns am eigenen Busen am widerlichsten sein. Ferner: wer die Sünde wirklich hasst, verabscheut die größte Sünde auch am meisten. Der geistliche Hass muss vom geistlichen Urteil geleitet sein. Und endlich erweist sich unser Hass des Bösen darin als echt, dass wir Ermahnung und Tadel wegen der Sünde ertragen können und nicht darüber in Wut geraten. Wer sich gegen den Tadel auflehnt, hasst die Sünde wohl nicht wirklich. Richard Sibbes † 1635
  Strebe nach solcher Gnade, die die Sünde tötet. Das tut sonderlich die Liebe zu Gott, denn die den HERRN lieben, hassen das Arge, und je mehr sie ihn lieben, je mehr werden sie auch alles Arge hassen. David Clarkson † 1686.
  Gott ist Geist und beurteilt uns nach unserem innersten Wesen. Es kann jemand eine böse Tat aus Furcht oder andern Gründen meiden, ohne dass sein Herz die Sünde hasst. Meide das Böse nicht nur, sondern hasse es, und zwar aus aufrichtiger Rücksicht auf Gott und Liebe zu Gott. Richard Sibbes † 1635.
  Der HERR bewahret - wird erretten. Das sind die beiden Seiten des göttlichen Schutzes. Der Hirt bewacht seine Schafe, damit sie nicht unter die Wölfe geraten; sind sie aber in die Klauen des Feindes gefallen, dann setzt er dem Räuber nach und befreit sie. Wolfgang Musculus † 1563.


V. 11. Licht ist gesät, steht im Text. Wie kann man das Licht säen? Freilich, hat nicht Gott den ganzen Himmel voller Sterne gesät? Siehe den klaren Himmel in der Nacht recht an, du wirst sagen, die unzähligen kleinen Sternlein sind in den Himmel gesät. Nun sieht man diese wunderliche Saat nicht, wenn der Himmel trübe ist und mit Wolken bedeckt; dennoch ist gleichwohl der Himmel voll gesät. Also, wenn der Himmel deines Geistes und deiner Seele trübe ist, sieht man nicht die Freudensaat, die drinnen verborgen ist, bis in deinem Herzen wieder Licht ist, bis Gott zu deiner Finsternis sagt: Es werde Licht! Da gehen denn so viel tausend Freudensterne in deinem Herzen auf, so viel Lichter am Himmel sind. Johann Arnd † 1621.


V. 12. Freuet euch des HERRN. Das heißt 1) dass wir eine herzliche Freude haben sollen an allem, was Gottes ist, an seinen Eigenschaften, seinen Offenbarungen, seinen Führungen, seinen Verheißungen; 2) dass unsre Freude an Gott alle andern Freuden übertreffen soll; 3) dass auch, wenn wir uns über anderes freuen, unsre Freude doch im Grunde eine Freude am HERRN sei. All die Freudenbächlein, die dem Geschaffenen entspringen, haben doch ihren verborgenen Urquell in Gottes Freundlichkeit und Freigebigkeit. Er ist es, der uns einen unauslöschlichen Trieb nach Glückseligkeit ins Herz gelegt und uns Leib und Seele mit den verschiedensten Kräften und Fähigkeiten ausgestattet hat, von denen keine unbenutzt und unbefriedigt gelassen werden soll. Allein die Seele darf sich in diesem Reichtum von Freuden nicht als in einem Labyrinth verlieren, darf sich nicht durch sie abziehen lassen von dem, der in sich selbst im höchsten, vollkommenen Maße alle Freuden vereinigt. Henry Grove † 1738.
  Die Wurzel des Dankes und Lobpreises ist die Freude am HERRN, die Frucht das Gedächtnis seiner Heiligkeit. Wolfgang Musculus † 1563.

V. 12. mit V. 11. Ihr Gerechten. Ja, die Gerechten mögen sich des HERRN freuen. Aber wo sind sie zu finden? (Spr. 20,9; Ps. 53,1.4) Ist es nicht zwecklos, Menschen zur Freude aufzufordern, wenn die beigefügte Bestimmung alle Menschen von der Freude ausschließt? Die Antwort mögen wir aus dem unmittelbar Vorhergehenden entnehmen: die Gerechten, das sind solche, die von Herzen aufrichtig sind. Das sperrt die Heuchler aus, das ist ein Riegel gegen alle Falschmünzer, alle Scheinheiligen, die sich selbst rechtfertigen vor den Menschen, aber Gott, den Herzenskündiger, nicht fürchten, und ist zugleich ein Schlüssel, der allen Einfältigen und Aufrichtigen die Tür aufschließt. Thomas Gataker † 1654.


Homiletische Winke

V. 1. Gottes Königsherrschaft, ein Anlass zu vielfältiger Freude für viele - besonders wie sie sich in dem Reich der Gnade kundgibt.
V. 3-6. Die Erscheinungen, welche das gnadenreiche Kommen Christi begleiten: 1) Das Feuer seines Geistes. 2) Das Licht des Wortes. 3) Die Erregung der Welt. 4) Die Beseitigung der Hindernisse. 5) Die Kundgebung der göttlichen Herrlichkeit.
V. 4.5. 1) Die Schrecken der Gesetzgebung. 2) Der Zweck dieser Schrecken: dem Menschen zu zeigen a) seine Schuld, b) seine Unfähigkeit, das Gesetz zu halten, c) die Notwendigkeit, dass ein anderer für ihn das Gesetz erfülle. George Rogers 1874.
V. 4-6. Eine Beschreibung der Gesetzgebung. 1) Die Herolde des Gesetzgebers bereiten Überzeugung von der Sünde, V. 4. 2) Seine Gegenwart wirkt Reue, V. 5. 3) Die Kundmachung des Gesetzes wirkt Erkenntnis, V. 6. 4) Der Zweck der Gesetzgebung ist die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes, V. 6 b. Charles A. Davis 1874.
V. 5. Gottes Gegenwart in seiner Gemeinde ist deren unwiderstehliche Kraft.
V. 7. Die Beschämung, welche allem Götzendienst, auch dem feinen, geistigen, folgen muss. Der Götze bricht zusammen, die Hoffnungen erweisen sich als trügerisch, es bleibt der angerichtete Schade, es gibt ein schmerzliches Losreißen.
V. 8. 1) Die Welt erschrickt über Gottes Gerichte. 2) Die Gemeinde freut sich über sie. George Rogers 1874
  1) Wenn die Welt sich freut, so trauert die Gemeinde Gottes. 2) Wo die Welt trauert, freut sich die Gemeine. George Rogers 1874
V. 10. 1) Was ihr jetzt tut: den HERRN lieben. Ihr liebt ihn in Erwiderung seiner Liebe, liebt ihn persönlich, über alles, unabänderlich, immer mehr. 2) Was ihr darum auch tun müsset: das Arge hassen im Wirken, Reden, Schreiben, Denken. Ihr sollt das Arge meiden, überwinden und ausrotten. William Jackson 1874.
  1) Die unterscheidende Eigentümlichkeit der Kinder Gottes: sie lieben den HERRN. 2) Ihr äußeres Kennzeichen: das Hassen des Argen. 3) Ihr Lohn: Bewahrung und ErrettungGeorge Rogers 1874
V. 10-12. Gott der treue Freund seiner Frommen: 1) Er behütet in Treue ihre Seelen. 2) Er errettet sie mit Macht von ihren Feinden. 3) Er erleuchtet und erfreut sie durch seine Weisheit und Heiligkeit. Thomas Le Blanc † 1669.

Fußnoten

1. Spurgeon gibt dann noch, wiewohl er selber bemerkt, die Sache sei nicht wichtig, in lebhaften Worten seiner Meinung Ausdruck, dass David der Verfasser des Psalms sei. Es könne ebenso gut sein, dass spätere Gottesmänner sich die Worte Davids angeeignet hätten, als dass irgendein Namenloser die Worte des vorliegenden Liedes aus Propheten und Psalmen zusammengestellt habe. - James Millard

2. Vergl. die Auslegung zu Ps. 93,1.

3. Irland trug einst wegen seiner zahlreichen Klöster, in welchen stille Frömmigkeit mit eifrigem Schriftstudium blühte und von welchen zahllose Volkslehrer und Glaubensboten ausgingen, den Namen der Insula Sanctorum. (Kurtz.) Zum Folgenden vergl. zu Ps. 72,10.

4. Diese Deutung stützt sich auf Augustinus und andere Väter.

5. Anspielung auf die hebräischen Wörter (für Bild und Götze), deren erstes etwas Ausgehauenes, deren zweites ein Nichts bedeutet.

6. Die Septuaginta, welcher der Hebräerbrief meist folgt, hat allerdings in unserer Psalmstelle, wie auch sonst etwa, aus dogmatischen Gründen Götter mit Engel übersetzt: Betet ihn an, alle seine Engel. Es ist aber jetzt allgemein anerkannt, dass die Worte im Hebräerbriefe nicht unmittelbar nach dem Psalm, sondern, wie das kai/ und das qeou beweisen, wörtlich nach dem in der Septuaginta (aus unserem Psalmvers und andern Stellen) erweiterten Schlussvers des Liedes Moses (5. Mose 32,43) angeführt ist, der dort beginnt:

  Freut euch über ihn, ihr Himmel, allzumal,
  und anbeten sollen ihn alle Engel Gottes.
  Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volke,
  Und anerkennen sollen seine Stärke alle Kinder Gottes usw. James Millard

7. Unter den Töchtern Judas sind aber nach hebräischem Sprachgebrauch die Landstädte Judas gemeint.

8. LXX, Hieronymus usw., die (rz gleich xrz genommen oder, wie etliche hebr. Handschriften, geradezu xrz gelesen haben.

9. Vergl. die Anm. zu der Lehnstelle Ps. 30,5.