Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 138 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Davids. Dieser Psalm ist mit gutem Bedacht an seine Stelle gesetzt. Wer immer der Mann gewesen sein mag, der diese Sammlung heiliger Dichtungen ordnete, das ist gewiss, dass er dabei sein Augenmerk darauf richtete, zusammenzufügen, was sich durch innere Zusammengehörigkeit oder Gegensätzlichkeit gut zueinander schickte. Sehen wir in Ps. 137 die Notwendigkeit des Schweigens vor den Schmähern, so in diesem Psalm die Vortrefflichkeit des mutigen Bekennens. Es gibt eine Zeit zum Schweigen, wir möchten sonst die Perlen vor die Säue werfen; und es gibt eine Zeit, wo wir frei heraus reden müssen, wenn wir uns nicht feiger Verleugnung schuldig machen wollen. Der Psalm ist eines David würdig, er atmet ganz die treue, mutige und entschiedene Gesinnung dieses Königs von Israel und Fürsten der Psalmdichtung. Viele Ausleger fechten diese Überschrift an, zum Teil, weil in V. 2 der Tempel erwähnt wird. Allein wir finden den gleichen Ausdruck in dem 5. Psalm, der doch mitten in der Sammlung davidischer Psalmen steht, und selbst solche Gelehrte, die auf die in den Überschriften niedergelegte Überlieferung wenig Rücksicht nehmen, müssen zugeben, dass das Wort Tempel in dichterischer Rede gar wohl für das heilige Zelt der Bundeslade auf dem Zion gebraucht werden könne. Höchstwahrscheinlich blickt der Psalm auf die große dem David und seinem Hause 2. Samuel 7 gegebene Verheißung zurück und ist es ein König aus Davids Hause, der hier redet. Warum sollte es nicht David selber sein?

Einteilung. Voll Freimut des Glaubens ist der Psalmist bereit, seinen Gott angesichts der "Götter" zu bekennen, V. 1-3. Er bezeugt, dass Könige und Völker noch sollen zur Bekehrung kommen durch Gottes Heilstaten, bis allüberall das Lob des HERRN erklingt, V. 4.5. Danach gibt der königliche Psalmdichter seiner eigenen Zuversicht zu Jehovah Ausdruck. Der HERR wird, des ist er gewiss, seinem gebeugten Knecht helfen und ihn vor der Bosheit zornerfüllter Feinde bewahren.


Auslegung

1. Ich danke dir von ganzem Herzen,
vor den Göttern will ich dir lobsingen.
2. Ich will anbeten zu deinem heiligen Tempel
und deinem Namen danken für deine Güte und Treue;
denn du hast deinen Namen über alles herrlich gemacht durch dein Wort.
3. Wenn ich dich anrufe, so erhörst du mich
und gibst meiner Seele große Kraft.


1. Ich will (Grundtext) dir danken (dich preisen) von ganzem Herzen. Der Psalmist ist in seinem Gemüt so ganz von Gott hingenommen, dass er Gottes Namen gar nicht erwähnt. Für ihn gibt es keinen anderen Gott als Jehovah, und diesen fühlt er so als den Allnahen, zu ihm steht er in so trautem Verhältnis, dass er, da er ihn anredet, so wenig daran denkt, seinen Namen zu erwähnen, wie wir dies tun, wenn wir mit dem Vater oder einem Freunde reden. Er schaut Gott mit dem inneren Auge und redet ihn einfach mit dem trauten Du an. Er ist entschlossen, den HERRN zu preisen und es mit der ganzen Kraft seines Wesens zu tun, mit seinem ganzen Herzen. Er war nicht willens, sich durch das, was andere dachten, zurückhalten zu lassen, sondern im Angesicht der Widersacher des lebendigen Gottes wollte er in der Anbetung so inbrünstig sein, als ob sie alle Gesinnungsgenossen wären und sich von Herzen mit ihm darin vereinigten. Wenn andere den HERRN nicht preisen, so ist das ja nur umso mehr ein Grund, warum wir es tun sollten, und zwar mit begeistertem Eifer. Wir brauchen ein zerbrochenes Herz, um über unsere Sünden Leid zu tragen, aber ein ganzes Herz, um des HERRN Vollkommenheiten zu preisen. Wenn je, so sollte unser Herz dann "ganz" sein und sich gänzlich der einen Aufgabe widmen, wenn wir daran sind, den HERRN zu loben. Vor den Göttern will ich dir lobsingen. Warum sollten diese nichtigen Götzen Jehovah seines Preises berauben? Der Psalmist ist nicht gesonnen, mit seinen Lobgesängen auch nur einen Augenblick innezuhalten, weil sich Götzenbilder vor ihm befanden und den törichten Verehrern derselben seine Psalmen, die er zu Ehren Jehovahs sang, nicht gefielen. Ich glaube, dass der Psalmist die falschen Götter der benachbarten Völker und die Gottheiten der überlebenden Kanaaniter meinte. Es war ihm ein Leiden, dass solche Götzen aufgestellt wurden, und er war willens, es sofort zum Ausdruck zu bringen, wie sehr er sie verachtete und wie völlig er von der Anbetung des lebendigen Jehovah hingenommen war, indem er recht herzhaft zu singen fortfuhr, wo immer er sich befinden mochte. Es hieße diesen toten Götzen zu viel Achtung bezeugen, wollte man mit dem Singen aufhören, weil Menschen sie zur Verehrung aufgestellt haben und ihnen Weihrauch streuen. In unseren Tagen, da täglich neue Religionen ersonnen und neue Götter aufgerichtet werden, ist es wichtig für uns, zu wissen, wie wir handeln sollen. Bilderstürmerischer Eifer verbietet sich, und lässt man sich mit den Erfindern und Verteidigern dieser neuen Gottheiten in ein Wortgefecht ein, so kommt man in Gefahr, auf die Ketzereien erst recht aufmerksam zu machen; das Beste ist, man fahre unentwegt fort, dem HERRN mit unveränderlichem Eifer zu dienen und sein Lob mit Herz und Mund zu singen. Leugnet man die Göttlichkeit unseres Erlösers, so lasst uns ihn desto inbrünstiger anbeten. Missachten viele die sühnende Bedeutung des Todes Jesu, so wollen wir sie desto mehr ohne Unterlass verkündigen. Hätte man nur die Hälfte der Zeit, die man auf Konzilien und Disputationen verwendet hat, dem Lobpreis des HERRN gewidmet, wahrlich, die Kirche wäre gesunder und stärker, als sie es heutzutage ist. Die Hallelujah-Brigade wird die Schlacht gewinnen. Den HERRN lobpreisen und ihm singen, das ist unser Harnisch gegen die Abgöttereien der Irrlehre, unser Trost unter dem Gemütsdruck, den uns freche Angriffe auf die Wahrheit verursachen, und unsere Waffe, mit der wir das Evangelium verteidigen. Der Glaube hat, wenn er mit fröhlichem Mute vorangeht, eine Art heiliger Ansteckungskraft in sich; andere lernen es, auf den Allerhöchsten ihr Vertrauen zu setzen, wenn sie Gottes Knechte mitten im verwirrenden Getümmel mit heiterer Ruhe, des Sieges der guten Sache gewiss, vorwärtsdringen sehen.

2. Ich will anbeten zu deinem heiligen Tempel, der Stätte, da Gott wohnte, wo der Gnadenthron war. Er wollte Gott anbeten in der von Gott verordneten Weise. Der HERR hatte ein Heiligtum gestiftet als Einigungspunkt des ganzen Volkes, als Stätte, da man ihm Opfer darbringen durfte und wo er seine besondere Gnadengegenwart kundtun wollte, und der Psalmist ordnete sich ganz dem unter, was der HERR als seinen Willen geoffenbart hatte. So gilt es auch für die Treugesinnten unserer Tage, sich zu hüten, dass sie weder in den selbsterwählten Gottesdienst des Aberglaubens noch in den unbeständigen, mit den Tagesmeinungen wechselnden Gottesdienst der Zweifelsucht verfallen, sondern in ehrfürchtigem Gehorsam Gott also dienen, wie er es selbst verordnet hat. Auch die Götzen hatten ihre Tempel und Altäre; der Psalmist aber würdigt diese keines Blickes, sondern wendet Herz und Auge der Stätte zu, die der HERR sich zum Heiligtum erkoren hatte. Dass wir den wahren Gott anbeten, ist noch nicht alles; wir müssen es auch in der gottgewollten Weise tun. Der Jude richtete sein Angesicht gegen den Tempel; wir sollen aufblicken auf Jesum, den lebendigen Tempel der Gottheit. Und deinem Namen danken (ihn preisen) für deine Güte und Treue (Gnade und Wahrheit). Lobpreis sollte der hauptsächlichste Bestandteil des Gottesdienstes des Psalmisten sein, der Name oder das geoffenbarte Wesen Gottes der erhabene Gegenstand seiner Lobgesänge, und sein besonderes Augenmerk in diesen Lobgesängen gelte der Gnade und Wahrheit, die in der Selbstoffenbarung Gottes so hell und klar hervorleuchten. In Jesu wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig, und in ihm sehen wir die Herrlichkeit des Vaters, "voller Gnade und Wahrheit" (Joh. 1,14). Eben an diesen beiden Punkten wird heutzutage besonders der Name Jehovahs angegriffen - an seiner Gnade und seiner Wahrheit. Man behauptet, der Gott des Alten Testaments sei ein zu strenger, zu schrecklicher Gott; deshalb setzt die moderne Theologie den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs ab und erhebt an seiner Stelle eine schwächliche, weibische Gottheit eigener Erfindung auf den Thron. Was uns betrifft, so glauben wir sehr bestimmt, dass Gott die Liebe ist und dass es sich, wenn einmal alles hell vor Augen liegt, klar zeigen wird, dass auch die ewige Verdammnis zu der Güte Gottes nicht im Widerspruch steht, sondern vielmehr ein durchaus notwendiges Stück seiner sittlichen Weltregierung ist, seit die Sünde in dies Weltall eingedrungen ist. Wahre Gläubige hören den Donner der Gerechtigkeit Gottes rollen und zweifeln dennoch nicht an Gottes Barmherzigkeit. Vor allem haben wir unsere Lust an der erstaunlichen Liebe Gottes gegen seine Auserwählten, wie er sie an Israel als Volk erwiesen hat und noch außerordentlicher an David und seinem Samen, da er mit ihm einen besonderen Bund schloss. In dieser Hinsicht ist weiter Raum da für das Lob des HERRN. Aber nicht nur die Güte Gottes wird von Menschen angezweifelt, auch die Wahrheit und Treue des Ewigen ist in unseren Tagen von allen Seiten angefochten. Manche bezweifeln die Wahrheit der Offenbarungsurkunde, was ihre geschichtlichen Berichte betrifft, andere greifen den Lehrinhalt der Heiligen Schrift an oder spötteln verächtlich über die Weissagungen; kurzum, das untrügliche Wort des HERRN wird heutzutage vielfach behandelt, als wäre es das Geschreibsel von unzurechnungsfähigen Schwärmern oder von Betrügern und nur wert, bekrittelt oder verspottet zu werden. Die Säue treten die Perlen in den Kot und lassen sich darin nicht wehren; nichtsdestoweniger sind und bleiben die Perlen dennoch Perlen und werden noch in ihrem vollen Glanze an unseres Königs Diademe strahlen. Wir singen von der Gnade und Wahrheit, von der Güte und Treue des Gottes der alten Bibel, und alle Welt soll noch vor diesem Gott die Knie beugen. Wie der Psalmist vor den Göttern dem HERRN zu Ehren sang, dann sich anbetend vor diesem einzig Großen niederwarf und darauf die Gnade und Wahrheit des HERRN verkündigte, so lasst auch uns es tun angesichts der Götzen der neuen Theologie.
  Denn du hast über all deinen Namen dein Wort herrlich (wörtl.: groß) gemacht. (Grundtext1 Das Wort der Verheißung, dem König David gegeben, war in dessen Augen herrlicher als alles, was er bisher von Taten des Höchsten erlebt hatte. Gottes Offenbarung im Worte übertrifft diejenige in der Schöpfung in der Klarheit, Bestimmtheit und Fülle ihrer Wahrheitslehren. Der Name des HERRN lässt sich in der Natur nicht so leicht lesen wie in der Heiligen Schrift, dieser Gottesoffenbarung in menschlicher Sprache, welche unserem Gemüt besonders angepasst ist und so deutlich sowohl von des Menschen Not als auch von dem Heiland redet, der in menschlicher Natur erschienen ist, um die Menschheit zu erlösen. Himmel und Erde werden vergehen, das göttliche Wort aber nicht, und besonders in dieser Hinsicht hat es einen Vorzug vor jeder andern Weise der göttlichen Selbstoffenbarung. Zudem stellt der HERR all seinen Namen, alle Eigenschaften seines Wesens, seinem Worte zu Dienst; seine Weisheit, seine Macht, seine Liebe, alle seine Vollkommenheiten vereinigen sich, um sein Wort auszuführen. Sein Wort ist es, das da erschafft, erhält, belebt, erleuchtet und tröstet. Als Wort des Befehls ist es von höchster Majestät, und in der Person des fleischgewordenen Wortes ist es gesetzt über alle Werke der Hände Gottes (Hebr. 2,7). Der Ausspruch des Psalms ist von erstaunlich reichem Inhalt. Wir haben darüber eine ganze Menge von Auslegungen gesammelt; leider gestattet uns der Raum nur, das Allerwenigste davon in die "Erläuterungen und Kernworte" aufzunehmen. Lasst uns den Ewigen anbeten, der zu uns geredet hat durch sein Wort und durch seinen Eingeborenen; und lasst uns vor jedermann sowohl seinen heiligen Namen preisen als auch sein Wort rühmen.

3. Am Tage, da ich rief, erhörtest du mich. (Wörtl.) Kein Beweis ist so überzeugend wie der der Erfahrung. Niemand bezweifelt mehr die Macht des Gebets, wenn er eine Antwort voll des Guten auf sein Flehen empfangen hat. Es ist das Kennzeichen des wahren und lebendigen Gottes, das ihn von allen, die da Götter genannt werden, unterscheidet, dass er das Flehen seiner Kinder hört und ihnen Antwort gibt; die Götter hören nicht und reden nicht, Jehovahs aber ist der Ehrenname "der Gebetserhörer" (Ps. 65,3). Es war ein besonderer Tag, da der Psalmdichter noch dringender als sonst zum HERRN rief. Er war schwach und elend, sein Herz war wund, Kraft und Mut hatten ihn verlassen; da rief er, schrie er wie ein Kind zu seinem Vater. Es war ein dringendes, durchdringend ernstliches Beten, so ungekünstelt und so kläglich wie der Schrei eines Kindleins. Der HERR antwortete darauf; aber welche Antwort kann erfolgen auf einen Schrei, auf das keines Wortes fähige Gejammer eines gequälten Herzens? Unser himmlischer Vater versteht sich auf die Sprache von Geschrei und Tränen, und er antwortet auf deren innersten Sinn in einer Weise, die völlig dem entspricht, was seinem Kinde Not tut. Die Antwort kam an dem gleichen Tage, da der Ruf emporstieg; so schnell dringt das Gebet zum Himmel, so hurtig eilt die Gnade zur Erde nieder. Das Zeugnis dieses Satzes ist eines, welches alle Gläubigen ablegen können, und da sie es mit vielen Tatsachen erhärten können, sollten sie es freimütig verkündigen, denn das dient in hohem Grade Gott zur Ehre. Wie natürlich war das Gelöbnis des Psalmisten: "Ich will anbeten usw.", da er sich verpflichtet fühlte, zu bekennen: "Als ich rief, da erhörtest du mich." Wir verstehen es gut, dass er so freimütig vor den Göttern und deren Anbetern seinem Gott zu lobsingen bereit war, da er auf unzweifelhafte Gebetserhörungen zurückschauen konnte. Das ist auch unsere feste Wehr und Waffe gegen die Zweifel, welche die Irrlehren unserer Tage uns beibringen wollen: wir können den HERRN nicht verleugnen, denn er hat unsere Gebete erhört. Und gabst meiner Seele große Kraft, oder wörtlicher: Du flößtest mir Mut ein, (dass) meine Seele voll Kraft (d. i. Kraftgefühls) war. Das war wahrlich eine gute Antwort auf sein Flehen. Wurde ihm die Last nicht abgenommen, so ward ihm doch Kraft gegeben sie zu tragen, und diese Art der Hilfe ist ebenso wirksam. Es mag für uns nicht das Beste sein, dass die Prüfung schon ein Ende habe; es mag uns viel mehr noch zum Gewinn gereichen, wenn wir unter dem Druck der Not Geduld lernen. Trübsale und Leiden können köstliche Früchte zeitigen, und unser weiser Vater im Himmel will nicht, dass wir um diese Segensernte kommen. Mut und Kraft, der Seele vom Himmel her eingeflößt, sind ein unschätzbares Gut; das bedeutet Erlösung von Menschenfurcht, Hochgefühl der Kraft mitten in Schwachheit, Siegesgewissheit inmitten des Gedränges des Streites, Heldentum in der Zuversicht des Glaubens. Durch sein Wort und seinen Geist kann der HERR in der Tat den Zitternden voll Mutes, den Ohnmächtigen, Kranken, Siechen voll allüberwindender Stärke, die matte, trübe Seele voll Feuers machen. Und solche von Gott geschenkte Seelenkraft ist keine flüchtige Aufregung. Der Mann, der so in der Zeit der Not die Kraft des HERRN in sich empfangen hat, hat in der Gemeinschaft mit dem HERRN eine Quelle der Kraft in sich, die ihn lebenslang zum Gotteshelden macht und ihn ausrüstet für alles künftige Wirken und Leiden; er ist ein Simson, der alles vermag durch den, der ihn mächtig macht, es sei denn, dass er seine Kraft wegwürfe durch Unglauben, Stolz oder sonstige Sünde. Wen Gott stärkt, den kann niemand schwächen. Dann hat unsere Seele in der Tat große Kraft, wenn der HERR uns Mut und Kraft einflößt.


4. Es danken dir, HERR, alle Könige auf Erden,
dass sie hören das Wort deines Mundes,
5. und singen auf den Wegen des HERRN,
dass die Ehre des HERRN groß sei.


4. Es werden dir danken (dich preisen) alle Könige auf Erden, wenn sie hören (wörtl.: weil sie gehört haben) die Worte deines Mundes. (Grundtext) Königen ist es meist nicht sehr darum zu tun, das Wort des HERRN zu hören; aber der königliche Psalmdichter ist fest davon überzeugt, dass sie, wenn sie es hören, seine Kraft an sich erfahren werden. Jetzt muss, von rühmlichen Ausnahmen abgesehen, an den Höfen ein wenig Frömmigkeit weit reichen; aber es kommen goldenere Zeiten, wo mächtige Herrscher zu demütigen Hörern des göttlichen Wortes und wahrhaftigen Anbetern des Höchsten werden sollen. Ach, dass das Kommen dieser glücklichen Tage beschleunigt werde! Welch eine hehre Versammlung: alle Könige der Erde! Welch erhabener Zweck derselben: sie alle gegenwärtig, um die Aussprüche des Mundes Jehovahs zu vernehmen! Welch ein Prediger: David selber trägt die Worte des Ewigen vor! Welch ein Lobgesang, wenn sie alle in seligem Verein dem HERRN ihr Lied anstimmen! - Die Könige sind hienieden wie Götter, und sie tun wohl daran, den Gott droben in den höchsten Höhen in demütiger Unterwerfung anzubeten. Der Weg der Bekehrung ist für die gekrönten Häupter der gleiche wie für unsereinen: der Glaube kommt auch für sie aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Gottes (Röm. 10,17). Wohl denen, die es fertig bringen, dass das Wort des HERRN in die Paläste dringt; denn die Inhaber der Throne sind gewöhnlich die Letzten, denen die frohen Klänge des Evangeliums zu Ohren kommen. Dem königlichen Sänger unseres Psalms lagen die Seelen der Könige am Herzen, und es wird für jedermann gut sein, wenn er sich zuerst um diejenigen bekümmert, die seinem eigenen Stande angehören. Der Psalmist ging an die Aufgabe, sein Zeugnis abzulegen, mit der vollen Zuversicht des Erfolges; er gedachte einfach die Worte des Mundes Jehovahs zu reden und war dessen gewiss, dass die Könige darauf hören und Jehovah preisen würden.

5. Und singen auf den Wegen des HERRN. Da haben wir ein zwiefaches Wunder vor uns: Könige, die auf Gottes Wegen wandeln, und Könige, die daselbst, auf den Wegen des HERRN, singen. Kennt ein Mensch erst einmal die Wege des HERRN, so wird er in ihnen reichlich Ursache finden, dem HERRN in fröhlichen Liedern zu singen; das Schwierige ist jedoch, die Großen der Erde dazu zu bringen, dass sie diese Wege betreten, die für den fleischlichen Sinn so wenig einladend sind. Doch wenn der HERR uns etwa einen König David als Prediger sendet, so werden wir am Ende auch noch Fürsten und Könige sich bekehren sehen, und wir werden hören, wie ihre Stimmen sich zu anbetendem Chore vereinigen. - Wir sind in der Deutung dieses Verses bisher der Übersetzung Luthers gefolgt, welche auf die der LXX zurückgeht. Sachlich viel näher liegt jedoch die andere Auffassung, dass die Könige der Erde von den Wegen des HERRN singen werden, d. h. von seinem gnädigen und machtvollen Walten gegenüber seinem Gesalbten und dem auserwählten Volke. Da werden sie singen, dass die Ehre des HERRN groß sei. Diese Ehre oder Herrlichkeit Jehovahs wird alle Größe und Pracht der Könige in den Schatten stellen; zeigt sie sich ihnen, so werden sie alle sich gedrungen fühlen, sich dem Höchsten im Gehorsam zu unterwerfen und ihn anzubeten. O dass des HERRN Herrlichkeit sich in unseren Tagen enthüllte! O dass die blinden Augen der Erdenkinder sie nur einmal schauen könnten, ihre Herzen würden davon überwältigt werden, dass sie sich in heiligem Schauer, in seliger Ehrfurcht vor dem Höchsten neigten. David rief, vom Gefühl der Herrlichkeit des HERRN ergriffen, aus: "Ich will dir lobsingen" (V. 1), und hier in unserem Vers stellt er die Könige der Erde als in dem gleichen Tun begriffen dar.


6. Denn der HERR ist hoch und sieht auf das Niedrige
und kennt den Stolzen von ferne.
7. Wenn ich mitten in der Angst wandle,
so erquickst du mich
und streckst deine Hand über den Zorn meiner Feinde
und hilfst mir mit deiner Rechten.
8. Der HERR wird’s für mich vollführen.
HERR, deine Güte ist ewig.
Das Werk deiner Hände wollest du nicht lassen.


6. Denn der HERR ist hoch. An Größe, Würde und Macht ist Jehovah höher als die Höchsten. Sein Wesen ist hoch erhaben über die Fassungskraft seiner Geschöpfe, und seine Herrlichkeit übertrifft auch den höchsten Flug unserer Einbildungskraft. Und sieht auf den Niedrigen. (Grundtext) Er blickt auf ihn mit Wohlgefallen, denkt an ihn mit liebender Fürsorge, hört auf sein Gebet und bewahrt ihn vor dem Bösen. Gerade weil solche gering von sich denken, schätzt er sie hoch. Sie ehren ihn, so ehrt er sie. Und kennt den Stolzen (wörtl.: den Hohen) von ferne. Er braucht den Stolzen nicht erst nahe zu kommen, um ihre Nichtigkeit zu entdecken; ein flüchtiger Blick aus der Ferne genügt ihm schon, sie zu durchschauen, zu erkennen, wie hohl und wie anstößig und schädlich sie sind. Er hat mit ihnen keine Gemeinschaft, sondern blickt sie nur von ferne an. Er lässt sich von ihnen nicht täuschen, sondern weiß trotz all ihrem Prahlen, was für Leute sie in Wahrheit sind. Er achtet sie nicht, sondern hat einen Gräuel an ihnen. Um das Opfer eines Kain, das Versprechen eines Pharao, die Drohungen eines assyrischen Erzschenken (Jes. 36,4 ff.; 37,4), das Gebet des Pharisäers (Lk. 18,11) gibt der HERR nichts. Nebukadnezar war Gott sehr ferne, als er rief: "Das ist die große Babel, die ich erbaut habe durch meine große Macht, zu Ehren meiner Herrlichkeit"; aber der HERR kannte ihn und verurteilte ihn, Gras zu essen wie die Ochsen (Dan. 4,27 ff.). Hochmütige Menschen rühmen sich heute überlaut ihrer großen Bildung und Aufklärung und wagen es sogar, ihren Schöpfer zu bekritteln; aber er durchschaut auch sie von ferne und wird sie sich gebührend ferne halten in diesem Leben und vollends hernach in dem zukünftigen, wo sie in die Höllenferne verbannt sein werden.

7. Wenn ich mitten in der Angst (inmitten von Drangsal) wandle, so erquickst du mich (wirst du mich beleben2. Ob ich jetzt von Not umgeben hingehen muss oder ob dies künftig auch mein Los sein wird, so habe ich doch keinen Grund zur Furcht; denn der HERR ist bei mir und wird die erdrückende, tötende Kraft des Unglücks brechen und mir neue Lebenskraft geben. Wenn wir nur ein Stück weit in die Trübsal geraten, ist es schon schlimm genug; aber schlimmer geht es dem, der ins tiefe Innere dieses dunklen Erdteils eindringen und ihn mitten durchqueren muss. Dennoch macht auch in solchem Falle der Gläubige Fortschritte: er wandelt; er geht ruhigen Schrittes, rennt nicht von Furcht gejagt, sondern wandelt; und er entbehrt dabei nicht der besten Gesellschaft, denn sein Gott ist ihm nahe, um ihn stets mit frischer Kraft zu erfüllen. Es ist ein glücklicher Umstand, dass der HERR, mag er zu irgendeiner anderen Zeit sich ferner halten, durch seine Verheißungen gebunden ist, in Zeiten der Not bei uns zu sein: So du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein (Jes. 43,2). Der Mann ist bei aller Trübsal in einer seligen Lage, der mit David sprechen kann: Du wirst mich neu beleben. Er wird damit, dass er sich also seines Gottes rühmt, nicht zu Schanden werden; er wird am Leben erhalten und mehr denn je mit Lebenskraft erfüllt werden. Wie oft hat der HERR uns in Kümmernissen und Drangsalen ganz besonders erquickt und gekräftigt! Sind diese nicht gerade das beste Mittel in seiner Hand, das heilige Leben, das in uns ist, zur vollen Kraftentfaltung anzuregen? Empfangen wir darin Neubelebung, so brauchen wir uns die Trübsal nicht dauern zu lassen. Stärkt Gott uns mit Kraft von oben, so wird uns die Not keinen Schaden tun. Und wirst deine Hand ausstrecken wider den Zorn meiner Feinde, und deine Rechte wird mir helfen. (Wörtl.) Das ist’s, was den Knecht des HERRN am Leben erhalten wird. Unsere Widersacher sinken hin, wenn der Allmächtige sich an sie macht; die Sache ist schnell zu Ende - mit einer Hand schlägt er sie in die Flucht. Sein Zorn erstickt alsbald ihren Zorn, seine Hand hemmt ihre Hand. Unsere Widersacher mögen zahlreich sein und groß ihre Macht, tückisch ihre List - unser erhabener sieggewohnter Schirmherr braucht doch nur seinen Arm auszustrecken, so werden ihre Scharen zunichte. Der Psalmist stärkt sich mitten in der Anfechtung an seiner Gewissheit, dass der HERR ihm Heil schaffen wird, und er singt davon vor dem HERRN, indem er ihn selbst mit solcher Sprache des Glaubens anredet. Es wird ihm geholfen werden, er wird aus aller Drangsal errettet werden, durch die feste, wohlgeübte, allezeit glückliche Hand des HERRN. Er hat keinen Zweifel daran, die Rechte des HERRN kann ihre Gewandtheit nicht verlieren und wird seine Auserwählten nicht im Stich lassen.

8. Der HERR wird’s für mich vollführen. Was sein Liebesrat angefangen, das wird seine Macht zum vollen Ziele führen. Seine Worte sind gewiss und wahrhaftig, es wird nicht an einem fehlen. Meine Anliegen ruhen in seinen starken Händen; darauf, und darauf allein, ruht die Gewissheit der Vollendung. HERR, deine Güte (Gnade) ist ewig. Was der 136. Psalm so unermüdlich preist, das ist auch die Überzeugung und der Trost des Sängers unseres Psalms. Spricht sich in dem ersten Satz des vorliegenden Verses die Gewissheit des Glaubens aus, so in diesem zweiten die Gewissheit der geistlichen Erkenntnis. Der HERR wird sein Heilswerk für uns und an uns hinausführen, weil seine Gnade gegen uns ewig währet. Die Werke (Grundtext) deiner Hände wollest du nicht lassen. Die Zuversicht unseres Herzens zu Gottes Treue führt uns nicht zu einem gebetslosen Leben, sondern macht uns wacker und inbrünstig zum Gebet. Gerade weil es uns ins Herz geschrieben ist, dass Gott sein Werk uns zugute vollführen wird, und weil wir zweitens in der Bibel es geschrieben finden, dass seine Gnade unwandelbar ist, eben darum flehen wir mit heiliger Dringlichkeit, dass der HERR uns nicht lassen wolle. Alles, was wir sind und haben, ist Gottes eigener Hände Werk; könnte er es liegen lassen? Warum hätte er so viel an uns gewandt, wenn er gesonnen wäre, uns aufzugeben? Es wäre all die Mühe ja verschwendet! Er, der so weit gegangen ist, wird sicherlich auch bis zum Ende aushalten. Alles, was der HERR an seinem Knechte David getan, von seiner Erwählung an, dann in seiner Errettung aus Sauls Händen, in seiner Erhebung auf den Thron, in der Mehrung seines Reiches, in all den mannigfaltigen Erweisungen der Gnade bis zu der Erteilung der Verheißung des ewigen Königtums, all diese Werke wird der HERR nicht liegen lassen, sondern herrlich hinausführen. Er es hat getan, und das in einer Weise, die alles Denken übersteigt; denn Christus ist die Erfüllung der gewissen Gnaden Davids. Auch für den einzelnen Gläubigen und für alle Anliegen des Reiches Gottes ruht unsere Hoffnung auf dem HERRN. Beginnt der HERR einen Bau, so wird er ihn nicht unvollendet lassen; es würde ihm wenig zur Ehre gereichen. Es muss ihn auch danach verlangen, das Werk seiner Hände vollendet zu sehen, denn er weiß am besten, was es ihn bereits gekostet hat. Darum preisen wir Jehovah von ganzem Herzen, auch im Angesicht derer, die von seinem heiligen Worte abweichen und einen anderen Gott und ein anderes Evangelium aufrichten, wiewohl es keine andern gibt, außer dass etliche sind, die die Gemeinde Gottes verwirren.


Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzen Psalm. Es wird eine Zeit kommen, wo der Jahve-Sang, welcher nach Ps. 137,3 in Israels Mund verstummen musste, nach 138,4 f. von den Königen der Heiden selber angestimmt werden wird. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Bezieht sich der Psalm auf die Verheißung in 2. Samuel 7, so kann in Bezug auf die Richtigkeit der Überschrift, welche ihn David beilegt, kein Zweifel sein; denn der, welchem die Verheißung zuteil geworden, tritt hier redend auf. Für David spricht auch die für ihn so charakteristische Verbindung von stolzem Mute, vergl. besonders V. 3, und tiefer Demut, vergl. V. 6. Dazu kommt endlich die nahe Berührung mit davidischen Psalmen, besonders denen, die sich ebenfalls auf die Verheißung des ewigen Königtums beziehen, und mit dem Dankgebete Davids in 2. Samuel 7, dessen Schluss namentlich (siehe 2. Samuel 7,28 f.) auffallend mit dem Schlusse unseres Psalms übereinstimmt. - In den Zeiten des tiefen Verfalls von Davids Geschlecht musste dieser Psalm für Israel sehr tröstlich sein. Er verbürgte ihm, dass dereinst dies Geschlecht und mit ihm das Volk vom Tode zum Leben erstehen werde. Prof. E. W. Hengstenberg 1845.
  Der Sprecher in Ps. 138 ist zufolge der in V. 4 ausgesprochenen hohen Erwartung selber ein König, nach der Überschrift David. Nichts aber spricht für diesen als Verfasser; der Psalm ist im Hinblick auf die davidischen Psalmen aus Davids Seele gedichtet, ein Widerhall von 2. Samuel 7 (1. Chr. 17). Jene Verheißung, welche den Thron Davids und seines Samens zu einem ewigen machte, wird hier dankbar verherrlicht. Der "heilige Tempel" V. 2 ist kein Anachronismus (ist nicht zeitwidrig). Auch schon der Zelttempel auf Zion konnte dichterisch so genannt werden. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Fröhlich und frei vor aller Welt preist der Psalmist seinen Gott, der ihn, den Beter, erhört und seine Brust mit Kraftgefühl geschwellt hat. Mit ihm werden auch die Könige der Erde den erhabenen Gott preisen, der weder den Niedrigen übersieht, noch sich blenden lässt, wenn jemand hoch einherfährt. Daher kann der Psalmist allen Nöten, die ihm etwa drohen, getrost entgegensehen; sein Gott lässt ihn nicht im Stich.
  Obwohl Einzelnes im Psalm individuell klingt (z. B. V. 3.7), überwiegt doch der Eindruck, der Sprecher sei die Gemeinde, insbesondere gewinnen V. 1b, 4 und auch 8 unter dieser Voraussetzung Gehalt und Gestalt. Gerade die Gemeinde wird es auch geliebt haben, in ihre Lobgesänge altbekannte Klänge zu verweben, so wie es hier geschehen ist; vergl. V. 1 mit Ps. 9,1; V. 2 mit Ps. 5,8; V. 4 mit Ps. 102,16; V. 6 mit Ps. 113,5 ff.; V. 7 mit Ps. 23,4; V. 8 mit Ps. 57,3. - Dass der Psalm nachexilisch sei, kann kaum bezweifelt werden. Lic. H. Keßler 1899.


V. 1. Ich will dich preisen von ganzem Herzen. (Grundtext) O wie traurig ist die allgemeinste Sünde des Volkes Gottes, dass es so unfruchtbar ist an Lob des HERRN! Wie tief bin ich davon überzeugt, dass eine Zeile Lobpreis seitenlange Gebete wert ist und eine Stunde des Lobens und Dankens einen ganzen Tag des Fastens und Klagens aufwiegt! John Livingstone † 1672.
  Vor den Göttern. Einige (LXX, Luther, Calvin) deuten diese Worte von den Engeln und vergleichen Ps. 29,1. Doch ist es zweifelhaft, ob das Wort Elohim ohne erklärenden Zusatz diese Bedeutung haben kann; auch scheint der Ausdruck, in diesem Sinne gefasst, keinen rechten Zweck zu haben. Andere (Rabbiner, Flaminio, Delitzsch) verstehen das Wort von den Königen der Erde und vergleichen V. 4 sowie Ps. 82,1; 119,46 usw. Am wahrscheinlichsten dünkt mich (nach Aquila, Symmachus, Hieronymus usw.) die Deutung, dass der Psalmist gegenüber den Göttern der Heiden, ihnen zum Trotz und Spott, die nichts vermögen, Jehovah preisen wolle, der solche Wunder für den Psalmisten und sein Volk vollbringt. Zu dgene im Sinne von "gegenüber" vergl. Ps. 23,5. Als Stellen, an denen Elohim wahrscheinlich für Götzen gebraucht ist, siehe auch Ps. 95,3; 96,5. The Speakers commentary von F. C. Cook 1873.
  Als Erweis der wahren Gottheit des HERRN gegen die Götzen betrachtet David auch in dem Dankgebete 2. Samuel 7 die Tatsache, um die es sich handelt; vergl. besonders V. 22. Prof. E. W. Hengstenberg 1845.
  Aus dieser Geschichte (2. Samuel 7) heraus, welche einer der wichtigsten Wendepunkte der Heilsgeschichte ist, wird auch der Ausdruck "vor den Göttern" verständlich. Um auf die Götter der Völker bezogen zu werden, die nur scheinbar solche sind, bedarf Elohim außer in Zusammenhängen wie Ps. 95,3; 96,4 eines Zusatzes; dagegen kann Elohim ohne Zusatz die obrigkeitlichen Inhaber gottesbildlicher Hoheit bezeichnen, wie aus Ps. 82 hervorgeht, und so verstehen wir es auch hier. Es sind die Großen auf Erden (2. Samuel 7,9) gemeint, denen David, indem er aus einem Hirten ein König wurde, gleichgestellt, und über die er durch die Verheißung ewigen Königtums hinausgehoben worden ist. Vor diesen irdischen Elohim will David den Gott der Verheißung preisen, sie sollen es hören zu heilsamer Beschämung, williger Huldigung, dass Gott ihn gesetzt "zum Höchsten den Königen der Erde", Ps. 89,28. Prof. 1). Franz Delitzsch † 1890.
  Zu der Übersetzung der LXX: "vor den Engeln" vergleiche man 1. Kor. 11,10. Nach der wahrscheinlichsten Deutung "erinnert Paulus die Gemeinde daran, dass sie beim Gebet nicht unter sich sind. Der Zutritt zu Gott stellt sie vor den Blick der himmlischen Geister" (Schlatter). Für die Anteilnahme der Engel an dem Gottesdienst der Gemeinde müssen, wie Godet bemerkt, die Juden schon ein Gefühl gehabt haben, sonst wäre die Übersetzung der griechischen Bibel in unserer Psalmstelle nicht wohl denkbar. Damit ist nicht gesagt, dass diese Übersetzung nach dem Zusammenhang des Psalms richtig sei. - James Millard


V. 2. Du hast über all deinen Namen herrlich dein Wort gemacht. (Grundtext) Das Wort Jehovahs, wovon hier die Rede ist, muss, da unmittelbar vorher Gottes Gnade und Treue erwähnt sind, derjenige Teil seines Wortes sein, worauf diese beiden Ausdrücke vorzüglich anwendbar sind, nämlich sein Verheißungswort, dessen Inhalt Gnade ist und in dessen Erfüllung sich des HERRN Treue so gnädig erweist. Und dies Wort groß oder herrlich machen, das bedeutet erstens, sehr große, herrliche Verheißungen geben, und zweitens, diese überaus pünktlich, treulich erfüllen. Und dass Gott dies über all seinen Namen tue, das heißt, dass er ganz außerordentliche Gnadenerweisungen, solche von höchstem Werte, verheißen habe und erfüllen werde, die alles übertreffen, was Menschenkinder von Gott je gehört, gesagt und geglaubt haben. - Dieser Vers, wie so manches in dem Psalm, findet seine hellste Deutung in dem messianischen Heil, in der in Christo erschienenen Gnade Gottes, die so hoch hinausgeht über alles, was man von Gott denken, sagen, ahnen und glauben konnte, vergl. 1. Kor. 2,9. H. Hammond † 1660.
  Wenn man die geschichtlichen Beziehungen der Psalmen nicht so grundsätzlich wie Hupfeld leugnet, dann ist es keine willkürliche Beschränkung, sondern eine sachgemäße Deutung, diese Stelle von einer speziellen Verheißung zu verstehen. Streitig bleibt dann nur zweierlei, nämlich erstens, ob diese Verheißung hier als die berühmte 2. Samuel 7 oder als eine andere, aber jedenfalls historisch und religiös bedeutsame zu fassen sei, und zweitens, ob das Erhöhen, Verherrlichen, Großmachen auf diese Verheißung als solche oder auf die Erfüllung derselben gehe. Fasst man den ganzen Psalm einheitlich zusammen im Blick auf 2. Samuel 7, dann ist die Beziehung auf die Verheißung als solche nahegelegt. Diese Verheißung der ewigen Herrschaft seines Geschlechts wird dann in V. 3 (nach dem Grundtext) von David als göttliche Antwort auf sein Gebet bezeichnet (Ps. 21,3.5; 61,6) und hat seine Seele mit hohem Mute in der Zuversicht auf Gottes Wort und Kraft erfüllt (Ps. 18,30), von deren Wirksamkeit er in seinem Leben schon so überaus viele Proben empfangen hatte. Die Ansprüche des Mundes Jehovahs V. 4 sind dann nicht Gottes Wort im Allgemeinen, aber auch nicht speziell das Evangelium nach eingetretener Erfüllung (so viele Ältere), sondern diese Verheißung sowohl vor als nach ihrer Erfüllung, welche hier als eine durch Gottes Führung und Walten in geschichtlichem Vollzug begriffene aufgefasst ist. Denn die Wege Gottes V. 5 sind nicht die Gebote, denen gemäß, oder die Wege, auf welchen die bekehrten Könige der Heidenwelt wandeln, sondern die Führungen Gottes, welche den Gegenstand auch ihres Preisens bilden werden. K. B. Moll 1884.
  Du hast meinem Hause und meinem Königtum die Verheißung der Beständigkeit gegeben, eine Verheißung, die so groß und so gütig ist, dass sie alle bisher deinem Volke zugute geschehenen Erweisungen deiner selbst übertrifft. (Vergl. 2. Samuel 7,10.12.13.15.16.21.22.24-26.29; bes. V. 21: "Um deines Wortes willen und nach deinem Herzen hast du solche große Dinge alle getan", und V. 26: "so wird dein Name groß werden in Ewigkeit" - eine unbeabsichtigte Übereinstimmung der Sprache zwischen Geschichte und Psalm; im Grundtext steht nämlich an beiden Stellen der gleiche Ausdruck.) In dem Messias allein hat diese erhabene Verheißung ihre volle Erfüllung gefunden und wird sie in noch vollerem Maße finden, für Israel und die ganz Welt. A. R. Fausset 1866.
  Gott legt noch höheren Wert auf die Worte seines Mundes als auf die Werke seiner Hände: Himmel und Erde werden vergehen, aber nicht ein Tüttel von dem, was er geredet hat, wird je als nichtig und wertlos zu Boden fallen. - Manche verstehen diesen Satz im Psalm von Christo, dem wesentlichen Wort, auf welchem sein Name ruht, und den er so hoch erhöht hat, dass er ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist. Ebenezer Erskine † 1754.
  Wenn irgendwelche besonderen Werke und Taten Gottes in der Welt hervortreten, wie z. B. Donner und Blitz oder Erdbeben, dann werden wir überwältigt von Ehrfurcht, ja dann zittert der Mensch wohl vor dem Allgewaltigen; und in der Tat, wie groß ist der Gott, der sich in solch großen Werken kundtut! Wäre unser Herz aber, wie es sein sollte, wenn wir Gottes Wort lesen, so würden wir vor diesem Wort mehr erbeben als vor irgendeiner Selbstbezeugung Gottes in seinen Werken von Anbeginn der Welt an. Siehst du nicht mehr von der Herrlichkeit Gottes in seinem Wort als in seinen Werken der Natur, so kommt das daher, dass du wenig Licht in dir hast. Jer. Burroughs † 1646.
  Der Himmel ist durchs Wort des HERRN gemacht und all sein Heer durch den Geist seines Mundes. Aber viel machtvoller noch ist das Wort, durch welches eine verlorene Welt erlöst worden ist. Das ist das Wort, welches er über all seinen Namen herrlich gemacht hat, indem es zugleich die überschwängliche Größe seiner Kraft, die erstaunlichen Mittel seiner mannigfaltigen Weisheit und die vereinte Herrlichkeit der Heiligkeit und der Liebe enthüllt. John Lillie † 1867.
  Dein Wort. Nicht mit der bloß gedankenmäßigen Wahrheit, sondern mit der ins Wort gesagten, mit der ausgesprochenen Wahrheit haben wir es zu schaffen; nicht mit der Wahrheit, wie sie unser vom Geiste erleuchteter Lehrmeister für sich geschaut hat, sondern mit der Wahrheit, wie er sie zu uns geredet hat. Es ist nicht genug, dass der Geist ihn befähigt hat, die Wahrheit richtig zu sehen - das reicht nicht hin, wenn er ihn nicht auch befähigt und getrieben hat, sie richtig im Worte auszuteilen. Ein ungetrübt reines Einfließen der Wahrheit in das Innere eines Apostels ist keine genügende Bürgschaft für die Unterweisung der Welt, wenn nicht auch ein ungetrübt reines Ausfließen derselben vorhanden ist; denn nicht die in ihn eingeströmte, sondern die von ihm ausgeströmte Wahrheitslehre ist das, womit wir es in Wirklichkeit zu tun haben. Dementsprechend werden wir dann auch aufgefordert, uns der in die Menschenwelt ausgehenden Wahrheit, dem Worte, im Gehorsam des Glaubens zu ergeben. Das Wort ist unseres Fußes Leuchte und das Licht auf unserem Wege. Sein Wort ist es, was Gott über all seinen Namen herrlich gemacht hat; sein Wort hat Jehovah auf ewig festgestellt im Himmel (Ps. 119,89) und ihm einen gewisseren und länger dauernden Bestand gegeben als all den Ordnungen der Natur. Wäre die ganze Kraft und Tragweite dieser Erkenntnis, dass nicht das, was die Apostel inwendig empfangen, sondern das, was sie in Rede und Schrift ans Licht gebracht haben - nicht die Wahrheits-Begriffe und -Systeme, die der Geist ihnen innerlich beigebracht hat, sondern die Predigten, die sie gehalten, und die Schriften, die sie geschrieben haben -, dasjenige ist, was uns unmittelbar angeht, - ich sage, wäre die Kraft und Tragweite dieser Erkenntnis gründlicher beachtet worden, dann würden, des sind wir völlig überzeugt, die Verfechter einer gemilderten Inspirationslehre nicht, wie sie es vielfach getan, die Eingebung der Gedanken von der Eingebung der Sprache getrennt haben. Thomas Chalmers † 1847.


V. 3. Niemand findet so schnelle Abfertigung am Thron der Gnade wie bedrängte Gläubige. Am Tage, da ich rief, sagt David, erhörtest du mich. Einen Freund, der sich wohl befindet, lassen wir wohl einmal warten, wenn er nach uns schickt; einem kranken Freunde aber geben wir die Freiheit, uns auch mitten in der Nacht herausrufen zu lassen. In solchen dringenden Fällen gehen wir gewöhnlich gleich mit dem Boten, der da kommt, um uns zu holen; und ebenso macht es Gott mit dem Gebet. Petrus klopfte an die Tür des Hauses, wo die Gemeinde versammelt war, um Gott für ihn anzurufen, fast in demselben Augenblick schon, als ihr Gebet seinetwegen an die Himmelstür anklopfte. Und solch eiliges Antworten ist auch überaus nötig, wenn wir die Anfechtungen bedenken, die mit großer Not verbunden sind. Wir sind dann sehr geneigt, von unseren besten Freunden zu argwöhnen, dass sie uns vergessen, und jeden Aufenthalt als absichtliche Verzögerung und als Vernachlässigung aufzufassen; darum lässt Gott sich herab, uns in solchen Zeiten seine Freundlichkeit in besonderer Weise zu zeigen. William Gurnall † 1679.
  Und gibst meiner Seele große Kraft. Andere Meister richten wohl Arbeit zu für ihre Knechte, helfen ihnen aber nicht bei der Arbeit; unser himmlischer Meister jedoch gibt uns nicht nur Arbeit, sondern auch Kraft für die Arbeit. Gott befiehlt uns, ihm zu dienen, aber er will uns auch dazu befähigen. Wie der HERR für uns Arbeit zurüstet, so rüstet er auch uns für die Arbeit zu; mit dem Befehl gibt er auch Kraft. Thomas Watson † 1690.
  Zwei Dinge sind es, wofür der Dichter Gott dankt: Er hat ihn in den Drangsalstagen der saulischen Verfolgung und in allen Nöten erhört und hat ihn, indem er ihn auf den Thron erhob und ihm Sieg auf Sieg verlieh und den ewigen Besitz des Thrones zusprach, mit stolzem Mut erfüllt, so dass in seine Seele, der es früher um Hilfe bange war, Hochgefühl einzog. Prof. Franz Delitzsch † 1890.


V. 4. Es werden dich preisen alle Könige der Erde, wenn sie gehört haben werden die Worte deines Mundes. (Grundtext) In beschränkterem, aber doch schon beachtenswertem Maße wurde dies an David und dem Volke Israel erfüllt, als Könige der Nachbarreiche auf die erstaunlichen Führungen der Vorsehung aufmerksam wurden, welche den König und das Volk auf Schritt und Tritt geleiteten. Im Vollsinn aber harren die Worte noch der Erfüllung bei den zukünftigen Triumphen des Messias, wenn alle Könige der Erde mit ihren zahlreichen Untertanen eilends kommen werden, um die Siege seiner Gnade zu preisen. John Morison 1829.


V. 6. Der HERR ist hoch. Jehovah ist der Hohe und Erhabene, der ewig Thronende, der in der Höhe und als Heiliger wohnet, in einem Licht, da niemand zukommen kann (Jes. 57,15; 1. Tim. 6,16). Wer kann seine Erhabenheit fassen oder in angemessener Weise davon reden? Es blendet die Augen der sündlichen Sterblichen, zu schauen den Ort, da seine Ehre wohnet. O wie unendlich ist der Abstand zwischen ihm und uns! Wer in der Ätherhöhe gleicht Jehovah, ist Jehovah ähnlich unter den Göttersöhnen? (Ps. 89,7.) Fürwahr, die Nationen sind vor ihm wie ein Tröpflein, so im Eimer bleibet, und wie ein Stäublein an der Waage (Jes. 40,15). Er ist hoch, nicht nur über den Menschen, sondern auch über den höchsten Engeln. Er ist hoch über die Himmel erhaben; denn aller Himmel Himmel mögen ihn nicht fassen (1. Könige 8,27), und er muss, selbst um das zu sehen, was im Himmel ist und vorgeht, tief hinabschauen (vergl. Ps. 113,6). O ihr Hohen der Erde, lernet hohe Gedanken fassen von der Hoheit des Allerhabenen; denn Majestät und Hoheit ist vor ihm, Stärke und Pracht in seinem Heiligtum (Ps. 96,6). Ebenezer Erskine † 1754.
  Und sieht auf das Niedrige. Dies erstens darum, weil er an denen, die niedrig sind, am deutlichsten seine freie Gnade verherrlichen kann, und zweitens, weil sie Christo am ähnlichsten sind. Ebenezer Erskine † 1754.
  Wodurch Jehovah sich in Davids Führungen so hochherrlich bekundet hat (V. 5), sagt V. 6. Er hat sich als der Erhabene gezeigt, welcher in seinem allumfassenden Walten den Niedrigen (vergl. Davids Bekenntnisse Ps. 131,1; 2. Samuel 6,22) nicht unbeachtet lässt, sondern im Gegenteil ihn zu seinem besonderen Augenmerk macht, und dagegen den Hohen, welcher sich unbeachtet meint und sich so gebart, als sei er keinem Höheren verantwortlich, schon von ferne durchschaut. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Wenn der HERR nicht so erhaben wäre, würde er den Niedrigen eher übersehen; in dem "Sehen " des Niedrigen ist die Fürsorge für ihn enthalten. In der Aussage des zweiten Versteils liegt eine gewisse Ironie: Die Höhe des Hohen bringt es ja so mit sich, dass man, dass auch Jehovah ihn schon von ferne erkennt; er sollte sich nicht so hoch erheben! Erkennen steht hier im Sinne von "zutreffend beurteilen". Lic. H. Keßler 1899.


V. 7. Gottes Weisheit zu helfen zeigt sich gerade in den verzweifeltsten Fällen am meisten. Er liebt es, seine Weisheit zu erweisen, wenn alle Menschenweisheit und Menschenmacht zu Ende sind. Er hilft auf die mannigfaltigste Weise. Das eine Mal dämpft er die Wut der Feinde dadurch, dass er ihnen allen Mut vergehen lässt (wie Jos. 2,24); ein andermal vereitelt er ihre Pläne, indem er ihnen anderes zu tun gibt: "Die Philister sind ins Land gefallen!" (1. Samuel 23,27) Thomas Watson † 1690.


V. 8. Der HERR wird’s für mich vollführen. Das ist des Glaubens schönstes und tiefstes Wort, der selige Aufweis des Besitztitels zur großen Erbschaft. Imm. H. Taube 1858.
  Wenn der HERR ruht, dann geschieht es, weil er, sein Werk überblickend, sprechen kann: Es ist alles sehr gut. Seine Sabbatruhe ist die Ruhe des vollendeten Werkes, des zu seinem vollen Ziel hinausgeführten Ratschlusses. - Die Vollendung des Anfangs verbürgt die Vollendung des Ganzen. Wenn der Traum der mittelalterlichen Weisen je zur Wahrheit geworden wäre und es solch einem Alchimisten jemals gelungen wäre, ein Körnchen Blei in Gold zu verwandeln, so hätte er, denke ich, nach und nach mit Hilfe von genügend vielen und großen Schmelztiegeln alles Blei der Welt in Gold umwandeln können. In dem ersten Schritt liegt die ganze Schwierigkeit. Sind wir, ich und du, wirklich aus Feinden Gottes zu Kindern Gottes umgewandelt worden und hat ein Funke der Liebe Gottes in unseren Herzen Feuer gefangen, dann ist das eine gewaltigere Umwandlung als alle die Umgestaltung, die noch in uns vollzogen werden muss, um uns vollkommen zu machen. Ein Körnlein ist verwandelt worden; die ganze Masse wird zu guter Zeit die gleiche Verwandlungskraft erfahren. Alex. Maclaren 1879.
  Das Werk deiner Hände. Seine Schöpferhände haben unsere Seele erschaffen; seine durchgrabenen Hände haben sie erlöst auf Golgatha; seine verklärten Hände werden sie festhalten und nimmer lassen in Ewigkeit. Seinen Händen befehlen wir uns im Leben und im Sterben. J. W. Burgon 1859.


Homiletische Winke

V. 1-3. Wir sehen hier David mit falschen Göttern, die seinem Gott die Ehre streitig machen wollten, geärgert, gerade wie wir geplagt werden durch das verfälschte Evangelium, das vielfach um uns her verkündigt wird. Was will er in dieser Lage tun? Wie wird er da handeln?
I. Er will des HERRN Lob singen von ganzem Herzen. 1) Damit wird er auf die beste Weise seine Verachtung der falschen Götter zeigen, 2) er wird seinen starken Glauben an den allein wahren Gott an den Tag legen, 3) er wird seinen freudigen Eifer für Gott beweisen. 4) Das wird ihm ein guter Schutz sein vor den bösen Einflüssen der Götzenanhänger um ihn her.
II. Er will seinem Gott dienen, ihn verehren nach der göttlich verordneten, ob auch bei den Gegnern seiner Gesinnung verachteten Weise. 1) Mit stiller Abweisung alles selbsterwählten Gottesdienstes. 2) Den Blick auf den Tempel Gottes - auf Christus - gerichtet. 3) Voll Vertrauens auf das sühnende Opfer. 4) In dem Bewusstsein der Gegenwart Gottes - denn zu Gott redet er.
III. Er will gerade diejenigen Eigenschaften Gottes rühmen, die man in Zweifel zieht. 1) Gottes Gnade in ihrer Allgemeinheit und ihrer Besonderheit. Alles ist Gnade. 2) Gottes Wahrhaftigkeit und Treue. Die geschichtliche Glaubwürdigkeit des Wortes Gottes, die Zuverlässigkeit der Verheißungen, die Genauigkeit der Weissagungen. Als solche, die in Christo der Liebe Gottes und der Wahrheit seines Wortes gewiss geworden sind, lasst uns umso fester an beiden, an Gottes Gnade und Treue, hangen.
IV. Er will das von Gott so herrlich gemachte Wort in Ehrfurcht ehren. Gottes Offenbarung im Worte übertrifft alle Offenbarung Gottes in der Schöpfung und der Vorsehung, denn sie ist l) deutlicher, 2) gewisser, 3) noch majestätischer (die unumschränkte Freiheit seines Willens zeigend), 4) vollständiger, ja einzigartig, unvergleichlich, 5) von noch längerer Dauer (Lk. 21,33), 6) in noch höherem Maße dienstbar zur Verherrlichung Gottes.
V. Er will Gnade und Treue seines Gottes durch Erfahrung erproben, indem er 1) Gott anruft, 2) die Erhörung erzählt, 3) die Seelenkraft anwendet, die ihm als Antwort auf sein Gebet gegeben ward.
V. 2. 1) Die beste innere Richtung der Seele: zu deinem heiligen Tempel. 2) Die beste Beschäftigung der Seele: anbeten, danken (preisen). W. Williams 1885.
  1) Worauf der Blick des Anbeters sinnend gerichtet ist: auf den heiligen Tempel Gottes - die Stätte der göttlichen Wohnung, des Opfers, der Fürbitte, des Priestertums, der Offenbarung Gottes in Wort und Tat, kurzum auf Christum. 2) Wovon der Anbeter singt: von Gottes Gnade und Wahrheit (Treue). Man beachte die Zusammenstellung und vergleiche Joh. 1,17. 3) Womit er sein anbetendes Lied begründet: weil das (fleischgewordene) Wort die herrlichste Offenbarung Gottes ist, Hebr. 1,2 f. Archibald G. Brown 1885.
V. 3. 1) Gebetserhörung an dem Tage (wörtl.), da der Beter rief. 2) Gebetserhörung durch Verleihen von Kraft für den Tag (vergl. 2. Kor. 12,8 f.). A. G. Brown 1885.
  1) Gebetserhörungen sollten wir beachten und den HERRN dafür preisen. 2) Für besonders schnelle Gebetserhörungen ("am Tage, da ich rief") sollten wir auch ganz besonders den HERRN preisen. 3) Erfüllung der Seele mit Kraft ist manchmal die allerbeste Gebetserhörung. John Field 1885.
  Eine denkwürdige Gebetserhörung. 1) Das Gebet geschah in Schwachheit, aus großer Bedrängnis, dringend, ohne deutlich ausgesprochene Worte (ein Schreien). 2) Die Antwort kam schnell, war göttlich, wirksam, gewiss. 3) Der Dank, den solche Gnadenerfahrung verdient. Siebe V. 1 und
  1) Ein besonderer Tag. 2) Eine besondere Art des Betens. 3) Eine besondere Art der Erhörung. W. Wiliams 1885.
V. 4. 1) Eine königliche Zuhörerschaft. 2) Ein königlicher Redner.
V. 4.5. 1) Die Gottes Wort hören, werden Gott erkennen. 2) Die Gott kennen, werden ihn preisen, mag ihre Stellung auf Erden noch so hoch sein: "alle Könige auf Erden". 3) Die Gott preisen, werden in seinen Wegen wandeln. 4) Die in Gottes Wegen wandeln, werden den HERRN verherrlichen, und er wird sich in ihnen verherrlichen. George Rogers 1885.
V. 5. Und werden singen usw. Das ist von Königen gesagt; doch ist es auch in Bezug auf den geringsten Pilger wahr, denn der HERR sieht auf das Niedrige (V. 6) und wird auch ihn singen machen. I. Sie werden singen auf den Wegen des HERRN. 1) Sie finden an diesen Gefallen. 2) Sie verlassen sie nicht, um anderwärts Ergötzen zu suchen. 3) Sie singen, während sie voranschreiten im Dienste Gottes, in der Anbetung, in der Heiligkeit, im Leiden usw. 4) Sie sind in der Lage, zu singen, denn sie genießen Kraft, Sicherheit, Leitung, Versorgung, Trost usw. II. Sie werden singen von den Wegen des HERRN. 1) Von Gottes Walten mit ihnen. 2) Von ihrem Wege zu Gott. Sie wissen, wovon sie abgegangen sind und wohin sie gehen. Es ist eine gute Straße; Propheten haben darauf gewandelt, und auch der Herr der Propheten selber. Wir haben auf diesem Wege gute Gesellschaft, gute Aussichten und gutes Licht des Tages (Joh. 11,9). III. Sie werden singen von dem Herrn des Weges: von seiner Gnade und Treue, V. 2, von Gebetserhörungen, V. 3, von seiner Herablassung, V. 6, von seiner mitten in Drangsal belebenden Kraft, V. 7a, von Errettung, V. 7b, von seiner vollführenden Gnade, V. 8a, von ewiger Gnade, V. 8b. IV. Sie werden singen dem Herrn des Weges: 1) Zu seiner Ehre, V. 1.5, 2) zur Ausbreitung seiner Ehre, V. 4.5, 3) als Vorbereitung auf die Lobgesänge der Ewigkeit (vergl. V. 8).
V. 6. Göttliche Umkehrungen. 1) Die Niedrigen finden sich geehrt zu ihrer großen Überraschung. 2) Die Stolzen finden sich durchschaut und zugleich übersehen zu ihrer ewigen Beschämung. William Bickle Haynes 1885.
V. 7. Ein getroster Wanderer in schauerlichem Lande.
  1) Gottselige Menschen befinden sich manchmal mitten in mannigfaltigen, lange andauernden Drangsalen. 2) Durch diese Drangsale werden sie aber nicht gehindert, dennoch fortzuschreiten: sie wandeln inmitten von Drangsalen. 3) Sie erfahren dabei Erquickung, Belebung. 4) Die Drangsale dienen nur dazu, die Herrlichkeit ihres Herrn zu offenbaren, der sie von allen Feinden errettet und sein Gnadenwerk vollführt. George Rogers 1885.
  Das Gotteskind wird oft neubelebt aus Trübsal, noch häufiger in Trübsal, nicht selten durch Trübsal: errettet aus Trübsal, erhalten in Trübsal, geheiligt durch Trübsal. A. G. Brown 1885.
  Ein Zwischenfall auf dem Wege zu der himmlischen Stadt. (Vergl. Bunyans Pilgerreise.) 1) Der Pilger von Räubern umzingelt und niedergeschlagen. 2) Die Ankunst von Großherz und die Flucht des Feindes. 3) Die Erquickung des ermatteten Pilgers durch labenden Trunk. William Bickle Haynes 1885.
V. 7c. Deine Rechte wird mir helfen. 1) Die Errettung wird von Gott gewirkt sein. 2) Der HERR wird seine ganze Kraft darein legen. 3) Es wird sich seine unvergleichliche Geschicklichkeit darin erweisen.
V. 8. Der Glaube an Gottes Ratschlüsse ist kein Hindernis für das Gebet, vielmehr eine Ermunterung dazu: "Der HERR wird’s vollführen" - "wollest du nicht lassen". A. G. Brown 1885.
  Der Glaube an die Vollendung. 1) Die gewisse Zuversicht des Psalmisten: Der HERR wird’s für mich vollführen. (Betrachte diesen Satz Wort für Wort.) 2) Der Grund dieser Zuversicht: HERR, deine Gnade ist ewig. 3) Die Wirkung des gläubigen Vertrauens: Herzliches Gebet: Das Werk deiner Hände wollest du nicht lassen.
  1) Des Glaubens volle Gewissheit. 2) Des Glaubens fester Grund. 3) Des Glaubens inbrünstiges Gebet. W. H. Page 1885.

Fußnoten

1. Der Sinn der Textworte ist schwierig; denn wie kann der Sonne Glanz durch einen ihrer Strahlen, mag dieser auch noch so herrlich sein, übertroffen werden? Man muss dann das "über all deinen Namen (dein Offenbarungswesen)" mit Spurgeon deuten im Sinne von: "über all die bisherige Offenbarung (und dadurch bedingte Erkenntnis) deines Wesens", oder mit Delitzschs Worten: "über alles, wodurch du dir bisher Namen und Denkmal gestiftet". Delitzsch sagt, Km# dein Name sei hier so viel wie Kft:(fWm$:, das Gerücht von dir (vergl. die Rede der Königin von Saba 1. Könige 10,7), welches nur deshalb hier nicht gesagt sei, weil die Anrede auf Gott, nicht auf einen Menschen gehe. Vergl. auch Hupfeld: "über alles, was man von dir kannte und dir zutraute". - Die Massora bietet, wie es scheint, indem sie (doch wohl unter gleichzeitiger Außerkraftsetzung des folgenden Makkeph) (statt) gelesen wissen will, einen Versuch, die Schwierigkeit zu lösen, dar: "Du hast über alles deinen Namen herrlich gemacht", aber dann schleppt das "dein Wort" ohne Zusammenhang (als zweites Objekt?) nach. Luthers Versuch der Deutung: "durch dein Wort", fordert die Textänderung Kfterfm:)ibI: Wir halten daher an der in der Auslegung gegebenen Übersetzung im Sinne von Spurgeon, Delitzsch und anderen fest. - James Millard

2. Manche übersetzen: am Leben erhalten; dagegen Del., Keßler usw. nach Hieronymus: beleben, neu beleben, wie 71,20 und öfters, vergl. zu Ps. 119,25.