Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 54 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Eine Unterweisung. Wir müssen in unseren Liedern geistliche Unterweisung suchen und bieten. Gesang, der nicht erbaut, zerstreut. Davids. So fruchtbar David als Dichter war, so gehaltvoll sind seine Lieder. Dass sich sein Leben so wechselvoll gestaltete, diente nicht nur ihm selber zur Erziehung, sondern hat auch der Gemeinde des HERRN großen Nutzen gebracht; denn gerade seinen mannigfaltigen Erfahrungen verdanken wir diese Psalmen, welche heute noch so frisch und köstlich sind wie zur Zeit, da sie niedergeschrieben wurden. Vorzusingen auf Saitenspiel. Musik auf Saiteninstrumenten sollte den Gesang dieses Psalms begleiten. Abwechslung zu bieten, sowohl in unseren Melodien als in allem, was den Kirchengesang betrifft, muss unser eifriges Bestreben sein. Einförmigkeit ist oft der Tod des Gemeindegesangs. Unsere Gesänge müssen mannigfaltig sein wie die Wege der Vorsehung, welche sie zum Gegenstand haben. Da die von Siph kamen und sprachen zu Saul: David hat sich bei uns verborgen. Um in der Gunst Sauls zu steigen, machten sich diese Leute einer groben Verletzung des heiligen Gastrechts schuldig. Sie kümmerten sich nicht darum, ob unschuldig Blut vergossen würde, wenn sie nur den Beifall des gottlosen Fürsten ernteten. Friedlich kam David in ihre Gegend und hoffte dort von seinen vielen Irrfahrten ein wenig ausruhen zu können; sie aber spähten seine einsame Wohnstätte aus und verrieten ihn. David jedoch wendet sich betend zu Gott, und sein Glaube ist so stark, dass er sich bald in heitere Gemütsruhe hineinsingt.

Einteilung. Von V. 3-5, wo das Sela uns eine Pause setzt, fleht der Psalmist zu Gott um Hilfe. Im übrigen Teil des Psalms hat er jeden Zweifel überwunden und singt ein fröhliches Triumphlied. Die Kraft des Glaubens macht aller Niedergeschlagenheit ein Ende und gibt das Gefühl vollkommener Sicherheit inmitten der drohendsten Gefahren.


Auslegung

3. Hilf mir, Gott, durch deinen Namen
und schaffe mir Recht durch deine Gewalt.
4. Gott, erhöre mein Gebet,
vernimm die Rede meines Mundes.
5. Denn Stolze setzen sich wider mich,
und Trotzige stehen mir nach meiner Seele
und haben Gott nicht vor Augen. Sela.


3. Hilf mir, Gott. Du bist ja mein einziger Helfer; rings um mich her sind meine Feinde und ihre dienstbereiten Helfer. Kein Obdach wird mir mehr gewährt, in jedem Versteck werde ich aufgespürt, eine Landschaft nach der andern stößt mich aus. Aber du, Gott, bist meine Zuflucht; du wirst mich erretten von allen meinen Feinden. Durch deinen Namen, durch deine göttliche Größe und Herrlichkeit. Lass alle deine hehren Eigenschaften, alle Vollkommenheiten, welche dein Name in sich befasst, zu meinen Gunsten wirksam werden. Oder bist du es nicht deiner Ehre schuldig mich, deinen Gesalbten, zu verteidigen? Und schaffe mir Recht durch deine Gewalt. Schaffe du mir Recht, da es sonst niemand will und vermag. Du kannst mir in wirksamer Weise zu meinem Recht verhelfen und durch deine Allmacht das mir zugefügte Unrecht wieder gutmachen. - In einer schlechten Sache dürfen wir es nicht wagen, Gott zur Hilfe aufzurufen; wenn wir uns aber des bewusst sind, dass wir unsere Sache ohne Furcht vor Gottes Richterstuhl bringen können, so dürfen wir sie getrost seiner mächtigen Hand überlassen.

4. Gott, erhöre mein Gebet. Das Gebet ist von jeher die Schutzwehr der Heiligen gewesen. Solange uns Gottes Ohr offen ist, vermag uns kein Elend gefangen zu halten. Alle anderen Waffen mögen versagen, aber beten in allen Anliegen ist zu allen Zeiten nütze. Dies Geschütz kann uns kein Feind vernageln. Vernimm die Rede meines Mundes. Lautes Beten ist dem Beter hilfreich; wir halten unser Gemüt in stärkerer Spannung, wenn wir Herz und Zunge zum Gebet gebrauchen. Aber was für Wert hätte auch das lauteste Beten, wenn Gott es nicht vernehmen wollte? Schenkt uns Gott kein Gehör, so ist’s ganz einerlei, ob wir Unsinn schwatzen oder die treffendsten Gründe vorbringen. Als Davids Lage gefährlich wurde, tat es ein bloß gewohnheitsmäßiges Beten nicht; er musste entweder mit seinem Flehen durchdringen oder seinen Widersachern zur Beute werden.

5. Denn Fremde1 (Barbaren) setzen sich wider mich. Unter Sauls Helfern mögen manche Ausländer gewesen sein, wie denn auch jener Verräter Doeg (Ps. 52, 2) ein Edomiter war. Doch scheinen hier die Siphiter gemeint zu sein. Diese waren Stammesgenossen Davids; dennoch hielten sie sich gegen ihn wie Glieder eines fremden Volkes, zeigten sich als Feinde, benahmen sich wie Barbaren. Etliche übersetzen: Abtrünnige, von Gott Entfremdete; und das waren sie, wie es auch der Schluss des Verses ausspricht. Wer es mit Saul wider David hielt in dieser Zeit, da der König zu allem, was recht und heilig war, in Gegensatz getreten war, der bewies damit, dass er selber gottlos gesinnt war und wider Gott stritt. Sollte Gott es zulassen, dass solche, die ihm fremd und feindlich waren, sein Kind quälten? Und Trotzige, wörtl.: Gewalttätige, stehen mir nach meiner Seele. Saul, dieser gewalttätige Tyrann und Verfolger, hatte sein Wesen vielen eingepflanzt. Könige prägen ja gewöhnlich ihr Bild auf die Münzen des Landes. Saul wies den Weg und andere folgten ihm getreulich; er und sie trachteten David nach dem Leben. Grausam und ungestüm waren sie in ihrer Bosheit; halbe Maßregeln konnten ihnen nicht genügen, ihr Entschluss war, David gänzlich vom Erdboden zu vertilgen. Und haben Gott nicht vor Augen. Um Recht und Gerechtigkeit kümmerten sie sich so wenig, als ob sie einen Gott nicht kennten; jedenfalls fragten sie nichts nach ihm. Wenn sie Gott vor Augen gehabt hätten, so wäre es ihnen unmöglich gewesen, den Unschuldigen seinen Feinden zu verraten, dass er wie ein Reh, das doch niemand etwas zuleide tut, gejagt und niedergeschossen werde. David empfand, dass der Feindseligkeit, mit der man ihn verfolgte, gottfeindliche und gottesleugnerische Gesinnung zugrunde lag. Gottselige Menschen werden um Gottes willen gehasst, und sie tun wohl daran, sich im Gebet darauf zu berufen. Sela. Es ist, als sagte er: Genug davon, lasst uns einen Augenblick innehalten! Er ist außer Atem vor Entrüstung. Die starke Empfindung des Unrechts, das er leidet, macht es ihm zum Bedürfnis eine Pause zu machen. Es mag gut sein, die allgemeine Bemerkung anzufügen, dass mehr solcher Pausen unserer Andacht in der Regel förderlich sein würden. Wir sind gewöhnlich zu sehr in Eile; übten wir mehr heiliges Nachdenken, so würde das unsere Worte dem bestimmten Fall angemessener und unsere Gemütsbewegungen stärker und feuriger machen.

6. Siehe, Gott stehet mir bei,
der Herr erhält meine Seele.
7. Er wird die Bosheit meinen Feinden bezahlen.
Verstöre sie durch deine Treue!
8. So will ich dir ein Freudenopfer tun
und deinem Namen, HERR, danken, dass er so tröstlich ist.
9. Denn du errettest mich aus aller meiner Not,
dass mein Auge an meinen Feinden Lust siehet.


6. Siehe, Gott stehet mir bei. Da er ringsum von Feinden umgeben ist, blickt er hilfesuchend nach Verteidigern aus - da nimmt er den wahr, dessen Hilfe besser ist denn aller Menschen; und da er diesen seinen göttlichen Vorkämpfer erkennt, ruft er überwältigt aus: "Siehe!" Und ist das nicht fürwahr Anlass zu heiligem Frohlocken, dass der große Gott uns, sein Volk, verteidigt? Was hat die Zahl, was die Wut unserer Feinde zu bedeuten, wenn Er den Schild seiner Allmacht erhebt, uns damit zu schützen, und sein gewaltiges Schwert zieht, um unsere Feinde damit zu vernichten? Wenig kümmert uns der Widersacher Trutz, wenn wir Gottes Schutz auf unserer Seite haben. Der Herr erhält meine Seele. Der Allherr der Welt, der über alles gebietet, ist selber der Erhalter meines Lebens. Das war ein besserer Verteidiger als selbst die drei vornehmsten Kämpen Davids, ja als alle die Helden, welche den Sohn Isais zu ihrem Anführer gewählt hatten. Der Psalmist ist voller Zuversicht; er ist so durchdrungen von dem Bewusstsein, mit seinem Herzen auf Gottes Seite zu stehen, dass er ganz sicher ist, Gott auch auf seiner Seite zu haben. Im dritten Vers hatte er um Errettung gebeten, hier dankt er für seine bisherige Erhaltung. Während wir eine Gnade erflehen, die uns fehlt, dürfen wir der andern nicht vergessen, deren wir uns schon erfreuen

7. Er wird die Bosheit meinen Feinden bezahlen, oder (nach dem geschriebenen Text): Zurückfallen wird das Böse auf meine Feinde. Um Böses mühten sie sich; damit soll ihnen auch vergolten werden. Es ist ja unmöglich, dass Schlechtigkeit ungestraft bleibe. Nachsicht gegen die Verfolger der Frommen wäre Grausamkeit gegen die letzteren. Es ist so in Gottes heiligem Rat bestimmt und wird sich immer wieder zeigen, dass die Pfeile der Bosheit auf die zurückfahren, welche sie schleudern. Verstöre sie durch deine Treue! Das ist nichts anderes als das Amen zu dem gewissen Urteil des gerechten Richters. Lass sich die Wahrheit und den Ernst deiner Drohungen also erweisen, dass alle Zweifel und trotzigen Reden der Sünder verstummen müssen. Dein Richterspruch ist gerecht; lass ihn sich erfüllen. Nicht persönliche Rachsucht kommt in dieser Bitte zum Ausdruck; sie ist der ernste Ausspruch eines Kriegers, der für eine gute Sache kämpft, eines gröblich beleidigten Leiters des Volks, den Gott zum Monarchen bestimmt hat, eines Mannes, der in Moses Schule die göttliche Regel gut gelernt hat: Auge um Auge, Zahn um Zahn.

8. So will ich dir mit Freuden Opfer bringen. (Grundtext) Aus eigenem Antrieb und mit willigem Gemüte will ich dir Opfer darbringen. David ist seiner Rettung so gewiss, dass er innerlich das Gelobte schon bereithält. Sein dankerfülltes Herz möchte die Altäre Gottes mit freudig dargebrachten Opfern füllen. Je mehr wir empfangen, desto mehr sollten wir wieder geben. Der freiwillige Liebestrieb ist es hauptsächlich, der unsere Gaben bei Gott angenehm macht: Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. Und deinem Namen, HERR, danken. Da selbst eine Menge Opfer seine freudigen Gefühle noch nicht genügend ausdrücken, so will er auch mit Worten seinen Dank abstatten. Den Namen, den er in seinem Flehen (V. 3) angerufen hatte, will er jetzt mit Lobpreisen verherrlichen. Deinen Namen, Jehova! Dies ist ja der erhabene Name des geoffenbarten Gottes Israels, ein Name, der die erhebendsten Gefühle wachruft und so zu einem Gott wirklich wohlgefälligen Lob befähigt. Niemand kann den HERRN so von Herzen preisen, als diejenigen, welche in Zeiten der Anfechtung erfahren haben, wie köstlich sein Name ist. Der Psalmist fügt hinzu: dass er so tröstlich (wörtl.: gut) ist. Ja, Gottes Name ist gut; darum ist es auch gut, ihn zu loben. (Ps. 92,2.) Wir sind nie so heilig und nie so selig wie dann, wenn unser Herz sich in Anbetung ergießt. Hatte David in V. 5 seine Feinde als solche beschrieben, die Gott nicht vor Augen haben, so bezeugt er hier, dass er ganz andern Sinnes sei als jene; denn er nehme sich vor, in seinen Opfern und Lobliedern beständig Gottes zu gedenken.

9. Denn er (Grundtext) errettet mich aus aller meiner Not. Bisher war ihm noch immer Rettung zuteil geworden, und auch für die gegenwärtige Gefahr weiß er im Glauben die Hilfe nahe. Davids Leben war voller Gefahren, denen er oft nur um Haaresbreite entging; dennoch ward ihm nie ein Haar gekrümmt. Der Rückblick auf die vielen und großen Errettungen, die er schon erfahren hat, treibt ihn an, Gott zu loben; darum erscheint ihm die Gnade, welche er gerade jetzt begehrt, als ein Glied in der Kette der Liebesbeweise, die er bereits empfangen hat. Unser Bundesgott hat sich selbst anheischig gemacht, uns aus aller Not zu erretten; so lasst uns denn jetzt schon ihm einen Triumphgesang anstimmen, dem treuen Erhalter aller, die ihr Vertrauen auf ihn setzen. Bis hierher haben sich seine Verheißungen an uns als wahr erprobt; er ändert sich nicht, so wird er denn auch in alle Zukunft, mag diese jetzt auch noch sehr dunkel vor uns liegen, geradeso unser Schutz und Schirm sein. Er wird sich stark erweisen in der Unterstützung derer, die von ganzem Herzen an ihm sind. (2. Chr. 16,9 Grundtext) Dass mein Auge an meinen Feinden Lust siehet. David wusste, dass er noch einmal ebenso mit Triumph auf seine hochmütigen Feinde werde blicken können, wie sie jetzt mit Verachtung auf ihn niederschauten. Und ihn verlangte danach aus Gerechtigkeitsgefühl, nicht aus persönlichem Groll. Seine gerechte Seele frohlockte bei dem Gedanken, dass die Bosheit seiner Feinde, zu der er keinerlei Anlass gegeben hatte, gerechte Vergeltung erfahren werde. Wenn wir von unseren Herzen alle persönliche Feindschaft so völlig fernhalten, wie David in diesem Psalm, dann können wir, ebenso wie er, in der Gewissheit heilige Beruhigung und Freude finden, dass die göttliche Gerechtigkeit den Gerechten retten und den Boshaften stürzen wird.
  Zum Schluss lasst uns die Überzeugung mitnehmen, dass wir, sollten wir auch so verlassen sein wie dieser Gottesmann, doch gleichwie er im Gebet zu Gott unsre Zuflucht nehmen und eben solches Gottvertrauen beweisen dürfen; tun wir das, so werden wir bald gleich freudig Gott lobsingen können.


Erläuterungen und Kernworte

Von der Überschrift lerne man: 1) Auf besondere Bedrängnisse und besondere Erfahrungen der göttlichen Hilfe müssen wir auch besonders achthaben, wie David hier. 2) Die Mächtigen finden leichter willige Helfer in einer schlechten Sache als die Gottseligen in einer guten: Sauls Grausamkeit hat an den Siphitern dienstbereite Bundesgenossen, während David wenig treue Freunde findet. 3) Die Gottlosen sind gleich dabei, einem einen schlechten Dienst zu erweisen, ja froh, Gelegenheit dazu zu finden. "Hält sich nicht David bei uns verborgen?" (wörtl.) sagen sie, als ob sie damit eine gute, segenbringende Kunde verbreiteten. David Dickson † 1662.
  Zum ganzen Psalm. Die (anglikanische) Kirche hat einen klaren Blick bewiesen, als sie unter andern Psalmen auch diesen für die Passionszeit zur Erinnerung an das Leiden Jesu bestimmte. In der Tat kann man denselben sehr leicht als Weissagung auf Christus auffassen. Es braucht wenig mehr als den ersten Hinweis, um alles mit dem Leben und den Empfindungen des Messias in Übereinstimmung zu finden. W. Hill Tucker 1840.
  In V. 3-5 betet David zu Gott um Hilfe gegen seine Feinde, die nach ihm fahnden. So hatte er es immer im Brauch, dass er in jeder Not, bei jedem Streit zuerst mit Gott um seinen Segen und Beistand rang. Er durfte seine Hand nicht einmal gegen die Feinde Gottes aufheben, ehe er sie in demütigem Flehen zu dem Gott seiner Stärke aufgehoben hatte, der dann "seine Hände streiten und seine Fäuste kriegen lehrte" (Ps. 144,1). Hat er aber das getan, dann bricht sein Mut hervor wie ein Blitz, und er hegt keinen Zweifel mehr, dass er Tausende schlagen könne. So wird er V. 6.7 sein eigener Prophet, indem er sich selbst den Sieg verheißen darf. Denn wer kann dem widerstehen, dem der Allmächtige Beistand leistet? Oder wer könnte einem General noch eine Schlacht liefern, der die Scharen seiner Feinde zuvor schon durch Gebet überwunden und niedergeworfen hat, dem der Sieg zugesichert ist, noch ehe er seine Rüstung anzieht? In den letzten Versen kehrt David sodann zum Anfang zurück, indem er dankbar Gottes Güte und Hilfe preist und sich für so viele Wohltaten aufs Neue zu hingebendem Dienst verpflichtet. J. Dolben 1665.


V. 3. Schaffe mir Recht durch deine Gewalt. Saul war entschlossen, einen Rechtsstreit mit David nicht nach dem Recht, sondern mit roher Gewalt, durch seinen Wurfspieß und seine Kriegsscharen, zu entscheiden. David wusste wohl, dass er sich darin nicht mit ihm messen könne; deshalb sucht er bei dem Schutz, dessen Macht er als unendlich höher kennt und von dem er überzeugt ist, dass er ihn verteidigen wolle und könne. Samuel Chandler † 1766.


V. 5. Stehen mir nach meiner Seele. Das heißt zunächst: nach meinem Leben. Wenn es aber in ihrer Macht läge, würden sie auch meine Seele zerstören - wie die Römischen Johann Hus dem Teufel übergaben. John Trapp 1662.


V. 6. Gott ist den Seinen innerlich gegenwärtig, wenn es die Gottlosen am allerwenigsten glauben. Martin Luther † 1546.
  Reinhard Bakius, Superintendent in Magdeburg, wurde bei der Zerstörung Magdeburgs durch Tilly mit den Seinen ins Gefängnis geworfen. Später schreibt er darüber: "Oftmals habe ich im Gefängnis geseufzt: ,Hier sind wir nun, erbarme dich unser, du gütiger Gott, richte mich nach deiner Gerechtigkeit.´ Und es ist geschehen. Die Feinde selbst machte Gott uns barmherzig und entriss uns aus ihren Händen, mich und alle die Meinen." Genauer teilt er darüber Folgendes mit: "Am 10. Mai 1631 bei der Zerstörung Magdeburgs, wie viele wollten da mich und die Meinen aufhängen, verbrennen, morden! Aber der HERR erweckte einen Mailänder, einen Geheimschreiber aus der Begleitung Tillys, Johann Stephan Bossius, der nahm sich meiner an wie Obadja der Propheten (1. Könige 18,4), wie Ebedmelech, der Mohr, des Jeremia (Jer. 38,7 f.), und lief und kam und fragte und brachte Silber und Gold und half mir und den Meinen und errettete mein Leben; aber er hätte es nicht gekonnt, wenn nicht Gott selbst sein Wagnis wunderbar unterstützt hätte. Daher sag ich: Siehe, Gott stehet mir bei, und der HERR war mit denen, welche meine Seele erhielten." (R. Bakius, Kommentar zum Psalter, 1664.)
  Man übersetze nicht (ähnlich wie Bakius in dem vorstehenden Absatz) scheinbar wörtlich: Der Herr ist unter denen, die usw. Das b: ist das sogen. b: esentiae, bezeichnet also die Eigenschaft, in der sich der Herr betätigt. Eigentlich: Der Herr fällt in die Kategorie solcher, die meine Seele stützen (mein bedrohtes Leben erhalten). An andere Helfer ist aber dabei nicht gedacht; "der Herr füllt diese Kategorie allein aus" (Delitzsch). Also: Der Herr ist ein solcher, der usw. - James Millard


V. 6.7. Er ist der Hilfe Gottes für sich und seine Freunde so gewiss wie der Rache über seine Feinde. Lerne daraus: 1) Dem brünstigen Gebet wird bald Antwort zuteil; ja manchmal überraschend schnell, ehe der Mensch noch zu reden aufgehört hat, wie es hier David erfährt: Siehe, Gott ist mein Helfer. 2) Der Glaube ist mit einem scharfen Gesicht begabt, das durch alle Wolken dringt; wenn Gott ihm das Licht seines Geistes entgegenhält, so kann er ihn in einem Augenblick finden als eine gegenwärtige Hilfe in den größten Nöten. 3) Größer als die Schmerzen erlittener Trübsal ist die Freude, welche das Bewusstsein der Nähe Gottes verleiht. Der Trost, Gott zum Helfer zu haben, war für David größer als die Kränkung, welche die Lieblosigkeit seiner Freunde und die Bosheit seiner Feinde ihm bereitet hatten. David Dickson † 1662.


V. 8. Und deinem Namen, HERR, danken, dass er so tröstlich ist. Gottes Name ist eitel Liebe, Gnade, Trost, Hilfe, Freude, Friede, Leben, Heil und Seligkeit. Darum wenn dich dein Elend betrübt, so gedenke an Gottes Namen und Verheißung (2. Mose 34,6); denn es hat ja der liebe Gott noch allewege seiner Kirche geholfen und sie wunderlich errettet. Johann Arnd † 1621


Homiletische Winke

V. 3. Gottes Macht und Ehre fordern die Errettung der Glaubenden: 1) Ihr Untergang wäre eine Entehrung beider. 2) Ihre Errettung stellt beide in ein herrliches Licht. 3) Beide sind unveränderlich, deshalb haben wir jederzeit und in jeder Lage festen Boden unter den Füßen, wenn wir sie anrufen.
V. 4. Worauf es beim Beten hauptsächlich ankommt: dass Gott unser Gebet hört. 1) Was bedeutet das? 2) Wie können wir wissen, ob Gott unser Gebet hört? 3) Was sollen wir tun, wenn es zweifelhaft ist? 4) Was schulden wir ihm, wenn er uns erhört hat?
V. 5. Neue schwere Prüfungen. 1) Doch sind sie nicht in jeder Hinsicht neu: a) nicht für Gott; b) nicht in der Geschichte des Volkes Gottes; c) nicht für die Vorkehrungen der Gnade, worin sie schon vorgesehen sind. 2) Inwiefern sind sie aber neu? a) Gott kann sich in ihnen in neuer Weise offenbaren. b) Sie machen uns vergessene Verheißungen aufs Neue teuer. c) Sie haben neue Gnadenerweisungen im Gefolge. d) Sie bringen neue Loblieder hervor. e) Sie bewirken völligere Hingabe.
V. 5c. Sie haben Gott nicht vor Augen: das ist die Wurzel der Sünde. Wenn sie der Allgegenwart und Allmacht Gottes eingedenk geblieben wären, so hätten sie es nicht gewagt, Gott also zu missachten; wenn sie seine Liebe geschmeckt hätten, es nicht gewollt; wenn sie seiner Natur teilhaft geworden wären, es nicht gekonnt.
V. 6. Gott stehet mir bei. Das mag uns wohl zum Staunen bringen (Siehe): 1) über seine unverdiente Gnade, dass er es mit mir hält; 2) über seine gnadenreiche Macht, denn wer kann ihm widerstehen? 3) über seine tatkräftige Hilfe, denn er "erhält meine Seele".
V. 8. Wir sollten Gott unsere Opfer freiwillig, freigebig, freudig, fortwährend und frei von unlauteren Beweggründen darbringen.
V. 9a. Er hat mich errettet aus aller meiner Not. (Wörtl.) Der Ausruf eines Bußfertigen, der eben Vergebung erlangt hat, der Freudenruf eines aus der Not erlösten Frommen, der Lobgesang des gereiften Christen, das Jubellied des verklärten Gläubigen.

Fußnoten

1. So der masoret. Text und auch Luther 1524. Das Wort geht in die allgemeinere Bedeutung sich barbarisch benehmender Feinde über, bes. in Verbindung mit dem folgenden Wort "Gewalttätige", Jes. 25,2 f. usw. Später folgte Luther der Lesart Mydiz" Übermütige, Stolze, die sich auch im Targum und einigen hebr. Handschriften findet und von Olshausen und Kautzsch bevorzugt wird, aber aus der Parallelstelle 86,14 hier eingedrungen zu sein scheint.