Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 147 (Auslegung & Kommentar)


Inhalt

Dieser Psalm ist ein hervorragend schönes Lied. Es verherrlicht die Größe und die herablassende Güte des Herrn. Der Gott Israels wird uns darin in seiner ihm eigentümlichen Herrlichkeit vor Augen gestellt, nämlich als der, der sich der Bekümmerten, der Unbedeutenden und Vergessenen annimmt. Der Dichter findet eine unvergleichliche Wonne darin, den zu rühmen, der so unvergleichlich gnadenreich ist. Der Psalm hat sehr abwechslungsreichen Inhalt; er redet von Stadt und Land, von der ersten und der zweiten Schöpfung, von Staat und Kirche. Er ist selber, was er V. 1 vom Lobe Gottes sagt: lieblich und schön.

Einteilung. Das Lied zerfällt in drei Teile. Von V. 1-6 wird Jehovah gepriesen, weil er Zion erbaut und seine Leidtragenden tröstet. V. 7-11 loben ihn dafür, dass er für die Geringen so freundlich sorgt und an ihnen Gefallen hat. Sodann V. 12-20 wird er gepriesen für das, was er seinem Volke zugute gewirkt hat, und für die Macht seines Wortes, die sich im Reich der Natur wie der Gnade erweist.


Auslegung

1. Lobet den HERRN!
denn unseren Gott loben, das ist ein köstlich Ding;
solch Lob ist lieblich und schön.
2. Der HERR baut Jerusalem
und bringt zusammen die Verjagten Israels.
3. Er heilt, die zerbrochenen Herzens sind,
und verbindet ihre Schmerzen.
4. Er zählt die Sterne
und nennt sie alle mit Namen.
5. Unser Herr ist groß und von großer Kraft;
und es ist unbegreiflich, wie er regiert.
6. Der HERR richtet auf die Elenden
und stößt die Gottlosen zu Boden.


1. Lobet den HERRN, oder: Hallelujah! Der Lauf des mächtigen Stroms der Psalmen endet in einem Katarakt von Lobpreis. Auch der vorliegende Psalm beginnt und schließt mit Hallelujah. Jehovah und fröhlicher Lobpreis, diese beiden Begriffe sollten in den Gedanken des Gläubigen stets miteinander verbunden sein. Ein Jupiter ward gefürchtet, aber Jehovah wird geliebt. Alle, die zum wahren Israel gehören, möchte der Psalmist zu einem großen Chor vereinigen, und mit Begeisterung ruft er ihnen als Sangmeister zu: Lobet den HERRN! Solche Ermahnung und Ermunterung darf mit vollem Recht an alle gerichtet werden, die irgendetwas der Gnade Gottes zu verdanken haben; und bei wem von uns wäre das nicht der Fall? Ihm seine Wohltaten vergelten können wir nicht, aber ihn loben wollen wir, jetzt und ewiglich. Denn unseren Gott loben, das ist ein köstlich Ding, wörtl.: gut. Es ist gut, weil es recht und billig ist; es ist gut, weil es Gott angenehm, uns selber heilsam und unseren Mitmenschen als Anreiz, ebenfalls Gott zu loben, dienlich ist. Dass eine Übung gut und heilsam ist, ist für vernünftige, wohlgesinnte Leute Grund genug, sich solche Übung zur ständigen Gewohnheit zu machen. Gottes Ruhm zu singen, das ist der denkbar beste Gebrauch, den wir von unserer Stimme machen können; unser Mund redet dann von Gott, für Gott und zu Gott, und zwar auf eine fröhliche und zugleich ihn ehrende Weise. Im Herzen singen ist gut, aber mit Herz und Mund Gott lobsingen ist besser, denn es macht es andern möglich, sich mit uns darin zu vereinigen. Jehovah ist unser Gott, unser Bundesgott; darum sei ihm die Huldigung unseres Lobpreises geweiht. Und er ist ein so gnadenreicher und seine Anbeter so glücklich machender Gott, dass unser Lob am besten in fröhlichen Liedern zum Ausdruck kommt.
  Solch Lob ist lieblich und schön, wörtlich: Denn lieblich (ist es, nämlich unseren Gott zu loben), es ziemt Lobgesang. Es ist beides, angenehm und angemessen; es ist unsere Pflicht, weil der HERR so preiswürdig ist und wir ihm so viel zu verdanken haben, und die Erfüllung dieser Pflicht verschönert uns zugleich das Leben. Das Lob des Höchsten ist lieblich für den geläuterten Geschmack und wohltuend für Ohr und Gemüt; eine ganze Gemeinde den HERRN loben zu sehen und zu hören ist erquickend für Auge und Ohr und Herz. Das sind Gründe, den heiligen Gesang zu pflegen, die für alle, die echte Frömmigkeit, wahres Vergnügen und wirkliche Schicklichkeit lieben, von Gewicht sein werden. Lasst uns den HERRN oft preisen, denn es ist lieblich; lasst uns ihn preisen in heiligem Schmuck, denn es ziemt sich. Wo sich Pflicht und Vergnügen, Heilsamkeit und Lieblichkeit so miteinander verbinden, da sollten wir nichts von Trägheit und Nachlässigkeit wissen. Möge es sich jedem Leser ins Herz prägen, dass er mit den Seinen einen Sängerchor bilden sollte, der täglich des HERRN Lob feiert.

2. Der HERR baut Jerusalem. Gott erweist sich in der sinnlichen wie in der geistigen Welt als der Bildner und Erbauer, und dafür gebührt ihm Lobpreis. Seine Güte wie auch seine Weisheit und seine Macht geben sich zu schauen in der Errichtung - und der Wiederherstellung des von ihm erkorenen Ortes des Gottesdienstes, der einst eine Stadt mit Mauern und Toren war, jetzt aber eine Gemeinde ist, aus lebendigen, geistlichen Steinen erbaut. Die Juden waren fröhlich darüber, dass ihre Hauptstadt wieder aus den Trümmern erstanden war, und wir frohlocken, dass die Gemeinde des HERRN sich mitten in einer gottlosen Welt immer mehr aufbaut. Und bringt zusammen die Verjagten Israels, wodurch denn ja auch die verwüsteten Orte wiederhergestellt werden und das Verödete wieder bewohnt wird. Die Worte unseres Verses beziehen sich wohl auf die Rückführung Israels aus der babylonischen Gefangenschaft und auf den Wiederaufbau der Mauern Jerusalems unter Nehemia. Der HERR brauchte dazu mancherlei Werkzeuge, die persischen Könige Cyrus und Artaxerxes, sowie seine Knechte Serubbabel, Esra und Nehemia, aber der Psalmist schreibt all die Wohltaten, die Israel nun genießt, dem HERRN zu; beides, die Wiederherstellung des zu einem elenden Dorfe herabgesunkenen Jerusalem zu einer bewohnten und befestigten Stadt und die Wiederherstellung des versprengten und verstoßenen Volkes zu einer neuen Volksgemeine, führt er auf Gottes Hand zurück. Mit welcher Klarheit des Blicks schauten diese Gläubigen der alten Zeit den HERRN als gegenwärtig, unter ihnen und für sie wirkend! Im Geistlichen sehen wir die Hand Gottes in der Auferbauung der Gemeinde und der Einsammlung geretteter Sünder. Um seiner Missetaten willen war Israel verstoßen und versprengt worden; aber der HERR nahm sich des armen Volkes aufs Neue an und sammelte es wieder zu einer Gemeine. Wie Israel im Kleinen, so ist auch die Menschheit im Ganzen zerteilt und versprengt um der Sünde willen (vergl. 1. Mose 11 und schon 4,16). Wer vermochte aus dieser zerrissenen Menschheit eine neue Menschheit zu bilden, in der alle einer sind in Christo Jesu (Gal. 3,28), alle Bürger der neuen Gottesstadt mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen (Eph. 2,19)? Diese Gottestat der Liebe und Macht geht noch immer voran ("Der HERR baut " usw.). Darum erschalle der Lobgesang in dem Jerusalem, das unsere Heimat ist, und möge jeder lebendige Stein in der geistlichen Stadt die heiligen Akkorde widerhallen lassen.

3. Er heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Schmerzen, d. i. ihre schmerzenden Wunden. Dies erwähnt der Heilige Geist, der durch den Dichter redet, als einen Edelstein in der Ruhmeskrone des HERRN und als einen Grund, warum wir des HERRN Lob verkündigen sollen. Der HERR ist nicht nur Baumeister, sondern auch Arzt; er stellt zerbrochene Herzen ebenso wieder her wie zerbrochene Mauern. Die irdischen Könige glauben vielfach, groß zu sein durch stolze Unnahbarkeit; Jehovah wird wirklich groß durch seine herzliche Herablassung. Siehe, da, der Höchste gibt sich persönlich ab mit den Kranken und Verwundeten, den Elenden und Trostlosen! Er macht als menschenfreundlicher Arzt die Runde durch das große Hospital der Erde. Das tiefe Mitgefühl mit den Leidtragenden ist ein hervorstechendes Merkmal seiner Güte. Nur wenige halten es bei Bekümmerten und Verzagten lange aus; Jehovah jedoch sucht ihre Gesellschaft und bleibt bei ihnen, bis er sie durch seine Tröstungen geheilt hat. Ihm ist es eine Lust, zerbrochene Herzen zu behandeln und völlig zu kurieren; er träufelt selber das Öl der Gnade auf die Wunden, legt mit eigner Hand ihnen den Verband der Liebe an und verbindet so die blutenden Risse der in Reue zerschlagenen Herzen. Solch Erbarmen sieht Gott ähnlich. Wohl mögen die ihn preisen, die sein gnädiges Handeln selber also erfahren haben. Der HERR ist stets am Werk, zu verbinden und zu heilen. Es ist das für ihn keine neue Arbeit, er hat es von alters her getan; auch ist es nicht etwas, das er in vergangenen Zeiten zwar geübt hat, dessen er aber nun müde wäre. Im Grundtext steht ausdrücklich, dass er "der Heilende" ist, also diese Kunst noch heute ausübt und immerdar damit beschäftigt ist. Ja kommt nur, ihr, die ihr zerbrochenen Herzens seid, kommt zu dem großen Arzte, der immer bereit ist und dem noch nie eine Heilung missglückt ist; deckt eure Wunden vor ihm auf, der sie mit so zarter Hand verbindet!

4. Er zählt die Sterne. Keiner außer ihm vermag deren unermessliche Heere zu zählen; aber er, der sie geschaffen hat und sie erhält, weiß auch ihre Zahl. Für den Ewigen sind die Sterne nur wie die Taler, die der Kaufmann zählt, während er sie in seinen Geldbeutel tut. Und nennt sie alle mit Namen. Er kennt jeden einzelnen der für uns unzählbaren Weltkörper mit genauer, tief eindringender Kenntnis, so dass er ihnen allen ihre Namen zuruft (wörtl.), die die Eigentümlichkeit eines jeden zum Ausdruck bringen. Was mag der Name unseres Weltkörpers bei Gott sein? Was wird das für einen Herschel, einen Kepler, einen Newton für Wonne sein, wenn sie den Ewigen einst die Sterne mit diesem ihrem Namen werden nennen hören, der ihnen mit einem Wort das Wesen dieser Welten enthüllt! So unermesslich die Menge der Gestirne ist, so folgen sie doch alle mit vollkommenem Gehorsam den Befehlen ihres Schöpfers, gleichwie Soldaten dem Hauptmann, der sie mit Namen aufruft und ihnen ihre Posten zuteilt. Gehen sie nicht auf und nieder, bewegen sich oder stehen still genau nach seinem Geheiß? Welch ein Wechsel des Tones ist zwischen diesem und dem vorhergehenden Verse! Lesen wir die beiden ohne Unterbrechung und lassen wir die ganze Stärke des Gegensatzes auf uns wirken. Von den Sternen zu den Seufzern zerbrochener Herzen, welch tiefer Abstieg! Von den erhabenen Welten zu den Wunden eines armen Menschenkindes, dazwischen dehnt sich eine Weite, die nur das Erbarmen dessen, dem kein Raum eine Schranke ist, überbrücken kann. Doch ist der, der bei zerbrochenen Herzen den Dienst des Arztes tut, eben derselbe, der das himmlische Heer befehligt und über alle die Millionen von Sonnen mit ihrem Gefolge Heerschau hält und die Musterrolle aller dieser gewaltigen Truppen führt. Die Gedankenverbindung der beiden Vers ist genau dieselbe wie Jes. 40,26 ff. Gerade die Allmacht des HERRN als des Gebieters des Weltalls ist die Gewähr dafür, dass sein Erbarmen sich so hilfreich an seinem Volke erweisen kann. O Gott, es ist ein köstlich Ding, dich zu preisen als den, der die Sterne regiert; aber noch köstlicher ist es, dich anbeten zu dürfen als den, der die zerbrochenen Herzen heilt!

5. Unser Herr ist groß. Groß ist unser Gebieter und König in jeder Beziehung - groß von Herzen, unbeschränkt in seinem Walten, unfassbar herrlich. Niemand ist imstande, seine Majestät zu schildern oder seine Würden und Vortrefflichkeiten aufzuzählen. Und groß (oder reich) an Kraft. Er ist allgewaltig; er tut, was er will, und auf große, machtvolle Taten geht sein Wille. Seine Taten enthüllen seine Macht, aber doch nur etwas davon; die Hauptmasse, der Grundstock seiner Kraft bleibt bei alledem noch verborgen. Und es ist unbegreiflich, wie er regiert, wörtlich: seiner Einsicht ist keine Zahl, d. i. sie ist ohne Maß und Ende. Auch hier klingt Jes. 40 an, siehe dort V. 26.28. Niemand kann die Tiefen seiner Weisheit ergründen oder seine Erkenntnis ausloten. Er ist unendlich und unermesslich an Erhabenheit, Macht und Wissen, das lehren uns die drei Aussagen dieses Verses deutlich. Die Götter der Heiden sind nichts und wissen nichts, unser Gott aber erfüllt alles und durchdringt mit seinem Wissen alles. Und doch, wie herablassend ist dieser große Gott und Herr! Denn er ist derselbe, der kranke Seelen mit so zarter Hand pflegt und so darauf wartet, sündigen Menschenkindern seine Gnade erzeigen zu können. Er lässt seine unbeschränkte Macht und unbegrenzte Einsicht wirken zur Linderung und Heilung menschlichen Elends. Um aller dieser Gründe willen werde das Lob seines Namens groß; selbst wenn wir es unermesslich groß machen könnten, würde es das Maß dessen, was ihm gebührt, nicht überschreiten. Sowohl in der Auferbauung seiner Gemeinde als auch in der Rettung der einzelnen Seelen offenbaren sich seine Erhabenheit, seine Macht und seine Weisheit; möge er um jeder dieser Eigenschaften willen von uns gepriesen werden.

6. Der HERR richtet auf die Elenden (oder: die demütigen und sanftmütigen Dulder) und stößt die Gottlosen zu Boden. Er kehrt die verkehrte Ordnung der Dinge um. Die Sanftmütigen müssen sich in der Welt ducken und werden oft gar zu Boden gedrückt; die richtet er auf. Die Gottlosen fahren hoch her, und er schleudert sie in den Staub. Der HERR liebt diejenigen, die sich in ihren eignen Augen gering dünken und gegen ihre Mitmenschen sanftmütig sind; sie hebt er empor zu Hoffnung, zu Frieden, zu Einfluss, zu ewiger Ehre. Stolze Menschen sind ja nach ihrer eignen Schätzung schon sehr hoch; nur die Niedrigen wissen einem dafür Dank, wenn man ihnen liebreich aushilft; sie allein richtet der HERR denn auch auf. Die Gottlosen hingegen müssen herunter von ihrer Höhe eitlen Selbstruhms. Gott ist darin wohlgeübt, solche Leute zu stürzen; er ist es von alters her gewohnt. Keiner der Gottlosen wird am Ende diesem Schicksal entrinnen. In den Staub müssen sie, denn vom Staube sind sie gekommen und für den Staub der Erde haben sie gelebt. Es ist eine der Ehren Gottes, die seine Heiligen rühmen, dass er die Gewaltigen vom Stuhl stößt und die Niedrigen erhebt (Lk. 1,52). Die Gerechten dürfen, wenn sie an die Gerichte des HERRN denken, sich aus aller Niedergeschlagenheit aufrichten, während die Gottlosen allen Grund haben, bei dem Gedanken an die Zukunft ihr Haupt sinken zu lassen.
  In diesem Vers sehen wir die praktischen Folgen davon, dass in Jehovah Erhabenheit und Herablassung so wunderbar vereint sind, dass er die Sterne zählt und befehligt, als wären es Kleinigkeiten, und hingegen mit bekümmerten Menschenkindern so sorgsam umgeht, als wären sie für ihn unendlich kostbar. Er ist so erhaben, dass vor ihm nichts groß ist, und er ist so herablassend, dass ihm nichts gering ist; so führt seine unvergleichliche Majestät ganz natürlich dazu, dass er die Stolzen erniedrigt und die Demütigen erhöht.


7. Singet umeinander dem HERRN mit Dank
und lobet unseren Gott mit Harfen;
8. der den Himmel mit Wolken verdeckt
und gibt Regen auf Erden;
der Gras auf Bergen wachsen lässt;
9. der dem Vieh sein Futter gibt,
den jungen Raben, die ihn anrufen.
10. Er hat nicht Lust an der Stärke des Rosses,
noch Gefallen an eines Mannes Schenkeln.
11. Der HERR hat Gefallen an denen,
die ihn fürchten, die auf seine Gute hoffen.

In diesem Abschnitt wird der Gegensatz, der schon in den vorhergehenden Versen hervortrat, noch weiter ausgeführt von einem anderen Gesichtspunkt aus, nämlich wie er sich in der Natur und dem Walten der Vorsehung zu schauen gibt.

7. Singet umeinander dem HERRN mit Dank, im Wechselgesang miteinander wetteifernd in seinem Preise. (So Luther in Anlehnung an die LXX.) Andere übersetzen: Antwortet dem HERRN mit Dank. Er spricht zu uns in seinen Taten, lasst uns ihm antworten mit unserem Dank. Alles, was er tut, ist gnädig, jede Bewegung seiner Hand ist Güte; drum mögen unsre Herzen darauf erwidern mit Dankbarkeit, unsre Lippen mit Lobgesang. Unser Leben sollte ein Responsorium sein, ein Antwortgesang auf die göttliche Liebe. Der HERR ist unermüdlich im Geben, lasst uns auch nicht müde werden zu danken. - Die meisten Neueren übersetzen übrigens einfach1: Singet dem HERRN mit Dank, stimmt ihm zu Ehren ein Danklied an. Und lobet unseren Gott mit Harfen. Fügt zu dem Gesang die Musik. Es ist eine Entehrung dieser herrlichen Gottesgabe, dass sie so oft niedrigen Zwecken dienstbar gemacht wird; die schönsten Harmonien sollten dem Lobe Gottes geweiht sein. Er ist unser Gott, und diese Tatsache lässt uns so fröhlich singen und spielen. Wir haben ihn erwählt, weil er uns erwählt hat, und der traute Umgang mit ihm führt uns in tiefe Erkenntnis seines Wesens und zeigt uns an ihm Besonderheiten, die ihn vor allen den vorgeblichen Göttern auszeichnen, die wir rings um uns her angebetet sehen. Und er bleibt unser ewiges Gut, denn der Bund, durch den er sich uns zu Eigen gegeben, steht ewiglich fest; darum werde ihm Dank und Anbetung in jeder nur möglichen Weise.

8. Der den Himmel mit Wolken verdeckt. Er ist in allem wirksam, droben in der Höhe wie auch hienieden. Die Wolken entstehen nicht durch Zufall, sondern werden von Gott selber gebildet, und er lässt sie solche Dichtigkeit annehmen, dass dadurch das blaue Himmelsgewölbe ganz verdeckt wird. Eine Wolkenlandschaft mag ja ein rein zufälliges Zusammenströmen von Wasserdämpfen zu sein scheinen, ist es aber nicht; vielmehr ist es des einen großen Künstlers Hand, die solch wunderbare Gemälde auf die Leinwand des Himmels malt. Und gibt Regen auf Erden, wörtl.: bereitet Regen für die Erde. Der HERR schafft die Wolken zum Zwecke des Regnens und den Regen mit dem Blick auf die schmachtenden Fluren. Durch ein Zusammenwirken vieler Umstände wird alles bereitgemacht zur Hervorbringung des erquickenden Regenschauers; es ist in der Bildung einer Wolke und der Gestaltung eines Regentropfens viel mehr Kunst, als dem oberflächlichen Beobachter zum Bewusstsein kommt. Der Allmächtige ist wirksam in dem Wasserdunste und in den perlenartigen Tropfen, zu denen er sich gestaltet. Der Gras auf Bergen wachsen lässt. Durch die überall niedergehenden Regenschauer bringt der Gebieter der Welt auch da kräftigen Pflanzenwuchs hervor, wo keine Menschenhand das Land bearbeitet. Er sorgt nicht nur für Sarons fruchtbare Ebene, sondern auch für die steilen Abhänge des Karmel und des Libanon. Gott macht den Himmel zum Diener der Erde und befehligt die Wolken, dass sie bald diese, bald jene Fluren bewässern. Er vergisst auch die einsamsten Waldwiesen und Bergweiden nicht, sondern lässt sie zuerst an seiner erquickenden Heimsuchung teilhaben. Das ist so recht nach unseres Gottes Weise. Ja er verbindet nicht nur die Wolken des Himmels mit den Gräsern und Kräutern der Weiden durch den Liebesdienst, den sie diesen nach seiner Anordnung leisten, sondern gedenkt auch der Felsenriffe mit ihren winzigen Moosen und Blümlein. Was für ein Gott ist das, der sich so auch des Geringsten annimmt!

9. Der dem Vieh sein Futter gibt. Indem der HERR die Berge Gras sprossen lässt, reicht er den Herden ihre Nahrung dar. Gott sorgt für die unvernünftige Kreatur. Die Menschen treten das Gras unter ihre Füße, als ob es nichts wäre, Gott aber macht es wachsen; wie oft behandeln die Menschen ihr Vieh roh, der HERR aber nährt es mit eigner Hand. Der große Gott ist zu gut und in Wahrheit zu groß, als dass er irgendetwas, das gering oder verachtet ist, übersehen könnte. Sag’ nicht: "Sorgt Gott für die Ochsen?" (1. Kor. 9,9) Er tut es in der Tat, und er lässt es sich in unserem Psalmvers gefallen, so geschildert zu werden, als reiche er ihnen selber das Futter, wie es der Landmann zu tun pflegt. Den jungen Raben, die ihn anrufen. Diese frei lebenden Tiere scheinen für den Menschen keinen Nutzen zu haben; sind sie deshalb wertlos? Keineswegs; sie füllen ebenfalls ihre Stelle aus in dem Haushalt der Natur. Wenn sie noch nicht flügge geworden, sondern nur mit den Flügeln schlagen und nach Nahrung schreien können, lässt der HERR sie nicht verhungern, sondern versorgt sie mit allem, wessen sie bedürfen. Ist es nicht wunderbar, wie solche Mengen junger Vögel am Leben erhalten werden? Der Vogel im Käfig unter menschlicher Fürsorge ist mehr der Gefahr ausgesetzt, dass es ihm an Futter und Wasser mangle, als irgendeiner von den zehntausenden, die frei in der Luft umherfliegen und keinen andern Eigentümer haben als ihren Schöpfer, keinen andern Versorger als den HERRN. Erhabene Größe, die sich liebreich mit dem, was klein ist, abgibt, ist einer der hervorstechenden Züge des Bildes, das unser Psalm von Gott entwirft. Sollte es uns nicht mit besonderer Freude erfüllen, einen solchen Gott zu preisen, der sich so durch seine Fürsorge für die Bedürftigen und Verlassenen auszeichnet? Sollten wir nicht auch vertrauensvoll zu ihm rufen? Der die Kinder der Raben speist, wird sicherlich den Kindern Gottes das darreichen, was sie zum Leben brauchen! Hallelujah ihm, der sowohl die Raben nährt als auch die Sterne regiert! Was für ein Gott bist du, Jehovah!

10. Er hat nicht Lust an der Stärke des Rosses. Nicht auf große, starke Geschöpfe richtet der Schöpfer irgendwie besonders sein Augenmerk, sondern an den geringeren lebenden Wesen hat er ebenso seine Freude. Wenn der Mensch die Rolle des Schöpfers spielen könnte, so würde er mit Vorliebe noble Tiere der höheren Gattungen hervorbringen, wie die Pferde es sind, deren Kraft und Schnelligkeit auf den, der sie bildete, besondere Ehre zurückstrahlen lassen würden. Jehovah aber sind solche Gefühle fremd; ihm ist an dem hilflosen Vöglein im Nest ebenso viel gelegen wie an dem Kriegsross in seiner stolzen Kraft. Noch Gefallen an eines Mannes Schenkeln. Diese sind der Stolz des Athleten, aber Gott ergötzt sich an ihrem Anblick nicht. Nicht die ausgezeichneten Fähigkeiten eines Geschöpfes ziehen die Aufmerksamkeit unseres Gottes auf sich, sondern eher die Schwäche und besondere Bedürftigkeit eines solchen. Irdische Herrscher halten mit Lust Heerschau über ihre Kavallerie und Infanterie, auf die sie ihr Vertrauen setzen; der König aller Könige aber überschaut nicht mit Herrscherstolz die Heere seiner Geschöpfe, als ob diese ihm Macht verleihen könnten. Leibliche, überhaupt sinnliche Größe und Kraft gelten bei Jehovah nicht als von Bedeutung; er sieht auf andere, wertvollere Eigenschaften. Menschen, die sich ihrer Riesenkraft zum Kämpfen rühmen, werden nicht die Erfahrung machen, dass sie besondere Günstlinge Gottes sind; irdische Fürsten mögen ihre Augen an ihren Joab, Abner, Abisai und Asahel weiden, der HERR Zebaoth aber hat kein Gefallen an bloßer Knochen- und Muskelkraft. Solche Vorzüge gelten wie an Rossen so an Menschen wenig bei ihm, der Geist ist und sich an geistlichen Dingen vor allem erfreut. Wir dürfen die Psalmworte ihrem Sinne nach auf alle natürliche Kraft der Geschöpfe beziehen, auch auf die Kräfte des Verstandes und des natürlichen Willens. Gott findet an uns nicht Wohlgefallen wegen unserer Talente oder der uns innewohnenden Wirkenskräfte; er achtet mehr auf den Charakter als auf die Fähigkeiten an sich.

11. Der HERR hat Gefallen an denen, die ihn fürchten, die auf seine Güte (oder Gnade) hoffen. Während Leibeskraft Gott kein Ergötzen gewährt, sind geistliche Eigenschaften ihm wohlgefällig. Er hält am meisten von denjenigen Gemütsbewegungen, die die Richtung auf ihn haben: die Furcht, welche er gutheißt, ist die Furcht vor ihm, und die Hoffnung, welche er gelten lässt, ist die Hoffnung auf seine Gnade. Es ist ein wunderbarer Gedanke, dass Gott mit gewissen Arten von Menschen nicht nur nicht im Widerstreit ist, sondern sogar an ihnen Wohlgefallen hat, so dass also der Umgang mit ihnen ihm eine Erquickung und Freude ist. O welch unvergleichliche Herablassung ist es doch vom HERRN, dass seine Erhabenheit an den unbedeutenden Geschöpfen seiner Hand Gefallen findet! Wer sind diese Bevorzugten, die für Jehovah ein Gegenstand des Wohlgefallens sind? Etliche derselben gehören zu den Kleinsten in seiner Familie, die sich nie über Hoffen und Fürchten erheben. Andere von ihnen sind weiter vorgeschritten, aber auch bei ihnen findet sich die Mischung von Furcht und Hoffnung: sie fürchten Gott mit heiliger Scheu und kindlicher Ehrfurcht, und sie hoffen auch auf Vergebung und Segen um der göttlichen Güte willen. Wie ein Vater sich über seine Kinder freut, so erquickt sich der HERR an seinen Geliebten, an denen als Kennzeichen ihrer Neugeburt Furcht und Hoffnung sichtbar sind. Sie hegen Furcht, denn sie sind sich ihrer sündigen Natur bewusst; sie hoffen, weil Gott groß an Gnade ist. Sie fürchten den HERRN, denn er ist hoch erhaben; sie hoffen auf ihn, denn er ist gut. Die Furcht hält ihre Hoffnung in der rechten Nüchternheit, die Hoffnung nimmt ihrer Furcht das Düstere, und Gott hat Gefallen an ihnen, sowohl wenn sie innerlich in heiliger Scheu erzittern, als auch wenn sie in Hoffnung der Herrlichkeit frohlocken.
  Liegt nicht reicher Anlass zum Lob des HERRN in diesem besonderen Charakterzuge des göttlichen Wesens? Das ist doch eigentlich ein armseliges Wesen, das an roher Kraft seine Freude haben kann; gottähnlich ist es, wenn wir an der heiligen Gesinnung und Handlungsweise unserer Mitmenschen Wohlgefallen haben. Wie man die Menschen an dem erkennen kann, was ihnen Freude macht, so gibt sich auch Gottes Wesen an der Tatsache zu erkennen, dass er an den Gerechten Wohlgefallen hat, selbst wenn ihre Heiligkeit sich noch auf der Anfangsstufe befindet.


12. Preise, Jerusalem, den HERRN;
lobe, Zion, deinen Gott!
13. Denn er macht fest die Riegel deiner Tore
und segnet deine Kinder drinnen.
14. Er schafft deinen Grenzen Frieden
und sättigt dich mit dem besten Weizen.
15. Er sendet seine Rede auf Erden;
sein Wort läuft schnell.
16. Er gibt Schnee wie Wolle;
er streut Reif wie Asche.
17. Er wirft seine Hagelkörner wie Bissen;
wer kann bleiben vor seinem Frost?
18. Er spricht, so verschmilzt es;
er lässt seinen Wind wehen, so taut es auf.
19. Er zeigt Jakob sein Wort,
Israel seine Sitten und Rechte.
20. So tut er keinen Heiden,
noch lässt er sie wissen seine Rechte.
Hallelujah!


12. Preise, Jerusalem, den HERRN; lobe, Zion, deinen Gott. Wie dringt der Dichter unseres Psalms doch immer von neuem darauf, dass man den HERRN lobe, als sei das die wichtigste Pflicht von allen. Das auserwählte Volk soll auch auserlesenen Lobpreis darbringen. Jerusalem, die "Stadt des Friedens", soll auch eine Stadt des Lobes sein, und der Tempel des Gottes, der sich Israel zu Eigen gegeben, soll von dem Ruhme dieses Gottes widerhallen. Wenn nirgendwo anders, dann sollte doch in Zion Zions Gott mit Frohlocken angebetet werden. Beachten wir, dass wir den HERRN ebenso sehr in unseren Häusern, in Jerusalem, wie in seinem Hause, auf Zion, zu loben aufgefordert werden. Die heilige Stadt umgibt den heiligen Berg, beide sind Gott geweiht, aus beiden mögen darum auch die Lobgesänge erklingen.

13. Denn er macht fest die Riegel deiner Tore. Die Befestigung Jerusalems war vollendet, selbst die Querhölzer an den Toren fehlten nicht, und Gott hatte alles gediegen und stark gemacht, selbst bis auf die Riegel und Schlösser; so war die Sicherheit Jerusalems gegen das Eindringen von Feinden gewährleistet. Das ist keine geringe Wohltat. Ach, dass unsere Gemeinden so vor allem Eindringen falscher Lehre oder der Verweltlichung bewahrt würden! Das kann der HERR allein tun, und wo wir seine schützende und festigende Hand erfahren haben, da ist sein Name hoch zu preisen. Apostel der Toleranz, die die Zuchtlosigkeit für Freiheit ansehen, möchten in unseren Tagen alle Tore der Gottesstadt niederreißen und alle Riegel abschaffen; aber das ist unsere Weise nicht, denn wir fürchten den HERRN. Und segnet deine Kinder drinnen. Inneres Glück ist ebenso sehr eine Gabe des HERRN wie Sicherheit nach außen. Wenn der HERR deine Kinder in deiner Mitte segnet, dann bist du, Zion, wohlbewohnt von einem glücklichen, einigen, eifrigen, wohlgedeihenden und heiligen Volke, das mit seinem Gott in Gemeinschaft lebt und Frieden und Freude im HERRN genießt. Es würde wenig nützen, eine elende, vor dem Hungertod stehende Stadt zu befestigen; aber wenn die Mauern in wohlgebautem, starkem Zustande sind, ist es eine umso größere Freude, wahrzunehmen, dass die Einwohner mit allerlei Gutem reich gesegnet sind. Wie sehr bedürfen unsere Gemeinden es, dass der HERR ihnen jetzt und bleibend eine Segnung zuteil werden lasse!

14. Er schafft deinen Grenzen Frieden. Selbst bis auf die äußersten Enden des Landes erstreckt sich die Ruhe; keine Feinde belästigen die Grenzbewohner. Ist dort Friede, dann dürfen wir gewiss sein, dass überall im Lande Friede herrscht. Wenn jemandes Wege dem HERRN wohlgefallen, so macht er auch seine Feinde mit ihm zufrieden (Spr. 16,7) Der Friede kommt von dem Gott des Friedens. In Anbetracht all der Verschiedenheiten in der Veranlagung, den Lebensverhältnissen, dem Geschmack und den Ansichten der Menschen ist es offenbar ein Werk Gottes, wenn in einer großen Christengemeine Jahr um Jahr ungestörter Friede herrscht; und ein gleiches Wunder ist es, wenn Weltleute die Gottseligen, statt sie zu verfolgen, mit unverkennbarer Hochachtung behandeln. Derselbe, der Zion baut, ist es auch, der ihr Frieden verschafft als der Herr und König des Friedens. Und sättigt dich mit dem besten (vom) Weizen. Der Friede ist begleitet von Fülle - und zwar einer Fülle des besten Nahrungsmittels, des Weizens, und des Besten vom Weizen (Grundtext). Es ist kein kleiner Anlass zum Danken, wenn für die Bedürfnisse der Menschen so gesorgt wird, dass sie völlig gesättigt werden. Bei manchen Menschen braucht es viel, um sie zu befriedigen; vielleicht gibt es überhaupt auf Erden keine Leute, die jemals zufriedenzustellen sind, außer den Einwohnern von Zion; und auch sie können nur durch den HERRN selber zur vollen Genüge kommen. Die Wahrheit des Evangeliums ist wahrlich das Beste vom Weizen, und wohl denen, deren Geschmack so geläutert ist, dass sie sich gerne mit dieser Speise sättigen lassen und nicht nach den Träbern dieser Welt begehren. Mögen sie, deren Hunger durch solches Himmelsmanna gestillt ist, auch ihren Mund mit himmlischem Lobpreis füllen.

15. Er sendet seine Rede auf Erden. Sein Machtgeheiß ergeht noch immer wie einst in den Schöpfungstagen über die Erde. Seine Botschaften fliegen durch alle Gebiete seiner Herrschaft; auf Erden werden seine Befehle vollstreckt wie im Himmel Von seiner Gemeinde geht sein Wort weithin in alle Lande; von Zion aus werden die Völker mit dem Wort des Lebens durchwirkt. Sein Wort läuft schnell, mit höchster Eile. Ohne Verzug richtet es aus, wozu es gesandt ist; des HERRN Befehle wie auch seine Ratschlüsse des Heils werden eilends ausgeführt. Die Herrscher der weiten morgenländischen Reiche setzten viel daran, einen schnellen Verkehr der Staatspost zu bewerkstelligen; der Wunsch, Wille und Befehl des Herrn aller Welt aber läuft mit Blitzesschnelle von einem Pol zum andern, ja vom Himmel zur Erde. Wir, die wir in dem Mittelpunkt des Reiches des HERRN auf Erden, in seiner Gemeine, wohnen, dürfen es mit höchster Freude gewahren, dass Gottes Gebot mit sicherem Erfolg bis zu den äußersten Grenzen des weiten Herrschaftsgebietes eilt und durch keine Schranken des Raumes und der Zeit gehindert wird. Der HERR vermag seinem Volke eilends Rettung zu senden, und er kann den Seinen, wenn sie Mangel haben an irgendeinem Gut, gar schnell aus seinen königlichen Vorratskammern droben das schicken, was sie brauchen. Gottes Befehle in der Natur wie im Reich der Vorsehung sind Befehle eines Alleinherrschers, gegen die es keinen Widerspruch gibt, ja die auszuführen vielmehr alles in der ganzen Weltgeschichte mit rastloser Behendigkeit vorwärts eilt. Die Ausdrücke dieses Psalmverses haben so bestimmt die Form der Gegenwart, dass sie uns ganz von selbst daran erinnern, mit welcher Kraft der HERR in unseren Tagen sein Wort aussendet und wie schnell das Evangelium bis an die Enden der Erde läuft. Dadurch werden wir aufs Neue dazu geführt, den HERRN zu preisen.

16. Nun folgen Beispiele von der Macht, die Gott über die Elemente der Natur ausübt. Er gibt Schnee wie Wolle. Als Gabe streut er den Schnee aus, der in Flocken wie Wolle herabkommt. Der Schnee fällt sanft hernieder, bedeckt alles und bekleidet die Gefilde mit einem warmen Pelz wie die Wolle die Schafe. Die auffallendste Ähnlichkeit aber liegt in der weißen Farbe beider (vergl. Jes. 1,18), wiewohl das beobachtende Auge noch manche andere Vergleichspunkte herausfindet. Wir tun wohl daran, wenn wir Gottes Walten auch im Winter und im Leiden sehen, nicht nur im Sommer und im Glücke. Derselbe, der uns zu einer Zeit mit dem besten Weizen sättigt, kleidet uns zu einer andern Zeit in Schnee; er ist der gleiche Gott in beiden Fällen, und jede Form seines Wirkens und Waltens reicht den Menschen eine Gabe dar. Er streut Reif wie Asche. Auch hier schaut der Psalmist Gott unmittelbar und persönlich am Werk. Wie die Asche vom Winde umhergeweht wird und das Feld gleichsam bepudert, wenn der Landmann das üppig emporgeschossene Unkraut verbrennt, oder wie die Asche, wenn man sie in die Luft wirft, wie es im Morgenland bei gewissen Anlässen üblich war, überall da, wo sie niederfällt, alles in eine eigentümliche weißliche Farbe hüllt, so macht es auch der Frost. Die Landleute reden in manchen Gegenden wohl von einem schwarzen und einem weißen Frost, und auch die Asche ist beides, sowohl schwarz als weiß. Auch versengt übermäßige Kälte ebenso wie große Hitze, demnach ist zwischen der Asche und dem Frost eine innere wie eine äußere Ähnlichkeit. Lasst uns den HERRN preisen, der sich herablässt, jede einzelne Schneeflocke zu bilden und jedes Körnlein Reis einzeln auszustreuen. Unser Gott ist nicht eine ferne, abwesende und untätige Gottheit; er wirkt alles und ist überall zu treffen.

17. Er wirft seine Hagelkörner (wörtl.: sein Eis) wie Bissen. Solcher Art sind die Hagelkörner, die er vom Himmel herabwirft. Man könnte auch an die Eiskrusten denken, die sich auf dem Wasser bilden. Diese Bissen sind sein Eis, und er wirft sie hernieder. Beide Ausdrücke zeigen eine sehr reale Gegenwart Gottes in den Naturerscheinungen an. Wer kann bleiben (oder: bestehen) vor seinem Frost? Äußerst strenger Kälte kann man so wenig standhalten wie der Gluthitze. Wenn Gott den Menschen das Licht entzieht, so gibt es eine Finsternis, die man greifen kann (2. Mose 10,21), und wenn er die Wärme entzieht, so gibt es eine Kälte, die schlechterdings alles bezwingt. Wenn der HERR, statt sich als Feuer zu offenbaren, die entgegengesetzte Offenbarungsweise der Kälte annähme, so würde er uns in diesem Falle wie in jenem verzehren, wenn er seine ganze Macht sich entfalten ließe. Es geziemt uns, uns in Entbehrungen mit Geduld zu fügen, denn auch die Kalte ist ssein.Was Gott schickt, sei es nun Hitze oder Kälte, dem kann kein Mensch ungestraft Trotz bieten; glücklich aber ist, wer sich mit kindlicher Unterwerfung unter Gottes Walten beugt. Können wir vor Gott nicht stehen, so wollen wir gerne zu seinen Füßen liegen oder uns unter seinen Flügeln bergen.

18. Er spricht, so zerschmilzt es, Grundt: Er entsendet sein Wort und macht sie (nämlich Schnee, Reif und Eis) schmelzen. Wenn der Frost am schärfsten, das Eis am härtesten ist, greift der HERR ein; und wiewohl er zu dem Zwecke nur einfach sein Wort entsendet, werden die felsenharten Eismassen doch alsbald aufgelöst und beginnen in gewaltigen Eisbergen nach den südlichen Meeren zu schwimmen. Die Naturerscheinungen des Winters sind in Palästina nicht so häufig und nicht so gewaltig wie bei uns; doch geben sie sich je und dann genugsam zu erfahren, dass fromme Gemüter dadurch veranlasst wurden, Gott für die Rückkehr des Frühlings frohen Herzens zu loben. Wenn Gott es will und befiehlt, verschwinden Schnee und Reif und Eis und kommt die frohe Lenzeszeit, wo die Knospen sich öffnen und die Vögel ihren Gesang ertönen lassen. Lasst uns den HERRN dafür preisen, wenn wir uns unter Frühlingsblumen sonnen Er lässt seinen Wind wehen, so taut es auf, Grundtext: so rieseln die Wasser. Der HERR ist die erhabene erste Ursache von allem; sogar die ewig wandernden und wechselnden Winde sind ein Ausfluss seiner Macht und gehorchen seinem Willen. Die Naturgesetze sind an sich tote Regeln, ihre Kraft strömt unmittelbar von dem stets Allgegenwärtigen und Allmächtigen aus. Die lauen Lüfte aus dem Süden, die alsbald alles zum Auftauen bringen, sind genauso von dem HERRN wie die bissig kalten Winterwinde, die die Flüsse und Ströme in eisige Fesseln schlagen. Äußerst einfach, aber wirksam sind die Mittel und Methoden, die der Ewige in der Natur anwendet. Von gleicher Beschaffenheit sind diejenigen, die er in dem geistlichen Reich gebraucht; denn, wenn der Odem des Heiligen Geistes erfrorene Herzen anweht, so rinnen bald Ströme der Reue und Liebe hervor.
  Beachten wir, wie nach diesen beiden Sätzen das Wort und der Wind in der Natur zusammenwirken. Ebenso sind sie beieinander, wo die Gnade tätig ist; das Evangelium und der Heilige Geist wirken in der Ausbreitung und Zueignung des Heils zusammen. Die Wahrheit, welche der Geist des HERRN den Propheten und Aposteln einhauchte, haucht derselbe Geist in tote Herzen ein, und dadurch entsteht das geistliche Leben.

19. Er zeigt (tut kund) Jakob sein Wort, Israel seine Sitten und Rechte. Der Gott der Natur ist auch der Gott des Heils, der Schöpfer auch der Offenbarer. Mehr denn für alles andere sollen wir den HERRN dafür preisen, dass er sich uns offenbart, wie er es nicht der Welt tut (Joh. 14,22). Was immer er uns von seinem Sinn erschließt, ob es nun ein Wort der Unterweisung, eine Satzung, die uns zur Richtschnur dient, oder eine Rechtsordnung seiner Regierung ist, wir sind verpflichtet, den HERRN dafür von Herzen zu loben. Er, der den Sommer an die Stelle des Winters treten lässt, hat auch durch die Macht seines Wortes Kälte und Tod von unseren Herzen genommen, und darin haben wir überreichen Grund, seinem Namen zu lobsingen. Wie der Same Jakobs vor alters zur Erkenntnis des HERRN geführt wurde, so ist auch uns dies Vorrecht zuteil geworden; darum werde sein heiliger Name unter uns hoch erhoben. Durch diese Erkenntnis des Heiligen wurde Jakob zu Israel geadelt; so möge denn, wer zu einem Gott mit Flehen überwindenden Glaubensfürsten geworden ist, auch im Lobpreisen einen hohen Rang einnehmen. Es ziemte dem auserwählten Volke, seinem Gott ein Hallelujah ums andere zu singen. Wozu waren sie so hoch bevorzugt gewesen, wenn sie nicht vor allen andern den Ruhm ihres Gottes verkündigt hätten?

20. So tut er keinen Heiden, oder (Grundtext): So hat er keinem Volke getan. Ausschließlich Israel hatte eine klare Erkenntnis Gottes; die andern waren eine Weile der Unwissenheit überlassen. Die Erwählung ruft laut nach dankbarer Anbetung. Noch lässt er sie wissen seine Rechte, Grundtext: Und Rechte, die wissen sie nicht - als wären die, die die Rechte Gottes nicht kennen, als solche anzusehen, die überhaupt keine des Erwähnens werte Rechtsordnungen hätten. Finsternis bedeckte das Erdreich und Dunkel die Völker, nur Israel wohnte im Licht. Das war die freie Gnade in ihrem vollen Mittagsglanz der Macht.
  Hallelujah. Wenn wir die erwählende, aussondernde Liebe erwähnt haben, dann kann unser Lobpreis nicht noch höher steigen, und so schließen wir denn, indem wir zu guter Letzt abermals ein Hallelujah anstimmen.


Erläuterungen und Kernworte

Zu Psalm 147 mit Ps. 148; 149. Es ist die Stimmung der esra-nehemianischen Wiederherstellungszeit, die uns aus diesem und den zwei folgenden Psalmen noch kenntlicher als aus dem nahe verwandten vorigen entgegentönt. In Ps. 147 wird Gott gedankt für die Wiederherstellung Jerusalems, welches nun wieder eine Stadt mit Mauern und Toren ist, in Ps. 148 für die Wiederherstellung der nationalen Selbständigkeit, in Ps. 149 für die Wiederherstellung der siegesfreudigen Wehrhaftigkeit des lange wehrlos gemachten und schimpflich geknechteten Volkes. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Zu Psalm 147 mit Ps. 33. H. Keßler weist in seinem Kommentar (1899) darauf hin, dass dieser Psalm ein nachexilisches Seitenstück zu Ps. 33 ist. Dort wie hier werde der Herr der Natur als der Gott der Heilsgeschichte gepriesen; hier wie dort werde Gottesfurcht und demütiges Harren als die Gott wohlgefällige Gesinnung bezeichnet, auf natürlicher Kraft beruhendes Selbstbewusstsein aber abgewiesen; hier wie dort (33,12) komme das Bewusstsein Israels zum Ausdruck, vor allen Heidenvölkern bevorzugt zu sein. Die Ähnlichkeit sei so groß, dass man wohl auf direkte Benutzung des Ps. 33. schließen könne. Man vergl. V. 1 mit 33,1; V. 10 f. mit 33,16 ff.; V. 15 mit 33,9. Neben dieser Ähnlichkeit sei aber auch manche Verschiedenheit bemerkbar, welche durch den Unterschied der Entstehungszeit beider Psalmen bedingt sei. Dem vorexilischen Dichter liege als Beispiel zur Beleuchtung der göttlichen Allmacht und Größe das Meer am nächsten (33,7), während der nachexilische Dichter zu demselben Zweck auf die Sternenwelt hinweise, deren geheimnisvolle Herrlichkeit Israel in Babel, der uralten Heimat der Sternkunde nebst Sterndeutung und Gestirnanbetung, näher kennen gelernt haben möge (V. 4). Der vorexilische Dichter lebe und webe in dem weiten religiösen Gesichtskreise eines Jesaja; er sehe in den Erschütterungen der Völkerwelt den Ratschluss Jahves Israel zugute sich vollziehen; der nachexilische Dichter sei zufrieden, dass Jerusalem wohl umwallt sei und seine Bewohner in behaglichem Wohlstande leben. Dem vorexilischen Dichter sei das Wort Gottes der Ausfluss und Träger der göttlichen Kraft, ja des Lebens selber (33,6); dem nachexilischen gipfele dasselbe Wort in den "Satzungen und Rechten", die Israel vor den Heiden voraus habe. - James Millard
  Der ganze Psalm ist eine Aufforderung zum Lobe Gottes. Die Gründe dazu werden hergenommen erstens aus der allgemeinen Güte Gottes gegen die Kreatur (V. 4.8.9.16-18), zweitens aus seiner Gnade gegen das auserwählte Volk, die sich erweist, erstens in der Wiederherstellung desselben aus trauriger, zerrissener Verfassung (V. 2 f.), sodann durch Befestigen desselben in einem glücklichen Zustand des Gedeihens, sowohl im Zeitlichen, durch Gewährung von Sicherheit, Frieden und Sättigung mit köstlicher Speise (V. 12-14), als auch im Geistlichen, durch Beschenkung mit seiner Offenbarung (V. 19.20). Und rühmenswert ist endlich noch die Art und Weise, wie der HERR diese Wohltaten darreicht: machtvoll und schnell, durch ein Wort des Befehls, das sich aufs eiligste durchsetzt (V. 15). - Was kann einem Volke noch mangeln, dessen Wälle gebaut, dessen Kinder gesegnet sind, dessen Grenzen im Frieden bleiben, dessen Felder Überfluss darreichen, und das vor allem Gott selber hat, Gott selber als den Befestiger der Riegel am Tor, den Segner der Kinder, den Erhalter des Friedens, den Darreicher des Wohlstandes, den Geber der trefflichen Gesetze und der Offenbarung des Heils? Was braucht ein solches Volk noch, als dass sein Mund nun auch voll Lobes werde, sein Herz sich weite, sein Gemüt sich erhebe, den HERRN zu preisen? Bischof Edw. Reynolds 1657.


V. 1. Es gibt keinen Himmel, weder in dieser Welt noch in der zukünftigen, für Leute, die Gott nicht loben. Wenn du nicht in die Gesinnung und die Freude des Himmels eingehst, wie soll der Himmel in dich eingehen oder einst seine Pforten dir öffnen? Die Selbstsucht macht lange Gebete; die Liebe macht die Bitten kurz, um desto länger beim Lobpreisen verweilen zu können. John Pulsford 1857.
  Wir lassen es noch viel zu sehr am Lobe Gottes fehlen, und der Gründe sind mancherlei. Ein Umstand, der ein sehr ernstliches Hindernis ist, Gott in der Gemeinde zu preisen, ist der, dass wir überhaupt so wenige richtige Loblieder haben. Es überrascht euch vielleicht, dass ich das sage; aber ihr werdet noch mehr erstaunt sein, wenn ihr ein Muster eines Lobliedes, das wirklich als ein solches gelten kann, vor euch nehmt und dann nach Liedern sucht, die diesem Vorbild entsprechen. Ihr werdet in beliebiger Zahl Lieder finden, die über das Loben reden und dazu ermahnen. Es ist in der Tat kein Mangel an Liedern, die sagen, dass man Gott preisen solle. Aber an Liedern, die nicht allerlei über das Loben sagen, sondern wirklich selber Gott loben, haben wir nur äußerst wenige. Und was davon vorhanden ist, das verdanken wir fast ausschließlich den alten Kirchen; die meisten sind von den lateinischen und griechischen Kirchen auf uns gekommen. In dem ganzen Gebiet der Literatur aber gibt es keine Stelle, wo man so viel echtes Lob Gottes findet, wie in den Psalmen. Henry Ward Beecher † 1887.
  Die etwas auffällige feminine Infinitivform hrfmI:za, die jedoch durch 3. Mose 26,18 belegbar ist, wollen Venema, Hupf., Kautzsch in WrmI:za umändern. Dann lautet der Vers: Lobet den HERRN, weil er gut, spielet (oder lobsinget mit Saitenspiel) unserm Gott, weil er lieblich ist. So glatt der Vers dann sprachlich wäre, muss diese Umänderung doch entschieden verworfen werden, weil es, wie Delitzsch zu unserer Stelle und zu Ps. 135,3 bemerkt, wider Sitte und Geist des Alten Testaments ist, von Gott unmittelbar zu sagen, er sei lieblich. - J. M.


V. 2. Die Wiederherstellung Jerusalems und die Sammlung der Versprengten Israels in jener Zeit ist zugleich eine Weissagung. Bischof G. Horne † 1792.


V. 3. Er heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Schmerzen. Unser Text redet von zweierlei, von den Kranken und von dem Arzte, der sie heilt.
  Die Kranken. Zerbrochensein des Herzens setzt einen früheren Zustand der Ganzheit voraus. Dieser kann von zweierlei Art sein. Das Herz kann ganz sein, indem es ohne Sünde ist; so ist es bei den seligen Engeln, so war es bei Adam und Eva vor dem Fall. Aber es gibt auch einen Zustand, da das Herz ungebrochen ist, indem es ganz in Sünden ist; so ist es bei dem Teufel, aber auch bei allen Menschen von der Geburt bis zu ihrer Bekehrung. Dies ist eine Krankheit, die zum Tode führt, wenn nicht rechtzeitig Hilfe gesucht wird.
  Die Zerbrochenheit kann dementsprechend auch von zweierlei Standpunkt aus betrachtet werden. In Beziehung auf die Ungebrochenheit des Herzens in der Sünde ist das Zerbrochensein eigentlich keine Krankheit, sondern der Anfang der Kur von jener verzweifelt bösen Krankheit. In Beziehung auf die Unverletztheit des Herzens von der Sünde aber ist sie allerdings ein Zustand der Krankheit, aber einer Krankheit, die sich nur bei einer gewissen Art von Leuten findet, nämlich bei den Auserwählten Gottes; denn wiewohl ihr Herz durch die Gnade ganz gemacht ist, was das Verlangen nach Gott betrifft, so ist ihr Herz doch zerbrochen von Reue über ihre Sünden. Der Pfeil der Sünde ist zwar aus ihrem Herzen gerissen, aber die schmerzende Wunde, die bei dem Herausnehmen des mit Widerhaken behafteten Pfeiles noch vergrößert worden ist, ist nicht alsbald heil. Die Wunden, die der Arzt verbindet und heilt, sind die Qualen des Gewissens, die Seufzer der nach Gnade hungernden Seele, und das brennende Gift, das der Biss der Schlange zurückgelassen hat.
  Zerbrochen wird das Herz auf dreierlei Weise. Erstens durch das Gesetz, das auch felsenharte Herzen zerbricht durch sein Todesurteil. Zweitens durch das Evangelium; denn wenn das Herz die Liebe Gottes in Christo erfährt, dann wird es ganz zu Scherben zerbrochen. Wenn irgendetwas dein Herz zerbrechen kann, dann ist es das Evangelium. Drittens dient zum Zerbrechen des Herzens das Geschick des Verkündigers der göttlichen Wahrheit, der beide, Gesetz und Evangelium, in der rechten Weise auf die Herzen wirken lässt.
  Nun der Arzt. Christus ist dieser Arzt. Ihn hat Gott dazu gesalbt und gesandt (Lk. 4,18). Und Christus hat das Amt übernommen und führt es aus, er sucht die Kranken auf, und ihm ist noch kein Fall misslungen. Er tut es ohne Geld und umsonst, er tut es auch an denen, die Feinde Gottes waren. Aber nur die, welche ihre Krankheit erkennen, lassen sich heilen. W. Fenner † 1640.


V. 4. Er zählt die Sterne usw. Mit diesem vergleichenden Hinweise deutet der Psalmist an: Ob auch Abraham die Menge seiner Kinder, sowohl derer, die seines Glaubens sind, als auch derer nach dem Fleisch, nicht zu erfassen vermochte, so wenig er die Sterne zählen konnte (1. Mose 15,5), so kennt der HERR doch jeden Gläubigen mit Namen, wie er jeden Stern kennt und bei seinem Namen rufen kann. David Dickson † 1662.
  Bei den Heiden stellte jedes Sternbild einen Gott dar; die Schrift hingegen offenbart Jehovah nicht als einen von vielen Sternengöttern, sondern als den einen Gott und Herrn aller Sternenwelten. Auch ist er der Gott eines Firmamentes von edleren Sternen als diese. Sein Volk ist zerstreut und wird mit Füßen getreten wie der Sand am Meeresufer; aber er verwandelt Sand und Staub in herrlich blinkende Sterne. Prof. Herm. Venema † 1787.
  Wir können mit bloßem Auge auch bei klarster Luft und günstigstem Standort ja nur eine verschwindend kleine Zahl der Sterne sehen. Durch die optischen Hilfsmittel der Neuzeit ist die Zahl der von uns beobachteten Sterne erheblich gewachsen, so dass der jetzt im Entstehen begriffene Katalog etwa vier Millionen Sterne umfassen wird. Aber auch das ist ohne Zweifel nur ein verschwindend kleiner Bruchteil der wirklich vorhandenen Weltkörper. Man hat die Zahl der Sterne von der ersten bis zur zwanzigsten Größe nach der Zählung der Lichtfunken, die auf einem Stückchen des Gesichtsfeldes der stärksten Fernrohre erscheinen, auf 500.000 Millionen geschätzt. Aber diese Schätzung hat kaum mehr als dichterischen Wert. Etwas besser fahren wir vielleicht, wenn wir uns die Ausdehnung des uns nächsten Fixsternsystems vorzuführen suchen, nämlich des Sternhaufens, den wir unter dem Namen der Milchstraße zusammenzufassen gewohnt sind und von dem das Sonnensystem, zu welchem unsere Erde gehört, also unsere Sonne mit den von ihr abhängigen Planeten, einen winzigen Teil bildet. Was nun die Ausdehnung dieses uns nächsten großen Sternhaufens der Milchstraße betrifft, so kann man (nach E. Hoppe, Unser Wissen vom Werden der Welt, 1908) nach den gegenwärtig in Geltung stehenden Berechnungen annehmen, dass dieses Fixsternsystem sich auf eine Art Scheibe verteilt, deren Durchmesser 8800 Lichtjahre beträgt und deren Dicke sich auf etwa 4000 Lichtjahre schätzen lässt. (Mit Entfernungen nach Lichtjahren rechnet man bekanntlich in der Astronomie, weil alle andern Maße versagen. Ein Lichtjahr ist die Entfernung, welche der Lichtstrahl in einem Jahre durchläuft. Das Licht aber legt rund 300.000 km in der Sekunde zurück oder braucht zu einer Reise um die ganze Erde noch nicht eine Viertelsekunde, zu der 148½ Millionen km weiten Reise von der Sonne zur Erde 8¼ Minuten. In Kilometern ausgedrückt ist also ein Lichtjahr beinahe zehn Billionen = Millionen Millionen km - eine für uns ganz unfassbare Weite. Schon die unserem Sonnensystem am nächsten stehenden Fixsterne sind von uns acht und mehr Lichtjahre entfernt, während das Licht anderer Sterne der Milchstraße erst nach vielen tausend Jahren zu uns gelangt.) In diesem ungeheuren Raume sind die Sterne des Milchstraßensystems ungleichmäßig dicht in sozusagen spiralartigen Haufen verteilt. Dieses Fixsternsystem der Milchstraße ist jedoch wie gesagt nur ein Sternhaufe. Außerhalb dieses großen Gebildes gibt es dann in mehr oder weniger weiter Entfernung wieder andere Sternhaufen, die je für sich ein System bilden in mannigfachster Anordnung. Solche Systeme sind das System des Andromedanebels, des Spiralnebels in dem Jagdhunde und andere ganz unvorstellbar weite Sternsysteme des für uns unermesslichen Weltenraumes. - James Millard
  Der Ausdruck "und nennt sie alle mit Namen", wörtlich: "und ruft ihnen allen Namen zu", bezeichnet nicht nur Gottes Macht, mit der er sie alle wie ein Heer von Truppen befehligt (Jes. 40,26), sondern auch die vertrauteste Bekanntschaft und wachsame Fürsorge, wie beim Hirten seiner Herde gegenüber (Joh. 10,3). J. J. St. Perowne 1868.
  Die Namengebung ist ein Zeichen der Herrschaft, wie dies denn auch die erste Betätigung der Herrschaft Adams über die Tierwelt war (1. Mose 2,19). - Die Sterne in ihren Läuften stritten wider Sisera (Richter 5,20), und die Sonne steht stille, um Josua zur Vollendung seines Sieges zu leuchten (Jos. 10,12). Stephen Charnock † 1680.


V. 6. Der HERR richtet auf die Elenden oder die sanftmütigen, demütigen Dulder. Diese brauchen die Stolzen, die mit ihren geputzten Kleidern die Erde fegen, nicht zu beneiden, so wenig die wahre Königshoheit auf den Schauspieler eifersüchtig ist, der in seiner Rolle als König einige Akte hindurch auf der Bühne umherstolziert. Die Sanftmütigen werden Könige sein und herrschen, noch lange nachdem jene, die jetzt auf der Bühne der Welt eine große Rolle spielen, ihre Flitterkronen abgelegt haben werden. Wie wunderbar wird die Umwandlung sein, wenn Gott die Ersten zu Letzten und die Letzten zu Ersten macht. Dass der Beherrscher eines weiten Reiches schließlich in einem sechs Fuß langen Gefängnis von Lehm wohnen muss, darauf ist schon oft hingewiesen worden; aber noch wunderbarer ist, dass Gott den Bewohner jener ärmlichen Hütte dort uns als zum Miterben des Weltalls erhoben vor Augen führen wird. Evangelical Magazine.


V. 8. Wolken, Regen, Gras usw. Es besteht eine gegenseitige Abhängigkeit und Unterordnung zwischen allen Mittelursachen der Weltregierung. Die Kreaturen dienen einander durch mancherlei Handreichung und unbewusste Fürsorge. Der Himmel wirkt auf die Elemente, die Elemente auf die Erde, die Erde wiederum reicht Gewächse dar für Tiere und Menschen usw. Vergl. Hos. 2,23 f. Die Felder können nichts hervorbringen ohne den Regen, der aus den Wolken strömt, und die Wolken vermögen nichts ohne Gott. In tausenderlei Weise sind die Kreaturen einander zu Dank verbunden, alle aber Gott. Es ist in der Ordnung der Welt eine wunderbare Kette von Ursachen, wodurch alles aneinanderhängt, damit alles miteinander die Seele zum HERRN emporleite. Thomas Manton † 1677.
  Der Gras auf Bergen wachsen lässt. Die wild wachsenden Gräser werden sozusagen von Gott unter seine besondere Fürsorge genommen. Nirgendwo ist das Gras so frisch grün und so würzig wie auf den Weiden hoch oben in den Alpen, die so wunderbar geschmückt sind mit den herrlichen Alpenblumen, und wo im klaren Sonnenschein die Heupferdchen unablässig musizieren bei dem Geläute der Herdenglocken. Seit ungezählten Jahrhunderten führen die Sennen ihre Herden hinauf; niemand denkt daran, die Alpenweiden zu bearbeiten und zu pflegen, und doch gibt sich keine Abnahme in ihrer Fruchtbarkeit kund, wiewohl der Mutterboden sich oft nur als dünne Decke über den Felsen breitet. Bemerkenswert ist auch, dass auf den Kuh- und Ziegenweiden die Menge der fleischfressenden Insekten bedeutend größer ist als sonst, so dass die pflanzenfressenden Insekten, die sonst die Weiden zerstören würden, durch sie im Schach gehalten werden. Auch vermehren sich viele der Gräser vorzüglich nicht durch Samen, sondern durch Bestockung. Je mehr wir über die Sache nachdenken, desto wunderbarer wird uns die Fürsorge Gottes für die Gräser, die ja den weitaus größten und nützlichsten Teil der ganzen Pflanzenwelt ausmachen. Hugh Macmillan 1868.


V. 9. Den jungen Raben, die ihn anrufen. Die wunderlichen Geschichten, welche jüdische und arabische Schriftsteller von der Grausamkeit der Raben gegen ihre Jungen erzählen, dass die Alten die Jungen aus dem Nest stoßen sollen, ehe diese noch eigentlich imstande sind, für sich selber zu sorgen, entbehren völlig der Grundlage. Auch wir sprechen ja von herzlosen Eltern als von einem Rabenvater, einer Rabenmutter; aber die Raben versorgen ihre Jungen ganz ebenso zärtlich wie andere Vögel. In der Bibel finden wir auch keinen Hinweis auf jene irrige Meinung. Bekanntlich machen die Raben viel Lärm und fliegen rastlos umher, um Speise zu suchen. Der Trieb nach Nahrung ist bei ihnen besonders stark entwickelt; das ist vielleicht der Grund, warum sie in der Schrift als besonderes Beispiel der göttlichen Fürsorge erwähnt werden, Hiob 38,41 und hier. W. Honghton 1875.
  Die jungen Raben haben, wenn sie noch nicht flügge sind, eine eigentümliche Neigung, aus dem Nest zu fallen, und dann schlagen sie mit den Flügeln auf den Boden. Am Morgen finden die Hirten sie dann laut krächzend auf der Erde unter dem Nest und fangen sie leicht ein. J. G. Wood 1869.
  Die ihn anrufen, wörtl. welche rufen. Das Verb )rq kara, cra/zein (vergl. crw/zein), vergl. unser krächzen, Krähe, ist für den Ruf des Raben ko/rax, sanskrit. kârava sehr bezeichnend; kora/ttein und korakeu/esqai bedeutet geradezu unablässig bitten, ohne sich abweisen zu lassen. Das nur andeutende "die rufen" ist nach Hiob 38,41 zu erklären, wo es heißt: Wer bereitet dem Raben die Speise, wenn seine Jungen zu Gott rufen? - Nach Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Es ist interessant, die Krähen am Abend zu beobachten, ehe sie sich zur Ruhe begeben, wie sie da sich versammeln und laut lärmen. Wir erinnern uns eines kleinen Mädchens, das, wenn es beim Zubettegehn dieses Lärmen und Schwätzen der Krähen hörte, sagte: "Die Krähen sagen ihr Abendgebet". Das Kind war noch viel zu klein, um zu wissen, dass auch die Bibel sagt, der HERR gebe den jungen Raben ihr Futter, die ihn anrufen. Gilbert White † 1793.


V. 10.11. Niemand kommt bei Gott um äußerlicher Vorzüge willen in Gunst, also etwa weil er ein schönes Gesicht oder starke, gewandte Glieder hat. Ja, Gott hat nicht nur nicht Gefallen an jemandes Beinen, sondern auch nicht an jemandes Hirn, an seinem Verstande, so groß der auch sein möge, oder an der Schlagfertigkeit seines Mutterwitzes, oder an der Beredsamkeit seiner Zunge. Joseph Caryl † 1673.


V. 11. Fürchten, hoffen. Geduld und Furcht sind die Zäune, die die Hoffnung einhegen. Zwischen der Furcht und der Hoffnung besteht eine schöne gegenseitige Beziehung. Sie gleichen dem Kork in dem Fischernetz, der dieses vor dem Untersinken schützt, und dem Blei, das verhütet, dass das Netz, von der Strömung getrieben, ganz auf dem Wasser schwimmt. Hoffnung ohne Furcht ist in Gefahr, zu sanguinisch zu werden und also in Leichtsinn auszuarten; die Furcht hingegen würde ohne die Hoffnung bald zur Verzweigung werden. G. S. Bowes 1880.
  Die Furcht ist unser Zügel, der uns von Sünde und Versuchungen zurückhält, die Hoffnung der Sporn, der uns antreibt. Thomas Manton † 1677.
  Furcht und Hoffnung sind die beiden großen Winkeleisen der alttestamentlichen Theologie, die alle Grundbegriff derselben einschließen und verbinden. Th. Le Blanc † 1669.


V. 13. Denn er macht fest die Riegel deiner Tore. Wohl der Stadt, deren Tore Gott mit seiner Macht verriegelt und wiederum in seiner Gnade öffnet. Niemand vermag zu verteidigen und nichts vermag zu schützen, wenn seine Gerechtigkeit schlagen will, und niemand und nichts vermag zu schaden, wo seine Güte bewahren will. Th. Adams 1614.


V. 12-14. Der Psalmist führt vier Gründe vor, um deren willen Jerusalem den HERRN preisen soll: 1) Sicherheit. Waffen, Gesetze, Reichtum usw. sind Riegel, aber Gott muss diese Riegel befestigen, sonst nützen sie nichts. 2) Segnung mit geistlichen, geistigen und leiblichen Wohltaten. 3) Friede. Jerusalems Name wird durch Gottes Walten Wahrheit. 4) Versorgung mit dem Besten vom Besten bis zur vollen Sättigung. W. Nicholson † 1671.


V. 14. Friede in Stadt und Land ist die schönste Blume in dem Ruhmeskranz eines Fürsten, eines der besten Güter eines Volkes. Der Friede führt, wie auch dieser Vers es zeigt, Wohlstand in seinem Gefolge mit sich. Darum stellten die Athener sinnig die Göttin des Friedens so dar, dass sie den als Kind dargestellten Gott des Reichtums als dessen Pflegerin auf dem Arm hatte. Thomas Watson † 1690.
  Und sättigt dich mit dem Besten vom Weizen. Bei dem, was die Menschen hervorbringen, stehen Quantität und Qualität, Menge und Güte, stets im umgekehrten Verhältnis zueinander; der HERR hingegen gibt den Seinen die Fülle des Besten vom Besten. Wie tritt dies vollends im Neuen Bunde hervor! Joh. P. Palanterius 1600.


V. 15. Sein Wort läuft schnell. In demselben Augenblick, da er abgeschossen wird, bohrt sich dieser Pfeil auch in das Ziel. Von welch augenblicklicher Wirkung waren denn auch die Worte Christi. Er spricht zu dem Aussätzigen. "Ich will, sei gereinigt!" - und alsbald ward der Mann von seinem Aussatze rein (Mt. 8,3). Und zu dem Blinden spricht er: "Gehe hin, dein Glaube hat dir geholfen" - und alsbald war dieser sehend (Mk. 10,52). Sobald Jesus zu der Seele sein Wort des Lebens, der Vergebung, des Trostes usw. spricht, so ist das Werk geschehen. Ralph Robinson † 1655.


V. 16. Schnee wie Wolle. Ähnliche Ausdrücke finden wir bei den Klassikern. Eustathius (in Dionys. Perieget.) nennt den Schnee e)riw=dej u{dwr, wolliges Wasser. Martial (Epigramm.) gibt ihm die Benennung densum vellus aquarum ein dickes Fließ von Wasser. Aristophanes (Nubes) nennt die Wolken fliegende Fließe von Wolle. Sam. Burder 1839.
  Welche Gabe Gottes ist der Schnee, von welcher Wichtigkeit in dem Haushalte der Natur. Er bedeckt in den dem anhaltenden Froste ausgesetzten Gegenden die Erde wie mit einer Decke während der zum Sammeln frischer Kräfte so nötigen Winterruhe und erhält dem Boden, als schlechter Wärmeleiter gleich der Wolle, die Wärme. Ohne seinen Schutz würden die Felder in den nördlichen Gegenden, aber auch alle die herrlichen Alpenblumen unfehlbar zu Grunde gehen. Und was sollten die Eskimos ohne ihre Schneehütten machen? Wie manches kostbare Leben ist in den Bergen schon dadurch erhalten worden, dass der Schneesturm selber es gegen die furchtbare Kälte mit einer schützenden Decke zudeckte, bis der Retter kam. Wie aber der Schnee in den kalten Regionen Wärme gibt, so spendet er den wärmeren Gegenden Kühlung durch die erfrischenden Winde und speist die Flüsse, die weithin das Land bewässern, wenn alle nicht aus diesen unerschöpflichen Behältern gespeisten Flüsse versiegen. Ohne den ewigen Schnee der Berge würde die Erde eine alles Lebens ermangelnde Wüste sein. Ferner ist der Schnee und das daraus sich bildende Gletschereis auch dadurch äußerst wichtig, dass durch seinen Einfluss das Gestein zu fruchtbarem Erdreich zerrieben und aufgelöst wird. Ein großer Teil der Hügel und Ebenen Europas ist auf diese Weise gebildet; unsere Täler und Felder verdanken wir dem Schnee! - Wenn wir aber fragen, wie die Schneeflocke gebildet wird, so werden wir durch eine Menge von Mittelursachen auf die Sonne und weiter auf Gott selber hingeführt. Er gibt Schnee wie Wolle. Hugh Macmillan 1880.
  Es ist der Mühe wert, darüber nachzudenken, welch wunderbares Werk in der Atmosphäre bei der Bildung und dem Niederfallen jeder Schneeflocke vor sich geht. Welche bildende Kraft tritt da in Wirksamkeit, wie unvollkommen erscheinen alle die Erzeugnisse von Menschengeist und Menschenhand im Vergleich zu diesen wunderbaren genau mathematischen, in unzähligen Formen und doch immer genau auf dem Sechswinkelsystem aufgebauten Eiskristallen des Schnees, die von den blinden Naturkräften erzeugt werden. Doch, wer erdreistet sich, die Kräfte der Natur blind zu nennen? In Wirklichkeit bezeugen wir, wenn wir so reden, wie es um uns selber steht. Die Blindheit ist bei uns; und statt jene törichte Redeweise in den Mund zu nehmen, sollten wir bekennen, dass alle unsere Verstandeskräfte schlechterdings unfähig sind, sowohl den Ursprung als die Ziele der Wirkungen der Natur zu begreifen. John Tyndall 1872.


V. 18. Er lässt seinen Wind wehen, so taut es auf. Israel saß in der Gefangenschaft fest wie ein im Polareise eingefrorenes Schiff; aber da sandte Gott den Frühlingswind seiner Liebe, und das Eis taute auf, und Israel ward erlöst aus seiner langen Leidenszeit. Ebenso war es mit den eisigen Banden, die die Herzen Israels umschlossen hielten; sie zerschmolzen unter den Sonnenstrahlen der Gnade. Und wie war es zu Pfingsten? Da wich erst recht der Winter der geistlichen Gefangenschaft vor dem milden Wehen des Geistes Gottes, dass die Herzen auftauten und die Erde grünte und blühte mit den Lenzesblumen des Glaubens, der Liebe und der Freude. Christ. Wordsworth † 1885.


V. 19.20. Er tut Jakob sein Wort kund usw. Hier sehen wir Gott sich in Erbarmen niederbeugen, um den tief gefallenen Menschenkindern etwas von einem seligen Geheimnis mitzuteilen, von dem ohne seine besondere Erleuchtung kein Auge je etwas gesehen, kein Ohr etwas gehört haben würde. Prof. J. J. van Oosterzee † 1882.
  Wenn die Bekanntmachung des Gesetzes an die Israeliten durch den Dienst der Engel schon solch ein großes Vorrecht war, dass dies als der besondere Schatz Israels angesehen wird, was ist es erst um die Offenbarung des Evangeliums durch den Sohn Gottes selber! Denn wiewohl das Gesetz des Höchsten seit dem Fall in den Herzen der Menschen verdunkelt und entstellt ist, sind doch noch in der menschlichen Natur einige Begriffe davon eingewurzelt geblieben; aber von dem Evangelium hat das natürliche Menschenherz keine Ahnung. Wenn ein so großes, köstliches Vorrecht uns nicht das Herz rührt und zum Dank treibt, dann sind wir die undankbarsten Wichte von der Welt. William Bates † 1699.
  Die Heiden haben die Orakel der Sybille, aber nicht die Schriften Moses und der Apostel. Wie viele leben noch im Lande des Todesschattens, wo der helle Stern des Wortes Gottes noch nie erschienen ist! "Herr, was ist’s, dass du dich uns willst offenbaren und nicht der Welt?" (Joh. 14,22.) Thomas Watson † 1690.
  Das Hallelujah frohlockt nicht darüber, dass die andern Völker ein solches positives göttliches Recht nicht kennen, sondern (vergl. 5. Mose 4,7 f.; Baruch 4,4) darüber, dass Israel in den Besitz eines solchen gesetzt ist. - Nach Prof. Franz Delitzsch † 1890.


Homiletische Winke

V. 1. Denn es ist gut, unseren Gott zu besingen, denn lieblich ist es, Lobgesang geziemt. (Wörtl.) I. Gott zu loben ist gut. 1) Gott befiehlt es; es ist kein selbsterwählter Gottesdienst. 2) Es hebt das Herz von der Erde zum Himmel und bringt uns in Gemeinschaft mit den himmlischen Chören der Engel und der Seligen. 3) Wir zahlen damit oder erkennen wenigstens dadurch an die Dankesschuld, die wir Gott gegenüber haben, und das ist recht und billig. 4) Gott lohnt es in seiner Gnade II. Gott zu loben ist lieblich. 1) Es geht aus der Liebe hervor; und der Liebe ist nichts lieber, als wenn sie den, den sie liebt, loben kann. 2) Es muss dem Menschen lieblich sein, den Zweck seines Lebens zu erfüllen; nun hat Gott aber Menschen und Engel eben zu seinem Preis geschaffen. 3) Es ist Gott ein süßer Geruch; er freut sich des Glaubens, der Liebe, der Demut, der Andacht usw., die in einem Lob ihre Betätigung finden. III. Gott zu loben ziemt sich, denn es gibt nichts Schändlicheres als die Undankbarkeit, die ein Gemisch von Lüge und Ungerechtigkeit ist. Gott loben ist die höchste Schicklichkeit gegenüber all dem Reichtum der Freigebigkeit Gottes. W. Nicholson † 1671.
  Vernünftiger Gottesdienst (Röm. 12,1). 1) Wie soll man Gott preisen? Durch Wort, Lied und Leben; einsam und gemeinsam. 2) Wer soll ihn loben? 3) Wen sollen wir loben? Den HERRN, unseren Gott. 4) Warum sollen wir ihn loben? Weil es köstlich (gut), lieblich und geziemend ist. Charles A. Davis 1885.
V. 1-3. I. Das Lob des HERRN ein Vorrecht. Es ist 1) köstlich, 2) lieblich, 3) geziemend. II. Das Lob des HERRN unsere Pflicht. Lob dafür, 1) dass er auf Erden eine Gottesstadt erbaut; 2) dass er solches Material dazu verwendet; 3) wie er dies Material für seine Zwecke zubereitet (V. 3). George Rogers 1885.
V. 2. Der HERR ist Entwerfer und Erbauer, Erhalter und Wiederhersteller und Eigentümer der Gottesstadt. In jeder dieser Beziehungen lasst uns ihn preisen.
  Der große Sammler. 1) Was sammelt er? 2) Welche Aufwendungen macht er dafür? 3) Wo bringt er hienieden das Gesammelte zusammen? 4) Die einzigartige dauernde Ausstellung dieser wunderbaren Sammlung im Himmel.
  "Trost für die Ausgestoßenen." Pred. von C. H. Spurgeon, Botschaft des Heils, 2. Jahrg., S. 657. Baptist. Verlag (Cassel).
  Bauen und Sammeln. 1) Die Gemeinde kann sich in zerfallenem Zustande befinden. 2) Ihre Wiederherstellung ist des HERRN Werk. 3) Er vollbringt sie durch Sammlung der Zerstreuten. Charles A. Davis 1885.
V. 3. Der HERR als liebreicher Arzt und Pfleger.
V. 3.4. Die leuchtenden Sterne des Himmels und die zerbrochenen Herzen der Erde. l) Der Gebieter der Sterne bei den Verwundeten hienieden. Die Sterne müssen ihren König eine Weile missen um der zerbrochenen Herzen der Erde willen. Jehovah selber mit Verbandzeug und Wundsalbe, und mit zarter Hand pflegend! Er, der die Bande der Sterne so wunderbar knüpft (Hiob 38,31), versteht es auch, bekümmerte Herzen fest und gut zu verbinden. 2) Der sanfte Heiler der Herzen bei und über den Sternen. Solch milder Hand sei alle Gewalt anvertraut (Mt. 28,18). Der liebliche Glanz seiner Hoheit. Der HERR regiert die Sterne mit dem Blick auf verwundete Herzen. Zu welch großen Hoffnungen berechtigt unter diesen Umständen das Gebet! 3) Die Herzen, die Sterne und die Ewigkeit. Es gibt Herzen, die leuchten werden wie die Sterne immer und ewiglich (Dan. 12,3). Es gibt Sterne, die verlöschen werden im Dunkel der ewigen Finsternis (Judas V. 13). Gottes Hand und Auge verbürgen es, dass überall Gerechtigkeit durchgeführt werden wird. Lasst uns ihm vertrauen und ihm lobsingen. William Bickle Haynes 1885.
  Gottes Erbarmen und Gottes Macht. 1) Die merkwürdige Verschiedenheit der Gegenstände der göttlichen Fürsorge: Herzen und Sterne. 2) Die wunderbare Mannigfaltigkeit des göttlichen Waltens: Er nimmt sich in zarter Liebe der Menschenherzen an und hält im ganzen Schöpfungsgebiete alles in Ordnung, in regelmäßigem Laufe und im Gleichgewicht. 3) Die segensreichen Folgen des göttlichen Wirkens: Zerbrochene Herzen werden geheilt, schmerzende Wunden verbunden und das Licht, die Harmonie und die Schönheit der Himmelswelten erhalten. 4) Dies alles ist eine kräftige Ermunterung für uns, auf Gott zu vertrauen. Wenn Gott für das ganze Weltall sorgt, darf ich ihm da nicht auch mein Leben und meine Seele anvertrauen? Wo er unbestritten regiert, da ist lauter Licht und Harmonie; darum will ich in meinen Anliegen seinem Willen nicht widerstreiten. C. A. Davis 1885.
V. 5. Eine Betrachtung der Größe Gottes. Gott ist 1) groß in seinem innersten Wesen, 2) groß an Macht, 3) groß an Weisheit usw. Lasst uns daraus Folgerungen ziehen auf die Unbedeutenheit des Menschen usw.
V. 6. Eine große Wandlung. 1) Nach der Meinung der Welt werden die sanftmütigen Dulder (Grundtext) zu Boden gestoßen und die Gottlosen erhoben. 2) Nach dem Urteil des Himmels werden die Sanftmütigen aufgerichtet und die Gottlosen zu Boden gestoßen. 3) Das Urteil des Himmels wird zuletzt als das richtige erwiesen werden. C. A. Davis 1885.
V. 7. Vom rechten Gebrauch und Nutzen des Singens.
V. 8. Gott in allem. Die Einheit seines Planes; das Zusammenwirken der von Gott geschaffenen Kräfte; die Freundlichkeit Gottes, die in dem Ergebnis zu Tage tritt.
V. 11. Gottes Huld in ihrer preiswürdigen Eigenart. I. Woran er nicht Gefallen hat: 1) an körperlicher Kraft, 2) an Kraft des Verstandes, 3) am Selbstvertrauen, 4) an bloßer Fähigkeit zum Dienst. II. Woran er Wohlgefallen hat: 1) an Gemütsregungen, die auf ihn hinzielen: Furcht vor ihm, Hoffen auf seine Güte; 2) auch an der schwächsten Gestalt wahren geistlichen Lebens; 3) an den höchsten Stufen desselben (denn auch der gereifteste Gläubige fürchtet und hofft); 4) an der heiligen Verbindung von Ehrfurcht und glaubendem Hoffen. III. Was dies Wohlgefallen einschließt: 1) Gott gedenkt gerne derer, die ihn fürchten und auf seine Güte hoffen; 2) er ist gerne bei ihnen; 3) er steht ihnen gerne bei; 4) er wandelt ihre Furcht immer mehr in Liebe und kommt ihrem Hoffen gerne entgegen; 5) er lohnt ihnen ewig.
  Der HERR hat Gefallen an den Seinen, an ihren Gemütsregungen, ihren Wünschen, ihren Huldigungen, ihren Hoffnungen und ihrer ganzen Gesinnung. W. Williams 1885.
V. 12. 1) Der HERR, den wir preisen. 2) Sein Lob in unseren Häusern - in Jerusalem. 3) Unser Loben in seinem Hause - in Zion.
V. 13. Eine kraftvolle Gemeine. I. Die Nützlichkeit und der hohe Wert einer kraftvollen Gemeine. II. Ihre Kennzeichen. 1) Die Tore sind wohl verwahrt. 2) Die Zahl der Glieder nimmt zu. 3) Die Neubekehrten sind auch für andere gesegnet. III. Ein wichtiges Anliegen einer kraftvollen Gemeinde: alle Segnungen auf Zions Gott zurückzuführen. W. B. Haynes 1885.
V. 14.15. Friede im Innern und Einfluss nach außen.
  Gemeindesegnungen. 1) Friede. 2) Gute geistliche Nahrung. 3) Missionseifer. 4) Gottes Gegenwart die Quelle aller Segnungen.
V. 15b. Sein Wort läuft schnell. I. Die allgemeine Lehre aus unserem Text. Das Wort Gottes wirkt noch immer und noch mit derselben Kraft, auch in stiller Weise, dennoch unwiderstehlich, und diese Kraft läuft sehr schnell. II. Erläuterung an besonderen Beispielen: Gottes Wort läuft schnell in der Natur, in der Vorsehung in Gericht und Gnade, im Evangelium. III. Besondere Lehren: Der Sünder kann jetzt gerettet werden. Niemand kann diesem Wort entlaufen. Der HERR kann den Seinen sogleich Friede und Freude geben. Pred. von C. H. Spurgeon, Schwert und Kelle, 2. Jahrg., S. 1. Bapt. Verlag (Cassel).
V. 16. Unerwartete Folgen von Trübsalen: der Schnee wirkt wie Wolle.
V. 16-18. Frost und Tau. 1) Die Wirkungen der Natur, von denen hier die Rede ist. 2) Die Wirkungen der Gnade, deren passende Sinnbilder jene sind. Pred. von C. H. Spurgeon, Schwert und Kelle, 3. Jahrg. (Ackerpredigten), S. 49. Bapt. Verlag (Cassel).
V. 19. 1) Gottes Volk. 2) Gottes Wort. 3) Gottes Erleuchtung der Seele. 4) Preis Gottes für diese besondere Offenbarung.
V. 20. Die erwählende Gnade erfüllt das Herz mit Lobpreis. 1) Gottes Liebe hat uns erwählt - Hallelujah! 2) Gott hat uns seine Wahrheit. anvertraut - Hallelujah! 3) Gott hat uns zu Austeilern der Gaben seiner Liebe gemacht - Hallelujah! 4) Gott will durch uns die Welt retten - Hallelujah! William Bickle Haynes 1885.

Fußnoten

1. Dieses hn( näseln, singen, mit l:: einem zu Ehren singen, scheint verschieden von hn( entgegnen, antworten, auch: mit Gesang antworten, ferner: Rede oder Gesang (wieder) anheben. Eine sichere Unterscheidung ist jedoch bei dem Ineinanderübergehen der Bedeutungen kaum möglich.