Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon
PSALM 8 (Auslegung & Kommentar)
Überschrift
Ein Psalm Davids, vorzusingen auf der Gittith. Über die Bedeutung des Wortes Gittith haben wir wiederum keine Gewissheit. Die meisten leiten es von Gath, der bekannten Philisterstadt, ab und übersetzen entweder: auf der Gittith, d. h. auf einer besonderen, in Gath einheimischen Art Saiteninstrument zu spielen, oder; nach der Gittith, d. h. nach der gathitischen Weise, also einer besondern Melodie, zu singen. Andere haben gemeint, das Wort von tgIa Kelter ableiten und darunter ein Winzerlied verstehen zu sollen. Die beiden andern Psalmen (Ps. 81 und Ps. 84), welche dieselbe Überschrift tragen, sind wie der vorliegende von fröhlicher Art.
Wir können diesen Psalm das Lied des Sternkundigen benennen. Lasst uns in sternenklaren Nächten hinausgehen und es unter dem Glanz des sternenbesäten Himmels singen; denn es ist sehr wahrscheinlich, dass eben unter solchen Umständen der Dichter zu dem Gesang begeistert wurde. Thomas Chalmers († 1847) sagt: "Der Anblick des funkelnden Nachthimmels ist überaus geeignet, die Seele zu frommen Betrachtungen zu erheben. Der Mond dort und hier diese Sterne, was sind sie? Sie sind überirdisch und heben uns über diese Welt empor. Wir fühlen uns der Erde entrückt und schwingen uns in erhabener Abgeschiedenheit von diesem kleinlichen Schauplatz menschlicher Leidenschaften und menschlicher Kümmernisse auf. Der innere Sinn gibt sich dem Träumen hin, und die Gedanken verlieren sich in entzückter Begeisterung in fernen, unerforschten Regionen. Die Natur enthüllt sich uns in ihrer einfachen Großartigkeit, und wir sehen den Gott, der das All geschaffen, in seiner erhabenen Weisheit und Majestät."
Einteilung. Der erste und der letzte Vers besingen anbetend die Herrlichkeit des Namens Gottes. Die Zwischenverse staunen in heiliger Verwunderung die Größe Gottes in der Schöpfung und seine Herablassung gegen den Menschen an. Mt. Pool († 1679) sagt: "Es ist ein Gegenstand lebhafter Erörterung bei den Auslegern, ob dieser Psalm von dem Menschen im Allgemeinen rede und von der Ehre, die Gott bei seiner Erschaffung auf ihn gelegt hat, oder ob er ausschließlich von dem Menschensohne, Christus Jesus, rede. Die beiden Anschauungen können aber gar wohl miteinander verbunden werden und in eine zusammenfließen; denn die Absicht des Psalms scheint uns deutlich diese zu sein: Die große Liebe und Huld Gottes gegen das Menschengeschlecht darzutun und zu verherrlichen, wie sie sich nicht nur in seiner Erschaffung, sondern vornehmlich in seiner Erlösung durch Christus erwiesen hat. Er ist als Mensch zu der in dem Psalm geschilderten Würde und Herrschaft erhöht worden, damit er sein großes, herrliches Werk ausführen könne. Auf Christus wird der Psalm sowohl durch unseren Herrn selber (Mt. 21,16), als auch durch die Apostel (1. Kor. 15,27; Hebr. 2,6 ff.) angewendet."
Auslegung
2. | Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen, du, den man lobt im Himmel!1 |
Da er sich unfähig fühlt, die Herrlichkeit Gottes gebührend zu beschreiben, bricht der Dichter in einen begeisterten Ausruf aus. Das ist nicht zum Verwundern, denn die Erhabenheit des Herrn kann kein Menschenherz auch nur halb ermessen, keine Zunge ausdrücken. Die ganze Schöpfung ist seiner Ehre voll und erstrahlt in der Herrlichkeit seiner Macht; seine Güte und seine Weisheit tun sich überall kund. Die unzählbaren Myriaden irdischer Wesen, vom Menschen, dem Haupt der Schöpfung, bis zu dem Wurme zu unseren Füßen, sie alle werden durch Gottes Güte erhalten und ernährt. Das feste Gebäude des Weltalls ruht auf seinen ewigen Armen. Überall ist er gegenwärtig, und allerorten ist sein Name herrlich. Gott wirkt immer und überall. Es gibt keinen Ort, wo Gott nicht wäre. Die Wunder seiner Macht begegnen uns allerwärts. Durchwandere die engen Täler, wo die Felsen dich überall einschließen, die wie des Himmels Zinnen hoch emporsteigen, so steil, dass du nur noch eben einen Streifen blauen Himmels hoch über deinem Haupte sehen kannst; du magst der einzige Wanderer sein, der je durch diese Schlucht gekommen; die Vögel mögen erschreckt auffliegen, und das Moos mag erzittern unter dem ersten Fußtritt eines menschlichen Wesens: - dennoch ist Gott dort in tausend Wundern. Wer anders als er hat jene Felsenfestung erbaut, wer anders erhält sie? Er füllt die Blumenkelche mit lieblichem Dufte und erfrischt die einsame Zwergkiefer mit dem Hauch seines Mundes. Du magst hinabsteigen in die tiefsten Tiefen des Meeres, wo die Wasser in nie gestörtem Schlummer ruhen und sogar der leichtbewegliche Sand sich ununterbrochener Ruhe erfreut; dennoch ist die Herrlichkeit des Herrn dort zu schauen. Seine Erhabenheit tut sich auch in dem schweigsamen Palast der See kund. Nimm dir Flügel der Morgenröte und fliege zum äußersten Meer, - Gott ist auch dort. Steig hinauf zum höchsten Himmel oder tauche hinab in die tiefste Hölle, - an beiden Orten wird Gott entweder gepriesen mit ewigem Lobgesang oder seine Gerechtigkeit geoffenbart durch schreckliche Strafgerichte. Überall und an jedem Orte weilt Gott und wird er in seinem Wirken kund. Und nicht allein auf Erden ertönt die Schöpfung von dem Lobpreis Jahwes; seine Klarheit leuchtet hervor aus dem Firmament über der Erde. Seine Herrlichkeit übertrifft die Herrlichkeit des sternbesäten Himmels; hoch über das Reich der Sterne hat er seinen ewigen Thron gestellt; dort wohnt er in einem Licht, da niemand zukommen kann (1. Tim. 6,16). Lasst uns ihn anbeten:
Er breitet, er allein, des Himmels Pracht
Und schreitet überm hochempörten Meere;
Bär und Orion sind von ihm gemacht,
Die Gluckhenn’ und des Süds verborgne Heere;
Ja, Großes tut er, man ergründet’s nicht,
Und Wunderbares, dem die Zahl gebricht.
(Hiob 9,8-10 nach G. Kemmler 1877). Wir könnten kaum geeignetere Worte finden als die von Nehemia (9,6): "Herr, du bist’s allein. Du hast gemacht den Himmel und aller Himmel Himmel mit alle ihrem Heer, die Erde und alles, was drauf ist, die Meere und alles, was drinnen ist; du machst alles lebendig, und das himmlische Heer betet dich an." Indem wir zu unserem Text zurückkehren, werden wir darauf aufmerksam, dass dieser Lobgesang an Gott gerichtet ist, weil niemand als der Herr selbst seine ureigne Herrlichkeit ganz erfasst. Das gläubige Herz wird hingerissen von dem, was es davon sieht; aber Gott allein kennt die Herrlichkeit Gottes. Wie köstlich ist ferner das Wörtlein unser! Wie teuer wird uns Gottes Herrlichkeit, wenn wir erwägen, dass wir an ihn ein Anrecht haben als an unseren Herrn. Wie herrlich ist dein Name! Keine Worte können diese Herrlichkeit ausdrücken; darum lässt es der Dichter bei dem Ausruf bewenden. Schon der Name Jahwes, das, was er uns von seinem Wesen kundtut, ist so herrlich; wie muss sein innerstes Wesen sein! Beachten wir, dass sogar die Himmel seine Herrlichkeit nicht fassen können, sie ist über die Himmel hoch erhaben, da sie zu groß ist und sein muss, als dass auch die erhabensten Werke und Geschöpfe Gottes sie gebührend verkünden können. Auf der Wanderung durch die Alpen wurden wir von dem Gedanken tief ergriffen, dass der Herr unendlich größer ist als auch die großartigsten Werke seiner Hand, und von solchen Empfindungen beseelt entwarfen wir folgende Zeilen:
Doch wie gewaltig diese Welt der Wunder,
Ihn sehn wir nicht darin. Ihn zu erspähn,
Ist nie ein Glas so klar, kein Auge hell genug.
Die Alpen dort, hoch in die Wolken ragend,
Die mit den Sternen pflegen holdes Zwiegespräch:
Staub sind auch sie, gewogen auf der Wage
Der unermeßnen Herrlichkeit des Herrn.
Nicht ragen bis zu Ihm die schneegekrönten Häupter
Der Bergesriesen auf, zu Ihm, der droben thront
Im unerschaffnen Licht, dem Herrn der Herren.
Des Meeres unerforschte Tiefen fassen nicht
Den Reichtum seiner Weisheit und Erkenntnis.
Zu eng und klein ist doch der Schöpfung Rahmen,
Des Ew’gen Lebensfülle zu umschließen.
Wohl trägt ja alle Kreatur des Schöpfers Namen,
Sein Siegel ist auf ihre Stirn gedrückt.
Mehr ist der Töpfer als das herrlichste Gefäß,
Das mit geschickten Händen er geformt;
Und unermeßlich höher ragt des Schöpfers Ehre,
Als was in seinem Werk dem trunknen Blick enthüllt
Kein Raum ist weit genug zu seiner Wohnung,
Die Zeit ein gar zu winz’ger Schemel seines Throns.
Auch der Lawine und des Donners Stimme
Sind viel zu schwach, würdig sein Lob zu künden.
Wie sollt’ denn ich es singen? Wo sind Worte
Voll Glut und Innigkeit, Ihn recht zu nennen?
Ich beuge schweigend mich und bet’ in Demut an.2
3. | Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge hast du eine Macht zugerichtet um deiner Feinde willen, dass du vertilgest den Feind und den Rachgierigen. |
Nicht nur an dem Himmel droben gibt sich die Herrlichkeit des Herrn zu schauen, sondern auch die Erde drunten tut seine Majestät kund. Am Firmament sind die massigen Weltkörper, die in ihrer erstaunlichen Größe sich umdrehen, die Zeugen seiner Macht in großen Dingen, während hienieden das Stammeln der Kindlein ein Erweis seiner im kleinen waltenden Kraft ist. Wie oft erinnern uns die Kinder an Gott, wenn wir Großen ihn vergessen haben! Wie widerlegt ihr einfältiges Geplauder die hochgelehrten Toren, die das Dasein Gottes leugnen. Manchem ist der Mund geschlossen worden dadurch, dass Kindlein für die Herrlichkeit des Gottes des Himmels ein Zeugnis ablegten. Es ist eigen, wie klar die Geschichte der christlichen Kirche diesen Vers beweist. Schrien nicht die Kinder im Tempel Hosianna, als die stolzen Pharisäer verächtlich schwiegen, und führte der Heiland nicht eben diese Worte zur Rechtfertigung ihrer kindlichen Zurufe an? Die ältere Kirchengeschichte berichtet manche erstaunliche Beispiele von Zeugnissen der Kinder für die Wahrheit Gottes; aber vielleicht haben wir für neuere Beispiele noch mehr Interesse. John Foxe († 1587) erzählt uns in seinem Buch der Märtyrer: Als Lawrence in Colchester verbrannt werden sollte und in einem Sessel zum Scheiterhaufen getragen werden musste, weil er dank der Grausamkeit der Römischen nicht mehr aufrecht stehen konnte, scharten sich junge Kinder um das Feuer und riefen, so laut sie konnten: "Herr, stärke deinen Knecht und erfülle deine Verheißungen." Gott erhörte ihr Gebet, denn Lawrence starb in so fester und ruhiger Gemütsverfassung, wie nur irgendjemand wünschen könnte seinen letzten Atemzug zu tun. Als einer der päpstlichen Kapläne dem großen schottischen Blutzeugen Wishart († 1546) sagte, er habe einen Teufel in sich, rief ein dabeistehendes Kind aus: Ein Teufel kann nicht solche Worte sprechen, wie der Mann da spricht. Noch einen Fall, der unserer Zeit noch näher liegt. Whitfield († 1770), dessen mächtigem Zeugnis England bekanntlich eine geistige Wiederbelebung verdankt, sagt in einer Nachschrift zu einem Briefe, in welchem er von seinen Verfolgungen bei seinen ersten Predigten in Moorfields berichtet; "Ich kann nicht umhin, noch hinzuzufügen, dass mehrere kleine Knaben und Mädchen, deren größte Freude es war, um mich her auf meiner Kanzel zu sitzen und mir die Zettel zu reichen, die die Leute mir sandten, auch nicht ein einziges Mal wichen, wiewohl sie oft mit den Eiern, dem Schmutz und dergleichen besudelt wurden, womit man nach mir warf. Im Gegenteil, jedes Mal, wenn ich getroffen wurde, schlugen sie ihre kleinen Augen voller Tränen zu mir auf und wünschten offenbar, dass sie die Streiche für mich auffangen könnten. Gott mache sie in reiferen Jahren zu großen, lebendigen Zeugen für ihn, der sich aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge eine Macht zurichtet!" Ihm, der sich an dem Gesang der Engel ergötzt, gefällt es, sich in den Augen seiner Feinde Ehre beizulegen durch den Lobpreis kleiner Kinder. Welch ein Gegensatz zwischen der über die Himmel sich erhebenden Herrlichkeit Gottes und dem Stammeln der jungen Kinder und Säuglinge! Dennoch wird durch beide der Name Gottes verherrlicht.
4. | Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: |
5. | Was ist der Mensch, dass du sein gedenkest, und des Menschen Kind, dass du dich sein annimmst? |
Am Schlusse eines kleinen Werkes von Dr. Th. Dick (1850) über das Sonnensystem finden wir eine Stelle, die diese Verse trefflich auslegt. "Ein Überblick über das Sonnensystem ist wohl geeignet, den Stolz des Menschen herabzustimmen und uns in der Demut zu fördern. Der Hochmut ist einer der eigentümlichen Kennzüge des kleinen Geschöpfes, Mensch genannt, und eine Hauptursache all des Haders, der Kriege und Verwüstungen, des Systems der Sklaverei und all der ehrgeizigen Anschläge, die unsere Welt verödet und entsittlicht haben. Und doch ist keine Neigung im Menschen mehr im Widerspruch mit seiner Veranlagung und den Umständen, in denen er sich befindet. Vielleicht gibt es im ganzen Weltall keine vernunftbegabten Wesen, bei denen der Stolz ungeziemender oder mit ihren Umständen unvereinbarer wäre, als beim Menschen. Er ist vielerlei Erniedrigungen und Unglücksfällen ausgesetzt, wie dem Toben der Stürme und Unwetter, den Verwüstungen der Erdbeben und Vulkane, der Wut der Wirbelwinde und den stürmischen Wogen des Meeres, den Verheerungen durch Krieg, Hungersnot und Pest, und vielen Gebrechen und Krankheiten; und das Ende ist, dass er ins Grab sinkt und sein Leib eine Speise der Würmer wird! Und die höchsten und angesehensten unter den Menschenkindern sind solchen entwürdigenden Zufällen ebenso unterworfen wie die allergeringsten Glieder der menschlichen Familie. Trotz alledem hat der Mensch, dieser kleine Wurm des Staubes, dessen Kenntnisse so beschränkt und dessen Torheiten so zahlreich und so offenkundig sind, die Unverschämtheit, in stolzem Übermut sich zu brüsten und sich sogar seiner Schande zu rühmen!
"Während andere Beweisgründe auf gewisse Naturen wenig Eindruck machen, wird es keinen Erwägungen der Vernunft mit mehr Wahrscheinlichkeit gelingen, dieser bedauerlichen Neigung des Menschen zum Hochmut kräftig entgegenzuwirken, als solchen, die der Sternkunde entnommen sind. Diese zeigt uns, als was für ein unbedeutendes Wesen, ein bloßes Atom, der Mensch in der Tat inmitten der Unermesslichkeit der Schöpfung erscheint. Wiewohl er ein Gegenstand der väterlichen Fürsorge und Güte des Allerhöchsten, ist er doch nur wie ein Sandkörnlein im Verhältnis zu der ganzen Erde, wenn er mit den unzählbaren Myriaden von Wesen verglichen wird, die die unmessbaren Weiten der Schöpfung bevölkern. Was ist die ganze Erdkugel, auf der wir wohnen, verglichen mit dem Sonnensystem, das eine zehntausendmal größere Stoffmasse in sich fasst? Was wiederum ist unser Sonnensystem im Vergleich mit den hundert Millionen von Sonnen und Welten, die das Fernrohr in den Reichen der Sterne erspäht hat? Was ist denn dann ein Königreich, eine Provinz, eine Grafschaft, auf die wir so stolz sind, als wären wir die Herren des Weltalls, und um derentwillen wir manchmal so viel Verwüstung und so schreckliche Gemetzel anrichten? Was sind sie im Wettstreit mit den Herrlichkeiten, die das Firmament birgt? Könnten wir unseren Standpunkt auf den erhabenen Zinnen des Himmels nehmen und von dort auf dies kaum unterscheidbare Pünktchen, unsere Erde, herabsehen, wir wären alsbald bereit, mit Seneka auszurufen: "Und dieses winzige Fleckchen ist es, worauf all die großen Pläne und vielumfassenden Wünsche des Menschen beschränkt sind? Um seinetwillen ist so viel Aufregung unter den Völkern, so viel Blutvergießen, finden so viele alles zerrüttende Kriege statt? O der Torheit der betrogenen Menschenkinder, große Königreiche in dem Raum eines Atoms zu wähnen und Heere aufzubieten, um über den Besitz eines Stückchens der Erde durch das Schwert zu entscheiden!" Der bekannte Chalmers († 1874) sagt in seinen Vorträgen über Astronomie sehr wahr: "Wir haben Ihnen nur ein schwaches Bild von unserer verhältnismäßigen Unbedeutenheit gegeben, indem wir sagten, dass die Pracht eines ausgedehnten Waldes nicht mehr leide durch das Fallen eines einzelnen Blattes, als die Herrlichkeit des weiten Weltalls darunter leiden würde, ob auch unsere Erde und alles, was darauf ist, zerginge." (2. Petr. 3,10 f.)
6. | Du hast ihn wenig niedrig gemacht denn Gott, und mit Ehre und Schmuck hast du ihn gekrönet. |
7. | Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk; alles hast du unter seine Füße getan, |
8. | Schafe und Ochsen allzumal, dazu auch die wilden Tiere, |
9. | die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Meer, und was im Meer gehet. |
Diese Vers mögen die Stellung des Menschen in der Schöpfung vor dem Fall dartun; da sie aber durch den Schreiber des Hebräerbriefs (Hebr. 2,7) auf den Menschen, so wie er durch den Herrn Jesus repräsentiert ist, bezogen werden, dünkt es uns am besten, auf diese Bedeutung das Hauptgewicht zu legen. Wir folgen der alten Übersetzung der LXX, welche auch der Hebräerbrief benutzt hat: Du hast ihn ein wenig niedriger gemacht als die Engel.3 An Würde stand der Mensch den Engeln zunächst, nur ein wenig niedriger als sie; in dem Herrn Jesus hat das seine Erfüllung gefunden, denn er ward etwas niedriger gemacht als die Engel, indem er den Tod litt. Der Mensch hatte im Paradiese die volle Herrschaft über alle Geschöpfe. Dass sie zu ihm kamen, um von ihm ihre Namen zu empfangen (1. Mose 2,19), war ein Akt der Huldigung gegen ihn als den, der an Gottes Statt über sie herrschte. Der erhöhte Menschensohn ist jetzt Herr nicht nur über alles Lebendige, sondern über alles Geschaffene. Ausgenommen den, der ihm alles untergetan hat (1. Kor. 15,27), ist Jesus der Herr über alles, und seine Auserwählten sind in ihm zu einer weiter ausgedehnten Herrschaft erhöht als der erste Adam, was beim Kommen des Herrn noch klarer hervortreten wird. Wohl mochte der Psalmist sich über die einzigartig hohe Stellung des Menschen in der Stufenfolge der Wesen wundern, wenn er erwog, wie gar nichts der Mensch im Vergleich zu dem unermesslichen Reich der Sterne ist.
Du hast ihn ein wenig niedriger als die Engel gemacht - ein wenig niedriger in der Wesensbeschaffenheit, da sie unsterblich sind, und nur ein wenig,4 weil die gegenwärtige Weltzeit kurz ist und, wenn diese vorüber ist, die Heiligen Gottes nicht mehr niedriger sind als die Engel. Mit Ehre und Schmuck oder Hoheit hast du ihn gekrönt. Die Herrschaft, welche Gott dem Menschen verliehen hat, ist für diesen eine große Ehre; denn jedes Herrschaftsrecht ist eine Ehre, und die größte Ehre die, welche eine Krone trägt. Der Dichter gibt eine ganze Liste der dem Menschen untertanen Geschöpfe. Die ganze Herrschaft, welche durch die Sünde verloren gegangen, ist in Christus Jesus wiederhergestellt. Das gibt uns auch den Wink, dass wir uns keinen irdischen Besitz zum Fangstrick werden lassen dürfen. Lasst uns stets dessen eingedenk sein, dass wir über alle Kreaturen dieser Erde herrschen sollen und ihnen nicht erlauben dürfen, über uns zu herrschen. Wir müssen die Welt unter unseren Füßen halten und den niedrigen Sinn meiden, der damit zufrieden ist, dass die Sorgen und Wollüste dieses Lebens das Königreich der unsterblichen Seele beherrschen.
10. | Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen! |
Hier kehrt der Dichter wie ein guter Komponist zu der Tonart zurück, in der er sein Lied begonnen hat. Er sinkt wieder in den Zustand anbetender Bewunderung. Womit er als dem Anfangssatz im 1. Vers begonnen, damit schließt er als mit einem wohl bewiesenen Schluss-Satz, gleichsam mit einem quod erat demonstrandum. Uns aber drängt sich noch die Bitte auf: Ach, dass uns Gnade zuteilwerde, des herrlichen Namens würdig zu wandeln, der über uns genannt worden ist und den zu verherrlichen wir berufen sind.
Erläuterungen und Kernworte
Zum ganzen Psalm. Inhalt: Jahves Herrlichkeitsoffenbarung in den Schwachen. Der Dichter hat durch ein (uns unbekanntes) Erlebnis die ihn tief bewegende Einsicht gewonnen, dass Jahve Schwache und Geringe - Kinder und Säuglinge - erwählt, um an ihnen und durch sie seine Macht und Größe zu verherrlichen. Er sucht ein Verständnis dieses an sich für ihn rätselhaften oder doch wenigstens auffallenden Tatbestandes, den er in V. 3 mit Nachdruck ausspricht, zu gewinnen und findet es durch eine umfassende Reflexion (Betrachtung) über die Stellung des Menschen in dem durch Gottes Schöpfermacht ins Dasein gerufenen Weltganzen (V. 4-9). Wie klein ist der Mensch inmitten der unermesslichen Schöpfung, wie armselig gegenüber ihrer Pracht! Und doch hat Jahve ihm eine Stellung gegeben, die fast an seine eigene heranreicht; er hat ihm alles, was auf Erden lebt, unterworfen. So offenbart sich Jahves Herrlichkeit überall auf Erden, wo Menschen wohnen (V. 10). Lic. Hans Keßler 1899.
Da die göttliche Menschheitsidee nur in einem "Menschensohn" nach beiden Seiten (im Verhältnis zu Gott wie zur Welt) zur vollen Wahrheit geworden ist oder durch ihn der vollen Verwirklichung entgegengeht, so ist es ganz berechtigt, wenn der Verfasser des Hebräerbriefes 2, 6 ff. diesen Psalm, ihn um eine Oktave höher stimmend, auf jenen wahren, vollendeten Menschensohn bezieht. Prof. Conrad von Orelli 1882.
V. 2. Siehe, wie er so eines freundlichen und alles Trostes und Vertrauens vollen Wortes brauchet, indem dass er Gott nennet einen Herrscher oder Herrn, als wäre er einer seines Gesindes. - So haben nun die gottseligen Menschen auf Erden nichts Köstlicheres als den Namen des Herrn; denn den allein loben, predigen und bekennen sie vor den Leuten, als der allein gewaltig, weise, heilig, gut, fromm und gerecht ist; sie aber rühmen noch loben ihren Namen gar nichts, da sind sie zufrieden, dass der vor jedermann stinke, auf dass nur Gottes Name gelobet und gepriesen werde und Dank empfange auf Erden und im Himmel. Aber so leicht das zu sagen und zu verstehen ist, so schwer ist es zu tun.
Wer hat je gehört, dass so großer und herrlicher Name einem Menschen auf Erden zugeschrieben wäre, wie diesem Herrn und Herrscher zugeschrieben wird? Der römische Kaiser und König, der Papst, ja der türkische Kaiser sind lauter Kartenkönige gegen diesen Herrn und Herrscher. Sie mögen große Titel und Namen führen, mögen heißen Großmächtige, Unüberwindliche, Allergnädigste usw., aber dieser König wird in allen Landen gepredigt, dass er sei wahrer Gott und Mensch, ein gewaltiger Herr und Herrscher, dem alle Dinge unterworfen sein müssen, Himmel, Erden und alles, was drinnen ist. Engel, Menschen, Teufel, Tod, Leben, Sünde, Gerechtigkeit usw. Martin Luther † l546.
V. 3. Für die jungen Kinder soll man insgemeinhin verstehen, die entweder ihres Alters oder Verstandes halben zugleich Kinder sind, oder der Vernunft und Verstandes halben allein. Jung und alt, was Christen sind, müssen doch Kinder werden, wo nicht am Alter, jedoch am Verstande; dass wir nicht mehr begreifen, denn die jungen Kinder; denn sobald sie mit Weisheit regieren wollen, so fallen sie dahin. Darum, will einer ein Christ sein oder ein Prediger, der fasse nur seinen Kopf, gebe sich gefangen, dass er nicht ein Mann, noch alt sei, sondern ein junges Kind. Mein Hans Luther studiert nicht viel, wie man ihm sagt, so geht er, lässt sich schlecht (d. h. schlicht) mit Worten führen.
Du, Herr, weil dein Reich verborgen ist und allein durch den Glauben erkannt wird, findest du nicht unter tapfern, mannhaftigen Leuten, die dich rechtschaffen loben, ja sie sind eben dieselbigen, die vor Unsinnigkeit ihrer Ehre deinem Lobe und Ehre heftig widerstreben. Darum erwählest du verachtete und geringe Leute, die dich loben und deinen Namen herrlich machen. - Kinder erweichen, erfreuen noch überwinden uns nicht durch ihre Macht, Weisheit, Stärke, sondern durch ihr Unvermögen, Torheit und Schwachheit. Also haben Christi Lober nicht mit weltlicher Stärke, nicht mit hohen Worten menschlicher Weisheit (1. Kor. 2,4), nicht durch Größe und Menge der Riefen, sondern durch törichte Predigt und Ärgernis des Kreuzes (1. Kor. 1,21.23) die Welt bezwungen und überwunden und den Namen des Herrn herrlich gemacht in allen Landen. Martin Luther † 1546.
Warum erwählt Gott die Kinder (im buchstäblichen und bildlichen Sinne) zu solch hohem Werke? Erstens, weil es Gott, dem Herrscher der Welt, gefällt, die Feinde seines Reiches durch schwache und verachtete Werkzeuge zu unterwerfen; zweitens, weil sie eben die demütigsten sind. Mt. 18,3 wird uns gesagt: Es sei denn, dass ihr euch umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen. Es ist, als sagte der Herr den Jüngern: Ihr streitet euch um den Vorrang in meinem Königreich und um weltliche Größe (V. 1); ich sage euch, mein Königreich ist ein Reich der Kleinen und umfasst nur solche, die klein sind in ihren eigenen Augen und es darum auch zufrieden sind, in den Augen anderer gering und verachtet zu sein, und die nicht nach hohen Dingen in der Welt trachten. Ein junges Kind weiß nicht, was Streit und Neid um Würde und Rang ist; darum suchte Jesus die Jünger von ihren fleischlichen Reichshoffnungen zu heilen, indem er ein Kind als Wahrzeichen der Demut in ihre Mitte stellte. Thomas Manton † 1677.
Schlesien war seit den Tagen der Reformation von den Verfolgungen und Bedrückungen um des Evangeliums willen schwer heimgesucht worden. Der teuer erkaufte Majestätsbrief von 1609 hatte wenig genützt. Besonders die Liechtensteiner Dragoner, Seligmacher genannt, waren eine drückende Last der evangelischen Bewohner, die durch sie mit Feuer und Schwert katholisch gemacht werden sollten. Viele suchten in den Nachbarländern Zuflucht. Von den evangelisch verbliebenen Kirchen gingen bis 1707 noch 114 verloren. Da geschah etwas ganz Wunderbares. Scharen von Kindern im Alter von fünf bis fünfzehn Jahren kamen täglich zweimal unter freiem Himmel zusammen, um zu beten. Auf die Frage, warum sie beteten, gaben sie zur Antwort: "Wir beten um unsere Kirchen." Im Gebirge fing dies an; fast in allen evangelischen Landschaften wurden die jungen Herzen dazu entzündet, auch Breslau ward davon ergriffen. Selbst durch die raue Winterzeit ließen sie sich nicht irremachen. Möglich ist es, dass das Beispiel der im Lande liegenden schwedischen Truppen, welche ihre Betstunden mit großer Andacht und Ordnung frei öffentlich zu hatten pflegten, auf die Kinder eingewirkt hat. Das ändert aber an der Tatsache nichts. Das Ende war, dass durch die im Jahre 1707 mit Joseph I. abgeschlossene Altranstädter Konvention den evangelischen Schlesiern freie Religionsübung zugesichert wurde. Auch wurden von den geraubten Kirchen 121 zurückgegeben und mehrere "Gnadenkirchen" neu erbaut. Seitdem hatte die Not ein Ende. Zum Andenken an dies Ereignis wurde eine Denkmünze geprägt. Sie trägt auf der einen Seite die Inschrift: "Kehr mich um, so wirst du sehen, was in Schlesien ist geschehen. 1707." Auf der andern Seite knien um ihren Lehrer in einem Kreise viele Kinder. Darunter stehen die Worte: Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge hast du dir eine Macht zugerichtet. Rudolf Kögel, Deine Rechte sind mein Lied, 1895.
Jene schwer geprüfte Märtyrerin, Alice Driver, machte in Gegenwart vieler Hunderte die Bischöfe verstummen, so dass sie selbst mit allen Freunden der Wahrheit Gott pries, weil auch die Dünkelhaftesten nicht dem Geiste widerstehen konnten, der sich in dem einfältigen Weibe offenbarte. Ja, so ist es: Aus dem Munde der Unmündigen richtet Gott sich eine Macht zu, durch sie legt er sich Ehre bei. Auch du, törichter Erdenwurm, sollst zu Gottes Verherrlichung dienen, wenn an den Tag kommt, was Gott an dir getan, was für sündliche Begierden er in dir erstickt und mit was für Gnadengaben er dich ausgerüstet hat. Der Herr kann noch Größeres an dir tun, wenn du auf ihn vertraust. Er kann dich tragen auf Adlersflügeln und dich stark machen, um seines Namens willen mächtige Trübsale geduldig zu ertragen und bis ans Ende zu beharren, im Glauben zu leben und deinen Lauf mit Freuden zu vollenden. Hat er dich zur rechten Herzensniedrigkeit gebracht, so wird dir deine sonstige Niedrigkeit desto mehr zur Ehre gereichen. Bewundern wir nicht alle Gottes Meisterschaft ebenso sehr oder noch mehr in der Ameise, dem kleinen kriechenden Tierlein, als in dem größten Elefanten? Staunen wir nicht darüber, dass so viele Körperteile und so kunstvoll gebaute Glieder in einem so kleinen Raume vereinigt sind und ein so schwaches Geschöpf im Sommer die Speise für den Winter sammelt? Wer sieht nicht ebensoviel von Gottes Herrlichkeit in einer Biene wie in größeren Geschöpfen? Bei Wesen von größerer Leibesbeschaffenheit vermuten wir von selbst größere Fähigkeiten und wundern uns nicht über dieselben. Darum, wenn du nun siehst, dass Gott dir, der du zu den Gliedern des Leibes Christi gehörst, die am wenigsten ehrbar sind, desto mehr Ehre angelegt hat (vergl. 1. Kor. 12,23), so preise Gott und sei mit deiner Niedrigkeit zufrieden. Die größte Herrlichkeit steht dir noch bevor; denn während die Weisen dieser Welt den Rat Gottes verachten, hast du (mit jenen Zöllnern und anderen verachteten Leuten) das Evangelium geehrt. Sicherlich wirst auch du ein guter Geruch Christi sein, und des Herrn Ruhm wird andern durch dich kund werden, weil du, einfältiges Geschöpf, dich hast unterweisen lassen zur Seligkeit (2. Tim. 3,15) und zum Gehorsam des Glaubens gekommen bist. Sei du nur gering in deinen Augen; es kommt der Tag, wo Gott deine stolzesten Feinde, die jetzt über dich hohnlachen, dazu bringen wird, dass sie kommen und anbeten zu deinen Füßen und bekennen (Off. 3,9), dass Gott Großes für dich und an dir getan hat, und wo sie unter den göttlichen Heimsuchungen wünschen werden, dass dein Los ihres wäre. Daniel Rogers 1642.
Als Joh. Heß († 1547), der Reformator der Kirche Breslaus, im Jahre 1545 so leidend wurde, dass er vom Predigen ablassen musste, wollte er wenigstens einem kleineren Kreise noch durch Vorlesungen über biblische Bücher dienen. Er erwählte dazu vor allem den Psalter, für den er eine besondere Vorliebe hatte. (Auf sein Psalmbuch hatte er schon früher geschrieben: Stab meines Alters.) Als er diese Vorlesungen eröffnete, erklärte er: Meine, des alten Magisters und Doktors, Theologie soll sein die Theologie aus dem Munde der Kinder und Unmündigen, welchen es der Vater offenbart (Mt. 11,25). - Nach Ed. Koch, Kirchenlied, 1847.
V. 4. Wie kommt David dazu, von Mond und Sternen zu sprechen und die Sonne gar nicht zu erwähnen, da jene doch nur die Kostgänger dieser sind, nur in dem Lichte scheinen, das die gütige Sonne ihnen mitteilt? Die Antwort ist, dass wir hier eine Nachtbetrachtung Davids vor uns haben. Die Sonne war verschwunden, und nur die anderen kleineren Lichter waren am Himmel sichtbar. Wie der Prachtglanz des Himmels sich am schönsten bei Tage zeigt, so wird die Mannigfaltigkeit der Wunder Gottes am Firmament am besten bei Nacht erschaut. Die Nacht ist dem Menschen zur Ruhe gegeben. Aber wenn uns der Schlummer flieht, ist es gut, gleich dem Psalmisten die schlaflosen Stunden mit guten Gedanken auszufüllen, um die schlechten Gedanken fernzuhalten und auszutreiben, die sonst von der Seele Besitz ergreifen würden. Thomas Fuller † 1661.
Der fleischliche Sinn sieht Gott in nichts, nicht einmal in geistlichen Dingen, seinem Wort und seinen Verordnungen. Ein durch den Geist erneuerter Sinn sieht Gott in allem, auch in den natürlichen Dingen, bei der Betrachtung des Himmels und der Erde und aller Geschöpfe. Deine Himmel, sagt David. Die geistliche Gesinnung sieht alles in seiner Beziehung zu Gott, sieht es als sein Werk, darin seine Herrlichkeit erscheint, und voll heiliger Erfurcht fürchtet sie sich, was Gott uns zum Nutzen und zur Freude geschaffen hat, zu Gottes Verunehrung zu missbrauchen. Tag und Nacht ist dein, o Gott (Ps. 74,16). Darum soll ich weder bei Tag noch bei Nacht dein vergessen. Erzbischof Robert Leighton † 1684.
Könnten wir uns über den Mond erheben, könnten wir den höchsten Stern über unserm Haupte erreichen, so würden wir alsbald neue Himmel, neue Sterne, neue Sonnen und Sonnensysteme, und vielleicht noch prächtiger ausgerüstete entdecken. Aber sogar dort würden die unermesslichen Reiche unseres erhabenen Schöpfers nicht ein Ende haben. Wir würden zu unserem Erstaunen finden, dass wir erst am Saum der Werke Gottes angekommen sind. Nur ganz wenig können wir von seinen Werken wissen, aber dieses Wenige soll uns lehren, demütig zu sein und Gottes Macht und Güte zu bewundern. Wie groß muss das Wesen sein, das diese ungeheuren Weltkugeln aus nichts erschaffen hat, ihren Lauf ordnet und sie alle mit seiner mächtigen Hand erhält! Was ist doch die Erdscholle, die wir bewohnen, mit all den prächtigen Schallspielen, die sie uns bietet, verglichen mit jenen unzählbaren Welten? Würde diese Erde vernichtet, es würde im Weltall so wenig auffallen, als wenn man vom Meeresstrand ein Sandkörnlein wegnähme. Im Vergleich mit jenen Welten sind die großen Reiche dieser Erde wie Stäublein, die in der Luft tanzen und unserem Auge nur sichtbar werden, wenn ein Sonnenstrahl auf sie fällt. Was bin ich dann inmitten der unzählbaren Scharen der Geschöpfe Gottes? Ich verliere mich völlig in meinem Nichts. Aber so gering ich in dieser Beziehung erscheine, so groß bin ich in andern. Es ist eine wunderbare Schönheit in dem sternbesäten Firmament, das Gott zu seinem Thron erkoren hat; sein Glanz blendet mich, seine Schönheit entzückt mich. Aber trotz alledem fehlt ihm eins: die Intelligenz. Es weiß nichts von seiner Schönheit, während ich, der ich nur ein von der göttlichen Hand geformter Erdenkloß bin, mit Verstand und Einsicht begabt bin. Ich vermag die Schönheit dieser glanzvollen Welten zu betrachten: Ja, ich bin, wenn auch noch unvollkommen, mit ihrem erhabenen Schöpfer bekannt und vertraut und schaue durch den Glauben Strahlen seiner göttlichen Herrlichkeit. Mein Vorrecht ist es, seine Werke zu erkennen und immer tiefer in sie einzudringen, bis ich einst in seliger Verklärung zur Höhe auffahren werde, um bei ihm hoch über den Sternen zu wohnen. Christian Sturm † 1786.
Deiner Finger Werk. Der Ausdruck deutet an, wie kunstvoll und sorgfältig diese Werke Gottes gemacht sind. Es ist ein bildlicher Ausdruck, etwa vom Sticken oder Teppichweben entlehnt. John Trapp † 1669.
Es ist durchaus christlich, die Natur als ein Erbauungsbuch zu betrachten. Wir haben darin die heiligen Schriftsteller zum Vorbild, und sogar unser Heiland selbst unterstützt uns in dieser Auffassung der Natur durch das Gewicht seines eigenen Beispiels. Er verbreitet sich über die Schönheit einer einzigen Blume und zieht daraus einen köstlichen Beweis, wie wir auf Gott vertrauen sollen (Mt. 6,28 ff.). Er zeigt uns, dass Frömmigkeit und guter Geschmack wohl vereinbar sind und dass unser Gemüt von heiligem religiösem Ernst sein und zugleich für die Schönheit und Lieblichkeit der Natur ganz aufgeschlossen sein kann. Hoch schwingt sich der Psalmist auf. Er lässt die Erde weit hinter sich zurück und versetzt sich in den endlosen Raum, der sich über und um sie ausbreitet. Dieser erscheint ihm nicht als eine wüste Öde, sondern erfüllt mit der Herrlichkeit und der Kraftwirkung der göttlichen Gegenwart. Die Schöpfung enthüllt sich vor den Augen des Dichters in ihrer Unendlichkeit, und die Erde mit allem, was darauf ist, schrumpft in ein Nichts zusammen ob dieser überwältigenden Betrachtung des Unendlichen. Er erstaunt darüber, dass sein kleines Ich inmitten all der Größe und Mannigfaltigkeit, die ihn auf allen Seiten umgibt, nicht übersehen ist, und indem er von der Majestät der Natur zu der Majestät ihres Werkmeisters aufsteigt, ruft er aus: Was ist der Mensch, dass du sein gedenkest, und des Menschen Kind, dass du dich sein annimmst? Thomas Chalmers 1817.
V. 5. Die Leser wollen beachten, dass der Psalmist durch diesen Vergleich die unendliche Liebe Gottes ins Licht stellen will. Es ist in der Tat wunderbar, dass Er, der diese Himmel geschaffen hat, deren Herrlichkeit so groß ist, dass sie uns zur höchsten Bewunderung hinreißt, sich so tief herablässt, sich huldreich des Menschengeschlechts anzunehmen. Dass der Psalmist gerade diesen Gegensatz hervorheben will, ergibt sich aus dem Wort $On)E (Mensch), das den Menschen in seiner Ohnmacht, Hinfälligkeit und Sterblichkeit bezeichnet. Wir könnten es am besten mit Sterblicher wiedergeben. Fast alle Ausleger übersetzen rqapIf mit heimsuchen, und dieser Sinn passt hier trefflich. Da das Wort aber manchmal sich erinnern bedeutet und wir oft in den Psalmen denselben Gedanken mit anderen Worten wiederholt finden, könnten wir es hier auch ganz wohl so übersetzen, als ob David sagte: Das ist ein wunderbares Ding, dass Gott des Menschen gedenkt und sich beständig sein erinnert. Jean Calvin † 1564.
Wie der hier gebrauchte seltenere Ausdruck für Mensch (enosch) auf die Hinfälligkeit des Menschen hinweist, so ist auch der im Parallelgliede gewählte Ausdruck Mdf)f-NbIe hier schwerlich ohne Nebenbedeutung. Er erinnert an den Ursprung des Menschen von der Erde hmfdf)A und an seinen Naturzusammenhang mit dem gefallenen Stammvater, fasst also unsere beiden Ausdrücke Erdensohn und Adamssohn in sich zusammen. - James Millard
Gott, was für ein kleines Wesen hast du doch zum Herrn über das große Weltall gemacht! Das winzigste Sandkörnlein ist nicht so klein im Verhältnis zur ganzen Erde, als der Mensch verglichen mit den Himmeln. Wenn ich deine Himmel ansehe, Sonne, Mond und Sterne, o Gott, was ist der Mensch? Wer sollte auf den Gedanken kommen, dass du all diese Werke deiner Hand um des einen willen gemacht hast, und zwar um dieses einen willen, der fast das kleinste aller Wesen ist! Dennoch hat er allein einen Blick für deine Werke; nur er kann in dem, was er sieht, dich bewundern und anbeten. Wie sollte er dies sich zur Aufgabe seines Lebens machen, da er allein dazu berufen ist! Fürwahr, der Wert der Dinge besteht nicht in ihrem Umfang und ihrer Zahl. Ein kleiner Diamant ist mehr wert als große Haufen von Steinen. Eine Last gediegenen Erzes gilt mehr als ganze Berge von Erde. Es ist uns erlaubt, dich zu preisen für das, was du an uns Menschen getan hast. Deine ganze Schöpfung birgt nicht mehr Wunder als einer von uns. Andere Geschöpfe hast du durch einen einfachen Befehl ins Dasein gerufen, den Menschen nicht ohne besonderen göttlichen Ratschlag. Andere wurden auf einmal, den Menschen bildetest du erst, dann hauchtest du ihm deinen Geist ein. Andere schufst du in verschiedenen Formen, nur ihnen selbst gleich, den Menschen nach deinem Bilde. Andere rüstetest du aus zum Dienen, den Menschen zur Herrschaft. Ihm gabst du selbst den Namen; sie bekamen ihre Namen vom Menschen. Wie sollten wir doch mehr als alle andern Geschöpfe dir geweiht sein, da du an uns so viel mehr gewendet hast als an andere! Bischof Joseph Hall † 1656.
Tiefer kann dem Menschen das Bewusstsein seiner Würde und doch zugleich die dankbare Erinnerung, von wem er sei, was er ist, nicht nahe gelegt werden, - das demütig erhebende Bewusstsein, das Psalm 8 ausspricht. Prof. J. T. Beck, Die christl. Lehrwissenschaft, 1875.
Durch die Wahl des Ausdrucks enosch (sterblicher Mensch) ist es klar, dass der Psalmist nicht vom Menschen in seinem Urstand, sondern von dem gefallenen und darum dem Elend und Tod anheimgegebenen Menschen redet. Dass du sein gedenkest, d. h. für ihn sorgst und ihm so hohe Gnaden verleihst. Des Menschen Kind: buchstäblich der Sohn Adams, jenes Abtrünnigen und Empörers; der sündige Sohn eines sündigen Vaters, sein Kind nach der Ähnlichkeit der Veranlagung und Art nicht weniger als durch die Zeugung. Dass Gott sich dennoch sein erbarmt, verherrlicht Gottes Güte. Dass du ihn heimsuchst - nicht im Zorn, wie das Wort manchmal angewendet wird, sondern in Gnade und Barmherzigkeit, wie es 1. Mose 21,1; 2. Mose 4,31; Ps. 65,10; 106, 4 (Grundtext) und gebraucht ist. C. H. Spurgeon 1869.
Was ist der Mensch? Jesaja antwortet: Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde (Jes. 40,6). Und David: Ein Hauch sind die Menschenkinder, eine Lüge die Menschen (Ps. 62,10 Grundtext). Wir sind gar bereit, uns selber und einander zu schmeicheln; Gott aber sagt uns deutlich, was wir sind. Es ist in der Tat wunderbar, dass Gott solch eine Kreatur, wie der Mensch es ist, gnädig anblickt. Ist er nicht der Schöpfer und wir nur Geschöpfe? Ist der Mensch nicht ein Erdenkloß, ein Stück Lehm? Vollends aber, wenn wir den Menschen in seiner Sündhaftigkeit und Unreinheit betrachten, müssen wir erstaunen über Gottes Herablassung. Was ist dies unreine Geschöpf, dass Gott es so erhebt? Ist’s möglich, dass der Herr auf den Unflat Wert legt und sein Auge mit Wohlgefallen auf Unreines richtet? Noch einen Schritt weiter: Was ist der aufrührerische Mensch, der Feind Gottes, dass Gott ihn herrlich machen sollte! Welche Verwunderung muss diese Frage als Antwort in uns hervorrufen! Ist’s möglich, dass Gott seine Feinde zu Würden erhebt und solche groß macht, die ihn vom Throne stürzen wollten? Kann ein Fürst einen Verräter erhöhen, oder dem Ehre verleihen, der ihm das Leben zu nehmen versuchte? Die sündige Natur des Menschen ist in unmittelbarem Widerspruch mit dem Wesen Gottes und möchte Gott aus dem Himmel herabreißen; Gott aber erhebt zur selben Zeit den Menschen zum Himmel. Die Sünde möchte den großen Gott erniedrigen, und dennoch macht Gott den sündigen Menschen groß! Das Evangelium aber gibt uns den Schlüssel zu diesen Rätseln und enthüllt uns, wie Gott bei alledem der Gerechte und Heilige bleibt. Joseph Caryl † 1673.
O über die Größe und die Kleinheit, die Vortrefflichkeit und die Verderbtheit, die Majestät und die Niederträchtigkeit des Menschen! Blaise Pascal † 1662.
Was ist der Mensch, o Herr, dass du
Vom Himmel hörst auf seinen Schrei,
Verlässest selbst die sel’ge Ruh
Und eilst zu seiner Hilf’ herbei?
Staub ist er von der Erde, nur
Belebt durch deinen Gotteshauch;
Und ziehst den Odem du zurück,
Kehrt er zurück zum Staube auch.
Ach, nimmer ist er wert der Güt’ und Treu’,
Die du vom Himmel spendest täglich neu.
Geringer ist er als der Staub,
Den du geschaffen für dein Himmelreich:
Er gab der Sünde sich zum Raub,
Die ihn erniedrigt hat, den Tieren gleich.
Und doch, o Herr, hast du erwählt den Armen,
Zu segnen ihn. Wie reich ist dein Erbarmen!
Tiefer als selbst die Tiere fiel
Der Mensch, der Gottes Bild einst trug
Und nun auf Satans Wegen geht
Im Sündendienst. Wo ist ein Fluch,
Den solcher Frevel nicht verdient aus Gottes Hand?
Und doch: zum Segen ist der Fluch gewandt!
Du selbst, Herr, kamst vom Himmel her
Und legtest ab all deine Herrlichkeit
Und suchtest uns, und nichts war dir zu schwer,
Durch eignen Tod dem Tod zu nehmen seine Beut’.
Ach, nimmer, nimmer sind wir Sünder wert
So teurer Gnade, die zu retten uns begehrt.
Wie hoch ist nun der Mensch erhöht,
Über die sel’gen Engel selbst, da Jesus Christ
Zur Rechten Gottes in der Majestät
Dort thront, der unser Bruder worden ist,
Und uns das Erbe droben hält bereit,
Wenn wir einst heimgehn dürfen aus dem Streit.
Nach Thomas Washbourne 1654.
So arm, so reich, so nichtig und so groß,
Ein wunderlich Gebilde ist der Mensch,
Und unbegreiflich Er, der so ihn schuf.
Das Widerstrebendste ist hier vereint
Zu einem Leben, wunderbar gemischt,
Darin entlegne Welten sich verbinden.
Ein eignes Glied in der endlosen Kette
Des Seins, die überführt vom Nichts zur Gottheit.
Ein Strahl aus Himmels Höhn, beschmutzt und trüb;
Ob trüb auch und besudelt, - göttlich doch!
Ein armes Bildchen unermessner Größe,
Erbe des Himmels und des Staubs gebrechlich Kind,
Hilflos, unsterblich doch, - ein Hauch, der ewig währt,
Ein Wurm, ein Gott! Ich zittre vor mir selbst,
Und bin in mir doch nichts.
Nach Edward Young † 1775
Der Herr sucht die Menschen heim, erstens, indem er sie züchtigt. Die schärfsten Gerichte kommen in der Schrift unter den Begriff der Heimsuchungen. Zweitens aber heißt heimsuchen im guten Sinne: Gnade erzeigen, erquicken, retten und segnen. Naemi erfuhr, dass der Herr sein Volk hatte heimgesucht und ihnen Brot gegeben (Ruth 1,6). Der Herr suchte Sarah heim usw. (1. Mose 21,1 f.).
Die größte Gnadenerweisung und Errettung, die je den Menschenkindern zuteil geworden, bezeichnet Zacharias so: Der Herr hat besucht und erlöset sein Volk (Lk. 1,68). Das sind die Gnadenheimsuchungen. Aus zwei Gründen werden solche Gnadenerweisungen Heimsuchungen oder Besuche genannt. Zunächst, weil Gott sich uns naht, wenn er uns Gutes tut. Wie die Schrift von Gott, wenn er ein Gericht oder eine Trübsal sendet, sagt, er weiche von einem Menschen oder Ort, so kommt er uns und unseren Häusern nahe, wenn er uns Gnade erweist. Sodann nennt die Schrift die Gnadenerweise Gottes Heimsuchungen, weil sie durchaus freie Taten seiner Liebe sind. Besuche zu machen zwingt uns nichts als die Liebe. Weil dieser und jener mein Freund ist und ich ihn lieb habe, suche ich ihn in seinem Heim aus. Daher wird jene größte Tat freier Gnade, die Erlösung der Welt, eine Heimsuchung genannt. Endlich schließt das Besuchen Fürsorge und Aufsicht ein. So wird das Amt der Hirten an der Herde Apg. 15,36 (Grundtext) und Sach. 10,3 mit diesem Wort bezeichnet, und die Fürsorge, welche wir an den Witwen und Waisen ausüben sollten, wird Jak. 1,27 ebenfalls in der Mahnung, sie zu besuchen, uns auf Herz gelegt. Joseph Caryl † 1673.
V. 6. Du hast ihn wenig niedriger gemacht denn Gott. Die Worte des Grundtextes haben ganz verschiedene Auslegung erfahren, so dass sie nach den einen von der Erniedrigung, nach den andern von der Hoheit des Menschen reden. Luthers spätere Übersetzung: Du wirst ihn lassen eine kleine Zeit von Gott verlassen sein, wird noch von Böhl (du machtest ihn entbehren eine Zeitlang Gottes) verteidigt. "Du wirst" ist jedenfalls (auch nach Böhl) unrichtig; höchstens können, wenn der erste Versteil von der Erniedrigung des Menschensohnes redet, die folgenden Zeitwörter futurisch gefasst werden: Du hast ihn lassen Gottes entbehren - du wirst ihn krönen (Böhl, Andreae), was eine seine Gegenüberstellung wäre. Aber es ist vielmehr schon Vers 6a von der Hoheit des Menschen die Rede. Nmi ist hier negativ gleich tOyh:mi (vergl. 1. Samuel 15,23). Also: Du ließest ihm wenig mangeln, dass er nicht Gott (Elohim) sei, d. h. du setztest ihn den Elohim beinahe gleich. Vergl. Luther 1524: ein wenig lassen mangeln an Gott. Was aber bedeutet hier Elohim? Das unserm Denken Nächstliegende, es als Gottheit, göttliche Wesenheit zu fassen (Hupf., Hengst.), ist nach Del. nicht statthaft, da Elohim nie abstrakt gebraucht wird. Fast alle alten Übersetzungen und die Rabbiner übersetzen es hier: Engel; so die LXX: h)la/ttwsaj au)to`n bracu/ ti par) a)gge/louj, und der Hebräerbrief wendet diese Übersetzung (2,7 Grundtext) wörtlich an. In der Tat wird das Wort Elohim Ps. 82,1.6; 97,7.9; 138,1 in einem umfassenderen Sinn gebraucht; und wenn auch die Beziehung dieser Stellen auf die Engel falsch ist und an unserer Stelle jedenfalls nicht ausschließlich an die Engel zu denken ist, so mag man doch Elohim hier vielleicht (mit v. Orelli, Weissag.) durch "göttliche Wesen" übersetzen und dabei an Gott und die Engel denken. Denn das +(am:, das Wenige, was dem Menschen an der Gottgleichheit fehlt, ist offenbar die Immaterialität. Er ist ein materielles und eben deshalb beschränktes und sterbliches Wesen. Dies unterscheidet ihn ebenso von Gott wie von den Engeln. Abgesehen davon ist er Gott ebenbildlich. Demnach ist schon hier, wie im Folgenden, von der Hoheit des Menschen die Rede. Sämtliche Zeitwörter sind dann perfektisch zu fassen. Das fut. consecut. des ersten Verbs gibt auch den beiden folgenden die Bedeutung des Rückblicks auf Geschehenes. So ist denn die revidierte Lutherübersetzung wesentlich richtig. Wir ziehen +(am: als Objekt zu "mangeln lassen"; dann kann es nur "ein Weniges", nicht: "eine kleine Zeit" bedeuten. Wer das Wort adverbiell ("ein wenig") auffasst, hat allerdings die Wahl, es entweder von dem Grade oder von der Zeit zu verstehen; nach dem Zusammenhang wird aber auch dann die Deutung auf den Grad vorzuziehen sein.
Der Psalm redet V. 6-8 offenbar von der königlichen Hoheit, die Gott dem Menschen gegeben hat. Wir haben hier eine dichterische Auslegung von 1. Mose 1,26-28. Die Zerstörung, welche die Sünde an der Gottebenbildlichkeit des Menschen und seiner Herrscherstellung über die Erde angerichtet hat, tritt vor dem Auge des Dichters zurück vor der Anschauung der ursprünglichen göttlichen Bestimmung. Da aber Gott seine Gedanken auch durch die krummen Wege der Menschen hindurch ausführt, so liegt in der ursprünglichen Bestimmung des Menschen auch nach dem Fall eine Weissagung auf seine zukünftige Zurückführung in den Urstand. Diese ist vermittelt durch den Menschensohn, Jesus. So wendet der Hebräerbrief auch unsere Stelle an. Jetzt fehlt viel daran, dass, was der Psalm vom Menschen sagt, an uns erfüllt wäre. Denn, wie van Osterzee (Cristol. van het oude verbond) sagt, "als der Sünder aufhörte, Gottes Priester auf Erden zu sein, konnte er auch nicht mehr König bleiben. Nun aber der zweite Adam erscheint, wird in ihm die Bestimmung des Menschen, die David so kräftig bezeugt, verwirklicht." Damit ist uns die Gewähr gegeben, dass die königliche Herrscherstellung des Menschen über die irdische Schöpfung, welche uns für jetzt verloren gegangen ist, auf der künftigen Erde zur vollen Geltung kommen wird. - James Millard
Du hast ihn ein wenig niedriger gemacht denn die Engel. (Übersetzung der LXX u.) Vielleicht war der Mensch nicht so sehr der Art seines Wesens, als seiner Stellung nach in seinem Urzustand niedriger als die Engel. Jedenfalls könnte nichts Höheres von den Engeln ausgesagt werden, als dass sie nach dem Bilde Gottes gemacht seien. Haben sie denn vor dem Menschen in seinem ursprünglichen Stand einen Vorzug gehabt, so kann es nur in dem Grad der Gottähnlichkeit gewesen sein. Die Engel sind als unsterbliche, mit Verstand begabte, heilige, machtvolle und herrliche Wesen geschaffen worden und tragen in diesen Eigenschaften das Bild ihres Schöpfers an sich. Aber hat Gott mit dem allem nicht auch den Menschen begabt? Hatte der Mensch nicht auch ewiges Leben, Verstand, Heiligkeit, Macht und Herrlichkeit? Wenn die Engel den Menschen übertrafen, so gewiss nicht durch den Besitz von Eigenschaften, welche dem Menschen durchaus fremd waren. Beide trugen Gottes Bild an sich, an beiden waren die Züge des göttlichen Wesens sichtbar. Ob diese Züge etwa in den Engeln stärker hervortraten als im Menschen oder nicht, das entscheiden zu wollen wäre Anmaßung. Wie immer aber ursprünglich die gegenseitige Stellung von Engeln und Menschen gewesen sein mag, das ist unzweifelhaft, dass der Mensch seit dem Fall in erschreckender Weise unter die Engel herabgesunken ist. Die Übertretung hat die Wirkung gehabt, alle seine Fähigkeiten zu schwächen und ihn von seinem hohen Rang in der Stufenleiter der Geschöpfe hinabzustürzen. Aber so entwürdigt und so tief gesunken er ist, hat er dennoch die Fähigkeiten seines Urstandes, in denen er den Engeln verwandt ist, noch im Keime in sich, und es ist daher offenbar die Möglichkeit vorhanden, dass sie so gereinigt und ausgebildet werden, dass der Mensch wieder in sein ursprüngliches Verhältnis zu den Engeln treten kann. Überdies aber ist die Bibel voll von Andeutungen, dass die Engel, weit entfernt davon, ihrer Natur nach höher als die Menschen zu sein, sogar noch jetzt nicht die Bedeutung haben, welche unserm Geschlecht zukommt. Es ist ein wunderbares Geheimnis, dass für den gefallenen Menschen ein Erlöser erstanden ist, aber nicht für die gefallenen Engel. Ist es zu viel gesagt, dass die Tatsache, dass Gott wohl für den Menschen, nicht aber für die Engel ins Mittel getreten ist, zu der Überzeugung berechtige, dass die Menschen zumindest keinen geringeren Platz als die Engel in der Liebe und Fürsorge ihres Schöpfers einnehmen? Werden nicht überdies die Engel uns dargestellt als dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die ererben sollen die Seligkeit? (Hebr. 1,14) Legt uns diese Darstellung nicht den Gedanken nahe, dass die Gläubigen, von Engeln bedient und begleitet, als Gottes Kinder sich auf dem Wege befinden zu einer herrlichen Herrschaftsstellung, die so hoch erhaben ist, dass die, welche mit dem Winde einherfahren und leuchten wie Feuerflammen, es für ihre Wonne halten, ihnen Ehre zu erweisen? Noch mehr, erfüllt nicht die Buße eines einzelnen Sünders das ganze Engelheer mit Freude? Bekundet nicht diese Tatsache, dass die Bekehrung eines Sünders jedes Mal eine neue Woge des Entzückens durch das himmlische Reich der Engel gehen lässt, eine so tiefgehende Sympathie der Engel mit den Menschen, dass daraus schon zu ersehen ist, einen wie hohen Rang der Mensch in der Stufenleiter der geschaffenen Wesen einnimmt? Wir mögen hinzufügen, dass die Engel auch an den Menschen lernen, sofern Paulus den Ephesern erklärt, dass jetzt den Fürstentümern und Herrschaften in dem Himmel an der Gemeinde die mannigfache Weisheit Gottes kund werde. (Eph. 3,10; vergl. auch 1. Petr. 1,12) Wenn wir uns ferner erinnern, dass der Apostel Johannes in einem der erhabenen Gesichte, deren er gewürdigt ward, die 24 Ältesten, die Vertreter der Gemeinde des Herrn, die Stühle unmittelbar um den Thron Gottes einnehmen sah, während die Engel nicht so nahe standen, sondern den weiteren Kreis bildeten, so scheint es uns auf die mannigfaltigste Art bewiesen zu sein, dass die Menschen nicht als ihrer Natur nach den Engeln untergeordnet anzusehen sind, und dass sie, so sehr sie sich selbst aus ihrer erhabenen Stellung hinabgestürzt, den Glanz ihres Urzustandes befleckt und ihre ursprüngliche Kraft untergraben haben mögen, trotz alledem noch der höchsten Erhöhung fähig sind und nur wieder in die verloren gegangene Stellung eingesetzt werden und Raum für die Entfaltung ihrer gottverliehenen Macht bekommen müssen, um als die herrlichsten aller Geschöpfe und die edelsten Ebenbilder Gottes hervorzuleuchten. Henry Melvill † 1854.
V. 4-9. Welch hohe Stellung hat doch Gott dem Menschen in der Schöpfung gegeben! Gerade die Betrachtung der Herrlichkeit des Himmels V. 4 war es, die den Psalmisten zu der Frage staunender Bewunderung der Güte Gottes gegen den Menschen hinriss: Was ist der Mensch? Ja, was ist der Mensch, dass Gott für ihn Sonne, Mond und Sterne am Himmelszelt befestigt und diese alle ihm zu Dienst und Nutzen geordnet hat? Wenn irgendwo in einem Hause große Vorbereitungen getroffen und köstliche Vorräte aufgespeichert werden und die Wohnung mit schönem Hausrat ausgerüstet wird, so fragen wir: Wer ist denn der Mann, der in dies Haus einziehen soll? Da Gott nun den Bau des Weltalls so trefflich ausgeführt und diese Erde zu einer so herrlichen Wohnstätte ausgerüstet und geschmückt hat, fragen wir billig mit Verwunderung: Was ist der Mensch, der zum Bewohner dieses Hauses bestimmt ist? Noch höher aber ist der Mensch dadurch erhoben, dass ihm Gottes Bild aufgeprägt wurde. Eine Seite dieser Gottebenbildlichkeit beschreibt der Psalmist in V. 7 ff. Was ist der Mensch, dass ihm die Weltherrschaft übergeben ist? Endlich leuchtet die Hoheit des Menschen daraus hervor, dass Gott ihn nur wenig zurückstehen ließ hinter den immateriellen Wesen, V. 6. Der Fall hat freilich in dem allem eine schmerzliche Änderung gebracht. Aber in dem Menschensohne hat es seine volle Wahrheit wiedergefunden, und in dem erlösten Menschen wird es sich wieder herrlich verwirklichen. Joseph Caryl † 1673.
V. 7. Um dich vor dem Umherflattern deiner Gedanken beim Beten zu schützen, siehe zu, dass du gegenüber den Dingen dieser Welt die gebührende Zurückhaltung wahrest und von dem Herrscherrecht Gebrauch machest, das Gott dir über alles Irdische gegeben hat. Solange der Vater und Herr eines Hauses seine Stellung innezuhalten weiß, so lange werden Kinder und Gesinde auch die ihnen geziemende Stellung entnehmen, gehorsam und dienstfertig sein; aber wenn der zum Gebieten Berufene seine Stellung vergisst, wenn des Vaters Liebe zu den Kindern zuchtlos wird und der Hausherr sich mit dem Gesinde gemein macht, verliert er seine Autorität, und die Untergebenen werden frech und zügellos. Befiehlst du ihnen etwas, so kann es geschehen, dass sie sich nicht rühren; gibst du ihnen eine Aufgabe, so werden sie es dich selber tun lassen. Gerade so geht es tatsächlich dem Christen. Alles Geschaffene ist ihm zum Dienst gemacht, und solange er sein Herz in gebührender Entfernung davon hält, seine Herrscherstellung darüber ausübt und die Dinge nicht zu Schoßkindern macht, welche Gott unter seine Füße getan hat, so lange ist es gut, und er kann in geordneter Gemütsverfassung der Pflicht der Anbetung Gottes obliegen. Dann kann er trauten Umgang mit Gott pflegen, und diese irdischen Dinge dürfen sich nicht erfrechen, in sein Heiligtum einzudringen, um ihn zu stören. William Gurnall † 1679.
In Betreff der Herrschaft Christi über die Natur vergleiche man den wunderbaren Fischzug, die Speisungen, das Verdorren des Feigenbaums usw. Prof. Johannes Wichelhaus † 1858.
V. 9. Jedes Gericht Fische oder Vögel, das auf unseren Tisch kommt, ist ein Erweis dieser Herrschaft, welche dem Menschen über die Werke Gottes verliehen ist, und eine Mahnung, uns Gott als unserm Oberherrn in Dank und Gehorsam zu unterwerfen. C. H. Spurgeon 1869.
Homiletische Winke
V. 2. | Jahwe, unser Herr. Die persönliche Zueignung des Gottes der Offenbarung als unseres Herrn unser köstliches Vorrecht. Wie sich die Herrlichkeit des göttlichen Namens und Wesens überall und unter allen Umständen offenbart. Eine Predigt oder ein Vortrag über die Herrlichkeit Gottes in der Schöpfung und Vorsehung. Die allgemeine Offenbarung Gottes in der Natur und ihre Vortrefflichkeit. Die unfassbare und unendliche Herrlichkeit Gottes, die selbst den Glanz des Himmels und das Verständnis der Engel übertrifft. (Nach der anderen Übersetzung: Der du deine Herrlichkeit über die Himmel gesetzt hast.) |
V. 3. | Kindesfrömmigkeit. Ihre Möglichkeit, ihre Inbrunst, ihre "Macht" und ihr Einfluss: "dass du usw." Die Macht des Evangeliums nicht begründet in der Beredsamkeit oder Weisheit seiner Verkündiger. Große Wirkungen aus kleinen Ursachen, wo der Herr zu einem Werk beruft. Wie solche, die noch Kindlein in der Gnade sind, Großes verkündigen und Großes ausrichten können. Die Mächte der Bosheit, durch das Zeugnis schwacher Gläubigen zunichte gemacht. Der große Feind Gottes und der Menschen, vernichtet durch die Siege der Gnade. |
V. 5. | Die Unbedeutenheit des Menschen. Gottes Gedenken an ihn. Die göttlichen Heimsuchungen. Die Frage: Was ist der Mensch? - Jedes dieser Themata würde für eine Predigt genügen, oder man könnte sie miteinander vereinigen. |
V. 6. | Des Menschen Stellung zu den Engeln. Die Stellung, welche Jesus um unsertwillen eingenommen hat. Die Krone der Menschheit: die Herrlichkeit unserer Natur in Jesu Person. |
V. 6-9. | Die Weltherrschaft unsers Herrn Jesu. |
V. 7. | Des Menschen Rechte und Pflichten gegen die niederen Geschöpfe. Die Herrschaft des Menschen über die Tiere, und wie er sie ausüben sollte. |
V. 7b. | Der rechte Platz für alle irdischen Dinge: unter unseren Füßen. |
V. 10. | Wie wir beim Wandern durch viele Gegenden die Köstlichkeit des Namens des Herrn überall genießen können. |
Fußnoten
1. Wörtlich übersetzt lautet diese Verszeile: welcher lege (Imperativ) deine Pracht auf die Himmel. Das ist eine unmögliche Satzbildung; auch erwartet man nach dem ganzen Inhalt des Psalms nicht eine Aufforderung an Gott, seine Herrlichkeit am Himmel zu entfalten, sondern eine Aussage, dass er, der sich auf Erden und zumal an dem Menschen in so herablassender Gnade verherrlicht, derselbe sei, der seine Herrlichkeit auch am Himmel wunderbar erstrahlen lasse. Dass dies ungefähr der Sinn sein wird, kann kaum zweifelhaft sein; aber alle bisherigen Versuche, den vorliegenden hebräischen Text dementsprechend zu deuten oder zu ändern, unterliegen sprachlichen Bedenken. Wir heben nur zwei heraus: Man deutet hnftI: als (allerdings regelwidrige) Infinitivform, dann wörtlich: o du, des Herrlichkeitslegung, d. h. der du deine Herrlichkeit auf die Himmel gelegt hast, oder man liest hnftf (3. Pers. Indik.), indem man ein solches Verb mit der Bedeutung "sich ausdehnen, erstrecken" erfindet und dann so übersetzt: Du, dessen Prachtglanz sich ausbreitet über die Himmel. - Luthers Übersetzung ist auch nur geraten. Spurgeon fasst mit älteren Auslegern, denen auch Segonds französische Übersetzung folgt, das "über die Himmel" im Sinne von "höher als die Himmel": "der du deine Herrlichkeit über die Himmel gesetzt hast."
2. Wir verdanken die Übertragung dieser poetischen Zeilen dem Herrn Superintendenten O. Greeven († 1895) in Büderich, Kr. Mörs.
3. Der Bearbeiter der deutschen Ausgabe hält die revidierte Lutherübersetzung für richtig. Zum Ganzen vergleiche man die Erläuterungen und Kernworte.
4. Zu dieser doppelsinnigen Auslegung ist Spurgeon jedenfalls durch den Hebräerbrief (Hebr. 2,5 ff.) geführt worden, der das bracu/ ti der LXX zwar (nach unserer Auffassung) auch zuerst, Vers 7, graduell fasst, dann aber bei der Vers 9 folgenden Anwendung auf Christus das bracu/ ti im zeitlichen Sinne wiederholt. Mit dieser Anwendung ist freilich nicht bewiesen, dass der Schreiber des Hebräerbriefes den Doppelsinn exegetisch dem angeführten Psalmwort belege, sondern er scheint uns dem Hauptgedanken, den ihm der Psalmvers nach den LXX darbot, dass nämlich Jesus graduell ein wenig unter die Engel erniedrigt worden sei, den andern Gedanken noch hinzuzufügen, dass Jesus in diese Erniedrigung nur für eine kleine Weile eingegangen sei.