Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 108 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Ein Psalmlied, oder ein Lied und Psalm Davids, entweder frohlockend als eine Art Nationalhymne zu singen oder feierlich als geistliches Lied. - Wir können es nicht übers Herz bringen, diesen Psalm kurzerhand damit abzufertigen, dass wir den Leser auf Ps. 57,8-12 und Ps. 60,7-14 verweisen, obwohl eine Vergleichung sofort zeigt, dass diese Stücke mit den vorliegenden Versen nahezu völlig übereinstimmen. So einfach verfahren allerdings die meisten Ausleger, und wir nehmen uns nicht die Kühnheit heraus, ihre Weisheit zu bestreiten. Doch halten wir für uns an der Meinung fest, dass diese Worte ohne bestimmten Grund und Zweck nicht wiederholt worden wären, dass diese aber nie ergründet werden könnten, wenn jeder Leser einfach sagte: "Den Abschnitt haben wir ja schon einmal gehabt, also brauchen wir uns nicht mehr damit zu beschäftigen." Der Heilige Geist ist doch nicht so um Ausdrücke verlegen, dass er nötig hätte sich zu wiederholen, und die Wiederholung kann demnach nicht den Zweck haben, nur leere Seiten auszufüllen. Vielmehr muss die Vereinigung von zwei früheren durch den Geist Gottes gewirkten Herzensergüssen zu einem neuen Ganzen von einer Absicht geleitet sein. Ob wir diese entdecken können, ist eine Sache für sich. Unsere Pflicht ist es auf jeden Fall, es ernstlich zu versuchen, und wir haben ein Recht, dabei auf Gottes Beistand zu hoffen.
  Wir haben hier Des Kriegshelden Morgenlied vor uns, mit dem er seinen Gott verherrlicht und sein Herz stärkt, ehe er den Kämpfen des Tages entgegengeht. Ähnlich wie jener alte General im Gebet die Hilfe von Seiner Majestät hohem Alliierten anzurufen pflegte, so wendet sich David an seinen Gott und pflanzt in Jehovahs Namen sein Banner auf.

Einteilung. Der erste Teil, V. 2-6, ist ganz von dem heiligen Drang, den HERRN zu preisen, beherrscht, der zweite, V. 7-13, von dem Geiste gläubigen Gebets. Mit V. 14 endet der Psalm in einem Wort glaubensmutigen Entschlusses, mit dem der Held, da er die Kriegstrompete hört, unverzüglich mit seinen Gefährten in die Schlacht rückt.


Auslegung

2. Gott, es ist mein rechter Ernst;
ich will singen und dichten,meine Ehre auch.
3. Wohlauf, Psalter und Harfe!
Ich will mit der Frühe auf sein.
4. Ich will dir danken, HERR, unter den Völkern;
ich will dir lobsingen unter den Leuten.
5. Denn deine Gnade reicht, soweit der Himmel ist,
und deine Wahrheit, soweit die Wolken gehen.
6. Erhebe dich, Gott, über den Himmel
und deine Ehre über alle Lande.

Diese fünf Vers finden sich fast völlig übereinstimmend in Ps. 57,8-12. Die Abweichungen sind von wenig Bedeutung. Der Hauptunterschied liegt in der Stellung der Verse. Im 57. Psalm folgen diese Worte des Lobpreises auf Gebet und wachsen daraus hervor. Hier dagegen fängt der Dichter sofort damit an, zu singen und zu loben, und betet hernach mit besonderer Zuversicht, so dass man den Eindruck gewinnt, sein Beten sei mehr ein gläubiges Ergreifen der göttlichen Huld und Hilfe als ein eigentliches Erflehen derselben. Bisweilen müssen wir, um uns zum Preisen Gottes aufzuschwingen, Stufe um Stufe auf der Gebetsleiter emporklimmen; in andern Fällen bereiten wir uns dadurch, dass wir Gott zuerst für die in vergangener Zeit erfahrene Güte preisen, innerlich am besten zu, um im Glauben für gegenwärtige und künftige Bedürfnisse bitten zu können. Unter dem Beistand des Geistes Gottes können wir uns sowohl zum Loben emporbeten als auch mit dem Lobpreis des HERRN die matte Seele in die rechte Verfassung zum Bitten bringen. In Ps. 57 sind diese Worte, in der Höhle Adullam gesungen, ein Erguss des Glaubens Davids, da dieser eben seine Kämpfe mit einheimischen Feinden der schlimmsten Art beginnt. Hier dagegen redet er als ein Mann, der schon manchen Feldzug durchgemacht und allen Widerstand, der sich daheim erhoben, niedergerungen hat und nun, da er seinen Blick ringsumher auf Eroberungen richtet, mit eben jenen Worten den unabänderlichen Entschluss zum Ausdruck bringt, Gott zu preisen. So dient der Abschnitt, der einen trefflichen Schluss für den einen Psalm bildete, als nicht minder beachtenswerter Eingang zu einem neuen Psalm. Wir können den Entschluss, unseren HERRN zu verherrlichen, nicht zu oft mit rechtem Ernst erneuern. Auch brauchen wir, wenn wir Gott nahen, nicht zaghaft zu sein, die gleichen Worte zu gebrauchen; denn der HERR, der leere Wiederholungen nicht leiden mag, findet an erkünstelten Veränderungen ebenso wenig Geschmack. Gewisse Ausdrücke sind so trefflich, dass man sie gerne immer wieder gebraucht; wer wollte auch einen Becher aus dem Grunde wegwerfen, weil er schon einmal daraus getrunken hat? Gott soll man mit den besten Worten ehren, und sind uns solche gegeben, so sind sie sicherlich gut genug, abermals benutzt zu werden. Beständig ein und dieselben Worte zu gebrauchen, nie ein neue Lied hören zu lassen, das wäre ein Zeichen arger geistlicher Trägheit und müsste zu totem Formenwesen führen; anderseits dürfen wir aber nicht meinen, neue Ausdrücke seien an sich schon andächtiger, und sollen nicht nach ihnen haschen, als wären sie das eine, was not ist. Es könnte wohl sein, dass unser himmlischer Vater uns hier lehren will, uns nicht darüber zu quälen, wenn uns beim Beten keine große Auswahl passender Ausdrücke zu Gebote steht, sondern dass wir beim Flehen wie beim Loben gleich unserem Heiland in Gethsemane "dieselbigen Worte reden" dürfen.

2. Gott, es ist mein rechter Ernst, wörtl. (wie Ps. 57): mein Herz ist fest, d. h. entschlossen, bereit oder getrost. Trotz der Unruhen des Kriegslebens, trotz der mancherlei Sorgen, die mich bestürmen, ist mein Herz doch fest auf eins gerichtet und lässt sich davon durch nichts mehr abbringen. Deine Gnade hat meine unbeständige Natur überwunden, so dass ich jetzt in entschlossener, entschiedener Seelenverfassung bin. Ich will singen und spielen. (Wörtl.) Mit beiden, mit Gesang und mit Musik, mit der Stimme, die du mir gegeben, und mit Harfe und Leier, will ich dich erhöhen. Selbst wenn ich in der Schlacht das Kriegsgeschrei erhebe, will ich dennoch in meinem Herzen dir singen, und obwohl meine Finger den Bogen spannen müssen, sollen sie doch auch in die Saiten greifen und dein Lob verkündigen. Meine Ehre auch - mit Verstand und Zunge, mit meiner Dichtergabe und musikalischen Fähigkeit und allem, was sonst noch mir Ruhm und Ehre bereitet, will ich dir dienen. Es ist meine Ehre, dass ich sprechen kann und nicht ein stummes Geschöpf bin; deshalb soll meine Stimme deinen Ruhm verkündigen. Meine Ehre ist’s, dass ich Gott kenne und nicht ein Heide bin; darum soll mein erleuchteter Verstand dich anbeten. Meine Ehre ist, dass ich ein Knecht des HERRN und nicht mehr in meinem widergöttlichen Naturzustande bin; so soll deine Gnade in mir dich preisen. Es ist meine Ehre, unsterblich zu sein und nicht ein Stück Vieh, das vergeht; deshalb soll mein Innerstes deine Majestät verherrlichen. Wenn der Psalmist sagt: "Ich will", so liegt darin, dass ihm Versuchungen, davon abzustehen, nicht unbekannt sind; aber diese weist er von sich und macht sich fest entschlossen an die fröhliche Aufgabe. Wer mit rechtem Ernst singt, wird nicht nur einen guten Anfang machen, sondern herzhaft weitersingen und überdies höchst wahrscheinlich auch gut singen.

3. Wohlauf (oder: wache auf), Psalter und Harfe! Sein Herz ist so voll Musik, dass ihm die Stimme allein nicht genügt, das, was er fühlt, zum Ausdruck zu bringen; es drängt ihn, auch in die wohlgestimmten Saiten zu greifen und ihnen etwas von seiner eigenen Lebendigkeit mitzuteilen. Welch wunderbare Veränderung geht doch mit den dürren Saiten vor sich, wenn gewisse Hände darauf spielen! Ist’s nicht in der Tat, als erwachten sie zum Leben, und als verbände sich ihr Leben geheimnisvoll mit dem des Künstlers zu einem Leib und einer Seele, so dass sein Geist sich ihnen mitteilt, seine Seele sie durchzittert? Musik kann ja Gott nur dann angenehm sein, wenn eine wahrhaft ihm begeisterte Seele aus dem Instrument spricht. An tönender Musik als solcher kann der HERR, der Geist ist, kein Wohlgefallen haben; ihm macht nur die denkende Empfindung Freude, die sich darin Ausdruck verschafft. Und wer musikalische Fähigkeit hat, sollte diese liebliche Gabe und die ihm damit verliehene Macht über die Gemüter seiner Mitmenschen viel zu hoch schätzen, als dass er sie irgendwie in den Dienst der Sünde stellen könnte. Ich will mit der Frühe auf sein. Die besten, muntersten Stunden des Tages sollen mich wachen Herzens finden, meinen Gott zu preisen. Wörtlich heißt es: Ich will das Morgenrot wecken. Gar manche Sänger werden das nicht fertig bringen, haben es vielmehr selber dringend nötig, aufgeweckt zu werden; singen sie doch in so langweilig gedehntem Ton, als wären sie halb im Schlaf. Mühsam schleppt die Melodie sich hin, gedanken- und gefühllos werden die Worte abgesungen; der Hörer vernimmt nur geistlose, plumpe Laute, wie wenn der Chor die Töne mechanisch aus einer alten Drehorgel ableierte. O liebe Sänger, wachet auf! Das Singen ist kein Werk für Träumer, sondern erfordert eure besten Kräfte in vollster Frische und Lebendigkeit. Bei allem, was Gottes Dienst und Anbetung betrifft, sollte es der Entschluss eines jeden Teilnehmers sein: Ich will ganz wach und dabei sein. Und wie anders verliefe mancher Tag und manches Leben, wenn Gottes Kinder mehr gleich dem Psalmisten das Morgenrot mit ihren Lobgesängen aufwecken wollten!

4. Ich will dir danken (dich preisen), HERR, unter den Völkern. Wer immer mir zuhören mag, er sei fromm oder gottlos, ein gläubiger Israelit oder ein Heide, ein zivilisierter Mensch oder ein Barbar, ich will mich in meinem Singen und Spielen dem Höchsten zu Ehren nicht stören lassen. Es ist einem fast, als hätte David im Geiste vorausgesehen, dass seine Psalmen noch einst in allen Landen gesungen werden sollten, von Grönlands eisigen Zacken bis hin nach Indiens Korallenstrand. Sein Herz war weit, er hätte mögen das ganze Menschengeschlecht auf seine Freudenpsalmen lauschen sehen - und siehe, sein Wunsch ist nun erfüllt, denn Davids Lieder schallen in allen Landen, allen Sprachen zum Himmel empor. Kein Liederdichter ist so weltbekannt wie er. Er hatte nur ein einziges Thema: Jehovah hat er besungen und niemand sonst. Und weil sein Werk also aus Gold, Silber und Edelgestein gefertigt war, hat es die Feuerprobe der Zeit bestanden und ist in unseren Tagen höher geschätzt denn je. O du glücklicher Mann, der du dir als dein Teil erwählt hast, ein Sänger der Gottesminne zu sein; du bleibst der lorbeergekrönte Dichter des Himmelreichs bis zum Ende der Zeiten. Ich will dir lobsingen unter den Leuten. Diese Worte fügt er nicht nur bei, um das Ebenmaß der Versglieder herzustellen, sondern um seinen festen Entschluss aufs Neue zu bekräftigen. Mit dem Lobe Jehovahs auf den Lippen marschiert er in die Schlacht, und nach errungenem Sieg sollen die eroberten Städte vom Lob Jehovahs widerhallen. Er ist entschlossen, seine Frömmigkeit mitzunehmen, wohin immer er seine Eroberungen ausdehnt, und die Besiegten sollten nicht Loblieder auf David, sondern den Ruhm des Herrn Zebaoth hören. Ach, dass doch alle, die sich zum HERRN bekennen, das Lob Gottes mit sich trügen, wohin immer sie ihr Weg führt! Die Besorgnis ist nicht unbegründet, dass manche ihre Frömmigkeit dahinten lassen, wenn sie auf Reisen gehen oder gar der Heimat für immer Lebewohl sagen. Die Völker überall auf Erden müssten bald die frohe Botschaft von Jesu kennen, wenn jeder christliche Reisende so innig fromm wäre wie der Psalmist. Leider muss man aber befürchten, dass der Name des HERRN durch viele, die sich nach ihm nennen, unter den Heiden eher verlästert als verherrlicht wird.

5. Denn groß über den Himmel hinaus ist deine Gnade (Grundtext); deshalb dürfen keine Schranken weder des Raumes noch der Zeit noch der Nationalität den Ruhm dieser Gnade hemmen. Wie der Himmel sich über dem ganzen Erdkreis wölbt und die Gnade von oben her auf alle herabströmt, so sollst du, o Gott, auch allenthalben unter dem Himmel gepriesen werden. Die Gnade ist höher denn die Berge, wiewohl diese die Wolken übersteigen. Die Erde vermag nicht all die Fülle der Gnade zu fassen; sie ist so reich, so unermesslich, so unendlich hoch, dass selbst die Himmel von ihr überragt werden. Und deine Wahrheit, soweit die Wolken gehen. So fern unser Auge reicht, nehmen wir deine Wahrheit und Treue wahr, und vieles liegt noch weit darüber, von Wolken verhüllt; wir sind jedoch gewiss, dass alles Gnade ist, wie fern und hoch es auch über unserem Gesichtskreis liege. Darum soll unser Lobgesang sich hoch erheben, der Psalm weit erschallen bis in die fernsten Fernen. Hier ist Raum für die mächtigsten Chöre, denn der Gegenstand ist donnernd erschallender Lobgesänge würdig.

6. Erhebe dich, Gott, über den Himmel und deine Ehre über alle Lande. Du, der du über Himmel und Erde erhaben bist, erweise dich durch die Offenbarung deiner selbst als der Erhabene über die Himmel hin droben und lass auch die ganze Erde deiner Herrlichkeit inne werden. Andere übersetzen (vergl. die Anm. zu Ps. 57,6). Werde erhoben (d. i. gepriesen), Gott, über den Himmel, und deine Ehre (werde erhoben) über die ganze Erde hin. Hilf, dass der Lobpreis deines Namens der Größe deiner Gnade entspreche. O wenn wir danach Gebet und Lobpreis bemessen wollten, mit welcher Inbrunst würden wir singen! Die ganze Erde mit der sich über ihr wölbenden Riesenkuppel wäre uns noch ein zu kleiner Dom und die gesamten Kräfte der ganzen Menschheit zu schwach für das große Hallelujah. Die Engel müssten wir zu Hilfe laden, und sie kämen gewiss. Ja, sie werden kommen, an jenem Tage, da alle Lande des Lobes des HERRN voll sein werden. Wir sehnen uns nach der Zeit, da Gott von aller Welt im Geist und in der Wahrheit angebetet werden und seine Herrlichkeit, wie sie sich im Evangelium enthüllt, allenthalben in den Herzen erstrahlen wird. Dies ist ein echtes Missionsgebet. David hatte nichts von der Ausschließlichkeit des modernen Juden an sich noch von der Engherzigkeit mancher Namenchristen. Um Gottes willen, damit seine Ehre allenthalben anerkannt werde, verlangte sein Herz danach, Himmel und Erde des Preises Gottes voll zu sehen. Amen, ja, also geschehe es!


7. Auf dass deine lieben Freunde errettet werden,
hilf mit deiner Rechten und erhöre mich!
8. Gott redete in seinem Heiligtum, des bin ich froh,
und will Sichem teilen und das Tal Sukkoth abmessen.
9. Gilead ist mein, Manasse ist auch mein,
und Ephraim ist die Macht meines Haupts,Juda ist mein Zepter,
10. Moab ist mein Waschbecken,
ich will meinen Schuh über Edom strecken;über die Philister will ich jauchzen.
11. Wer will mich führen in eine feste Stadt?
Wer wird mich leiten bis nach Edom?
12. Wirst du es nicht tun, Gott, der du uns verstößest
und ziehest nicht aus, Gott, mit unserm Heer?
13. Schaffe uns Beistand in der Not,
denn Menschenhilfe ist nichts nütze.

Bitte folgt jetzt auf das Lob, und aus diesem gewinnt sie Glaubensstärke und heilige Kühnheit. Es ist häufig das Beste, die Andacht mit einem Lobgesang zu beginnen, und erst dann die Bitten unseres Herzens gleich durchdringenden Wohlgerüchen ausströmen zu lassen, wenn das liebliche Getön der Harfen schon im vollen Zuge ist.

7. Auf dass deine lieben Freunde errettet werden, hilf mit deiner Rechten und erhöre mich! Lass mein Flehen ihnen allen, deinen Geliebten, die auch ich so herzlich liebe, zugutekommen. Manchmal scheint das Schicksal eines ganzen Volkes von den Gebeten eines Einzelnen abzuhängen. Mit welcher Inbrunst sollte denn ein solcher sein Herz vor Gott ausschütten! So macht es David hier. Für Gottes liebe Freunde lässt sich leicht beten, denn da sind wir einer günstigen Antwort gewiss; geht doch Gottes Herz schon vorher darauf aus, ihnen Gutes zu tun. Dennoch ist es eine feierlich ernste Sache, Fürbitte zu tun, wo wir fühlen, dass das Geschick eines ganzen heiß geliebten Volkes von dem abhängt, was der HERR mit uns, die er an verantwortungsvollen Platz gestellt, vorhat. "Erhöre mich, damit deine vielen Freunde errettet werden"; so betet er mit inbrünstigem, kühnem Flehen. David war davon durchdrungen, dass die Sachlage ein Eingreifen der Rechten Gottes erfordere - sein allweises, schleuniges und erfolgreiches Dazwischentreten. (Unsere rechte Hand ist ja die geschicktere, behändere und wirksamere.) Er ist auch überzeugt, dieses für sich zu erlangen, eben weil mit seiner Sache die Wohlfahrt des ganzen Volkes verknüpft ist. Wie könnte der HERR es unterlassen, seine mächtige Rechte zu Gunsten derer zu gebrauchen, die er in Gnaden zu seiner Rechten gestellt hat? Werden die Geliebten von dem, dessen Liebe sie zu Freunden erkoren, nicht errettet werden? Wenn das Anliegen, mit dem wir vor Gott kommen, nur nicht selbstsüchtiger Art ist, sondern lauter mit Gottes Sache verbunden ist, dann dürfen wir sehr zuversichtlich bei Gott dafür eintreten.

8. Gott hat geredet bei seiner Heiligkeit. (Andere Übersetzung). Früher hatte der HERR dem David umfassende Verheißungen gegeben, und seine Heiligkeit verbürgte deren Erfüllung. Die hehren Eigenschaften Gottes bildeten gleichsam das Unterpfand, dass die großen Segnungen dem Sohne Isais wirklich zuteilwerden würden; es war also keine Gefahr, dass der Bundesgott von seinem verpfändeten Wort zurücktreten werde. Des bin ich froh. Wo Gott gesprochen hat, dürfen wir uns wohl freuen; schon die Tatsache der göttlichen Offenbarung ist an sich eine Freude. Wäre es Gottes Absicht, uns zu verderben, er hätte wahrlich nicht zu uns geredet, wie er es getan. Was Gott aber gesprochen, ist noch ein weiterer Grund zur Freude; hat er doch "die gewissen Gnaden Davids" verkündigt, die Verheißung gegeben, seinen Samen auf seinem Thron zu bestätigen und alle seine Feinde ihm zu unterwerfen. Wie hat David sich damals hoch gefreut, nachdem der HERR durch den Mund Nathans also zu ihm gesprochen. Er "blieb vor dem HERRN" (1. Chr. 17,16) in staunender Freude. Siehe 1. Chr. 17, und beachte auch, wie David darauf, im nächsten Kapitel, so kräftig gegen seine Feinde vorgeht, ganz nach dem, was er in diesem Psalm zu tun gelobt. Und will Sichem teilen. Als erstes galt es nun, Eroberungssiege in der Heimat zu gewinnen. Feinde müssen aus den Grenzen Israels vertrieben und die Landschaften ordentlich besiedelt und verwaltet werden. Und das Tal Sukkoth abmessen. Jenseits des Jordans sowohl wie auf dieser Seite muss das Land in Ordnung gebracht und gegen alle räuberischen Streifzüge gesichert werden. Manche Freude führt zu Untätigkeit; nicht so diejenige, die in dem lebendigen Glauben an Gottes Verheißung wurzelt. Höre, wie David betet, als ob er das Erbetene bereits empfangen hätte und unter seine Leute austeilen dürfte; dieser glaubensfrohe Mut kommt daher, dass er so von Herzen Gott, seinem Helfer, gesungen hat. Und sieh, wie entschlossen er zum Handeln ist als ein Mann, dessen Leben gleichmäßig aus Beten und Handeln besteht und in dessen Werk das Gebet die treibende Kraft ist.

9. Gilead ist mein. Dankbare Herzen verweilen gerne bei den Gaben, die sie bereits vom HERRN empfangen haben, und halten es nicht für eine lästige Aufgabe, sie eine nach der andern zu Gottes Ruhm aufzuzählen. Manasse ist auch mein. Auch dies habe ich schon im Besitz und nehme das als ein Zeichen und Angeld, dass der übrige Teil des verheißenen Erbes auch zur rechten Zeit in meine Hand kommen wird. Wenn wir dankbar anerkennen, was wir haben, wird unser Herz in desto besserer Verfassung sein, um auch das zu erlangen, was noch aussteht. Er, der uns Gilead und Manasse gibt, wird auch nicht versäumen, uns das Übrige auszuliefern. Und Ephraim ist die Macht (oder die Wehr, der Helm) meines Haupts. Dieser Stamm stellte David mehr als zwanzigtausend streitbare Helden, alles berühmte Männer in ihren Vaterhäusern. (1. Chr. 12,30) Die treue Ergebenheit dieser Schar war wohl ein Beweis, dass der ganze Stamm auf Davids Seite stand; so erblickte der König in ihm den Helm seines Hauptes, die königliche Garde, die beste Wehr seiner Krone und des Reichs. Juda ist mein Zepter. Dort war der Sitz der Herrschaft und des höchsten Gerichts. Kein anderer Stamm konnte gesetzmäßig die Regierungsgewalt ausüben als Juda; bis dass der Held komme, war durch göttliche Verordnung diesem Stamme der Herrscherstab anvertraut. In geistlichen Dingen beugen auch wir uns keinem andern Zepter als dem unseres Herrn, der aus Juda entsprungen ist; und wann immer Rom oder Canterbury oder irgendeine andere Gewalt es unternimmt, Gesetze und Verordnungen für die Gemeinde des Herrn aufzustellen, so haben wir nur die Antwort: Juda ist mein Zepter. - So frohlockte der königliche Sänger, weil sein Land von Eindringlingen gesäubert, eine ordentliche Regierung aufgerichtet und durch genügende Heereskraft gesichert war, und er fand in dem allen eine Ermutigung, nun auch um Sieg über die auswärtigen Feinde zu bitten. In ähnlicher Weise machen wir die Tatsache, dass in dem einen und anderen Lande das Banner des heiligen Evangeliums Christi bereits aufgerichtet und befestigt ist, zum Untergrund des Flehens, dass auch in den übrigen Ländern die Macht seines Gnadenzepters anerkannt werden möge, bis alle Welt sich vor ihm beugt und das antichristliche Edom unter seinen Füßen zertreten ist.

10. Moab ist mein Waschbecken. Dieses Volk hatte gegen die Israeliten keine freundliche Gesinnung gezeigt, sondern sie fortwährend als verhasste Nebenbuhler betrachtet; deshalb sollte es bezwungen und dem Throne Davids untertänig gemacht werden. Im Glauben verkündigt der Gesalbte des HERRN hier den Sieg und sieht auf den mächtigen Feind mit Verachtung nieder. Und er ward nicht enttäuscht; die Moabiter wurden, so lesen wir 2. Samuel 8,2, David untertänig und trugen ihm Geschenke zu. Wie man sich nach langer Wanderung die Füße wäscht und dadurch erfrischt wird, so dienen überwundene Schwierigkeiten dazu, uns neuen Mut zu machen: wir gebrauchen Moab als Waschbecken. Auf Edom werfe ich meinen Schuh. (Grundtext) Es soll wie der Fußboden sein, auf den der Badende seine Sandalen schleudert; es soll unter des Königs Füßen liegen, seinem Willen unterworfen und ganz und gar sein eigen. Edom war stolz, aber David wirft seinen Pantoffel darauf. Die Hauptstadt lag hoch, aber er wirft seine Sandalen über sie hin. Es war stark, aber er schleudert den Schuh ihm zu als höhnendes Fehdezeichen. Zwar war er in Edoms Felsenfestungen noch nicht eingedrungen; da der HERR aber mit ihm war, stand für ihn vollkommen fest, dass es ihm gelingen werde. Unter der Führung des Allmächtigen fühlte er sich des Sieges selbst über das wilde Edom so sicher, dass er es hier schon als kriegsgefangenen Sklaven betrachtet, den er ungestraft höhnen kann. Wir sollten uns nie vor denen fürchten, die auf der Seite des Irrtums und Unrechts kämpfen; weil Gott nicht mit ihnen ist, ist ihre Weisheit Torheit, ihre Stärke Schwachheit, ihre Ehre in Wahrheit ihre Schande. Wir denken oft zu hoch von Gottes Feinden und reden von ihnen mit allzu großer Achtung. Über die Philister will ich jauchzen. Schon als Jüngling hatte David durch die Besiegung Goliaths über das ganze Philistervolk triumphieren dürfen; daher ist er umso gewisser, dass es wieder zu jauchzendem Siege kommen werde. Und wir lesen in der Tat 2. Samuel 8,1, dass David die Philister schlug und sie schwächte, - gerade wie er Edom geschlagen und seine Besatzungen in das Land gelegt hatte (2. Samuel 8,13 f.; 1. Kön. 11,15 f.). Die Feinde, mit denen wir in unserer Jugend gekämpft haben, sind noch am Leben, und wir werden, ehe wir sterben, noch manchen heftigen Strauß mit ihnen bekommen; aber wir fühlen uns, Gott sei Dank, durch diese Aussicht keineswegs entmutigt, erwarten wir doch sogar, leichter als früher über sie zu siegen. Die Rechte des HERRN wird uns helfen, seine Verheißung macht uns stark; ist Gott für uns, wer mag wider uns sein? Auch wir jauchzen über die Philister.

11. Der Glaube gebiert ein starkes Verlangen, die Verheißung ins Werk gesetzt zu sehen. Daher alsbald die zweckmäßige Frage: Wer will (wird) mich führen in eine feste Stadt? Wer wird mich leiten bis nach Edom? Die Schwierigkeiten verhehlt er sich nicht, sondern überschaut sie mit klarem Blick. Sela, das spätere Petra, ist schwer zugänglich und stark befestigt. Der kampfesmutige Psalmist weiß, dass er in eigener Kraft nicht in die Stadt einzudringen vermag, und fragt deshalb, wer ihm dazu verhelfen könne. Er fragt an der rechten Stelle, nämlich bei dem, der auch sein Herr ist, und dem alle Menschen auf den Wink gehorchen müssen. Er kann zu diesem Manne sagen: "Zeige meinem Knecht den Weg", so wird es geschehen, oder zu jenem Heer: "Kämpft euch durch nach dem Felsenneste", so werden sie es sicherlich vollbringen. Obadja schreibt von Edom: "Der Hochmut deines Herzens hat dich betrogen, weil du in der Felsen Klüften wohnst, in deinen hohen Schlössern, und sprichst in deinem Herzen: Wer will mich zu Boden stoßen? Wenn du gleich in die Höhe führest wie ein Adler und machtest dein Nest zwischen den Sternen, dennoch will ich dich von dannen herunterstürzen, spricht der HERR". Zu der unbegrenzten Macht Jehovahs blickte David in Betreff dieser Eroberung auf, und er ward nicht zu Schanden.

12. Wirst du es nicht tun, Gott, der du uns verstößest? Das ist großer Glaube, der dem HERRN selbst da zu trauen vermag, wo es den Anschein hat, als verstoße er uns. Manche können ihm kaum ganz trauen, wenn er sie hätschelt; David hingegen verließ sich auf ihn, auch da Israel sich wie unter einer schwarzen Wolke befand und der HERR sein Antlitz verborgen hatte. O dass wir mehr von diesem echten, lebendigen Glauben hätten! Das Verstoßen wird nicht lange währen, wenn der Glaube so rühmlich standhält. Nur die Auserwählten Gottes, welche "denselben teuren Glauben empfangen haben", können von Gottes Gnade singen, auch wenn sie sich hinter düsterem Gewölk verbirgt, und klammern sich fest an Gottes treues Erbarmen, auch wenn er in seinem Handeln unbarmherzig scheint. Und ziehest nicht aus, Gott, mit unserm Heer? Kannst du die Deinen vergessen und dein eigen Volk deinen Feinden preisgeben? Der Sänger ist sicher, Edom zu überwältigen, weil er nicht glauben kann noch will, dass Gott es über sich vermöchte, das Heer seines auserwählten Volkes allein ziehen zu lassen. Wenn wir uns selbst fragen: "Wer wird uns dazu verhelfen, dass wir diese oder jene Verheißung erlangen?", so brauchen wir nicht den Mut sinken zu lassen, weil wir keinen Mittelsmann, keine irdischen Stützen und Helfer finden; denn wir dürfen dann auf ihn selbst, den erhabenen Geber der Verheißung, zurückkommen und glauben, dass er höchstpersönlich sein Wort an uns zur Ausführung bringen wird. Ist sonst niemand, der uns nach Edom führt, so wird es der HERR selbst tun, wenn er es verheißen hat. Oder wenn sichtbare Mittel und Werkzeuge nötig sind, so wird er unser Heer dazu brauchen, so schwach es auch sein mag. Es ist durchaus nicht nötig, dass erst irgendein neues Mittel oder Werkzeug geschaffen werde; Gott kann die vorhandenen Kräfte stärken und sie zu allem, das getan werden muss, befähigen. Selbst um eine Welt zu erobern bedarf es nichts anderes, als dass der HERR mit eben den Kräften auszieht, die wir schon haben. Er kann uns in die feste Stadt bringen, sogar bei solch schwachen Waffen, die wir heute führen.

13. Schaffe uns Beistand in der Not (oder Grundtext: wider den Dränger), denn Menschenhilfe ist nichts nütze. Dieses Gebet ist schon oft von den Lippen solcher geflossen, die an ihren Mitmenschen bittere Enttäuschung erlebt hatten; ebenso ist es schon manchmal vor dem HERRN ausgeschüttet worden im Hinblick auf diese oder jene Riesenaufgabe, zu der die Kräfte Sterblicher augenscheinlich nicht hinreichten. Menschenmacht kann nicht in Edom eindringen - hingegen kommen von Edoms Felsenfesten die räuberischen Banden immer wieder hinuntergestürzt; darum, o HERR, tritt du ins Mittel und schaffe deinem Volke Freiheit! Gerade weil Hilfe von Menschen nichts nützt, erwartet David Hilfe von Gott. Wir sollten mit so viel größerem Vertrauen zu Gott beten, wenn unser Vertrauen auf Menschen vollständig zusammenbricht. Ist Menschenhilfe auch vergeblich, so werden wir bei Gott nicht vergeblich Beistand suchen.


14. Mit Gott wollen wir Taten tun.
Er wird unsre Feinde niedertreten.

Gottes Hilfe will uns Mut einflößen, uns selbst zu helfen. Der Glaube ist weder ein Feigling noch ein Faulenzer. Er weiß, dass Gott ihm zur Seite ist, deshalb ist er tapfer; er weiß, dass Gott die Feinde unter seine Füße treten wird, darum steht er auf, sie in seinem Namen niederzutreten. Wo Lobgesang und Gebet der Schlacht vorangegangen, da dürfen wir Heldentaten und entscheidende Siege erwarten. Mit Gott: das ist unsere geheime Kraftquelle, aus der wir unseren gesamten Bedarf an Mut, Weisheit und Kraft schöpfen. Wollen wir Taten tun. Das ist der sichtbare Ausfluss aus jener geheimen Quelle: der im Inneren verborgene, unsichtbar geistige Glaube erweist sich nach außen durch kraftvolle Taten. Er wird unsre Feinde niedertreten. Sie werden vor ihm niederstürzen, und wenn sie so am Boden hingestreckt liegen, wird er über sie hinschreiten, und alle die Heerscharen seines Volkes mit ihm. Das ist ein weissagendes Wort. Ist es an David in Erfüllung gegangen, so bleibt es doch zugleich Weissagung auf den Sohn Davids und gilt mit ihm allen, die auf seiner Seite stehen. Die Gemeinde des HERRN wird sich noch einmal in besonderer Weise dazu aufschwingen, ihren Gott von ganzem Herzen zu preisen; dann wird sie mit Lobliedern und Hosiannarufen zu dem großen Kampf ausrücken, der ihr noch bevorsteht. Durch Gottes Macht werden ihre Feinde niedergeworfen und vollständig zermalmt werden, und die Herrlichkeit des HERRN wird die ganze Erde bedecken. O lass es zu unseren Zeiten geschehen, das bitten wir dich, o Herr!


Erläuterungen und Kernworte

Der ganze Psalm scheint uns prophetisch auf die glorreiche Zeit zu deuten, wenn die schwere Arbeit des Messias zu ihrem Ende gekommen ist. Davids Sohn und Herr hat seine große Macht angenommen und sich auf den Thron der Herrlichkeit gesetzt, wo er den Lobgesang V. 2-6 anstimmt. Mit der Herrlichkeit des Erlösers ist die Wiederherstellung Israels, seines lange verstoßenen, aber nicht vergessenen Volkes, verbunden, V. 7 ff. Zu den Füßen des Messias, ihres Überwinders, erwarten die Völker ihr Urteil. Zuerst redet er in huldvollen und ehrenden Worten seine Verbündeten und Reichsangehörigen an, dann in ganz anderem Ton, mit bitterem Spott und Verachtung, seine völlig besiegten Feinde. Wie ist aber dann V. 11 zu verstehen, da Edom doch schon V. 10 als unterworfen behandelt wird? Wenn alle Völker bereits Herrschaftsgebiet des Messias sind, was hat es für eine Bewandtnis mit diesem Edom, an dem er den letzten seiner Triumphe feiern soll? Eine Stelle nur scheint uns darauf Bezug zu nehmen, Jes. 63,1-6, wo wir hören, dass der siegreiche Messias mit blutigem Gewande von Edom als dem letzten Schauplatz seiner Rache herkommt. Darum ist der Einzug in dies Edom mit so sehnlichem Verlangen erwähnt; denn nach dessen Niederwerfung wird der Messias in seinem vollen Glanze als König aller Könige und Herr aller Herren erstrahlen. Vergl. Off. 19,13-16. R. H. Ryland 1853.


V. 2. Mein Herz ist fest, o Gott. (Wörtl.) Die Räder eines Wagens drehen sich im Kreise, nicht aber die Achse. Die Flügel der Windmühle drehen sich im Winde, nicht aber die Mühle selbst. Die Erde fährt auf ihrer Bahn dahin, aber ihr Mittelpunkt steht fest. So sollte ein Christ imstande sein, mitten unter den wechselnden Umständen und Glücksfällen zu sagen: O Gott, mein Herz ist fest, fest entschlossen und getrost. G. S. Bowes 1862.
  Fest. Das betreffende hebräische Wort bedeutet erstens bereit oder zubereitet, zweitens fest. Wir bereiten, spitzen einen Pfahl zuerst, dann schlagen wir ihn in den Boden und machen ihn fest. So bitte du ernstlich und oft, dass dein Herz bereit und fest werde, und zwar durch Übung und Gewöhnung, welche, wie in anderen heiligen Pflichten, so auch in der Meditation Bereitschaft und Festigkeit bringt. Nathan. Ranew 1670.
  Dichten. Heiliges Nachsinnen ist eine bestimmte Pflicht, nicht eine Arbeit, die im Vorbeigehen geschehen kann. Von Natur arbeiten unsere Gedanken mit großer Unbeständigkeit. Beim Nachsinnen gewinnt die Seele die rechte Selbstbeherrschung, dass die Gedanken, welche sonst wie Vögel umherflattern, sich auf einen Gegenstand sammeln und an ihn gleichsam festgekettet werden, und dadurch gereicht es uns zu großem Vorteil. Wie wir wissen, dass ein nur ab und zu bewässerter Garten in der Fruchtbarkeit weit weniger zuverlässig ist als ein regelmäßig berieselter, so ist es auch mit unseren Gedanken. Wenn sie sich nur hier und da auf einen heiligen Gegenstand richten, wohl gar nur einen Blick darauf werfen und dann wieder zu ganz anderen Dingen abschweifen, wird die Seele nicht viel Frucht tragen. Durchs Nachdenken sollen die Gedanken ganz von dem Gegenstand erfüllt werden, wie ein Schwamm im Wasser. Gleichwie der Kunstliebhaber ein feines Bild betrachtet, sorgfältig auf jeden Zug, jede Verteilung von Licht und Schatten und alle Farbenabstufungen achtend, so müssen wir das Heilige ins Herz aufnehmen; so wie Maria alles im Herzen behielt und bewegte. Ja, meditieren heißt nicht nur die Gedanken beschäftigen, sondern sie an einen geistlichen Gegenstand gleichsam anpfählen. Dann gilt aber wie bei der Verklärung: Hier ist gut sein. John Wells 1668.
  Meine Ehre auch. In dem Gebetbuch der Kirche von England heißt es dafür: Mit dem besten Glied, das ich habe. Die Zunge, das beste Glied, ist hier als die Ehre des Menschen angesehen, als dasjenige, was dienen kann, ihn auf der Stufenleiter der Geschöpfe zu heben. Deshalb ist der Fromme entschlossen, seine Sprache zum Preise Gottes zu gebrauchen. Gott wird dadurch verherrlicht, und das Werkzeug zu seiner Verherrlichung ist die Ehre des Menschen. The Quiver.


V. 2.3. Wie man die Instrumente zuerst stimmt und dann darauf spielt, so sollte ein Knecht Gottes zuerst daran arbeiten, seinen Geist, Herz und Empfindungen in die rechte gute und feste Verfassung zur Anbetung zu bringen: Mein Herz ist festiglich bereit. Wie das des Menschen Ehre und Ruhm vor den unvernünftigen Geschöpfen ausmacht, dass er seinem aus vernünftiger Überlegung entspringenden Willen mit der Zunge Ausdruck zu geben vermag, so zeichnet die Gläubigen vor den übrigen Menschen das aus, dass sie mit einer vom Herzen regierten Zunge Gott Lob darbringen. Aus der Anführung verschiedener Tonwerkzeuge in V. 3 mögen wir die Lehre entnehmen, alle geheiligten Mittel zu gebrauchen, um uns zum Dienste Gottes zu ermuntern. Zuerst müssen aber wir selbst aufgeweckt und belebt sein, um die Mittel recht zu gebrauchen, ehe diese wiederum uns zur Belebung dienen können. Dickson † 1662.


V. 3. Eine Zither, sagt der Talmud, hing über Davids Bett, und wenn Mitternacht kam, blies der Nordwind in die Saiten, dass sie von selber klangen; sogleich stand er auf und beschäftigte sich mit der Thora (dem Gesetz), bis die Säule des Morgenrots aufstieg. Die übrigen Könige, bemerkt Raschi († 1105), weckt die Morgenröte; ich aber, sagte David, will die Morgenröte aufwecken. - Kommentar von Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  An den Weiden Babylons war es den Israeliten unmöglich zu singen; aber als der HERR die Gefangenen Zions erlöste, da erwachten der Psalter und die Harfe früherer Geschlechter, die alten Lieder wurden wieder lebendig auf ihren Lippen, und Davids Weisen bekamen neuen Reiz für sie. Chr. Wordsworth 1868.


V. 5. Die Gnade kommt von oben, vom Himmel herab, also wie die Tropfen fruchtbarer Regenschauer; gerade wie der Friede auf Erden (Lk. 2,14) zuerst Friede im Himmel war (Lk. 19,38). A. Bonar 1859.
  Da ward die Gnade groß über die Himmel, als der Gottmensch Christus Jesus in den höchsten Himmel erhoben ward und die Wahrheit unseres Heils auf dem Thron Gottes selbst sich niederließ. W. Wilson 1860.


V. 5.6. In den Verheißungen des HERRN ist mehr Inhalt, als der scharfsichtigste Gläubige je wahrnehmen kann. Wenn wir der Verheißung nachgehen, um die ganze Wahrheit, die sie enthält, herauszufinden, so treffen wir auf eine Wolke unerforschlicher Schätze, die wir da lassen müssen; das dünkt uns in den Worten angedeutet: Deine Wahrheit reicht bis an die Wolken. Und wenn wir mit dem Lobe Gottes am höchsten dringen wollen, tun wir am besten, es ihm selbst zu überlassen, dass er seinen Ruhm verkündige, und nur auf ihn hinzuweisen als den, der sich selbst daran macht, seinen Namen zu verherrlichen: Tue dich, Gott, in deiner Erhabenheit kund über die Himmel und deine Ehre über alle Lande. D. Dickson † 1662.


V. 7. Weil die Gemeinde von Gott über alles geliebt ist, sollte ihr Wohl uns auch am meisten am Herzen liegen und das sehnliche Verlangen nach ihrer Erhaltung uns ins Gebet treiben. Dickson † 1662.
  Der Geist Immanuels legt hier Fürbitte ein für das Volk seiner alten Liebe, das er nimmer vergessen kann. Arthur Pridham 1869.


V. 8. Dieses "Gott hat gesprochen" bezieht sich auf alle die Verheißungen, in welchen einerseits Israel das Erbland näher bezeichnet (1. Mose 15,18; 2. Mose 23,31; 5. Mose 11,24) und anderseits David die Fortdauer seines königlichen Hauses zugesagt wurde (2. Samuel 7), was ja einen tiefen Eindruck auf sein Gemüt gemacht haben muss. Daraus erhellt, dass sowohl ganz Syrien als Edom zum Bereich des für Israel bestimmten Landes gehörten, dass sich David somit ganz auf der Linie göttlicher Verheißung befand, als er trachtete, seine Herrschaft vom Bach Ägyptens bis zum großen Strom, dem Euphrat, auszudehnen. - Der Heiligkeit Gottes ist David froh, der unveränderlichen Lauterkeit des Gottesherzens, als der unfehlbaren Gewähr für die Erfüllung seiner Verheißungen. James G. Murphy 1875.
  Der Glaube, der sich an eine Verheißung fest anschließt, verschafft dem Kinde Gottes schon Freude, ehe es sich der Erfüllung derselben erfreut: Gott hat geredet - des bin ich froh. Dickson † 1662.


V. 10. Moab, das Israel zur Uneinigkeit verführte, ist zu einem Reinigungsgefäß gemacht, Edom, das von dem abstammt, der seine Erstgeburt verachtete, seiner Unabhängigkeit beraubt - denn das Werfen des Schuhes war nach Ruth 4,7 Zeichen der Übertragung eines älteren Rechtes auf Land. William Kay 1871.
  Herodot (II, 172) berichtet, dass Amasis, König von Ägypten, zur Bezeichnung seiner niedrigen Herkunft sich selbst mit einem Fußwaschbecken verglichen habe. James Anderson 1847.
  Die Füße zu waschen war Aufgabe der Niedrigsten im Hause, geringer Sklaven, wie aus 1. Samuel 25,41, vergl. Joh. 13,5, hervorgeht. - Moab und Edom sollen zur Leibeigenschaft erniedrigt werden; das eine dem Fußwaschbecken zu vergleichen, das, als unreines Gefäß betrachtet, natürlich zu keinem anderen Zweck gebraucht wurde, das andere dem Haussklaven gleich, der dabeistand, um die abgeworfenen Sandalen an ihren Ort zu stellen und dann seines Herrn Füße zu waschen. Rays from the East.


V. 11. Auch die Festung Menschenherz ist auf unzugänglichem Felsen erbaut. Jesus hat aber auch diese den Felsengräbern von Petra vergleichbare Feste überwunden; in ihm und seiner Blutskraft sollen wir seinen heiligen Krieg führen und alle Befestigungen menschlichen Stolzes und menschlicher Halsstarrigkeit und Unbußfertigkeit überwinden und zerstören. Vergl. 2. Kor. 10,4.5. Plain Commentary 1859.


V. 11.12. Wenn wir uns einreden, wir seien nicht berufen, eine uns übertragene Aufgabe zu unternehmen oder eine bestimmte Pflicht zu erfüllen, einfach aus dem Grunde, weil es schwer, ja unmöglich für uns sei, sie ohne außerordentliche Hilfe von Gott durchzuführen, so ist das durchaus kein folgerichtiger Schluss. Wenn Gott den David heißt Petra einnehmen, so wird er es einnehmen. William S. Plumer 1867.
  Der Prophetenspruch (V. 8) ist das Panier, zu dem David flüchtet. Indem er auf das blickt, kann er mit Zuversicht hoffen, dass derselbe Gott, der erniedrigt hat, auch erhöhen wird (V. 12). Seine Hand wird dahin führen, wohin zu dringen menschlicher Gewalt fast unmöglich scheint, nach Petra (d. h. Fels), jener wunderbaren Felsenstadt der Edomiter, welche, rings von Felsen bis 300 Fuß hoch umgeben, zu denen ein einziger zwölf Fuß breiter Eingang führt, zum Teil selbst in Felsen eingehauen, noch jetzt in ihren Trümmern das Wunder des Reisenden ist. Aug. Tholuck 1843.


V. 12. Was sind die Heere Gottes ohne Jehovah Zebaoth, den Herrn der Heerscharen? Plain Commentary 1859.


V. 13. Wer in irgendeiner Sache Gottes Beistand sucht, muss alles Vertrauen auf Menschenhilfe fahren lassen. Wenn wir aber die Nichtigkeit menschlicher Hilfe einsehen, muss uns das umso zuversichtlicher machen, auf Gottes Hilfe zu warten. Dickson † 1662.


Homiletische Winke

Zum ganzen Psalm. Teile von zwei früheren Psalmen sind hier zu einem neuen Ganzen verschmolzen. I. Die Berechtigung zu Wiederholungen ist somit durch die Inspiration anerkannt. 1) Was dürfen wir wiederholen? Lieder, Gebete, Predigten. 2) Zu welchem Zwecke? Um den Eindruck zu vertiefen: "Wie wir jetzt gesagt haben, so sagen wir auch abermals: So jemand usw." (Gal. 1,9.) Zur Bekräftigung: "Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch!" (Phil. 4,4) "Er zog aber (wieder) durch Syrien und Zilizien und stärkte die Gemeinen." (Apg. 15,41) Zur Erhaltung: Anführungen (Zitate) beweisen die Echtheit der Originale. Zwei Niederschriften bieten mehr Sicherheit als eine. II. Die Berechtigung zu einer Umarbeitung ist hier durch die Inspiration anerkannt. 1) Veränderte innere Erfahrungen mögen eine solche erfordern. Manchmal ist das Herz bei Beginn der Andacht in der besten Verfassung, manchmal erst gegen das Ende. Daher kann der Anfang des einen Psalms den Schluss eines andern bilden. 2) Veränderte Umstände und neue Anlässe mögen sie erfordern. Zwei Teile zwei verschiedener Psalmen mögen zu einem besonderen Anlass besser passen, als jedes der beiden allein. George Rogers 1878.

V. 2. I. Die beste Beschäftigung: Lob Gottes. 1) Dazu geziemt sich ein Herz in bester Verfassung. 2) Es ist der edelsten Fähigkeiten allseitig und fein gebildeter Menschen wert. II. Der beste Entschluss: 1) Er kommt aus zielbewusstem Herzen, 2) er ist mit gutem Bedacht gefasst, 3) er wird auf feierlich verbindliche Weise zum Ausdruck gebracht und 4) er wird mit Freuden ausgeführt. III. Die besten Ergebnisse: Gott loben macht einen Menschen glücklicher und heiliger, stärker und kühner - wie die folgenden Verse zeigen.
V. 3. Der Nutzen des Frühaufstehens. Die Lieblichkeit einer Gebetsstunde am frühen Sonntagmorgen.
V. 4. Mit dem Lobe Gottes dürfen wir nicht zurückhalten, weil Fremde uns hören könnten, weil Gottlose darauf achten oder weil wir Widerstand zu befürchten haben. Solche Umstände sollen uns vielmehr ein Grund mehr sein, Gott freimütig zu preisen.
V. 5.6. Die Größe der Gnade, die Höhe der Wahrheit und die Unendlichkeit des Lobes, das Gott verdient.
V. 7. Das Gebet eines Mannes in führender und verantwortungsvoller Stellung. Es gibt Zeiten, wo Erhörung der Bitte eines Einzelnen Rettung oder Erhaltung der ganzen Gemeinde oder eines Volkes bedeutet. In solchen Zeiten hat die Fürbitte des Einzelnen besonderes Recht und besondere Kraft. Was mag von meiner Treue in der Fürbitte abhängen?
V. 8. Die Stimme Gottes ist die Ursache meiner Freude, Grund zu regem Wirken und Gewähr für den Erfolg.
V. 12a. Wir wollen Gott vertrauen, auch wenn er mit uns zürnt.
V. 12b. Ob Gott mit unserm Heer ausziehen wird, hängt davon ab, wer unsre Mannschaft ist, was ihre Absicht, was ihr Beweggrund und ihre Gesinnung ist, und mit was für Waffen sie in den Streit ziehen.
V. 13. Das Fehlschlagen menschlicher Hilfe 1) ist oft geradezu Ursache, dass wir beten, 2) macht unser Beten oft erst zum ernsten Flehen, 3) gibt dem Beter einen kräftigen Grund an die Hand, Gott zum Helfen zu bewegen, und 4) gibt einen ganz bestimmten Grund zu der Hoffnung, erhört zu werden, auf den man sonst nicht gekommen wäre.
V. 14. Wie, wann und warum Gläubige Heldentaten verrichten sollen.