Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon
PSALM 32 (Auslegung & Kommentar)
Überschrift
Eine Unterweisung Davids. Auch der Apostel Paulus führt diesen herrlichen, echt evangelischen Psalm Röm. 4,6 ff. als von David gedichtet an. Der Psalm wird dem gleichen Lebensabschnitt Davids angehören wie der 51. und zwar so, dass der 32. dem 51. geschichtlich folgt, indem der königliche Sänger nach der tiefen Buße über seine schwere Sünde so von Frieden und Freude erfüllt wurde, dass sein Herz sich in diesem köstlichen Psalm ergoss. - Zum ersten Mal begegnet uns hier das Wort maskil, welches Luther "eine Unterweisung" übersetzt.1 Die Erfahrungen des einen Gläubigen enthalten einen Schatz guter Lehren für andere. Sie zeigen uns sozusagen die Fußspuren der Herde und dienen so dazu, die Schwachen zu ermutigen und ihnen den Weg zu weisen. Gerade bei diesem Psalm ist es vielleicht bedeutsam, dass er die Überschrift "Eine Unterweisung" an der Stirn trägt. Kein Gläubiger sollte in seinen Anfechtungen etwa denken können, der Psalm schildere Erfahrungen, die das ausschließliche Vorrecht ganz ausnahmsweise begnadigter Seelen wären. Jeder soll wissen, dass er sich den Psalm als eine Unterweisung des heiligen Geistes persönlich aneignen dürfe und solle, wie Luther den Psalm überschreibt: Eine Unterweisung, wie man der Sünden los und selig werden soll. David hatte im 51. Psalm versprochen, die Übertreter des Herrn Wege zu lehren; dies tut er hier in höchst wirksamer Weise.
Einteilung. Die Seligkeit des Menschen, der Vergebung erlangt hat, V. 1. 2; Davids persönliches Bekenntnis von Schuld und Gnade, V. 3-5; die Anwendung auf andere, V. 6. 7; Gottes Zuruf an den Begnadigten, V. 8. 9. Zum Schluss noch ein Wort für jede der beiden V. 10. 11 genannten Menschenklassen.
Auslegung
1. | Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedecket ist. |
2. | Wohl dem Menschen, dem der Herr die Missetat nicht zurechnet, in dessen Geist kein Falsch ist. |
1. Wohl dem. Unser Psalm ist der zweite, der gleich der Bergpredigt mit Seligpreisung beginnt. Der 1. Psalm beschreibt die Früchte dieser heiligen Glückseligkeit, der 32. enthüllt uns den Grund derselben. Jener zeigt uns den Baum der Gerechtigkeit (Jes. 61,3) im vollen Wachstum, dieser schildert uns das erste Pflanzen und Begießen desselben. Der gleiche Mann, den uns der erste Psalm in Gottes Wort forschend gezeigt hat, erscheint hier als ein Bittsteller, der glückstrahlend von dem Gnadenthron zurückkommt, wo er überschwänglich gnädige Aufnahme und Erhörung gefunden hat. O der Glückseligkeit dessen, dem die Übertretungen vergeben sind! Er ist jetzt selig und wird es immerdar bleiben. Sei er noch so arm oder krank oder betrübt, er ist selig, - und nicht nur in seinen Gefühlen, denn diese wechseln, sondern er ist in voller Wahrheit ein seliger Mensch, weil er ein Gesegneter des Herrn ist. Die Gnade der Sündenvergebung ist über alles in der Welt zu schätzen, denn sie ist der einzige und der untrügliche Weg zur Glückseligkeit. Von Gott selbst durch seinen Geist das Absolvo te (Ich vergebe dir) zu vernehmen, das ist unaussprechliche Freude. Die Glückseligkeit wird hier nicht dem Menschen zugeschrieben, der Gottes Gebote treu gehalten hat, sondern, so ungereimt das dem natürlichen Menschen klingen mag, dem, der Gottes Gesetz übertreten hat, - dem aber aus reicher, freier Gnade alles vergeben worden ist. Selbstgerechte Pharisäer haben an dieser Glückseligkeit keinen Anteil. Dem verlorenen Sohn wird hier bei seiner Rückkehr der Willkommengruß zugerufen, ihm gilt die Gesänge und der Reigen. Eine völlige, augenblickliche und unwiderrufliche Vergebung aller Übertretungen verwandelt des Sünders Hölle in einen Himmel und macht das Kind des Zornes zum Erben ewiger Seligkeit. Vergeben heißt etwas weggeben, so dass es nicht mehr da ist. Das Wort des Grundtextes bedeutet aufheben und wegnehmen, wie man eine Bürde einem von der Schulter abhebt. Welch eine Last war hier zu heben und hinwegzutragen! Es kostete unseren Heiland blutigen Schweiß, sie auszugeben, und sein teures Leben, sie völlig hinwegzutragen! Simson hob die Türen von Gaza samt den Pfosten und Riegeln aus und trug sie auf die Höhe des Berges vor Hebron (Richter 16,3). Aber was waren diese mächtigen Stadttore im Vergleich zu der Last, die Jesus um unsertwillen getragen hat! Dem die Sünde bedeckt ist. Bedeckt durch Gott, wie die Ägypter von den Meereswellen (2. Mose 14,28; 15,5.10), wie die höchsten Berge der Erde von den Wassern der Sintflut bedeckt wurden. Was für eine Bedeckung muss das sein, die alle Befleckung des Fleisches und des Geistes für immer vor dem allsehenden Gott verbirgt! Wer einmal die Sünde in ihrer Abscheulichkeit geschaut hat, der begreift, was für ein Glück es ist, sie nie mehr erblicken zu sollen. Der Opfertod Christi ist diese Sühne, diese Bedeckung. Man vergl. Röm. 3,25 (Grundtext); "Gott hat Christus Jesus dargestellt zu einem Sühnmittel (Sühnopfer) durch den Glauben in seinem Blut." Wer die Heilstat von Golgatha verstehen und sich im Glauben zueignen kann, der weiß sich ein für alle Mal angenehm gemacht in dem Geliebten und genießt ein in heiliger Erkenntnis begründetes Glück, das der Vorschmack des Himmels ist. Aus unserm Text geht klar hervor, dass der Mensch zu der Gewissheit kommen kann: Mir sind meine Sünden vergeben! Denn wie könnte von einer jetzt zu genießenden Seligkeit der Sündenvergebung die Rede sein, wenn man über die Sündenvergebung keine Gewissheit erlangen könnte? Unzweifelhaft ist die Vergebung eine Sache gewisser Erkenntnis und Überzeugung, da hier von ihr als einem wirksamen Grund des Trostes geredet wird. Nun vergleiche man damit, wie die römische Kirche den Zweifel über die Vergebung als Pflicht fordert und die Lehre von der Heilsgewissheit als protestantische Ketzerei verflucht. Wir bekennen uns freudig zu dieser Ketzerei, und zwar auf Grund der unzweideutigen Lehre des allein unfehlbaren Wortes Gottes.
2. Wohl dem Menschen, dem der Herr die Missetat nicht zurechnet. Buchstäblich heißt es (vergl. zu Ps. 1,1); O der Seligkeiten des Menschen usw. Es sind vielfältige Seligkeiten, Haufen Glücks, Berge von Wonne! Man beachte die drei Ausdrücke, mit denen hier und an anderen Stellen unser Ungehorsam beschrieben wird. Übertretung, Sünde und Missetat, das ist der dreiköpfige Zerberus an den Pforten der Hölle. Doch wer an Christus glaubt, den darf er nicht mehr anfahren; unser Heiland hat ihn auf immer zum Schweigen gebracht, soweit sein Wüten die Gläubigen betrifft. Die Dreieinigkeit der Sünde ist überwältigt durch die Dreieinigkeit des Himmels. Die Nichtzurechnung der Sünde ist ein wesentliches Stück der Vergebung. Der Gläubige hat wohl noch Sünde, aber sie wird ihm nicht zugerechnet, vielmehr wird der Glaube ihm als Gerechtigkeit gerechnet. Manche Theologen schäumen vor Wut gegen diese zugerechnete Gerechtigkeit. Möge uns darüber Licht gegeben sein! Wie wohl ist dem Menschen, der weiß, dass seine Sünde ihm nicht zugerechnet wird, weil er an Christus einen Stellvertreter hat, auf den alle seine Schuld gelegt wurde. In dessen Geist kein Falsch ist. Kein Unaufrichtiger darf und kann sich der Vergebung getrösten. Wer sie erlangt hat, der hat auch gelernt, in allen Stücken gegen sich selbst und seinen Gott aufrichtig zu sein und die Sünde nicht zu verbergen. Die Vergebung ist kein Taschenspielerkunststück und der Friede, den sie dem Herzen bringt, wird nicht dadurch erzeugt, dass man dem Gewissen etwas vorgaukelt. Selbsttäuschung und Heuchelei haben noch niemand zu einem seligen Menschen gemacht. Sie können wohl die Seele mit angenehmen Träumen in die Hölle hinabgleiten lassen, aber in den Himmel des Gottesfriedens vermögen sie ihr Opfer nicht einzuführen. Frei von Schuld heißt frei von Trug. Wer wirklich die Rechtfertigung erfahren hat, ist auch von der Falschheit genesen. Ein Lügner ist niemals ein Gnadenkind. Betrug, Doppelzüngigkeit, Rechtsverdrehung und Verstellung, das sind Charakterzüge der Kinder des Teufels; wer von der Sünde gewaschen ist, der ist wahr, ehrlich, schlicht und kindlich. Aus Betrügern und ihren Plänen, Kniffen und Winkelzügen kann kein Segen ruhen. Solche Menschen müssen sich zu sehr vor der Entdeckung fürchten, als dass sie glücklich sein könnten. Ihr Haus steht am Rand eines Kraters; es ist nur eine Frage der Zeit, wann es ins Verderben stürzt.
3. | Denn da ich’s wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine durch mein tägliches Heulen. |
4. | Denn deine Hand war Tag und Nacht schwer auf mir, dass mein Saft vertrocknete, wie es im Sommer dürre wird. Sela. |
5. | Darum bekannte ich dir meine Sünde und verhehlte meine Missetat nicht. Ich sprach: Ich will dem Herrn meine Übertretungen bekennen. Da vergabst du mir die Missetat meiner Sünde. Sela. |
David erzählt uns nun seine eigene Erfahrung. Niemand unterweist andere erfolgreicher, als wer Selbsterlebtes bezeugen kann.
3. Denn da ich’s wollte verschweigen. Die erste Folge seiner Missetat war ohne Zweifel, dass David durch den Betrug der Sünde in geistliche Erstarrung versank. Wohl regte sich sein Gewissen, aber er ließ es nicht reden. Verschweigen und Vertuschen, vor Gott und Menschen, das war jetzt sein Dichten und Trachten. Doch sein Glück war dahin; wider Willen musste er sein Elend beweinen. Trotzdem wollte er nicht bekennen. Aber je mehr er sich gegen die Bezeugungen seines Gewissens sträubte, desto gewaltiger mussten diese sich geltend machen, dass endlich Verzweiflung ihn packte. Hatte er es erst aus sträflichem Leichtsinn vernachlässigt, sein Unrecht einzugestehen, so wagte er das jetzt im Ansturm der Verzweiflung nicht mehr zu tun. Aber da verschmachteten seine Gebeine. Die Knochen, diese Stützen des Körpers, zerfielen ihm gleichsam zu Moder. (Vergl. den Grundtext) Davids Kummer war so heftig, dass seine Gesundheit davon untergraben wurde und alle seine Lebenskraft dahinschwand. Was ist doch die Sünde für ein tödliches Gift! Sie ist tatsächlich eine Pestilenz, sie brennt wie ein Feuer in den Gebeinen; wir mögen es zu ersticken suchen, soviel wir wollen, es wütet fort in unserem Innern. Sie ist wie eine bösartige Eiterbeule, die zu unserm Entsetzen immer mehr anschwillt und immer schrecklichere Schmerzen verursacht. Durch mein täglich Heulen. (Grundtext: den ganzen Tag, d. i. ohne Aufhören) David unterdrückte das Bekenntnis, aber seinen Kummer konnte er nicht unterdrücken. Das Entsetzen über seine große Schuld trieb ihn zu unausgesetztem Klagen, bis seine Stimme nicht mehr den Lauten der menschlichen Sprache glich, sondern nur noch ein Stöhnen und Heulen war. Die Qualen des Schuldbewusstseins kennt nur, wer sie selber durchgemacht hat. Folter und Rad, sogar der flammende Scheiterhaufe, das alles ist nichts im Vergleich mit der Hölle, die das schuldbeladene Gewissen in der eignen Brust entzündet. Lieber alle Qualen erdulden, deren unser Fleisch fähig ist, als unter der niederschmetternden Empfindung des Zornes des Allmächtigen liegen. Die spanische Inquisition mit allen ihren Martern ist nichts gegen die Foltern des erwachenden Gewissens.
4. Denn deine Hand war Tag und Nacht schwer aus mir. Gottes Finger kann uns zermalmen - was muss es um seine Hand sein, zumal wenn sie Tag und Nacht schwer auf uns drückt, ohne uns auch nur einen Augenblick aufatmen zu lassen! Der Mensch findet unter den Gewissensqualen auch des Nachts wenig Ruhe, denn die schrecklichen Gedanken, die ihn den Tag über gefoltert haben, spüren ihn auch in seiner Schlafkammer auf und hetzen ihn in seinen Träumen; oder es kommt dem Armen überhaupt kein Schlaf in die Augen und er liegt auf seinem Lager in kaltem Angstschweiß, bis es ihn nicht mehr im Bett leidet. Wie hilfreich erweist sich die starke Hand Gottes, wenn sie uns aufrichtet; aber ihre Gewalt ist entsetzlich, wenn sie uns niederdrückt. Lieber noch wollten wir, wie Atlas, der Titan, eine Welt auf unseren Schultern lasten haben, als Gottes Hand auf unserm Herzen, wie David. Dass mein Saft vertrocknete, wie es im Sommer dürre wird. Seine Seele wurde ausgedörrt durch die Gluthitze des göttlichen Zornes und auch sein Körper, das Gefäß der Seele, wurde in Mitleidenschaft gezogen. Sein Lebenssaft verwandelte sich (wörtl.), d. h. er verbrannte und vertrocknete. Das Öl der Lebenslampe war beinahe zu Ende und die Flamme flackerte, als wäre sie am Erlöschen. Keine tropische Sonne brennt wie der Zorn des heiligen Gottes und unter seinen versengenden Strahlen trocknete die Quelle der Kraft Davids aus, wie unter Sommergluten (wörtl.) die wasserreichen Bäche versiegen und die Pflanzen verdorren. Wehe der armen Seele, die ihre Sünden erkannt hat, aber vergisst, dass ein Heiland für sie da ist! Ihr geht es wahrlich schlimm. Wir wollen nicht übersehen, dass in der Tat für David kaum ein Hoffnungsstrahl blieb; denn das Gesetz hatte für solche Sünden, wie er sie begangen hatte, keine Sühne. Ausrottung aus Gottes Volk - das war das Urteil Davids. Und hätte niemand es gewagt, diesen Richterspruch des Gesetzes all dem Gesalbten des Herrn zu vollstrecken, so blieb er dennoch zu Recht bestehen, und Gott hatte Mittel und Wege genug, ihn auszuführen. Aber der Gott der Gnade ließ David auf sein Bekenntnis hin über das Gesetz hinaus eine volle Vergebung angedeihen und dieser selbe Gott hat nun in Christus Jesus eine allumfassende Sühne gestiftet. Willst du nun noch deine Schuld verbergen, liebe Seele, da der Herr dir eine solche Vergebung anbietet? Siebenmal heißer müsste über dich die Glut seines Zornes entbrennen. - Sela. Es ist Zeit, die Melodie zu ändern, denn ihre Noten gehen zu tief, und bei solch heftigem Gebrauch kommen die Saiten der Harfe außer Stimmung. Der nächste Vers wird gewiss in eine andere Tonart überleiten und einen freudigeren Gegenstand behandeln
5. Darum bekannte2 ich dir meine Sünde. Endlich, nach langem Zögern, besann sich das vom Gram gebrochene Herz auf das, was es sofort hätte tun sollen: Es schloss sein Innerstes vor dem Herrn auf. Das zweischneidige Messer des Arztes muss in das Geschwür schneiden, ehe Erleichterung eintreten kann. Das Geringste, was wir tun können, wenn wir uns nach Vergebung sehnen, ist dies: unsere Sünde zu bekennen. Sind wir hierzu zu stolz, so verdienen wir doppelt, dass wir gestraft werden. Und verhehlte meine Missetat (meine Schuld) nicht. Wir müssen ebenso wohl die Schuld, die Strafbarkeit unserer Sünde bekennen, als die Tat an sich eingestehen. Es ist nutzlos, die Schuld zu verbergen, denn Gott ist sie wohl bekannt; dagegen ist es uns nützlich, sie anzuerkennen, denn ein volles Geständnis erweicht und demütigt das Herz. Wir müssen, so gut wir es vermögen, die Geheimnisse der Seele enthüllen, den verborgenen Achansschatz (Jos. 7) ausgraben und mit aller Schuld und Schande, die daran haftet, bloßlegen. Nur wer seine Sünde nicht mehr bedeckt, darf erfahren, dass Gott sie bedeckt. (Der Grundtext hat hier das selbe Zeitwort wie V. 1b.)
Ich sprach. Dies zeigt Davids bestimmten Entschluss an. Ich will dem Herrn meine Übertretungen bekennen. Nicht seinen Nebenmenschen oder dem Hohenpriester wollte er die Beichte über seine Übertretungen ablegen, sondern in erster Linie Jahwe. Schon in jenen Tagen der Sinnbilder erwarteten die Gläubigen von Gott allein die Erlösung von der unerträglichen Last der Sünde; wie viel mehr sollen wir das jetzt tun, wo alle Zeichen und Schatten vor dem Morgenrot des Evangeliums erblichen sind. Ist das Herz erst willig geworden, sich zu beugen und die Schuld zu bekennen, dann ist die Vergebung nahe. Darum lesen wir weiter: Da vergabst du mir die Missetat (die Schuld) meiner Sünde. Die Vergebung war keine oberflächliche; nicht die äußere Sündentat allein, sondern die innere Schuld wurde vergeben. Das tötende Gift des Schuldbewusstseins wurde hinweggenommen, und zwar augenblicklich, sobald das Bekenntnis geschehen war. Gottes Verzeihung geht tief, bis auf den Grund; das Messer der Gnade schneidet bis zu den Wurzeln des bösen Sündenkrauts. Sela. Abermals eine Pause: Die Sache ist zu groß, als dass wir schnell darüber hinwegeilen dürften. Darum still, liebe Seele; bete das Wunder der Gnade an.
O überschwänglich große Huld,
Wie soll ich dich ertragen!
Du Meer voll Gnade und Geduld,
Was soll ich Armer sagen?
Hier steh ich mit gebeugtem Sinn
Und gebe dir mich weinend hin;
Lass mich dein sein und bleiben!
(Gustav Knak † 1878.)
6. | Um seinetwillen werden alle Heiligen zu dir beten zur rechten Zeit; darum, wenn große Wasserfluten kommen, werden sie nicht an dieselbigen gelangen. |
7. | Du bist mein Schirm; du wirst mich vor Angst behüten, dass ich errettet gar fröhlich rühmen kann. Sela. |
6. Um seinetwillen werden alle Heiligen (Grundtext: Frommen) zu dir beten. David spricht die Überzeugung aus, dass alle wahrhaft Gott ergebenen, treuen Herzen aus der ihm widerfahrenen sonderlichen Gnade Hoffnung schöpfen werden. Welch ein Labsal musste ihm diese Gewissheit sein, da er sich ja anderseits schmerzlich bewusst war, durch seinen Frevel die Feinde des Herrn lästern gemacht zu haben (2. Samuel 12,14). David hatte mit seiner Hoffnung Recht. Ohne Zweifel hat Davids Begnadigung im Laufe der Zeiten Tausenden und aber Tausenden, die sonst ein Raub der Verzweiflung geworden wären, den Mut gegeben, ihre Sünde vor dem Herrn auszuschütten und Gottes Gnade zuversichtlich zu erflehen. Merkwürdige Erhörungen dienen überhaupt dazu, die Gebetsfreudigkeit anderer gottesfürchtiger Leute zu beleben. Wo einer ein Goldkörnlein findet, fangen viele zu graben an. Der Nutzen, den andere daraus ziehen, sollte uns mit unseren Erfahrungen aussöhnen, selbst wenn diese bitter sind. Die meisten Ausleger fassen übrigens die Worte Davids als Ermahnung und Ermunterung auf: Um seinetwillen möge jeder Fromme zu dir beten. Auch ohne dass man mit Luther nach der Vulgata übersetzt: "Dafür werden dich alle Heiligen bitten", ergibt sich aus dem Zusammenhang klar, was der Gegenstand ihres Flehens sein wird, nämlich: eben solche Gnade zu erlangen, wie sie mir widerfahren ist. Diese ist ums Bitten zu haben. Doch gibt es eine bestimmte Zeit für das erhörliche Beten. Es gilt, zur rechten Zeit Gnade zu suchen, wörtl.: zur Zeit, da du3 zu finden bist. Lassen wir diese verstreichen, so ist es vergeblich, zum Herrn zu rufen. Zwischen der Zeit der Sünde und dem Tage der Vergeltung führt die Gnade das Regiment. Ist aber das Urteil einmal ergangen, dann wird alles Flehen nutzlos seilt; denn der Herr wird sich von einer bereits verdammten Seele nicht finden lassen. Lieber Leser, versäume nicht die angenehme Zeit, verscherze nicht den Tag des Heils! (2. Kor. 6,2) Die Gottesfürchtigen beten zur Zeit, da der Herr versprochen hat zu antworten; die Gottlosen verschieben das Bitten, bis der Hauswirt ausgestanden ist und die Tür verschlossen hat, und dann ist all ihr Klopfen vergeblich (Lk. 13,25). Welche Gnade ist es, wenn wir dazu gebracht werden, den Herrn zu suchen, ehe die alles verheerenden Fluten hereinbrechen; denn nun sind wir gesichert, wenn diese daherbrausen: Darum, wenn große Wasserfluten kommen, werden sie doch4 nicht an dieselbigen gelangen. Die Wasserfluten werden kommen, die Gewässer werden toben und sich überstürzen wie die Wogen des Ozeans und die Strudel und Wassersäulen werden sich ringsum erheben; aber an den Beter werden sie vorbeigehen und an ihn nicht reichen dürfen. David hatte ohne Zweifel schon oft in seinem Leben Gelegenheit gehabt, die furchtbare Gewalt der Regengüsse zu beobachten und zu sehen, wie die Fluten des Himmels in einem Augenblick die Betten der Flüsse füllten, die zu anderen Zeiten fast trocken lagen, und weite Strecken überschwemmten. Diese Naturereignisse sind hier Sinnbilder der göttlichen Zorngerichte (vergl. Nah. 1,8). Vor diesen, die plötzlich mit unwiderstehlicher Wucht über die Gottlosen hereinbrechen, wird bewahrt bleiben, wer Gott Treue hält (chasid) und beten kann. Wer von der Sünde errettet ist, hat kein anderes Übel zu fürchten.
7. Die Sätze dieses Verses sind kurz und knapp, aber reich all Inhalt. Sich des persönlichen Anrechts an Gott bewusst zu werden, gleichsam die Hand dem Herrn auf den Arm legen zu dürfen und im Glauben zu ihm zu sprechen: Du bist mein, das ist die höchste Freude des geistlichen Lebens. Man beachte, wie derselbe Mann, der im vierten Vers durch die Nähe Gottes niedergedrückt war, nun bei demselben Gott eine Zuflucht findet: Du bist mein Schirm (mein Versteck). Hier kannst du sehen, was ein ehrliches Bekenntnis und die demselben folgende völlige Vergebung ausrichten! Das Evangelium von der Stellvertretung macht den zu unserer Zuflucht, der sonst unser Richter wäre. Du wirst mich vor Angst behüten. Keine Drangsal wird mich treffen. Und ob du mir in deiner väterlichen Liebe Züchtigung auferlegen musst, so wird mir die Not doch keinen wirklichen Schaden tun, sondern mir im Gegenteil Segen bringen, wie die Feile den Rost abschleift, aber nicht das Metall zerstört. Man achte auf die drei Zeiten. Erst taten wir einen Blick in die traurige Vergangenheit, der letzte Satz (7a) führte uns in die fröhliche Gegenwart, und nun (7 b) schauen wir in die hoffnungsvolle Zukunft. Dass ich errettet gar fröhlich rühmen kann. Grundtext: Mit Rettungsjubel (eigentlich Mehrzahl: mit Jubeln der Errettung) wirst du mich umgeben. Ein herrlicher Satz! Wie glücklich ist David nun im Glauben! Er sieht sich von Gnadenerweisungen umringt, von Jubelklängen umgeben, und alles verkündigt den Triumph der göttlichen Barmherzigkeit. Es ist keine Lücke in diesem Ring, der Psalmdichter wird von ihm völlig umschlossen. Von allen Seiten hört er himmlische Musik: Vor ihm lässt die Hoffnung die Zimbeln ertönen und hinter ihm jauchzt die Dankbarkeit mit Paukenschall; rechts und links, oben und unten erklingt die Luft von Jubeltönen und alles dies für eben den Mann, der noch vor kurzem den ganzen Tag stöhnte und klagte. Welcher Wandel! Wie große Wunder hat die Gnade gewirkt - und wirkt sie heute noch! Sela. Eine Pause tut Not, denn solch wunderbare Liebe will erwogen sein; so große Freude verlangt stilles Nachdenken, denn hier versagt die Sprache den Dienst.
8. | Ich will dich unterweisen und dir den Weg zeigen, den du gehen sollst; ich will dich mit meinen Augen leiten. |
9. | Seid nicht wie Rosse und Maultiere, die nicht verständig sind, denen man Zaum und Gebiss muss ins Maul legen, wenn sie nicht zu dir wollen. |
8. Ich will dich unterweisen und über den Weg belehren (wörtl.), den du gehen sollst. Jahwe ist’s, dessen Stimme wir in diesen Worten vernehmen. Und was der Herr hier David zusagt, das war gerade, was dieser bedurfte. Er, der unser Heiland ist, will auch unser Erzieher sein. Er lässt sich herab, selber seine Kinder zu unterweisen, wie sie in den Wegen der Rechtschaffenheit wandeln können; sein heiliges Wort und die Mahnungen seines Geistes sind die Führer der Gläubigen bei ihrem täglichen Wandel. Wir erlangen die Vergebung, nicht damit wir hinfort nach unseren Lüsten leben, sondern damit wir in der Heiligung unterwiesen und der Vollkommenheit entgegengeführt werden. Die göttliche Erziehung ist eine der Bundessegnungen, die uns auf Grund der Kindschaft zugesichert sind: Alle deine Kinder werden vom Herrn gelehrt sein (Jes. 54,13; vergl. Joh. 6,45). Unterweisung durch Erfahrung und Übung ist die beste Lehrmethode. Das sind glückliche Menschen, die, auch wenn sie auch nie zu den Füßen Gamaliels gesessen haben und von Aristoteles nichts wissen, auch in der scholastischen Moral ganz unbewandert sind, doch gelernt haben, dem Lamme nachzufolgen, wo es hingeht (Off. 14,4). Ich will dich mit meinen Augen leiten, (Grundtext: dich5 beraten, auf dich mein Auge (richtend), nämlich in fürsorglich wachender Liebe. Wie einem treuen Diener ein Blick oder Wink seines Herrn genügt, so sollten wir den leisesten Andeutungen unseres Meisters folgen (vergl. Ps. 123,2) und keine Donnerschläge brauchen, um uns aus unverbesserlicher Trägheit aufzurütteln. Ein freundlicher Blick, ein leises Flüstern sollte uns genügen.
9. Seid nicht wie Rosse und Maultiere, die nicht verständig sind. Der Verstand unterscheidet den Menschen vom Tier; - lasst uns nicht so handeln, als hätten wir keinen. Die Menschen sollten sich raten lassen und ihre Schritte auf den Weg lenken, welchen die Weisheit ihnen zeigt. Ja wahrlich, wir haben es nötig, vor dem Unverstand unseres Herzens gewarnt zu werden; wie leicht geraten wir in Torheiten! Wir, die den Engeln gleich sein sollten, ähneln leicht den Tieren, welchen man Zaum und Gebiß muss ins Maul legen, wenn sie nicht zu dir wollen.6 Ist es nicht beklagenswert, dass wir so oft erst schwer gezüchtigt werden müssen, ehe wir gehorchen? Wir sollten uns von dem Hauch des Heiligen Geistes so willig hin und her bewegen lassen, wie eine Feder vom Wind. Aber ach, da liegen wir wie unbewegliche Klötze und rühren uns nicht einmal, wenn das Paradies selbst offen vor uns liegt. Das scharf einschneidende Gebiss, das ist, die mancherlei Züchtigung, die Gott manchmal über uns verhängen muss, zeigt, wie bockig, wie unfügsam wir sind, die Zügel, mit denen Gott oft unsere Kraft binden und uns zu schwachen, ohnmächtigen Geschöpfen machen muss, sind ein Zeugnis dafür, wie störrig und zügellos unser Wille ist. Wir würden nicht wie Maultiere behandelt werden, wenn nicht so viel von Eselsart an uns wäre! Wollen wir durchaus widerspenstig sein, so müssen wir uns darauf gefasst machen, dass Gott die Zügel straff anzieht und uns kürzer hält, als uns lieb ist. O dass uns Gnade gegeben werde, dem Herrn willig zu gehorchen, damit es uns nicht gehe wie dem böswilligen Knecht im Evangelium (Lk. 12,47), der viele Streiche leiden muss.
10. | Der Gottlose hat viel Plage; wer aber aus den Herrn hofft, den wird die Güte umfangen. |
11. | Freuet euch des Herrn und seid fröhlich, ihr Gerechten, und rühmet, alle ihr Frommen. |
10. Der Gottlose hat viel Plage. Gleich widerspenstigen Pferden und Maultieren kriegen solche viel Hiebe und Striemen. Schon hier in der Zeit, wie zukünftig in der Ewigkeit ist das Teil der Gottlosen ein jämmerliches. Ihre Freuden schwinden, und ihre Trübsale mehren und verschärfen sich. Wer Sünde aussät, erntet Elend, und es wird eine überreiche Ernte sein. Gewissensbisse, Enttäuschungen, Schrecken und Angst sind schon hier auf Erden die sichere Erbschaft des Sünders und später auf ewig nagende Gewissenspein und Verzweiflung. Wer aber aus den Herrn hofet (oder traut, Grundtext), den wird die Güte umfangen. Der Glaube wird hier der Gottlosigkeit gegenübergestellt, da er die Quelle aller Tugenden ist. Wahres Gottvertrauen zaubert die Sorgen des Lebens hinweg. Wer im Glauben lebt, lebt zugleich in der Atmosphäre der Gnade, er ist überall von ihr umfangen. Die Erweise der göttlichen Huld umgeben ihn wie eine Leibwache. Möge der Herr es uns verleihen, allezeit an die Gnade zu glauben, selbst wenn wir keine Spur von ihr sehen; denn der Gläubige ist von Gottes Gnade umgeben, wie das Weltall von Gottes Allwissenheit. Jeder Gedanke und jede Tat Gottes ist von Gnade durchduftet. Der Gottlose ist von vielen Plagen und Schmerzen wie von einem Wespenschwarm umringt; wir aber haben einen Bienenschwarm um uns her, der für uns Honig sammelt.
11. Freuet euch. Uns zu freuen, ist nicht nur unser Vorrecht, sondern unsre Pflicht. Wahrlich, der Gott, dem wir dienen, ist ein hochherziger Meister, da er es zu einem Stück unseres Gehorsams macht, fröhlich zu sein. Wie sündig ist denn unser rebellisches Murren! Ist es nicht überaus natürlich, dass ein Mensch, der den Segen der Vergebung genießt, von Herzen froh ist? Wir haben von einem Mann erzählen hören, der am Fuße des Schafotts bei der Kunde, dass sein König ihn begnadigt habe, vor übergroßer Freude starb; und wir sollten die freie Vergebung des Königs aller Könige empfangen und dennoch in unverzeihlichem Grämen dahinsiechen? Des Herrn. Das gibt uns die Richtschnur für unsere Freude an, durch die diese bewahrt wird, dass sie nicht in Leichtsinn ausartet. Nicht an der Sünde sollen wir uns freuen, auch nicht in Korn, Most und Öl unsre Lust suchen, sondern unser Gott soll das Eden, das Wonneland sein, darin unsre Seele sich ergötzt. Dass es einen Gott gibt, und einen solchen Gott, und dass er unser ist, unser auf ewig, unser versöhnter Herr, ja unser Vater in Christus, das gibt Stoff genug zu einem nie endenden Lobgesang überströmender Freude. Und seid fröhlich, ihr Gerechten. Frohlocket laut, lasst den Ruhm des Herrn erschallen. Hat es Gott gefallen, seine Sänger mit den weißen Kleidern des Heils und dem Rock der Gerechtigkeit zu kleiden (Jes. 61,10), so sollen sie nun ihre Stimme nicht zurückhalten, sondern fröhlich singen, sollen jubeln und jauchzen wie solche, die große Beute gefunden haben. Und jauchzet alle, ihr Frommen, Grundtext: die ihr redlichen Herzens seid. Unser Herz soll so voll heiliger Freude sein, dass es davon überströmt und das, was uns beseligt, auch anderen sich zu bemerken gibt. Der frostige Mangel an Liebe unterdrückt die heilige Flamme der Freude. Man flüstert ganz bescheiden seinen Dank, wo ein Ausbruch des Frohlockens viel natürlicher wäre. Es ist in der Tat zu fürchten, dass die Gemeinden unsrer Zeit vor lauter Ängstlichkeit, den Anstand zu wahren, in Unnatur geraten, so dass der Notschrei einer heilsverlangenden Seele und das Jauchzen von Gläubigen, denen das Herz vor Freude springen will, rasch zum Schweigen gebracht werden würden, wenn sich in unseren Gottesdiensten je derartiges hören ließe. Unsere Ruhe mag besser sein als lärmender Fanatismus; aber es ist in der einen Richtung so viel Gefahr wie in der andern. Es gibt auch eine Friedhofsruhe und einen Anstand, der unseren wohl gepflegten Gräbern gleich modernde Gebeine deckt. Was uns betrifft, so rührt uns ein klein wenig heiligen Exzesses (Übermaßes) stets bis in den Herzensgrund und wenn gottgeheiligte Seelen etwa einmal im Übermaß ihrer Freude die engen Grenzen der menschlichen Schicklichkeitsregeln überschreiten, gucken wir deswegen nicht missgünstig. Wir nehmen eine Michal (2. Samuel 6,20 ff.) darin nicht zum Vorbild; wir möchten sonst wie sie der Unfruchtbarkeit verfallen. - Man achte darauf, wie hier die Menschen, welchen Vergebung widerfahren ist, als redlichen Herzens, als aufrichtig und ohne Falsch hingestellt werden. Es mag jemand viele Fehler an sich haben und doch zu den Begnadigten gehören; ein unlauteres Herz aber hat das Verdammungsurteil auf sich lasten. Wer vor Gott und Menschen krumme Wege zu gehen liebt, wer sich von der Tücke seines Herzens nicht erlösen lässt, der ist überhaupt noch gar nicht aus dem Verderben errettet und wird aller Wahrscheinlichkeit nach nie daraus errettet werden; denn nur den Aufrichtigen lässt es der Herr gelingen. Wir haben mannigfach beobachtet, dass Leute, die eine doppelte Zunge haben und Winkelzüge lieben, von allen Menschen am schwersten zu Buße und Glauben kommen. Das ist gewiss: Wo die Gnade in ein Herz einzieht, da bringt sie die Denkungsart ins Gleichgewicht, dass der Mensch aufrecht wandelt und gerade Wege geht.
Lieber Leser, welch ein köstlicher Psalm! Hast du beim Betrachten desselben die Seligkeit des Psalmsängers dein Eigen nennen können? Ist das der Fall, dann mache auch anderen den Weg des Heils kund!
Erläuterungen und Kernworte
Zum ganzen Psalm. Dies ist ein Lehrpsalm, in dem David denen, die er durch sein Beispiel zum Sündigen verleitet hatte, nun den Weg der Buße zeigt. Das ist ein Kennzeichen eines wahrhaft bußfertigen Menschen, wenn er, der anderen ein Anstoß war, sich nun ebenso viel Mühe gibt, andere durch seine Reue aufzurichten, als er ihnen vorher durch seine Sünde Schaden getan hatte. Als das samaritische Weib zur Selbsterkenntnis und Umkehr gekommen war, ließ sie ihren Krug bei dem Brunnen stehen, ging hin in die Stadt und sprach zu den Leuten: Kommt, seht einen Menschen, der mir gesagt hat alles, was ich getan habe (Joh. 4,29). Und zu Simon Petrus sprach der Heiland: Wenn du dich einst bekehrst, so stärke deine Brüder (Lk. 22,32). Ebenso schämte sich Paulus nach seiner Bekehrung nicht, sich den vornehmsten unter den Sündern zu nennen und andere zu lehren, ihre Sünden zu bereuen, wie er seine eigenen bereut hatte. Glücklich der Mann, der wieder aufbauen kann, was er einst niedergerissen hat! Archibald Symson 1638.
Die Psalmen sind von jeher den Heiligen Gottes eine Speise gewesen, in deren Kraft sie ihren Weg zu gehen vermochten durch Freud und Leid, im Leben und im Sterben. Ganz besonders aber hielten sie sich im Leiden all diejenigen Psalmen, die zugleich mit dem sonstigen Schmerz auch demjenigen über die Sünde Ausdruck geben, an die bekannten sieben Bußpsalmen. Die Psalmen 32; 51; 130; 143; nannte Luther gerne psalmi Paulini, weil sie die freie Gnade Gottes lehren, ohne Verdienst eigener Werke. - Nach A. v. Salis 1902.
Der 32. Psalm ist der Lieblingspsalm Augustins. Er hat ihn, wie Selnekker erzählt, "oftmals mit weinendem Herzen und Augen gelesen und vor seinem Ende (430) ihn an die Wand, die seinem Siechbette gegenüber gestanden, schreiben lassen, darin er sich in seiner Krankheit geübt und getröstet hat." Man könnte ihm Angustins intelligentia prima est, ut te noris peccatorem (der Anfang aller Erkenntnis ist, dass du dich als Sünder erkennest) als Motto geben. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
V. 1. Dem die Sünde bedeckt ist. Es gibt ein Bedecken und Verbergen der Sünde, das zum Fluch wird. Wer seine Missetat leugnet, dem wird es nicht gelingen (Spr. 28,13). Man kann die Sünde zuzudecken versuchen, indem man sie nicht bekennt oder, was noch schlimmer ist, sie geradezu leugnet, wie Gehasi (2. Könige 5,25), also sie durch eine Lüge zudeckt. Es gibt aber auch ein Verhehlen der Sündenschuld, indem man das Geschehene zu rechtfertigen sucht. Ob du aber sagst; "Ich habe dies oder das nicht getan", oder: "Ich habe damit nichts Böses getan", - beide Weisen, die Sünde zu verbergen, sind gottlos; es wird dir nicht gelingen. Doch es gibt auch ein seliges Bedecken der Sünde und das findet statt, wenn der allsehende Gott sie vor seinen Augen verbirgt. Das macht das Herz wahrhaft glückselig. Richard Alleine † 1681.
Wir können unsere Seele mit fleischlichen Lüsten einschläfern; aber die Kraft dieser Betäubungsmittel ist bald erschöpft. Sie geben doch nur einen armen, elenden Frieden, dem ein furchtbares Erwachen folgt, eine Seelenruhe, die gestört wird, sobald der Gedanke an Gott und die Ewigkeit an das Gewissen herantritt. Doch wenn dir die Sünde vergeben ist, dann hast du wahre Freude. O wie selig, wem das Wort des Heilands im Herzen widerhallt: Sei getrost, mein Sohn; deine Sünden sind dir vergeben! (Mt. 9,2) Thomas Manton † 1677.
Vergeben. Der heilige David zeigt uns im Eingang des Psalms, worin unser wahres Glück besteht: nicht in Schönheit, Ehre und Reichtum (der Dreieinigkeit der Welt), sondern in der Vergebung der Sünden. Das Wort des Grundtextes für vergeben bedeutet die Sünde aufheben und hinwegnehmen, sie fortschaffen, aus den Augen schaffen, vergl. Joh. 1,29 (Grundtext) und das schöne Wort Jer. 50,20: Zur selbigen Zeit wird man die Missetat Israels suchen, spricht der Herr, aber es wird keine da sein, und die Sünden Judas, aber es wird keine gefunden werden. Dieser Segen ist unfassbar groß und legt den Grund für alle anderen Gnadenerweisungen Gottes. Die Vergebung ist nicht in irgendetwas, das in uns wäre, begründet, sondern ist ausschließlich eine Tat der freien Gnade Gottes. "Ich, ich tilge deine Übertretungen tun meinetwillen" (Jes. 43,25). Und wo der Herr ein Menschenkind begnadigt, da erlässt er nicht nur die Schuld, sondern schenkt gleichsam ein Vermächtnis. Die Vergebung der Sünden wird uns zuteil um des Blutes Christi willen; denn ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung (Hebr. 9,22). Die freie Gnade ist die treibende Ursache, Christi Opfer der Rechtsgrund; denn die Gerechtigkeit Gottes darf durch die Gnade nicht angetastet werden. So muss auch auf Seiten des Menschen die Anerkennung der göttlichen Gerechtigkeit, das ist die Buße, dem Empfangen der Vergebung vorhergehen. Reue und Schulderlass gehen Hand in Hand, wie es Lk. 24,47 heißt: Und predigen lassen in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden. Doch nicht, dass unsere Reue im römischen Sinn ein Verdienst wäre, durch das wir die Vergebung erwerben; denn Christi Blut muss auch unsere Bußtränen reinigen. Die Sinnesänderung macht uns zum Empfangen der Vergebung fähig, nicht aber bewirkt sie die Verzeihung. Diese ist eine völlige. Hat Gott die Sündenschuld ausgetilgt, so will er ihrer nicht mehr gedenken (Jer. 31,34). Der Herr will uns das Geschehene nicht mehr vorwerfen; er wird uns nicht wegen eines schon gelöschten Schuldscheins in Anklage versetzen. Er wirft alle unsere Sünden in die Tiefen des Meeres (Micha 7,19) und zwar nicht wie einen Korkring, der wieder auftaucht, sondern wie Blei, das auf den Grund des Meeres sinkt. Wie sollten wir uns doch alle danach ausstrecken, dieser Gnade teilhaftig zu werden! Thomas Watson 1660.
Als unsere ersten Eltern in die Sünde gefallen waren, wurden sie gewahr, dass sie nackt waren; da flochten sie Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze (1. Mose 3,7). Noch immer mühen sich die Menschen ab, die Blöße ihrer Sünden durch ihre Verdienste zu decken; aber das Kleid unserer Gerechtigkeit ist zu kurz und hält nicht stand. Wir brauchen ein anderes Kleid, den Rock der Gerechtigkeit Christi, der wahrhaft unseren Schaden deckt. Dass nur Gott unsre Blöße decken kann, das wurde gleich im Anfang dadurch deutlich gemacht, dass der Herr Adam und seinem Weibe Röcke von Fellen machte und sie damit kleidete (1. Mose 3,21). "Ziehet an den Herrn Jesum Christ." (Röm. 13,14; Off. 3,18; Jes. 63,1; Mt. 22,11) Archibald Symson 1638.
V. 1.2. Der Psalm beginnt mit Seligpreisung des Menschen, der Gottes rechtfertigende Gnade erfährt, indem er sich Ihm rückhaltlos hingibt. Die drei Ausdrücke des Grundtextes kennzeichnen die Sünde als Losreißung von Gott, als Abirren vom Gottgefälligen und als Verkehrung, Missetat. Die Vergebung der Sünde wird bezeichnet erstens als Aufhebung und Hinwegnahme (vergl. ai}rein und a)fairei=n, sowie 2. Mose 34,7; Jes. 53,4), zweitens als Bedeckung, so dass sie vor Gott, dem Heiligen, unsichtbar wird und wie nicht geschehen ist, weil über ihr die Decke der Sühne liegt (Ps. 85,3; Spr. 10,12; Neh. 3,37), und drittens als Nichtzurechnung (2. Samuel 19,20, vergl. ou) logi/zesqai Röm. 4,6-9). Die Gerechtigkeit ohne Zutun der Werke (Röm. 3,21.28) ist hier deutlich ausgesprochen. Ein solcher Gerechtfertigter ist aber nur der, in dessen Geist kein Trug ist, der die oder jene Lieblingssünde leugnet und verhehlt, verringert und beschönigt. Eine solche absichtlich vorbehaltene Sünde ist ein geheimer Bann, der die Rechtfertigung verhindert. Nach Prof. Franz Delitzsch † 1890.
1) Vergeben, Grundtext hinwegschaffen; 2) bedecken (wozu vergl. kipper bedecken = sühnen). Das letztere Wort bezeichnet die Weise, wie die Vergebung zu Stande kommt, nämlich durch die Sühne, das erstere die Wirkung dieser Sühnung, nämlich das Hinwegschaffen der Sünde. - Bemerkenswert ist, dass die drei Worte, womit hier die Sünde benannt wird, dieselben sind, die Gott beim Kundtun seines Namens 2. Mose 34,7 braucht. Stephen Charnock † 1680.
Wer ist ein glücklicher Mensch? Nicht wer seine Sünde bemäntelt, verheimlicht und leugnet. Solange David sich in dieser Verfassung befand, war er elend, wie er es V. 3 f. beschreibt. Wer ist glücklich? Wer ohne Sünde ist, keinerlei Sünde tut und den Gott, an dessen Brust er ruht, mit keiner Sünde betrübt. Das ist das seligste Wohlsein, die höchste Wonne, das ist die Glückseligkeit des Himmels. Gott ähnlich sein, ihm unbedingten, willigen und vollkommenen Gehorsam, den Gehorsam des Herzens, des ganzen Wesens leisten, das ist die Seligkeit der Engel. Aber unter denen, die in einer Welt voller Sünde leben, die von Sünde umgeben sind und selber unter die Sünder zählen, wer ist da der Glückliche? Dem die Übertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedeckt ist und dem der Herr die Missetat nicht zurechnet. Und was für ein Glück dies ist, wird der besonders tief empfinden, der sich aus eigener Erfahrung in Davids vorherigen Zustand versetzen und es David nachfühlen kann, wie bitter die Sünde ist (V. 3.4). Ach, in welch schrecklichem Zustand war der Psalmist gewesen! Wie muss die Sünde sein inneres Licht verdunkelt, sein geistliches Leben geschwächt haben, dass er solche Falschheit im Herzen haben und hegen konnte, er, dessen Bitte sonst war: Erforsche mich, Gott, und erfahre mein Herz; prüfe mich und erfahre, wie ich’s meine, und siehe, ob ich auf bösem Wege bin und leite mich aus ewigem Wege! (Ps. 139, 23 f.) In welch trauriger Verfassung muss seine Seele gewesen sein, dass er, obwohl er den ganzen Tag heulte, dennoch seine Sünde vor Gott verschwieg und nicht den Mut hatte, sein Herz vor ihm auszuschütten. Er war stumm gegen Gott, aber nicht etwa weil er sich demütig in Gottes Willen ergeben und die Strafe seiner Missetat sich hätte gefallen lassen (3. Mose 26,41). Ich wollte es verschweigen, übersetzt Luther treffend, ich wollte es verschweigen, entschlossen, hartnäckig, trotzdem dass der Geist Gottes mich an so viele früher empfangenen Segnungen erinnerte und trotz der quälenden Gewissensbissen und der Angst meines Herzens. Ich schwieg, trotzdem dass deine Hand Tag und Nacht schwer auf mir war, so dass mein Lebenssaft vertrocknete. Ja, Herr, bei alle dem schwieg ich. Aber da kam Nathan. Du sandtest ihn. Er kam zu mir mit Worten, die mir wie ein Schwert durch die Seele gingen, und doch waren es Worte der Treue und heiligen Liebe Er kam mit deinem Wort und in des Königs Wort war Gewalt (Pred. 8,4). Da bekannte ich vor Nathan meine Sünde; aber das war nur das Geringste. An dir, an dir allein hab’ ich gesündigt (Ps 51,6), und dir bekannte ich darum meine Sünde und verhehlte meine Missetat nicht. Ich gelobte es, dir meine Übertretungen zu bekennen, und ich tat es; da vergabst du mir die Missetat meiner Sünde. James Harrington Evans † 1849.
Dem der Herr die Missetat nicht zurechnet. Rabbi Abraham ben Meir ben Ezra († 1167) umschreibt dies: an dessen Sünden Gott nicht gedenkt, die Gott nicht vors Gericht zieht und als nicht geschehen betrachtet. - Die Strafe uns zum Heil lag auf ihm (Jes. 53,5). Erzbischof Robert Leighton † 1684
In dessen Geist kein Falsch ist. Wenn Gläubige in Trübsal sind, so fallen ihnen oft viele Stellen der Schrift schwer aufs Herz, durch die sie sich verurteilt meinen; doch deuten sie dabei Gottes Wort nicht gelten falsch. "Wehe mir", sagt die arme Seele, "diese Schriftstelle spricht wider mich! Hier ist deutlich gesagt, was aufrichtig sein heißt: Ein Mensch sein, in des Geist kein Trug ist. Ich finde aber noch viel Trug in mir; also gehöre ich nicht zu den Aufrichtigen, somit auch nicht zu den seligen Leuten, welchen der Herr die Missetat nicht zurechnet." Das ist aber eine sehr schwache, ja eine falsche Folgerung. Unter dem Menschen, in dessen Geist kein Falsch ist, ist nicht ein solcher gemeint, aus dessen Herzen auch der letzte Rest von Trug und Unwahrheit verschwunden ist Nehmen wir das ohne Falsch sein in diesem strengsten Sinne, dann ist es dasselbe wie ohne Sünde sein. Diese Stellung aber hat auf Erden nur einer eingenommen, unser Herr Jesus Christus, 1. Petr. 2,22: Welcher keine Sünde getan hat, ist auch kein Betrug in seinem Munde erfunden. Wenn daher dieselben Eigenschaften in der Schrift den Gläubigen beigelegt werden, wie es Mal. 2,6 von Levi heißt: "Es wurde kein Böses in seinen Lippen gefunden," und von Nathanael Joh. 1,47: "Siehe, ein rechter Israelit, in dem kein Falsch ist", so müssen wir einen geringeren Maßstab anlegen, einen solchen, der ihrem unvollkommenen Zustand hier auf Erden entspricht, und dürfen das, was hier auf Erden ausschließlich Christi Schmuck war und erst im Himmel der Verklärten Ehrenkleid sein wird, nicht ohne Weiteres auf die schwachen Christen beziehen, die noch mit dem Teufel draußen und der Sünde drinnen im Kampf sind. Lies die Psalmstelle noch einmal, liebe Seele, mit hellen Augen, so wirst du finden, dass darin für zerknirschte Herzen göttlicher Trost enthalten ist. Sind solche Seelen geneigt, sobald sie die leiseste Unlauterkeit in sich entdecken, ihre Aufrichtigkeit für gar nichts zu rechnen, so redet dagegen hier der heilige Geist in hohen Worten von der Lauterkeit, die durch die Gnade in ihnen gewirkt ist, und stellt diese in den Vordergrund. William Gurnall † 1679
Gerade die Erfahrung der göttlichen Vergebungsgnade gibt dem Gläubigen den Mut, ganz aufrichtig gegen Gott zu sein. Nun ihm volle Gnade angeboten wird, kann er es, dass ich so sage, wagen, alle Falschheit fahren zu lassen. Wer wollte nicht gern alle seine Schulden rückhaltlos aufzählen, wenn er gewiss ist, dass ein anderer sie bezahlt? Wer wollte nicht seinen ganzen Schaden aufdecken, wenn sichere Heilung zu finden ist? Der wahre Glaube weiß nicht nur, dass es nichts hilft, vor Gott die Sünde verhehlen zu wollen, sondern auch, dass dazu kein Grund vorliegt. Der Gläubige hat nichts zu verbergen; er sieht sich vor Gott bis ins Innerste enthüllt. Und wenn er gelernt hat, sich selber zu sehen, wie er wirklich ist, so hat er auch gelernt, Gott zu sehen, wie er sich geoffenbart hat. Es ist kein Falsch in dem Geiste dessen, der gerecht gemacht ist auf Grund seines Glaubens; denn durch die Tat der Rechtfertigung ist die Wahrheit in ihn eingepflanzt worden. J. W. Reeve 1859.
Nur das falsche Herz findet die Gnadentür verschlossen. William Gurnall † 1679.
V. 3.4. Was David in diesen Versen ausspricht, bereichert nicht unwesentlich das zu 2. Samuel 11; 12 Mitgeteilte. Man nimmt gewöhnlich an, David sei nach seinem betrübenden Fall sorglos und wie betäubt gewesen und durch Nathan erst sei er an dieser stumpfen Gleichgültigkeit aufgerüttelt worden. Dies wird oft als ein Beweis angeführt, wie sehr die Sünde verhärte. Aber die Sache hat sich anders verhalten. David litt die ganze Zeit viel innerliche Qual; dennoch konnte er sich nicht entschließen, sich vor Gott zu beugen und sich vor den Menschen als Ehebrecher und Mörder schuldig zu geben. Er beharrte bei seinem Schweigen, suchte seine Sünde zu beschönigen und zu entschuldigen und hoffte, die Zeit werde ihm über die innere Unruhe hinweghelfen. Aber die Unterdrückung und Verheimlichung seiner Angst raubte ihm nicht nur den Frieden, sondern untergrub auch seine Gesundheit, ja gefährdete sein Leben. Da endlich, als der Prophet Nathan zu ihm kam, warf er sich mit einem offenen Geständnis Gott zu Füßen. William Jay 1853
V. 3. Da ich’s wollte verschweigen. Nichts ist bei dieser Geschichte (2. Samuel 11) unbegreiflicher, als dass das Gewissen des sonst so erleuchteten David so lange hat schlafen können. Allein wie leicht geschieht es, dass ein Mensch sich selbst an der Erkenntnis und dem Gefühl seiner Sünde hindert. Beständige Zerstreuungen lassen manchen lange nicht zu sich selber kommen. Den Stand, worin man lebt, und die Beispiele anderer, die eben dies getan haben, braucht man zu seiner Entschuldigung. Oder man gesteht bei sich selbst ein, dass man gesündigt habe, und die ganze Buße besteht in einer selbst gemachten moralischen Reflexion über die Sünde, in einem kaltsinnigen Gebet, Opfer, Almosen und natürlichem Vorsatze, es nie wieder zu tun. Dabei tröstet sich ein Rückfälliger bei aller Finsternis und Trockenheit, die er in sich fühlt, mit dem vorigen Gnadenstand. So mag es bei David auch eine Zeitlang gewesen sein. An seinem Hof ging es in dieser Zeit ohne Zweifel elend her. Die bösen Leute nahmen sich mehr Freiheit zum Sündigen als sonst heraus, weil der König selbst gesündigt hatte; die Frommen waren betrübt und keiner der Propheten konnte mehr ein Herz zu David haben. Nathan ging nicht eher zu ihm, bis ihn der Herr sandte, und der Herr sandte ihn, als David schon heimlich über seine Sünden verängstigt war. Prälat Magnus Friedrich Roos 1773.
Meine Gebeine verschmachteten. Gott scherzt nicht mit den Sünden seiner Kinder, sondern nimmt es mit seinen Auserwählten viel strenger als mit solchen, die ohne Gnade dahinleben, und züchtigt jene oft viel härter als diese. Davids Leiden waren teils äußerlich, teils innerlich. Diese, die Gewissensqualen, bewirkten jene, die körperlichen Leiden. Von den Qualen und Schmerzen seines Leibes schnitten einzelne ihm tief ins Fleisch; doch das war noch zu ertragen. Aber andere gingen bis ins Mark der Knochen; das war fast unerträglich. Und darin wird Gottes gerechte Vergeltung fühlbar. Vergeuden wir unsere Kraft in der Sünde, so schwächt Gott sie und macht uns ohnmächtig. Simson vergeudete seine Kraft durch seine sündige Liebe zu der Delila und zu welcher Schwäche sank er herab! Lasst uns denn erkennen, dass Gott uns die Leibes- und Seelenkräfte zu einem andern Zweck gegeben hat, nämlich, dass wir ihm dienen, und nicht, dass wir sie in des Teufels Dienst vergeuden. Archibald Symson 1638.
V. 4. Deine Hand: die züchtigende Hand Gottes, womit er seine Kinder zerstiebt (Hebr. 12,6). Man vergleiche zu dem Ausdruck z. B. 1. Samuel 5,11; Ps. 38,3; 39,11. Wir können uns hier dreierlei merken: Erstens, dass alle Trübsal von Gottes Hand kommt; zweitens, dass der Herr seine Hand gerade seine geliebten Kinder oft schwer fühlen lässt; und drittens, dass er seine Hand bisweilen Tag und Nacht so schwer auf ihnen liegen lässt. Thomas Taylor 1617.
Blutrote Sünden fordern blutige Tränen. Sündigt Petrus so gräulich, so muss er danach bitterlich weinen. Nathanael Hardy † 1670
Wenn Gott solche, die er lieb hat, so schwer züchtigt, wie wird er die zerschlagen und zerschmeißen, die außer der Gnade stehen! Gregor von Nazianz † 390
Wie es im Sommer dürre wird. Lässt sich die Sonne [in Palästina] schon im Winter ihre Macht nie allzu sehr beschränken, im Sommer beherrscht sie alles mit souveräner Gewalt. Schon im April und Mai wird das Getreide eingeerntet und nun brennt sie alle frischgrüne Vegetation von Feld und Steppe weg und alle Frühlingspracht flieht dahin wie ein Traum. Nur die Bäume und Reben, ganz besonders aber der treue Ölbaum inmitten heiß bestrahlter Felsen, behalten ihr Grün. Äcker und Felder aber bedecken sich mehr und mehr mit dem braunen Dornstrauch, der unabsehbare Strecken bedeckt und immer mehr verbrannt wird, und der nun üppig gedeihenden Distel. Ein Meer von Licht zittert in solchen Sommertagen heiß durch die Welt. Das Auge wird geblendet und schmerzt, wenn man ans Fenster tritt und hinausschaut auf die glühend angestrahlte Erde. Eine große Erquickung ist der Westwind, der im Sommer ein fast täglicher, auf allen Bergen, in allen Hütten sehr willkommener Gast ist. Nur wenn der Ostwind seiner Meister wird, muss er ausbleiben. Umso schlimmere Wirkungen hat dieser, auch Schirokko (von dem arab. Scherki = Ostwind) genannt. Vom Mai bis zum Oktober kommt er von Zeit zu Zeit und dauert dann oft viele Tage. Er kommt aus den Glutöfen der syrisch-arabischen Wüste mit heißem Atem dahergefahren. Stets ermattet er Menschen und Tiere aufs Äußerste (Jona 4,8). Die Blume, die in der Morgenfrühe noch mit leuchtenden Farben das Licht der Sonne begrüßt, ist am Abend verwelkt und verbrannt, und der Ostwind führt sie geknickt und verdorrt über Stoppeln und Dornen (Ps. 103,16). Bis Anfang November oder oft Dezember herrscht der Sommer unbeschränkt und nur der Tau netzt beim Westwind das durstige Land in der Morgenfrühe. Während der ganzen langen Sommerzeit fällt kein Tropfen Regen vom Himmel. Ludwig Schneller, "Kennst du das Land?" 1889.
Während der zwölf Jahre von 1846 bis 1859 fielen in Jerusalem zwischen den Monaten Mai und Oktober nur zwei leichte Regenschauer; der eine im Juli 1858, der andere im Juni 1859 Dr. Whitty.
V. 4.5.7. Sela. Die Musik steigert sich hier (V. 4) und tut das Ihrige, diese Höllenpein des erwachten Gewissens bei noch ungebrochenem Herzen zu malen. Das Sela am Ende von V. 5 ist das Widerspiel des ersten. Dort schrille Klage über den erfolglos sich abmarternden Sünder, hier heller Freudenklang über die selige Erfahrung des sich Gott ausschüttenden Sünders, - ein musikalisches Ja und Amen zu der großen Wahrheit von der rechtfertigenden Gnade. Am Schluss des siebenten Verses steigert sich die Musik zum dritten Male und zwar zum Ausdruck des höchsten Wonnegefühls. Prof. Franz Delitzsch † 1890
V. 5. Darum bekannte ich dir meine Sünde und verhehlte in eine Missetat nicht. Mancher unaufrichtige Mensch beweist großen Scharfsinn in der Kunst, seine Sünden zu verbergen und jedes Anzeichen derselben unsichtbar zu machen: Gleich einem Kranken, der mit einem ekelhaften, schimpflichen Übel behaftet ist, will er lieber sterben, als seine Schande bekennen. Aber die Aufrichtigkeit des Gottesfürchtigen kann man gerade daran erkennen, dass und wie er seine Missetat bekennt. Ein Kind Gottes wird seine Sünde auch im Einzelnen bekennen, wogegen ein unlauterer Christ wohl in Bausch und Bogen etwa zugibt, dass er gefehlt habe, und sich im Allgemeinen einen Sünder nennt, aber nicht wie David mit seinem Finger auf die Wunde zeigt und offen und ehrlich den tiefen Schaden bloßlegt. Vergl. z. B. Ps. 51,16, wo David deutlich von seinen Blutschulden spricht. Thomas Watson 1660.
Der beste Rat, den wir dem Sünder geben können, ist der: Sei du dein eigener Ankläger, indem du deine Schuld offen darlegst, wie der verlorene Sohn sprach: "Vater, ich habe gesündigt in den Himmel und vor dir" (Lk. 15,21). Denn es geht in dem himmlischen Gerichtshof nicht zu, wie vor unseren irdischen Richtern. Der irdischen Gerechtigkeit hat sich schon mancher entzogen, indem er seine Sünde frech leugnete; aber der göttlichen Vergeltung kann sich keiner entziehen. Bei dem menschlichen Richter führt ein offenes Bekenntnis unfehlbar zur Verurteilung: aber vor Gott führt es, wenn anders die Buße wirklich aufrichtig ist und sich demnach mit dem Glauben paart, eben so unfehlbar zur Vergebung. Vergl. 1. Kor. 11,31. Wie darum David, sobald er sich entschlossen hatte, seine Sünde zu bekennen, Barmherzigkeit erlangte, so tu agnosce et Dominus ignoscet, wie Augustinus († 430) sagt: Bekenne deine Sünde, so wird der Herr sie nicht mehr kennen wollen. Sei du nur aufrichtig im Bekennen, so wird Gott treu sein im Vergeben, vergl. 1. Joh. 1,9. Nur lass die confessio peccati, das Bekenntnis deiner Sünde, auch eine professio desinendi sein, ein Gelübde, sie zu lassen, wie der Kirchenlehrer Hilarius († 366) sagt: Dann kannst du darauf bauen, dass, wer seine Missetat bekennt und lässt, Barmherzigkeit erlangt (Spr. 28,13) Isaac Craven 1630.
Das ist untrügliche Wahrheit: Auf ein reumütiges Bekenntnis folgt Vergebung. So viel, sagt Augustin († 430), vermögen die drei kleinen Silben: Pe-ca-vi, Ich habe gesündigt. Nathanael Hardy † 1670
Die Missetat meiner Sünde. Was seine zweifache Sünde (seinen Ehebruch mit der Bath-Seba und den Meuchelmord an Uria) so besonders schwer machte, war, dass David dabei mit so schändlicher Heuchelei Gott und Menschen zu hintergehen suchte. Dies ist auch wohl der Grund, weshalb der Geist Gottes in dem Gesamturteil über David (1. Könige 15,5) diese Sünde als den einen dunkeln Fleck seines Lebens bezeichnet. Das Wort der Wahrheit berichtet von manchen andern Fehltritten dieses Knechtes Gottes; aber sie alle verschwinden gegenüber dieser Sünde. Wohl konnte der Herr nach seiner großen Barmherzigkeit sein Kind an dieser Wunde nicht sterben lassen; die Wunde heilte, doch so, dass eine tiefe Narbe blieb, als ein Zeichen, daran andere erkennen können, wie verhasst die Heuchelei dem heiligen Gott ist. William Gurnall † 1679
V. 6. Seht, wie glücklich der Mensch ist, dem Gott vergeben hat! Kein Wunder denn, dass der Psalmsänger hinzufügt: Um des willen werden alle Heiligen zu dir beten zur rechten Zeit. Gewiss werden, nachdem du gegen mich so gnädig gehandelt hast, alle, die dich wahrhaft lieben und lieben, zu dir beten, wenn sie von dem Wunder der Gnade hören, das du an mir getan hast. Sie werden, dadurch ermutigt, nicht schweigen, wie ich es so töricht und sündig getan habe, sondern werden vor dir ihre Fehltritte bekennen und deine Gnade erflehen, da du es so herrlich gezeigt hast, dass du zu finden bist von allen, die dich rechtschaffen suchen. James Harrington Evans † 1849
Da Gott sich als so gnädig und barmherzig erweist, wie es in Davids Erfahrung zu Tage getreten, wer wollte sich nun weigern oder auch nur zögern, zu seinem Gott zurückzukehren! Gewiss wird jeder, der sein Heil recht bedenkt, jeder fromm gesinnte Mensch (Grundtext), einen so gütigen und milden Herrn anrufen zur Zeit, da er zu finden ist. (Grundtext) Merke: Er, der sich in seinem Worte gebunden hat, dir zu vergeben, wenn du reumütig zu ihm kommst, hat dir doch nirgends auch nur den morgigen Tag zugesichert. Wie das Reden seine Zeit und Stunde hat (Pred. 3,7), so auch das Reden mit Gott; denn nicht immer lässt Gott mit sich reden. Es gibt eine bestimmte Zeit der Gnade im Allgemeinen wie für jeden einzelnen Menschen. Verachtet man diese Gnadenzeit in törichter Widerspenstigkeit oder versäumt man sie in träger Nachlässigkeit, so kommt unversehens die Stunde des göttlichen Zorngerichts. Nur die, die zur rechten Zeit in die von Gott bereitete Rettungsarche eingehen, bleiben bewahrt, wenn die großen Fluten kommen, während die Verächter in diesen untergehen. Erzbischof Robert Leighton † 1684.
Welche Wunder hat das Gebet ausgerichtet! Auf das Gebet Josuas stand die Sonne mitten am Himmel und verzog unterzugehen, beinahe einen ganzen Tag. Der Herr gehorchte der Stimme eines Mannes! (Jos. 10,12 ff.) Und Elia war auch ein Mensch gleichwie wir und sein Gebet verschloss die Fenster des Himmels und öffnete sie wieder, dass die Erde ihre Frucht brachte. (Jak. 5,17 f.) Wie oft wurden durch Moses Gebet Gott gleichsam die Hände gehalten, dass er nicht zuschlagen konnte, wenn er sein Volk strafen wollte. Das Gebet hat, ohne irgendwelche andern Mittel, die starken Mauern Jerichos niedergerissen, das Gebet hat das Meer geteilt, dass seine Wellen nicht an die Israeliten kommen konnten. Nach unserer Psalmstelle soll der treue Beter Errettung aus den größten Gefahren erleben. Kein Unglück dieser Welt, keine Not des Lebens, kein Schrecken des Todes soll ihn mit sich fortraffen, ihn von Gott losreißen und ins Verderben ziehen. Thomas Playfere 1604.
Die Leiden der Gläubigen werden mit Wasserfluten verglichen. Feuer und Wasser kennen kein Erbarmen, sagen wir im Sprichwort. Aber von den beiden ist das Wasser doch noch das Schrecklichere. Denn Feuer kann man doch mit Wasser löschen; aber die Gewalt des Wassers kann keine Menschenmacht, wenn es einmal wird geworden ist, dämpfen und zurückdrängen. Es heißt aber: große oder viele Wasserfluten. Wie die Wasserwogen eine über die andre hereinstürzen, so kommt auch, nach unserm alltäglichen Sprichwort, ein Unglück selten allein. Thomas Playfere 1604.
Da wir auf dem flachen Land die furchtbare Gewalt der Gebirgswasser nicht kennen, fehlt uns für manche der packendsten Bilder des Alten und Neuen Testaments oft das volle Verständnis. W. J. Conybeare 1856.
Der Gläubige mag wohl, wie Paulus (Apg. 27,41 ff.; 2. Kor. 11,25), Schiffbruch leiden und Tag und Nacht in der Tiefe des Meeres zubringen: aber umkommen wird er, wie auch dieser, doch nicht in den großen Wasserfluten. Mögen sie noch so heftig toben, sie sind in Gottes Gewalt. Vergl. Mk. 4,37-41. John Trapp † 1669.
An dieselbigen. Wir möchten auf dies Wort Nachdruck legen und damit dem Einwand begegnen: Viele heilige Männer haben doch ihre Güter verloren, große Qualen an ihrem Leibe erduldet, sind selbst in ihrem Gemüt schwer geängstigt worden; wie kann es denn heißen, die Wasserfluten seien nicht an sie gelangt? Wir antworten mit dem Hinweis auf das, was der heidnische Philosoph Anaxarchus, als er von dem tyrannischen König Nikokreon von Salamis verurteilt worden war, in einem Mörser zu Tode gestampft zu werden, zu dem Schergen sagte: "Schlag und stampfe, solang du willst, auf des Anaxarchus Rücken oder seinen "Sack" (so nannte er seinen Leib), den Anaxarchus kannst du doch nicht treffen." Aber besser noch ist’s, wir weisen auf das treffliche Wort Augustins († 430) hin: "Woher kommt es, dass die Seele stirbt? Weil (d. h. wenn) sie keinen Glauben hat. Woher kommt es, dass der Leib stirbt? Weil die Seele nicht mehr in ihm ist. Darum ist die Seele (das Leben) deiner Seele der Glaube." Ja, die großen Wasserfluten mögen wohl an die Güter eines gläubigen Mannes, an seinen Körper und an seinen Verstand kommen; aber an seinen Glauben, das ist, an ihn selbst, können sie nicht gelangen. Thomas Playfere 1604.
V. 7. Du bist mein Schirm usw. Unter dem Schutz der Hand, die einst so schwer auf mir lag, kann ich nun sicher ruhen. Du bist mein Versteck; ich scheue dich nicht mehr, sondern suche bei dir Zuflucht. In deiner Liebe bin ich wohl geborgen, was für Trübsal mein auch warte gemäß dem, was du mir durch Nathan hast verkündigen lassen, ich werde dennoch erhalten bleiben. Ja noch mehr: Du wirst mich so herrlich aus aller Drangsal erretten, dass ich dir fröhliche Dankeslieder singen und über deine gnädige Durchhilfe jubeln werde. James Harrington Evans † 1849
David sagt nicht nur: Du bist ein Schirm, sondern: Du bist mir ein Schirm. Darin liegt die Schönheit unseres Textes. "Der Herr ist mein", sagt David, "ich habe sein Heil ergriffen. Ich habe als Sünder meine Zuflucht zu seiner Liebe und seinem Erbarmen genommen, ich habe mich unter den Flügeln des allmächtigen Erlösers geborgen; so bin ich nun sicher." Welch himmelweiter Unterschied ist doch zwischen dem Herzensglauben, der sich das Heil persönlich aneignet, und dem Kopfglauben, der die Wahrheiten des Wortes Gottes nur zu einem Gegenstand spekulativen Denkens macht. Sieh dort jenen Wanderer, der auf öder, dem Wind und Wetter schutzlos preisgegebenen Heide von einem Ungewitter überrascht wird. Er sieht sich nach einer Zufluchtsstätte um. Wenn seine Augen nun einen Ort entdeckten werden, wo er sich vor der Wut der Elemente bergen kann, bleibt er dann wohl ruhig stehen und sagt: "Da ist ja ein Bergungsort; darum kann ich bleiben, wo ich bin?" Geht er nicht alsbald dorthin? Eilt er nicht, so schnell er kann, dem Sturm und Regen zu entfliehen? Ein Schutz und Schirm war jene Zufluchtsstätte längst; aber sein Schirm wurde sie erst, als er hinlief und sich dort barg. Wäre er nicht hingegangen, so hätte das schützende Obdach, und wenn hundert andere Wanderer sich dort geborgen hätten, ihm so wenig genützt, als wenn der Zufluchtsort gar nicht da gewesen wäre. Wer würde nicht sogleich an diesem einfachen Bilde erkennen, dass die Segnungen des Evangeliums ihre Kraft nur dann erweisen, wenn man sie sich persönlich zueignet? Der Name des Herrn ist ein festes Schloss; der Gerechte läuft dahin und wird beschirmt (Spr. 18,10) Fountain Elwin 1842
Du wirst mich vor Angst behüten, dass ich errettet gar fröhlich rühmen kann. Gott kann seine Kinder mit solcher Standhaftigkeit ausrüsten und seine bewahrende und errettende Gnade so erfahren lassen, dass Dinge, die andere mit Entsetzen und Angst erfüllen, sie nicht schrecken. Wohl ließ Gott es zu, dass Daniel in die Löwengrube geworfen wurde; aber er hielt durch seinen Engel den Löwen den Rachen zu, dass sie Daniel kein Leid tun konnten (Dan. 6,23). Wohl wurden die drei Männer gebunden in den glühenden Ofen gestürzt; aber der Herr war mit ihnen, er löste ihre Bande und ließ das Feuer keine Macht an ihrem Leibe beweisen (Dan. 3). Stephanus wurde durch den Blick auf seinen erhöhten Erlöser so erquickt, dass sein Sterben, trotzdem man ihn so grausam zu Tode steinigte, ein sanftes Einschlafen war, dem ein herrliches Erwachen unter Rettungsjubel folgte. Und so lesen wir von manchen Blutzeugen, die von ihren Todesqualen weniger erschüttert waren als ihre Henker. Sie wurden vor Angst behütet. John Donne † 1631.
Am Schluss dieses Verses schwingt David sich zu einer noch höheren Stufe des Glaubens auf. Gott wird ihn nicht nur vor Angst behüten, sondern mit Rettungsjubel umgeben (Grundtext) Statt der Drangsal wird ihn die rettende Gnade auf allen Seiten umringen. Wende du nun auch diese Sprache des Glaubens auf dich an, wie David sagt: Dass ich errettet gar fröhlich rühmen kann. Erkenne nicht nur Gottes Güte gegen andere, gegen einen Abraham, Isaak und Jakob, einen Noah oder Daniel oder David, sondern auch die dir selber widerfahrene Barmherzigkeit, wie Paulus sagt: Der mich geliebt hat und sich selbst für mich hingegeben (Gal. 2,20). Das wird dich im Glauben und in der dankbaren Liebe mächtig fördern Thomas Taylor 1617.
Wohl sind wir in dieser Welt ringsum von Angst umgeben (Joh. 16,33); aber lasst uns doch auch beachten, wie wir ebenso ringsum von Heil und Gnade eingeschlossen sind. Wir werden von allen Seiten angegriffen, aber auch von allen Seiten durch Gottes mächtigen Arm verteidigt. Darum sollte auch von jeder Saite unserer Seele Gottes Lob erklingen. Archibald Symson 1638.
V. 8. Ich will dich unterweisen und dir den Weg zeigen, den du gehen sollst, auf dem ich dich haben will. Du bittest, ich soll dich erlösen; lass dir nicht leide sein, lehre du mich nicht, lehre dich auch nicht. Lass mir dich, ich will dir Meisters genug sein, ich will dich führen den Weg, auf dem du mir gefällig wandelst. Dir scheint, es sei verderbt, wenn es nicht geht, wie du denkst; dein Denken ist dir schädlich und hindert mich. Es muss gehen, nicht nach deinem Verstand, sondern über deinen Verstand; senke dich in Unverstand, so gebe ich dir meinen Verstand. Unverstand ist der rechte Verstand; nicht wissen, wohin du gehst, das ist recht wissen, wohin du gehst. So ging aus Abraham von seinem Vaterland und wusste nicht, wohin (Hebr. 11,8). Er gab sich in mein Wissen und ließ fahren sein Wissen und ist den rechten Weg an das rechte Ende gekommen. Siehe, das ist der Weg des Kreuzes, den kannst du nicht finden, sondern ich muss dich führen wie einen Blinden; darum nicht du, nicht ein Mensch, nicht eine Kreatur, sondern ich, ich selbst will dich unterweisen durch meinen Geist und Wort den Weg, auf dem du wandeln sollst. Nicht das Werk, das du erwählest, nicht das Leiden, das du erdenkst, sondern das dir wider dein Erwählen, Denken, Begierden zukommt, da folge; da rufe ich, da sei Schüler, da ist es Zeit, dein Meister ist da gekommen, da sei nicht ein Pferd oder unvernünftig Tier. Folgst du mir und verlässt dich, siehe also denn: Ich will dir mit meinen Augen winken. Will dich nicht lassen, du sollst nicht versinken, will dein nicht vergessen. Deine Augen sollen zu sein über dich, währenddessen meine Augen offen sind über dich. Hast du nicht gelesen: Die Augen Gottes sind offen über die Frommen, Ps. 34,16? Und der Berg Morija heißt: Dominus videbit, der Herr sieht (1. Mose 22,8.14), ohne Zweifel, dass ich alleine es sehen soll, gleichwie ich da Abraham versahe, darinnen er sich gar nichts versahe. Das ist kürzlich nichts anders, denn einen rechten, einfältigen Glauben und festes Vertrauen, Zuversicht, Hoffnung will Gott von uns haben. Darum wird in diesen Worten nicht mit Namen der Glaube, Hoffnung, Demut, Geduld, sondern was derselben Tugend Art und eigentliche Natur ist, ausgedrückt. Viel sind, die von Tugenden schreiben, mehr die Namen preisen, als ihre Natur anweisen. Martin Luther 1525.
Diese dreifache Zusicherung Gottes: Ich will dich unterweisen, dir den Weg zeigen und dich mit meinen Augen leiten, lehrt uns auch drei Eigenschaften eines guten Seelsorgers. Er soll erstens seine Pflegebefohlenen in dem Weg zur Seligkeit unterweisen, zweitens ihnen auf diesem Wege vorangehen und drittens über ihnen und über ihren Wegen wachen. Archibald Symson 1638.
Wir können alle Gnadenerweise als Lichtstrahlen aus Gottes Auge ansehen. Der wird von Gottes Auge geleitet, wer sich durch die Liebesbeweise seines Schöpfers zu diesem hinziehen lässt. Aber wehe uns, wenn wir uns dieser sanften Leitung weigern; denn dann zwingen wir Gott, uns mit Zaum und Gebiss zu bändigen. Wenn wir Gottes Gnade missbrauchen, wenn wir den Geber aller guten Gaben vergessen und ihm nicht dankbar die Ehre erzeigen, die ihm gebührt, so nötigen wir ihn, uns, eben weil er uns liebt, mit Unglück und Not heimzusuchen. Darum murre nicht darüber, wenn dir viel Trübsal beschieden ist, sondern bedenke, wie viel du dir davon durch Eigenwillen und Undankbarkeit zugezogen haben magst, und achte fortan besser auf die sanften Züge deines Gottes. Henry Melvill 1837.
V. 9. Seid nicht wie Rosse und Maultiere, die nicht verständig sind. Wie viele jagen wie toll dahin in wüsten Wolllüsten und sind unvernünftiger als die Tiere! An gar manchen Stellen vergleichen die Propheten das unbändige Geschlecht ihrer Tage mit Tieren. Vergl. z. B. Jer. 2,24 und Ps. 49,21. Gott hat dem Menschen die Vernunft gegeben; aber wenn die fleischlichen Lüste seine Sinne gefangen nehmen, rennt er wie wahnsinnig in sein Verderben. Würde Gott nicht manchen straff im Zaum halten, so würde er seinen Verstand wie einen Halfter abwerfen und alle Gesetze der Natur mit Füßen treten. Thomas Adams 1614.
Die alten Ausleger haben diese Worte auf allerlei Weise allegorisch gedeutet. Sie sagen z. B., das Pferd und das Maultier lasse jeden geltet aufsitzen und lasse sich jede Last gefallen. Sie fragten nicht danach, ob ihr Reiter ein Edelmann oder ein Bauer sei und ob sie Gold zur königlichen Schatzkammer oder Rüben auf den Markt zu tragen hätten. Eben so gleichgültig sei es dem gewohnheitsmäßigen Sünder, ob er zu seinem Vergnügen sündige oder des Vorteils halber oder aber nur anderen zur Gesellschaft: Er sündigt eben. Zum Maultier bemerken sie, dass der eine Teil seiner Eltern von unedlerer Art sei als der andere, es aber dem niedrigeren Teil ähnlicher sei als dem edleren, mehr vom Esel als vom Pferd an sich habe und so, finden sie, trügen auch alle unsere Gedanken und Handlungen mehr das Gepräge unserer unedlen Mutter, der Erde, als des Himmels. Die Alten sind in ihren Vergleichen - wir könnten noch manche anführen - weit gegangen, und doch hätten sie noch weiter gehen können, denn wer darlegen will, worin das unvernünftige Tier und der Sünder einander ähnlich sind, hat Spielraum genug. Und oftmals wird es so herauskommen, dass das Tier besser ist als der sündenbetörte Mensch. John Donne † 1631.
Warum ist doch ein Beinbruch bei einem Pferde unheilbar, dahingegen bei einem Menschen so leicht zu heilen? Das Pferd hat zu wenig Verstand, um sich dem Tierarzt zu überlassen. Wenn man ihm das Bein auch einrichtet, schlägt und stampft es und wirft es sich umher, bis es durch seinen tollen Eifer das Glied wieder ausgerenkt hat; denn es sieht den heilsamen Verband für eine Fessel an. Der Mensch dagegen überlässt sich willig dem Wundarzt und ist lieber kurze Zeit ein Gefangener, als lebenslang ein Krüppel. Thomas Fuller † 1661.
V. 10. Wer auf den Herrn hoffet, den wird die Güte umfangen: Wie wir von der Luft oder vom Sonnenschein umgeben sind. Er wird überall Güte und Freundlichkeit finden, daheim und draußen, bei Tag und bei Nacht, in Gesundheit und Krankheit, im Leben und Sterben, in Zeit und Ewigkeit. Albert Barnes † 1870.
"Merke du den Vers gut", sagte ein ehrwürdiger Greis, Richard Adkins, zu seinem Enkel, der ihm den 32. Psalm vorlas "Merke du das Wort: Wer auf den Herrn traut (wörtl.), den wird die Güte umfangen. Ich habe es in meiner Jugend gelesen und geglaubt; und nun ich es in meinem hohen Alter lese, weiß ich, dem Herrn sei Dank, dass es wahr ist. Ja, mein Kind, es ist ein köstlich Ding, mitten in den Freuden und Trübsalen der Welt auf den Herrn zu trauen" The Christian Treasury 1848.
V. 11. Die Ermahnung dieses Verses enthält drei Teile. Erstens, wozu aufgefordert wird: zur Freude; zweitens, wer sich freuen soll: die Gerechten und Frommen; drittens, was der Gegenstand ihrer Freude sein soll: der Herr. Und dreimal erfolgt die Aufforderung zur Freude, was uns darauf hinweisen mag, dass wir zu den geistlichen Dingen gar träge sind. Man beachte auch, dass die Ausdrücke sich (im Grundtext) steigern: Freut euch, frohlockt, jauchzt. Die geistliche Freude mehrt sich in der Tat stetig Archibald Symson 1638.
Es hat noch nie einen wahrhaft fröhlichen Menschen auf Erden gegeben außer den Gläubigen. Oder meinst du, die wilde Lust der Sünde sei Freude zu nennen? Ach, das sind Teufelsfreuden. Oder willst du behaupten, die Menschen ergötzen sich doch an vollen Scheunen und goldgespickten Beuteln? Das ist des Narren Freude (vergl. Lk. 12,20). Oder soll das Freude sein, wenn sie vom Wein toll werden? Ja, das ist eines Tollhäuslers Freude. Lies und glaube, was der Prediger, besonders Kap. 2,1-11, aber überhaupt in seinem ganzen Buche, über die Genüsse der Erde sagt. Da findest du die beste Philosophie über diesen Gegenstand, die es je gegeben hat. Christopher Fowler † 1678.
Freut euch. Wenn ein fleischlich gesinnter Mensch das liest, denkt er wohl: Das ist ein Wort für mich. Aber er wird arg enttäuscht, wenn er weiter liest: des Herrn. Da lässt er bald das Wort fahren. Dahingegen andere, die von den stürmischen Wogen des Lebens hin- und hergeworfen werden und eben darum das Wort: Freuet euch, an sich vorübergleiten lassen, als ginge es sie nichts all, alsbald fest zugreifen, wenn sie lesen: Freuet euch des Herrn. Henry Airay † 1610.
Jubelt. Als der Dichter Carpani seinen Freund Haydn († 1809) fragte, woher es komme, dass dessen Kirchenmusik einen so fröhlichen Charakter habe, gab der große Komponist die schöne Antwort: "Ich kann nicht anders. Ich schreibe meine Musik nach den Gedanken, die ich empfinde. Wenn ich an Gott denke, wird mein Herz so voller Freude, dass die Noten mir gleichsam aus der Feder hüpfen und tanzen. Und da Gott mir solch ein fröhliches Herz gegeben hat, wird er mir’s wohl verzeihen, dass ich ihm mit einem fröhlichen Sinn diene." John Whitecroß.
Homiletische Winke
Ps. 1; 32; 41: drei Psalmen, die mit Seligpreisung beginnen. Vom Erforschen des göttlichen Wortes (Ps. 1) durch die selige Erfahrung der Gnade (Ps. 32) zu einem Leben der Liebe (Ps. 41,1)
V. 1. | Glückseligkeit 1) Die natürliche Beschaffenheit dessen, dem hier die Seligkeit zugeschrieben wird 2) Die Art des Glücks, von dem die Rede ist 3) Das Mittel, wodurch diese Glückseligkeit den Menschen zugänglich gemacht worden ist. 4) Wie jeder Einzelne ihrer teilhaftig werden kann. |
V. 1.2. | Das Wesen der Sünde (Übertretung, Sünde, Missetat) und der Begnadigung (vergeben, bedecken, nicht zurechnen) |
V. 2. | Die Nichtzurechnung der Sünde - eine wunderbare Lehre. Erweise und erkläre sie aus der Schrift und zeige ihren hohen Wert. Kein Falsch. Aufrichtigkeit die Voraussetzung und die Frucht der Begnadigung |
V. 3. | Das Verschweigen der Gewissenspein. Furcht und Verzweiflung führen leicht dazu; doch ist es höchst gefährlich. Mittel, dem bedrückten Herzen Luft zu machen. Ermunterung dazu. Der Gnädige, der darauf wartet, das reumütige Bekenntnis zu vernehmen. Keine Pein ist größer als die Seelenqual dessen, der seinen Kummer in sich verschließt. |
V. 3.4. | Die Qualen, die sich der Mensch bereitet, der den sanften Zügen der Gnade nicht folgt. |
V. 4. | Die Pein des erwachten Gewissens: Sie nagt Tag und Nacht, ist von Gott gewirkt, wird unerträglich, schwächt und bringt schließlich um, wenn es nicht zu einem reumütigen Bekenntnis kommt. |
V. 4b. | Geistliche Dürre. |
V. 5. | Die beseligenden Folgen eines vollen Geständnisses, oder: Bekenntnis und Schulderlass in ihrem Zusammenhang nach der Lehre der Schrift. |
V. 6a. | Die Erfahrung des einen - die Ermunterung vieler. Die Gnadenzeit und wie man sie ausnutzen soll. |
V. 6. | Die Vergebung der Sünden ein Angeld weiterer Segnungen |
V. 6b. | Große Not, noch größere Hilfe. Die Unverletzbarkeit der Gläubigen. |
V. 7. | Auch der Christ kommt in Gefahr; doch kennt er die sichere Zuflucht, ergreift von ihr Besitz (mein Schirm) und kann sich der Errettung freuen. Christus unser Schirm oder Bergungsort vor der Sünde, dem Teufel und den Drangsalen des Lebens, ebenfalls auch im Tod und im Gericht. |
V. 7b. | Ängste (Drangsale), vor denen der Gläubige behütet wird. |
V. 7c. | Mit Rettungsjubel wirst du mich umgeben. (Grundtext) Jubel über die Errettung von dem Schuldbann, der Hölle, dem Tod, den Zweifeln, den Versuchungen und unzähligen Gefahren. |
V. 8. | Der göttliche Lehrmeister, seine Schüler, ihre Aufgaben, ihre Strafen und Belohnungen. |
V. 9. | Gottes Zaum und Zügel. Die Unvernünftigen, die sie nötig haben, und weshalb wir nicht zu diesen gehören sollen. Inwiefern sind wir besser oder schlimmer als die Rosse und Maultiere? |
V. 10. | Die vielen Plagen, die die Sünde bringt; die Güte, die die Gläubigen, auch in aller Not des Lebens, umfängt. Das schmerzenreiche Los der Gottlosen und das gnadenreiche Los der Gläubigen, schon in dieser Zeit und später. |
V. 11. | Die Freude der Gläubigen. Ihre Quelle: der Herr. Ihre Fülle: freuet euch - frohlocket - jauchzet. (Grundtext) Ihre Angemessenheit: Sie ist in Gottes Wort geboten. Ihre seligen Wirkungen und ihre überreichlichen Ursachen. Die ihr redlichen Hetzens seid (Grundtext); eine lehrreiche Beschreibung der aufrichtig Frommen. |
Fußnoten
1. Vergl. das näml. Zeitwort in Vers 8. Allein so trefflich die Bezeichnung als Lehrgedicht zu unserm Psalm passen würde, spricht gegen diese Auffassung des Worts doch schon dies, dass nur noch einer der 13 maskil überschriebenen Psalmen (Ps. 78) streng genommen lehrhaften Inhalt hat. Die Deutungen sind mannigfach (Lehrgedicht, Gedicht, kunstvoll vorgetragenes Lied, fromme Betrachtung usw.). Über die meisten dieser Kunstausdrucke lässt sich nichts Sicheres mehr feststellen.
2. Da der Psalmsänger in der seligen Erfahrung der Vergebung lebt, muss K(ydw) in dem Sinn gefasst werden, dass es das in der Vergangenheit Geschehene vergegenwärtigt. Es wird durch die folg. hebräischen Perfekte erläutert. (Vergl. das ganz entsprechende dbkt V. 4) Das Imperfekt der deutschen revid. Bibel ist also eine entschiedene Verbesserung.
3. Das Objekt zu )ÆÆcm: ist aus Kfyle)" zu entnehmen.
4. qra nur, hier wohl bekräftigend: gewiss, wahrlich = es wird nicht anders sein.
5. Das Obj. zu beraten lässt sich aus dem Vorhergehenden ergänzen (Delitzsch), oder es wird durch den sorgenden Umstandssatz ersetzt (Keßer). Kyl( darf nicht mit hc(y) verbunden werden, da l(C(y nur im feindlichen Sinn gebraucht wird.
6. Grundtext: Die man mit Zaum und Zügel, ihrem Schmuck(?), bändigen muss, (sonst findet) kein Nahen zu dir (statt). yd(, das sonst Schmuck bedeutet, ist hier und Ps. 103,5 schwer zu übersetzen. Man könnte etwa gerade die verstandlose Unfreiheit des Tieres darin mitbezeichnet finden, dass sein Schmuck zugleich Bändigungsmittel ist. Viele übersetzen das Wort hier mit Geschirr. Die Übersetzung der LXX: "Backe" (auf der Luthers freiere Übers. beruht) entbehrt der Grundlage. Bäthgen vermutet die übertragene Bedeutung Stolz: Deren Stolz mit Zaum und Zügel zu bändigen ist = gebändigt werden muss.