Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 24 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Ein Psalm Davids. Obwohl uns die Überschrift nichts sagt, als wer der Verfasser des Psalms gewesen ist, so ist doch gerade dies uns von Interesse, indem es uns anleitet, zu beachten, in welcher Mannigfaltigkeit der Geist Gottes auf das Gemüt des großen Sängers Israels einwirkte, so dass dieser in Psalm 22 seiner Harfe jene überwältigend traurigen Töne entlocken, in Psalm 23 eine so liebliche, friedevolle Weise anstimmen und dann diesen majestätischen Jubelpsalm dichten konnte. Wir vermögen sehr vielseitige Aufgaben zu erfüllen, wenn der Herr in uns und durch uns wirkt.
  Wir halten es mit vielen Auslegern für wahrscheinlich, dass David diesen Psalm gedichtet habe, damit er an dem frohen Tage gesungen werde, da die Bundeslade aus dem Hause Obed-Edoms in das auf Zion erbaute Zelt gebracht wurde. Die Worte passen gar wohl zu dem heiligen Freudentanz, mit welchem David bei diesem hochfestlichen Anlass dem Volke voranging. Der Blick des Psalmsängers war jedoch, über das vorbildliche Hinaufziehen der Bundeslade hinaus, auf die glorreiche Himmelfahrt des Königs der Ehren gerichtet.1

Inhalt und Einteilung.
Der mit Psalm 15 verwandte Psalm preist zuerst den wahren Gott und singt von seiner Allmacht und Weltherrschaft; er beschreibt sodann das wahre Israel, das mit Gott trauter Gemeinschaft pflegen darf; er schildert endlich den Gott Israels als den wahren Helfer und Erlöser, der die Seinen von der Erde emporzieht und ihnen die Tore der himmlischen Herrlichkeit auftut, weshalb dieser Psalm schon von den Kirchenvätern als Himmelfahrtspsalm angesehen worden ist.


Auslegung

1. Die Erde ist des Herrn und was drinnen ist;
der Erdboden und was drauf wohnt.
2. Denn Er hat ihn an die Meere gegründet
und an den Wassern bereitet.


1. Des Herrn ist die Erde und ihre Fülle, d. h. alles, was auf ihr und in ihr ist, alle Erdenkreatur, der Erdkreis und die darauf wohnen. (Wörtl.) Wie sehr verschieden ist doch diese Gotteserkenntnis von der unwissenden Meinung der Heiden, dass jedem Gott nur das Land gehöre, in dem er verehrt werde, aber auch von dem Aberglauben der Juden zur Zeit Christi, die das Wort, dass das heilige Land das Eigentum Jahwes sei, in sehr fleischlichem Sinn auffassten und dachten, nur der Same Abrahams sei Gottes Volk. David, der größte König, den sie je gehabt hatten, hatte sie schon lange zuvor unterwiesen: Nein, sagt er, die ganze Erde gehört Jahwe, und alle, die darauf wohnen, sind seine Untertanen. Wenn wir bedenken, wie sehr das jüdische Volk zur Zeit Christi von religiöser Selbstüberschätzung erfüllt war und wie sie im Zorn entbrannten, als der Herr ihnen sagte, dass viele Witwen in Israel gewesen seien zu Elias Zeiten und der Prophet doch zu deren keiner gesandt worden sei als allein zu der heidnischen Witwe zu Sarepta, und dass viele Aussätzige in Israel gewesen seien zu des Propheten Elisa Zeiten und doch deren keiner gereinigt worden sei als allein Naeman aus Syrien; - wenn wir uns ferner erinnern, welcher Ingrimm die Juden erfasste, als Paulus ihnen eröffnete, dass er sich göttlichem Auftrag gemäß zu den Heiden wende, so staunen wir, dass sie in solcher Blindheit verharrten, trotzdem sie diesen Psalm so oft, ja nach einer zusätzlichen Überschrift der LXX und nach andern jüdischen Überlieferungen an jedem ersten Wochentag sangen. Dies Wort zeigt ja so klar, dass Gott nicht allein der Juden, sondern auch der Heiden Gott ist. Wie schlägt es aber auch jene eingebildeten Leute unserer Tage, die z. B. die Schwarzafrikaner für eine schlechte und verächtliche Menschenrasse halten, um die Gott sich nicht kümmere. Aber wer immer Mensch ist, den beansprucht Gott als sein Eigentum: Wer darf es wagen, ihn als ein bloßes Stück Ware zu behandeln? Jesus Christus hat vollends der Sonderstellung der Nationen ein Ende gemacht. Vor Gott gilt nicht Rasse noch Geschlecht noch Stand, sondern nur der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.
  Der Mensch lebt auf der Erde und verteilt seine Scholle unter seine Scheinkönige und Herrscher; aber die Erde gehört nicht dem Menschen. Er ist nur ein Pächter, dem der Eigentümer zu jeder Zeit kündigen kann; sein vermeintlicher Besitz ist durchaus unsicher, er kann jederzeit davon vertrieben werden. Das Schloss des großen Grundeigentümers ist droben über den Wolken und er hat für die stolzen Eigentumsurkunden der Würmer des Staubes nur ein Lächeln. Ein unumschränktes, ewiges Besitzrecht hat weder der Bauer noch der adelige Gutsherr, sondern einzig der Schöpfer. Sein ist die Erde und ihre Fülle, all der Reichtum an Tieren und Pflanzen und mineralischen Schätzen, die sich auf und in ihr finden. Gott hat dem Menschen Macht gegeben, sich diese Fülle zunutze zu machen und sie sogar mit geschickter Hand zu mehren. Aber alles ist des Herrn, das Feld und seine Frucht, die Erde und alle ihre Wunder. Und wir sehen einer Zeit entgegen, wo die Erde eine noch größere und edlere Fülle tragen wird, wenn die zu Gott geschaffene Welt im Tausendjährigen Reich ihrer Bestimmung entgegengeführt sein wird. Dann wird es herrlich in Erscheinung treten, dass die Erde des Herrn ist und was sie erfüllt. Diese Worte stehen jetzt an der großen Londoner Börse; einst werden sie in leuchtender Schrift am Firmament zu lesen sein.
  Das Wort Erdboden oder Erdkreis im folgenden Versglied bezeichnet im Grundtext die Erde als fruchtbare und bebaute, also die bewohnten Teile der Erde, wo Jahwe in besonderer Weise als Herrscher anerkannt werden sollte. Ihm, der über die Fische im Meer und die Vögel in der Luft herrscht, sollte der Mensch, sein edelstes Geschöpf, die Huldigung nicht verweigern. Jahwe ist der Allherr, alle Völker stehen unter seinem Zepter. Er ist der wahre "Selbstherrscher" über alle Nationen; die Kaiser und Zaren sind nur seine leibeigenen Knechte. Der Mensch gehört nicht sich selbst, noch darf er Herz und Hand und Leib und Leben sein eigen nennen. Wir sind Jahwes rechtmäßige Knechte. Dies gilt zwiefach von denen, die durch ihn ein neues, himmlisches Leben empfangen haben. Weder Welt noch Satan haben einen Anspruch auf uns, sondern durch unsere Erschaffung wie durch unsere Erlösung sind wir das Eigentum des Herrn.
  Paulus benutzt diesen Vers 1. Kor. 10,26 um zu zeigen, dass keine Speise unrein und nichts Geschaffenes ein Eigentum der erdichteten falschen Götter sei. Alles gehört Gott: Auf der Natur liegt kein Bann, nichts ist gemein oder unrein, was mit Danksagung genossen wird. Die Welt ist Gottes Welt und was auf dem Fleischmarkt feilgeboten wird, ist dadurch, dass es meines Vaters ist, geheiligt, so dass ich es ohne Gewissensbedenken genießen darf.

2. Der zweite Vers gibt den Grund an, warum die Erde Gott gehört: Er ist ihr Schöpfer. Das begründet ein unbestreitbares Besitzrecht. Denn er hat sie über Meeren gegründet und auf Strömen stellte er sie fest. (Grundtext) (Unter den Strömen verstehen hier manche die Meeresströmungen, vergl. Jona 2,4.) Gott ist es, der einst die Erde aus dem Meer hat hervortreten lassen (1. Mose 1,9), und er erhält sie in dieser Lage, so dass das Festland vor den Fluten bewahrt wird, die es sonst sofort, wie in den Tagen Noahs, verschlingen würden. Erschaffung und Vorsehung sind die beiden rechtsgültigen Siegel auf die Besitzurkunde des erhabenen Eigentümers aller Dinge. Der das Hans gebaut hat und seine Fundamente aufrecht hält, hat unbestreitbar das erste Recht darauf. Aber lasst uns auch beachten, auf welch unsicheren Grundlagen alle irdischen Dinge ruhen: Gegründet auf Meeren, befestigt auf Strömen! Der Christ weiß, gottlob, von einer anderen Welt, nach der er ausschauen darf, und baut seine Hoffnungen auf eine festere Grundlage, als diese armselige Welt hat. Wer auf die Dinge dieser vergänglichen Welt sein Vertrauen setzt, baut aufs Wasser; wir aber haben durch Gottes Gnade unsre Hoffnung auf den ewigen Fels gegründet. Wir stützen uns auf die Verheißungen des unwandelbaren Gottes und verlassen uns auf die Beständigkeit unseres getreuen Heilands. Ihr armen Kinder dieser Welt, die ihr die Burgen eurer Zuversicht, die Paläste eures Reichtums und die Schlösser eurer Lust auf die Meere erbaut und auf die Ströme befestigt habt, wie bald werden eure fundamentlosen Bauten gleich Schaum auf dem Wasser vergehen! Der Sand ist trügerisch genug: Was aber soll man von dem noch weit unsteteren Meer sagen?


3. Wer wird auf des Herrn Berg gehen?
und wer wird stehen an seiner heiligen Stätte?
4. Der unschuldige Hände hat und reines Herzens ist;
der nicht Lust hat zu loser Lehre
und schwört nicht fälschlich:
5. Der wird den Segen vom Herrn empfangen
und Gerechtigkeit von dem Gott seines Heils.
6. Das ist das Geschlecht, das nach ihm fraget,
das da suchet dein Antlitz, Gott Jakobs. Sela.

In diesen Versen haben wir eine Beschreibung des wahren Israel. Die gewürdigt werden, als Edelknappen im Palast des himmlischen Königs zu stehen, zeichnen sich nicht durch blaues Blut, sondern durch den Adel ihres Charakters aus. Es sind weder ausschließlich Juden noch ausschließlich Heiden noch irgendein besonderer Zweig der Menschheit, sondern eine aus allen Völkern erlesene Schar solcher, die geheiligt und tauglich gemacht sind, auf des Herrn heiligem Berg zu wohnen.

3. Wer wird (oder darf) auf des Herrn Berg gehen? Um zu seinem Schöpfer zu gelangen, muss das Geschöpf hoch emporklimmen. Wo findet sich der kühne Bergsteiger, der diese schwindligen Höhen erklimmen kann? Und es handelt sich nicht nur um unersteigbare Höhen, sondern auch um eine dem Sünder unerträgliche Herrlichkeit. Wessen Auge wird den König in seiner Schönheit sehen und in seinem Heiligtum wohnen? Im Himmel thront Jahwe im höchsten Glanz seiner Herrlichkeit: Wer wird es wagen dürfen, seiner Majestät zu nahen? Nur die auserwählte Schar der Erlösten des Herrn wird die einzigartige Ehre haben, bei ihm in seinem himmlischen Palast zu weilen. Diese hochadligen Seelen sind voll Verlangens, mit Gott Gemeinschaft zu haben, und ihr Herzenswunsch wird ihnen gewährt werden. Das zweite Versglied wiederholt die feierliche Frage in anderer Form. Wer wird dort, an seiner heiligen Stätte, stehen können und dürfen? Wer wird dem Heiligen ins Antlitz schauen, wer die Feuerflammen seiner Herrlichkeit ertragen? Auf Grund des Gesetzes kann wahrlich niemand mit Gott vertrauten Umgang haben; aber die Gnade vermag uns tüchtig zu machen, Gott ins Auge zu blicken und seine Gegenwart zu ertragen. Die Frage, die unser Text aufwirft, sollte jeder mit Bezug auf sich selbst an Gott richten und nicht ruhen, bis er eine gnädige Antwort erhalten hat. In sorgfältiger Selbstprüfung lasst uns fragen: Herr, bin ich’s?

4. Der unschuldige Hände hat und reines Herzens ist. Heiligkeit in Handel und Wandel ist ein köstliches Zeichen des Gnadenstandes. Mit Pilatus seine Hände in Wasser waschen, heißt nichts; aber sie in Unschuld waschen, das ist von höchster Wichtigkeit. Es ist zu befürchten, dass manche die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben so verkehren, dass sie die guten Werke verächtlich beiseite setzen; wer das tut, wird an jenem großen Tage ewige Verachtung zum Lohn haben. Es ist nichts als blauer Dunst, von inneren Erfahrungen zu schwatzen, wenn das tägliche Leben nicht von Unreinigkeit, Unredlichkeit, Gewalttätigkeit und Bedrückung frei ist. Die zu Gott nahen wollen, müssen reine Hände haben. Welcher Fürst möchte sich wohl von Dienern, die schmutzige Hände haben, an der Tafel aufwarten lassen? Israeliten, die nach dem Zeremonialgesetz unrein waren, durften nicht in das Haus Gottes gehen, das doch mit Händen gemacht war: Wie viel weniger wird es solchen, an denen sittlicher Makel klebt, gestattet sein, geistliche Gemeinschaft mit dem heiligen Gott zu genießen? Sind unsere Hände von Schuld befleckt, so lasst uns sie jetzt, in der Zeit der Gnade, waschen in dem Born des Heils, in dem teuren Blut Christi, damit wir beim Gebet heilige Hände (1. Tim. 2,8) zu Gott aufheben können. Aber es würde nicht genügen, wenn unsere Hände nur rein wären und wir sie nicht auf ein reines Herz legen könnten. Echte Frömmigkeit ist Herzenssache. Wir mögen die Becher und Schüsseln auswendig waschen, solange wir wollen; bleibt die Innenseite schmutzig, so sind wir selber durch und durch unsauber in Gottes Augen; denn unsere Herzen sind ein viel wesentlicherer Teil unseres Ich als unsere Hände. Diese mögen wir verlieren und dennoch am Leben bleiben; aber Herz und Leben sind unzertrennlich. Unser wahres Leben liegt im inneren Menschen, darum ist Herzensreinheit eine unumgängliche Notwendigkeit. Die innersten Falten des Herzens müssen ebenso sehr die reinigende Kraft der Gnade erfahren, wie die innere Fläche unserer Hände rein sein muss; sonst ist unsere Frömmigkeit ein Trug. Gebe Gott, dass unsere verborgensten Triebe und Kräfte durch die heiligende Kraft des Geistes entsündigt werden, damit wir die Heiligkeit lieben und alle Sünde verabscheuen. Die reines Herzens sind, werden Gott schauen: Alle andern sind Nachtvögel, die das Licht nicht erfragen können. Stockblind zu werden ist das Los derer, die ihre Herzen verstocken. Schmutz im Herzen wirft Staub in die Augen.
  Der seine Seele nicht zum Nichtigen erhebt (wörtl.), d. h. nicht sein Begehren darauf richtet.2 Unsre Seele muss davon frei werden, an den niedrigen Tändeleien der Erde Ergötzen zu finden. Der Mensch, der für den Himmel geboren ist, hat nicht Lust zum Eiteln. Jedermann hat seine Freuden, auf die sein Dichten und Trachten geht. Der Weltmensch richtet sein Verlangen auf fleischliche Ergötzungen, die nichts als leere Eitelkeiten sind; wer aber Ewigkeitsleben in sich trägt, begehrt kräftigere Speise. Wer mit den Trebern3 zufrieden ist, wird zu den Schweinen gerechnet. Wenn wir an den Brüsten der Welt unser Labsal suchen, erweisen wir uns damit als ihre Kinder. Findest du in dem, was die Welt dir bietet, Befriedigung? Dann hast du deinen Lohn und dein Teil in diesem Leben; dann genieße es aber auch, so gut du kannst, denn es ist das einzige, was du an Freude je erleben wirst!
  Und schwöret nicht fälschlich. Der Gottesfürchtige ist ein Ehrenmann und bleibt es unter allen Umständen. Dem Christenmenschen ist sein Ja der einzige Schwur; aber dieser ist so gut wie zwanzig Eide anderer Leute. Unwahrhaftigkeit schließt jedermann, er sei, wer er wolle, vom Himmel aus; denn kein Lügner wird in Gottes Reich eingehen, wie fromm auch sein äußerliches Bekenntnis oder Gebaren sein möge. Gott wird mit Lügnern nie etwas zu schaffen haben, außer dass er sie einst in den Feuerpfuhl werfen wird (Off. 21,8) Jeder Lügner ist ein Teufelskind und wird zu seinem Vater heimgeschickt werden. Falsche Anklagen, betrügerische Zeugenaussagen, gefärbte Berichte, endlich Verleumdungen und Lügen, - alle diese Dinge mögen für die Gesellschaft der Gottlosen passen; von Gottes Kindern werden sie verabscheut. Wie könnten diese mit dem Gott der Wahrheit Gemeinschaft haben, wenn sie nicht alles Falsche hassten?

5. Es wäre aber ganz irrig zu meinen, dass die Leute, welche im vierten Vers nach ihrer inneren und äußeren Heiligkeit beschrieben sind, durch das Verdienst ihrer Werke des V. 3 genannten Vorrechts teilhaftig werden: Vielmehr sind ihre Werke die Wahrzeichen, woran man sie erkennen kann. Der jetzt uns vorliegende Vers zeigt, dass in den wahren Heiligen die Gnade, und die Gnade allein, regiert. Sie tragen den Rock des himmlischen Königs, aber weil der König sie aus freier Liebe damit bekleidet hat. Der echte Christ ist mit dem hochzeitlichen Kleid (Mt. 22,11) geschmückt: Aber er bekennt frei, dass der reiche Festgeber es ihm verliehen hat, ohne Geld und umsonst. Der wird den Segen vom Herrn empfangen und Gerechtigkeit von dem Gott seines Heils. So bedürfen also auch diese in V. 4 genannten heiligen Leute des Heils; sie empfangen die Gerechtigkeit und der Segen, der auf ihnen ruht, ist ein Geschenk Gottes, ihres Heilandes. Sie gehen auf des Herrn Berg nicht als Leute, die Gott etwas zu bringen haben, sondern als solche, die alles von ihm zu empfangen erwarten: Sie sind nicht mit ihren Verdiensten geschmückt, sondern mit einer Gerechtigkeit, die sie geschenkt erhalten haben. Ein Leben in Heiligkeit und Gerechtigkeit sichert uns Segen zu als den Lohn des dreimalheiligen Gottes: Aber dies heilige Leben ist selbst ein Segen, der aus der freien Gnade Gottes stammt und eine Frucht der Arbeit des Heiligen Geistes am Menschenherzen ist. Erst gibt Gott uns gute Werke, dann belohnt er uns für sie. Die Gnade wird dadurch, dass Gott Heiligkeit fordert, nicht verdunkelt; vielmehr erweist sie sich gerade darin in ihrer Herrlichkeit, dass wir wahrnehmen, wie sie den Menschen mit köstlichem Schmuck ziert und mit feinem weißem Leinen bekleidet.

6. Das ist das Geschlecht, das nach ihm fraget, das da suchet dein Antlitz, - Jakob.4 Sie sind das wahre Gottesvolk, der rechtmäßige Same. Doch ist es für den Standpunkt der Gläubigen im alten Bunde bezeichnend, dass diese als solche dargestellt werden, die nach Gott fragen, d. i., deren Geist nach Gott ringt, ihn mit herzlichem Verlangen sucht (darasch). Man vergleiche, wie der Apostel bei der Anführung von Jes. 64,3 in 1. Kor. 2,9 das alttestamentliche "die auf ihn harren" nach dem Geist des neuen Bundes sinnig umwandelt in: "die ihn lieben". Aus unserm Psalmwort ersehen wir aber, dass solche, die aufrichtig nach Gott fragen, in Gottes Augen wert geachtet sind und in das Geschlechtsregister seines Volks eingetragen werden. Hat schon das Suchen des Herrn einen so starken sittlichen Einfluss (V. 4), welche heiligende Macht muss dann im Finden des Herrn liegen! - Das Antlitz des Herrn suchen heißt, Gemeinschaft mit dem Herrn begehren. O dass wir immer mehr darnach hungerten und dürsteten, das Angesicht des Herrn in seiner ganzen Herrlichkeit zu schauen! Das wird uns antreiben, uns von aller Unsauberkeit zu reinigen und vorsichtig zu wandeln. Wer seinen Freund sehen will, wenn er vorbeikommt, ist darauf bedacht, die beschlagenen Fensterscheiben zu putzen, es möchte sonst sein Freund vorübergehen, ohne dass er ihn bemerkt. Wirklich erweckte Seelen suchen den Herrn mehr als alles andre. Und da dies nicht die gewöhnliche Art der Menschen ist, bilden sie ein Geschlecht für sich, ein Volk, das von den Menschen verachtet, von Gott aber geliebt wird.
  Dieser erste Teil des Psalms geht mit dem maßlosen Selbstruhm jener Juden ins Gericht, die sich als die Günstlinge des Himmels gebärdeten. Ihnen wird ins Gewissen gerufen, dass der Gott Israels der Gott der ganzen Erde ist und dass er der Heilige ist und nur solche, die in der Heiligung stehen, zu sich nahen lassen wird. Mögen solche, deren Bekenntnis nur ein äußerliches ist, beim Lesen dieser Vers der Stimme Gehör schenken, die da spricht: Ohne Heiligung wird niemand den Herrn sehen.
  Sela. Stimmt die Harfe, erhebt eure Stimme, denn ein hochedler Gesang kommt jetzt an die Reihe, ein Lied von dem Freund unserer Seele.


7. Machet die Tore weit .
und die Türen in der Welt hoch,
dass der König der Ehren einziehe!
8. Wer ist derselbige König der Ehren?
Es ist der Herr, stark und mächtig,
der Herr, mächtig im Streit.
9. Macht die Tore weit
und die Türen in der Welt hoch,
dass der König der Ehren einziehe!
10. Wer ist derselbige König der Ehren?
Es ist der Herr Zebaoth,
Er ist der König der Ehren. Sela.


7. Dieser zweite Teil des Psalms enthüllt vor unseren Blicken unseren großen Stellvertreter, dessen Persönlichkeit vollkommen den göttlichen Anforderungen entspricht und der darum kraft seiner eigenen Würdigkeit zur heiligen Höhe des himmlischen Zion aufgestiegen ist. Unser Herr Jesus konnte auf den Berg des Herrn gehen, weil er unschuldiger Hände und reines Herzens war, und wenn wir durch den Glauben ihm gleich gestaltet werden, so wird sich auch uns das Himmelstor öffnen. Wir finden in diesen Versen ein Bild der glorreichen Himmelfahrt unseres Herrn.5 Wir sehen ihn mitten aus der kleinen Schar der Jünger dort auf dem Ölberg zur Höhe auffahren und nachdem die Wolken ihn von unseren Blicken hinweggenommen, geleiten ihn die Engel ehrfurchtsvoll zu den Pforten des Himmels.
  Die uralten Pforten des erhabenen himmlischen Tempels6 werden hier personifiziert und von der den Herrn begleitenden Schar seliger Geister im Liede angeredet. Es wird ihnen zugerufen: Erhebt, ihr Tore, eure Häupter (d. h. eure Oberschwellen), und erhöhet euch, ihr uralten Pforten (Grundtext), - als ob sie bei all ihrer Herrlichkeit und erhabenen Größe doch nicht groß genug wären, da der Herr der Herrlichkeit nun durch sie einziehen will. Möge alle Kreatur ihr Äußerstes tun, einen solch erlauchten Fürsten zu ehren. Er, der jetzt, unmittelbar von Kreuz und Grab, durch die Tore des himmlischen Jerusalem einzieht, ist höher denn die Himmel: Die Perlentor der oberen Gottesstadt sind, so uralt und so erhaben sie sind, doch sein nicht würdig, vor dem selbst die Himmel nicht rein sind und der selbst seine Engel des Irrtums anklagt (Hiob 15,15; 4,18). Darum auf, macht euch weit, ihr Tore, dass der König der Ehren einziehe!

8. Die Wächter an dem Tore hören den Gesang der heranziehenden Scharen; sie schauen über die heiligen Zinnen und fragen: Wer ist der König der Ehren? Diese Frage ist voll der tiefsten Bedeutung und des Nachsinnens in Ewigkeit wert. Wer ist diese erhabene Persönlichkeit? Welcher Art ist seine Natur, sein Charakter, sein Amt und sein Werk? Welches ist sein Stammbaum? Welchen Rang bekleidet er und zu welcher Art von Wesen gehört er? In mächtiger Woge himmlischer Musik braust die Antwort der Engelscharen daher: Es ist der Herr, stark und mächtig, der Herr, mächtig im Streit. Wir kennen die Macht unseres Jesus von den Schlachten, die er geschlagen, und den Siegen, die er über Sünde, Tod und Hölle errungen hat, und wir jauchzen ihm zu, da wir sehen, wie er das Gefängnis gefangen führt (Eph. 4,8) in der Macht seiner Stärke. Ach, dass unsere Herzen fähig wären, würdig sein Lob zu singen! Du mächtiger Held, sei ewig erhoben! Wohl uns, dass du auf ewig gekrönt bist zum König aller Könige und Herrn aller Herren! (Off. 17,14)

9. Erhebet, ihr Tore, eure Häupter, und erhöhet euch, ihr Pforten der Urzeit, dass der König der Ehren einziehe. (Grundtext) Der Zuruf an die Tore wird wiederholt. Es gibt Zeiten tief ernster Empfindungen, in denen Wiederholungen nicht müßig, sondern voller Kraft sind. Man sagt, es sei im Orient nicht selten gewesen, dass man, um einem Gast zu zeigen, wie willkommen sein Einzug sei, die Türen aus den Angeln gehoben habe. Und manche Tore wurden, wie die Fallgitter unserer alten Stadttore, auf- und niedergezogen und hatten vielleicht oben einen Vorsprung, so dass sie buchstäblich ihre Häupter erhoben. Das Bild ist hochpoetisch und zeigt uns, wie weit die Tore des Himmels durch die Auffahrt unseres Erlösers geöffnet worden sind. Gott sei Dank, diese Tore sind seither nie geschlossen worden. Die offenen Türen des Himmels laden auch den schwächsten Gläubigen zum Eintritt ein.
  Lieber Leser, du sagst vielleicht: Ich werde nie in Gottes Himmel eingehen, denn ich habe weder unschuldige Hände noch ein reines Herz. Ich bitte dich, blicke auf Jesus! Er hat den heiligen Berg des Herrn schon erstiegen und ist in das himmlische Heiligtum eingegangen als der Vorläufer (Hebr. 6,20) derer, die auf ihn ihr Vertrauen setzen. Folge seinen Fußstapfen nach (1. Petr. 2,21) und stütze dich auf seinen Verdienst. Er ist im Triumph gen Himmel gefahren und auch du sollst zu den Perlentoren einziehen, wenn du an ihn glaubst. Aber wie kann ich die Eigenschaften erlangen, die zum Himmel tauglich machen? Der Heilige Geist wird sie dir geben. Er wird in dir ein neues, reines Herz schaffen. Der Glaube an Jesus ist das Werk des Heiligen Geistes und dieser echte Glaube hat alle Tugenden als Keime in sich. Stehst du im Glauben, so bist du an dem Born des Heils: In ihm werden deine Hände und dein Herz rein und auch dein Mund wird entsündigt werden, dass er von Herzen die Wahrheit redet.

10. Der Schlussvers ist erhaben. Wer ist derselbige König der Ehren? Jahwe Zebaoth, der Herr der Heerscharen im Himmel und auf Erden, der Gebieter des Weltalls, Er ist der König der Ehren oder der Herrlichkeit. Alle wahre Herrlichkeit trifft wie in einem Brennspiegel in dem alleinwahren Gott zusammen; denn alle andere Herrlichkeit und Ehre ist nur ein vergängliches Schaugepränge, eine Pracht von Schminke und Dekoration, die nur eine Stunde währt. Der erhöhte Heiland ist das Haupt und die Krone des Weltalls, er ist der König der Ehren. Unserem Immanuel jauchzen die himmlischen Heerscharen zu und besingen sein Lob in den höchsten Tönen. Er, der einst verachtete Jesus von Nazareth, ist der Herr der Heerscharen: Denn ihm ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Halleluja!


Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzen Psalm. Dieser Psalm wurde ohne Zweifel abwechselnd von Chören und Einzelstimmen gesungen. In der Verteilung der Rollen mögen wir uns irren, in der Sache selbst schwerlich. Wir denken uns, der Vorsänger, der in diesem Falle vermutlich der König selber war, habe begonnen mit dem feierlichen Rezitativ:

   Jahwes ist die Erde und was sie füllt,
   der Erdkreis und die darauf wohnen;
   denn Er hat ihn auf Meere gegründet
   und auf Fluten festgestellt.

  Wahrscheinlich hat dann, nach der morgenländischen Sitte, der Chor der Sänger, ja vielleicht das ganze Volk (1. Chr. 15,28), diesen Gesang aufgenommen und unter Musikbegleitung, vielleicht auch in einander antwortenden Doppelchören, wiederholt, bis der feierliche Zug am Fuße des Zion angekommen war. Dann mag der König, während er vor allem Volk die ersten Schritte zur Höhe hinaufging, wieder in ernstem, feierlichem Tone begonnen haben:
   Wer darf den Berg Jahwes betreten
   und wer stehen an seiner heiligen Stätte?

Worauf der erste Chor antwortete:
   Wer unschuldige Hände hat und reines Herzens ist:
   Wer nicht nach Eitlem trachtet
   und nicht betrügerisch schwört.

Und alsbald fuhr der zweite Chor fort:
   Der wird Segen von Jahwe empfangen
   Und Gerechtigkeit von dem Gott seines Heils.

  Dieser zweite Teil des Gesanges mag gedauer haben, bis der Zug die alten Tore der Zionsburg erreicht hatte, worauf der Vorsänger mit erhobener Stimme wieder begann:
   Erhebt, ihr Tore, eure Häupter!
   Ja, erhöht euch, ihr uralten Pforten,
   dass der König der Ehren einziehe!

  Wir denken uns diese Worte vom Gesamtchor in gleicher Weise wie zuvor wiederholt. Darauf erschallt eine Stimme als von den Toren: Es sind die Wächter, die feierlich fragen:
   Wer ist denn der König der Ehren?

Worauf der Chor antwortet:
   Jahwe, gewaltig und ein Held,
   Jahwe, ein Held im Kriege.

Der ganze Festzug wiederholt dann unter Leitung des Vorsängers die Aufforderung an die Tore:
   Erhebt, ihr Tore, eure Häupter,
   ja, erhöht euch, ihr uralten Pforten,
   dass der König der Ehren einziehe!

Worauf diese wieder fragen:
   Wer ist denn der König der Ehren?

Und die ganze Menge des Volks, unter fortwährender Steigerung der Musik, die Antwort gibt:
   Jahwe der Heerscharen,
   Er ist der König der Ehren!
   Nach John Kitto † 1854.

Nach der LXX und dem Talmud wurde dieser 24. Psalm am ersten Wochentag im Gottesdienst des (zweiten) Tempels gesungen, in Erinnerung an den ersten Schöpfungstag. Am 2. Wochentag wurde der 48., am 3. der 82., am 4. der 94., am 5. der 81., am 6. der 93. und am Sabbat der 92. gesungen. R. H. Ryland 1853.


V. 1. Die Erde ist des Herrn. Dieser Anfang des Psalms zeigt den Juden, dass sie in sich selbst nichts haben, was sie berechtigen könnte, Gott näher zu stehen oder vertrauter mit ihm umzugehen als die andern Völker. Gott ist es, der durch seine Vorsehung die von ihm erschaffene Welt erhält, und seine Herrschaft erstreckt sich in gleicher Weise über alle, so dass er ein Recht hat, von allen verehrt zu werden, wie er ja auch allen Menschen ohne Ausnahme seine väterliche Fürsorge angedeihen lässt. Jean Calvin † 1564.

  Es wird uns berichtet, dass Chrysostomus († 407), als er sich durch seine scharfen Predigten den Zorn der Kaiserin Eudoxia zugezogen hatte, sich seinem Freund Cyriacus gegenüber ausgesprochen habe, wie er sich beizeiten innerlich darauf gerüstet habe, wenn die Kaiserin ihn etwa in die Verbannung schicken wolle. "Ich dachte, wenn sie mich nun verbannt? - Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist. Will sie mir mein Hab und Gut nehmen? - Nackt bin ich von meiner Mutter Leibe kommen, nackt werde ich wieder dahinfahren (Hiob 1,21). Wenn sie mich aber steinigt? Da dachte ich an Stephanus. Will sie mich töten? Da trat mir Johannes der Täufer vor Augen." John Spencer † 1654.

  Als Johann Mathesius (der älteste Biograph Luthers, Prediger zu Joachimstal in Böhmen, † 1565) durch seine Predigten einen großen Herrn so erzürnte, dass er ins Elend gejagt werden sollte, spricht seine Frau Sibylle zu ihm: "Sei getrost, lieber Hauswirt, ich will mit dir über Berg und Tal: Man wird uns unsers Herrgotts Boden nicht verbieten können, denn die Erde ist des Herrn und was drinnen ist. Er wird uns nach seiner Zusage nicht Waisen lassen, sondern ein Hüttlein und Unterschlupf geben." Der Zorn des großen Herrn ist auch wieder verraucht und Mathesius im Frieden in Joachimstal gestorben. - Nach seiner Lebensbeschreibung von Balth. Mathesius 1705.

  Katharina von Navarra, Schwester Heinrichs IV., durfte unverboten reformierten Gottesdienst halten lassen: Nur Psalmen zu singen war auch ihr untersagt - war dies doch das eigentliche Zeichen des Abfalls vom katholischen Glauben. Kaum war sie nach Paris gekommen, am 6. Juni 1598 - nach der Verkündigung des Edikts von Nantes --, so ließ sie im Louvre Gottesdienst halten. Zwei- bis dreitausend Personen wohnten ihm bei. "Brüder, aus dem Feuer gerissen, Trümmer der Bartholomäusnacht" singen in dem Palast, wo so viel evangelisches Blut geflossen war, den 24. Psalm: Die Erde ist des Herrn, und was darinnen ist. Felix Bovet 1872.

  Auch Monika, die Mutter Augustins, hat diese Worte angewendet in ihrer Weise, als sie in Ostia, fiebernd und ihren baldigen Tod ahnend, ihrem wieder gefundenen Sohne, den sie nicht mehr sollte heimbegleiten dürfen nach Afrika, gebot, ihren Leichnam getrost an der europäischen Küste zu lassen und zu bestatten, denn "die Erde ist des Herrn, und was darinnen ist!" Er werde sie auch da zu finden wissen am Tage der Auferstehung. - Und mit diesen Worten entließ Prof. Balthasar Schuppius als Professor zu Marburg nach der Zerstörung der Stadt im dreißigjährigen Kriege seine Theologiestudierenden, indem er unter sie gleichsam die europäischen Länder und See- und Reichsstädte verteilte; denn "Messieurs, die Erde ist des Herrn, und mir scheint, unser Herrgott habe mich zu einem Quartiermeister angenommen." Nach A. von Salis 1902.

  Des Herrn ist die Erde und was sie erfüllt. Als David in seinen Jünglingsjahren die Herden seines Vaters auf Bethlehems fruchtbaren Weideplätzen hütete, kam der Geist des Herrn über ihn; das Ohr wurde ihm geöffnet und sein Verständnis erleuchtet, dass er die Gesänge der Nacht verstehen konnte. Die Himmel verkündigten die Ehre Gottes und die funkelnden Sterne antworteten dem Himmel im Chor; ihre harmonischen Weisen erfüllten die Luft und ihre vollen und doch so zarten Stimmen drangen bis an die Enden der Erde.
  "Das Licht ist der Glanz des Ewigen", sang die untergehende Sonne. "Und ich bin der Saum seines Gewandes", antwortete das zarte, rosige Zwielicht. Die Wolken zogen sich zusammen und sagten: "Wir sind sein nächtliches Gezelt". Und die Wasser in den Wolken und die tiefe Stimme des Donners fielen ein und sangen im Chor: "Die Stimme des Ewigen ergehet über den Wassern, der Gott der Ehren donnert im Himmel, der Herr über großen Wassern" (Ps. 29,3).
  "Auf meinen Fittichen schwebt Er einher", lispelte der Wind, und die sanft bewegte Luft fügte hinzu: "Ich bin Gottes Hauch, der Odem des gütigen Allnahen". "Ach, ich höre die Lobgesänge", sagte die ausgedörrte Erde, "alles um mich her ist ein Lobpreis: Ich allein bin traurig und schweige!" Da antwortete ihr der Tau: "Ich will dich laben, dass du frisch und fröhlich werden sollst und deine Kinder sollen blühen wie die Rosen". "Ja, fröhlich blühen wir", sangen die erquickten Fluren, und die Ähren beladenen Kornfelder wogten vor Freuden, indem sie sangen: "Wir sind Gottes Segen, das Streitheer des Herrn wider den Mangel".
  "Wir preisen dich aus der Höhe", sagte der milde Mond. "Und auch wir benedeien dich", ergänzten die Sterne. Und der lustige Grashüpfer zirpte: "Auch mich hat er erquickt mit dem perlenden Tau". "Er stillte meinen Durst", sagte das Reh. "Und erfrischte mich", fiel der Hirsch ein. "Und versorgt uns mit Speise", sagten die Tiere des Waldes. "Und kleidet meine Lämmer mit weicher Wolle", fügte voll Dankes das Schaf hinzu.
  "Er hörte mich", krächzte der Rabe, "da ich verlassen und einsam war." "Er hörte mich", sprach die wilde Ziege auf den Felsen, "da meine Zeit gekommen war und ich Junge gebar." Und die Turteltaube girrte, und die Schwalben und die andern Vöglein stimmten in den Lobgesang ein: "Der Vogel hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ihr Nest, da sie Junge hecken: Wir wohnen auf den Altären des Herrn und schlummern unter dem Schatten seiner Flügel in Ruhe und Frieden." "Und Frieden!", wiederholte die Nacht und das Echo nahm den Ton auf und ließ ihn immer wieder erschallen; - da dämmerte es und der Hahn wachte auf und krähte fröhlich: "Öffnet die Tore, macht weit die Pforten, der König der Ehren naht! Erwacht, steht auf, ihr Menschenkinder! Lasst dem Herrn Dank und Preis erschallen, denn der König der Ehren naht!"
  Da stieg die Sonne empor und David erwachte aus seiner Entzückung: Aber solang er lebte, klangen die melodischen Akkorde der Schöpfungsharmonien in seiner Seele nach und Tag um Tag entlockte er einer Harfe die süßen Töne, so gut er’s vermochte. - Aus den Sagen des Talmud über die Gesänge der Nacht. F. A. Cox 1852.
  Das fromme Gemüt sieht alle Dinge in ihrer Beziehung zu Gott und Gott in allen Dingen. Ingram Cobbin 1839.


V. 2. Xerxes, der Perserkönig, befahl einst seinen Soldaten, die Wasser des Hellesponts zu fesseln; so bindet Gott die Fluten gleichsam in Ketten, wie Basilius († 379) sagt: Ligatum est mare praecepto Creatoris quasi compedibus. Er spricht zum Meer: Bis hierher sollst du kommen und nicht weiter: Hier sollen sich legen deine stolzen Wellen! (Hiob 38,11.) Er sammelt die Wasser des Meeres wie in einem Schlauch und legt die Fluten in Vorratskammern (Ps. 33,7, Grundtext), so dass ohne seinen Willen nicht eine Woge das Land überfluten kann. John Boys † 1625.

  Diese Worte weisen ohne Zweifel auf den Schöpfungsbericht zurück. Das Festland tauchte aus den Wassern hervor und ruht dem Anschein nach auf ihnen. Vergl. Ps. 136,6; Spr. 8,29. Es würde jedoch ganz irrig sein, in solchen Worten den Ausdruck einer bestimmten volkstümlichen Anschauung oder gar einer wissenschaftlichen Theorie über den Bau der Erdoberfläche zu vermuten. Hiob sagt Kap. 26,7: Er hängt die Erde an nichts. Solche Ausdrücke sind offenbar poetische Einkleidungen tiefer Gedanken. Vergl. Hiob 38,6. J. J. Stewart Perowne 1864.

  Wie frei dergleichen mehr dichterische als physikalische Vorstellungen gehalten sind und wie wenig man berechtigt ist, darin physikalische Theorien zu suchen, zeigt sich Hiob 26,7, wo Gott die Erde wie den Himmel über dem Nichts aufgehängt hat. Der hebräische Dichter konnte über diese transzendenten Dinge frei mit solchen Vorstellungen spielen, ohne zu schwindeln oder zu schaudern, da er eine feste Stütze in seinem Gott hatte, der das Weltgebäude auch auf den schwankendsten Grund, ja auf das Nichts fest gründen konnte und auf dessen Allmacht allein aller Bestand beruht. Prof. Herm. Hupfeld 1858.

  Hörst du, lieber Leser, wie zwar die Erde besteht und doch auf nichts steht? Sie schwebt neben und über den Wassern und doch wird sie von ihnen nicht verschlungen. Das macht’s: Sie hängt an Gottes Kraft- und Machtfinger und ruht auf seinem Wort. Daran gedenke, sooft die Sorgen dein Herz einnehmen wollen; halt es deinem Herzen für: Siehe, tut Gott das durch seine Allmacht ohne alle Menschenhilfe an dem ganzen Erdboden, warum nicht auch an dir, der du nur ein gar kleines Stücklein von der Erden bist. Alle deine Sorgenlast ist nichts gegen dem Erdboden und doch trägt diesen dein frommer Gott; alle deine Anfechtungen sind nichts gegen den Wellen des ungestümen Meers, doch setzt auch diesem der Herr seine Grenzen, an denen sich seine stolzen Wellen legen müssen. So traue denn auch du dem Herrn das Beste zu! J. Frisch 1719.

  Er hat seine Kirche über den Fluten der Trübsal fest gegründet, so dass sie, so hoch diese steigen mögen, doch über ihnen gehalten wird und sicher ist und ewig sicher sein wird. Aurelius Augustinus † 430.


V. 3. Das ist aus der Maßen ein starker Text wider die Juden. Nun wisst ihr, dass Paulus disputieret und streitet wider die Beschneidung und dieselbe äußerliche Maskerade, dass die Juden ein Same Abrahams sind, haben die Prophezeiungen, haben die Verheißungen, das Testament usw. Solche Maskerade zieht ihnen hier der Prophet auch ganz und gar ab; Gott gebe, es sei ein Heide oder ein Jude, da fragt Gott nichts nach. Dass er aber eine Frage gebraucht, das tut er um des Ernstes und Unmöglichkeit willen, die er damit anzeigt: Lieber, wer wird auf des Herrn Berg gehen? Da antwortet der Jude bald: "Ich"; der Papst und die Seinen auch: "Ich." Er spricht aber: Es wird nicht so zugehen. Den Berg des Herrn aber nennt er nicht allein den, der zu Jerusalem ist, sondern die Örter überall, wo man in der Welt von Gott lehret und prediget. Martin Luther 1530.

  Wer wird auf des Herrn Berg gehen? Wenn es so ist, dass niemand auf des Herrn Berg gehen darf, als wer schuldlosen Wandels und reines Herzens ist, nicht am Eiteln hängt und ohne Trug ist, dann ist die Frage schnell beantwortet. Keiner wird hinaufgehen, denn es gibt keinen so Beschaffenen unter den Adamskindern. Schuld klebt an unseren Händen und befleckt ist unser Inneres. Die Gewichtigsten unter den Menschen wiegen weniger als nichts, denn nichtig und eitel sind sie immer (vergl. Ps. 62,10), und die Besten finden in sich eine Neigung zu Lug und Trug. So ist denn keiner würdig, die heilige Höhe zu ersteigen. Doch hören wir von einem, der zur Höhe aufgefahren ist. Er hatte all die Erfordernisse, die der Psalm geltend macht. Er war vollkommen rein in Herz und Leben und kein Betrug wurde in seinem Munde erfunden (1. Petr. 2,22). Ja, aber das war doch nur einer; was soll das den andern allen? Er war unser Haupt, - und lässt auch ein Haupt sein Glied, welches es nicht nach sich zieht? Mark Frank † 1664.

  Wer wird auf des Herrn Berg gehen? Niemand fährt gen Himmel, denn der vom Himmel herniederkommen ist, nämlich des Menschen Sohn, der im Himmel ist (Joh. 3,13). "Darum," sagt der heilige Bernhard († 1153), ist es trefflich geredet (Hebr. 7,26), dass wir einen solchen Hohenpriester haben mussten, wie Jesus es ist; denn er weiß, wie schwierig es für uns ist, zu den himmlischen Höhen emporzuklimmen: Er kennt die Schwäche von uns, die wir hinaufsteigen sollen." Joh. Lorinus † 1634.


V. 3-6. In Übereinstimmung mit Psalm 15 wird auch hier das Geschlecht der rechten Gottesverehrer nicht als ein solches beschrieben, das gewissenhaft seine äußeren Opfer bringt, regelmäßig in den Gottesdiensten erscheint, in der Beobachtung der heiligen Gebräuche es an nichts fehlen lässt: Vielmehr wird die Teilnahme an den Handlungen der Anbetung an dieser Stätte und die Würdigkeit, die Opfer darbringen zu können, selbst abhängig gemacht von der Reinheit des Herzens und der Hände, - was näher erklärt wird durch die Reinheit von jedem bösen Werk (Tholuck übersetzt V. 4 b: der nicht am Schlechten Lust hat) und von jeder trügerischen Rede. Und so sollen ja auch wir Christen dahin kommen, unsere Gottesdienste insgesamt nicht sowohl als eine Pflicht, als vielmehr als eine verliehene Gnade anzusehen. Indem er nun sagt: Das ist das Geschlecht, das nach ihm fragt und sein Antlitz sucht, will er zur Erkenntnis bringen, dass, wer sonst nach Gott zu fragen und Gott zu suchen vorgäbe, ohne doch nach einem reinen Herzen und reinen Händen zu streben, für einen Heuchler angesehen werden müsse. Indem er aber eben vorzugsweise dieses Geschlecht Jakob nennt, macht er einen Unterschied, den auch der Apostel Paulus Röm. 9,6 gemacht hat, zwischen einem fleischlichen Jakob und einem Jakob nach dem Geist. An diesem Israel nach dem Geist sind denn auch, wie Paulus sagt, als der Messias kam, Gottes Verheißungen nicht zuschanden geworden, obwohl der große Haufe ihn verworfen hat. Prof. Aug. Tholuck 1843.


V. 4. Herz bedeutet hier den ganzen inwendigen Menschen mit allen seinen Gedanken, Ratschlägen, Gewissen und Zuneigungen. Johann David Frisch 1719.

  Soll ich dir den Mann beschreiben, der vor Gott als sittlich gut anerkannt wird? Es ist der, dem das göttliche Gesetz als alleinige Richtschnur seines Handelns gilt, und der in allem seinem Tun Gott vor Augen hat; der von selbst den andern Befehlen Gottes gehorcht, weil er dem ersten und größten Gebot: "Gib mir, mein Sohn, dein Herz," gehorsam worden ist. Sein Verhalten richtet sich nicht nach dem, was Sitte ist oder Vorteil verspricht, sondern nach dem unverbrüchlichen Richtmaß der Pflicht. Führe einen solchen als Zeugen vor Gericht: Er wird kein falsch Zeugnis geben, weder wider seinen Nächsten noch zugunsten desselben. Gib ihm die größten Summen ungezählt in Verwahr: Er wird nicht stehlen. Weihe ihn in die vertraulichsten Angelegenheiten deiner selbst oder deiner Familie ein: Du kannst ganz ruhig sein, denn in seinem Busen lebt kräftig der Grundsatz der Wahrheit und Rechtschaffenheit. Du darfst ihm in der Finsternis so gut vertrauen wie am hellen Tage; denn er ist tugendhaft, nicht weil es sein guter Ruf oder sein Nutzen erfordert, nicht weil die Augen der Leute auf ihn gerichtet sind, sondern weil die Liebe und die Furcht des Herrn in seinem Herzen eine alles beherrschende Stellung haben. Ebenezer Porter 1834.

  Und schwört nicht falsch und er stellt seine Zunge auch in keiner andern Weise in den Dienst der Hölle. Der Meineid steht hier als eine der abscheulichsten Zungensünden für alle übrigen. Peraldus aber zählt nicht weniger als vierundzwanzig verschiedene Zungensünden auf, von denen der Bürger des neuen Jerusalem jede einzelne aufs Sorgfältigste meidet, da des Teufels Zorn seinen reinen Lippen schlechterdings nicht ansteht. John Trapp † 1669.

  Der Himmel lässt sich mit schönen Worten und einem schimmernden Bekenntnis nicht gewinnen. Nur der Christ, der ein Täter des Wortes ist, wird vor dem Herrn bestehen, während der, dessen Glaube nur ein Schaugepränge ist, vor dem Angesicht des Ewigen in den Boden sinken wird, wie solche Scheinfrömmigkeit ja auch schon hier auf Erden nicht standhält. Gerade die, welche am meisten von Religion schwatzen, sind oft im Tun und Wandel am erbärmlichsten. Eines jeden Frömmigkeit ist eitel, dessen Bekenntnis nicht durch ein heiliges Leben beglaubigt wird. William Gurnall † 1679.


V. 5. Der wird Gerechtigkeit empfangen. Unsere eigene Gerechtigkeit nennt Jesaja ein dreckiges Kleid (Kap. 64,5 [6]), und Paulus nennt sie Kot (Phil. 3,8). Wie mancher unserer "Gebildeten" sähe den letzteren Vergleich gern aus seiner Bibel ausgemerzt, - und der erstere ist im Urtext so stark, so anstößig, dass unsere meisten Übersetzungen nicht einmal andeuten, welche Art Dreck gemeint ist. Da denn unsere Gerechtigkeit so beschaffen ist, sind wir genötigt, anderwärts, außer uns, eine Gerechtigkeit zu suchen, die den Namen verdient. "Der wird Gerechtigkeit empfangen", sagt der Prophet hier, und der Apostel redet von der Gabe der Gerechtigkeit. (Röm. 5,17, Grundtext) So handelt es sich also um eine geschenkte Gerechtigkeit; diese sollen wir suchen. Aber wo sollen wir Gerechtigkeit finden? Hiob sagt uns, wo wir sie nicht finden: Nicht bei den Himmeln, denn sie sind nicht rein vor Gott; nicht bei den Heiligen, denn keiner unter ihnen ist ohne Tadel: nicht bei den Engeln (Hiob 4,18, Grundtext), denn sie beschuldiget er der Torheit. (Vergl. Hiob 15,15; 4,18; 25,5;) Können denn diese alle uns nicht helfen, so wird uns ein Name köstlich, den Jeremia uns nennt: Jahwe unsere Gerechtigkeit. (Jer. 23,6) Bischof Launcelot Andrewes † 1626.


V. 6. Das ist das Geschlecht. Durch das hinweisende Fürwort das tilgt der Psalmsänger aus der Liste der Gottesknechte alle die unechten Israeliten aus, die im falschen Vertrauen auf ihre Beschneidung und ihre Tieropfer nicht daran denken, sich selber Gott zum Opfer darzubringen, und doch zur selben Zeit sich verwegen in die Kirche eindrängen. Jean Calvin † 1564.

  (Das ist) Jakob. So werden diejenigen, welche in Wahrheit nach Gott fragen, d. h. nach ihm trachten und ihn verehren, passend genannt, erstens, weil sie "rechte Israeliten" sind (Joh. 1,47; Röm. 9,6); zweitens, weil sie Gottes Angesicht suchen, wie Jakob zu Pniel (1. Mose 32,25-31); und drittens, weil sie, wie Jakob dort, Segen erlangen (vergl. auch Hos. 12,4 f.), ja Gerechtigkeit von dem Gott ihres Heils, wie es hier im vorhergehenden Vers heißt. John Trapp † 1669.


V. 7. An dem mächtigen Kastell von Banias (Cäsarea Philipp) am Fuße des Hermon sind noch Überreste eines alten Tores, das wie ein Fallgitter aufgezogen wurde. Die Torflügel liefen in Rinnen. John Gadsby 1862.

  Statt Urzeit- Pforten übersetzen diejenigen, welche nicht an die Zionsburg, sondern an den Tempel denken, ewige Pforten. Jedenfalls ist dann aber nicht der feste Sitz nach langen Wanderungen (Kimchi, Rosenmüller), sondern der als Wohnung des Ewigen (1. Könige 8,13) immer bleibende (Ps. 132,14) gemeint (Calvin, Hupfeld, Hitzig). An Türen in der Welt (Luther) darf man nicht denken, weil Mlfw( die Bedeutung "Welt" erst nach Abschluss des alttestamentlichen Kanons erlangt hat, sonst aber bald rückwärts in die Urzeit (1. Mose 49,26; Jes. 58,12), bald vorwärts in die Ewigkeit weist. K. B. Moll 1884.


V. 7-10. Die messianische Deutung dieser zweiten Hälfte des Psalms, oder doch ihre Anwendung auf Christus, bewegt sich in der Überlieferung auf drei Linien: 1) Die griechische Kirche versteht die Vers von dem feierlichen Eintritt des Todesüberwinders in den Hades, das Totenreich. So schildert das (judenchristliche) so genannte Nikodemusevangelium in seinem zweiten Teil den descensus Christi ad inferos zunächst in Anlehnung an unseren Psalm. Zweimal erschallt im Hades plötzlich eine Donnerstimme: "Hebet die Tore auf, ihr Fürsten (nach der LXX), und erhebt euch, ihr ewigen Pforten (des Hades), auf dass der König der Ehren einziehe." Der Fürst des Hades (Beelzebub, vom Satan unterschieden) fragt: "Wer ist der König der Ehren?", und David antwortet mit V. 8 des Psalms. Während er noch redet, erscheint Jesus, erleuchtet das Dunkel des Hades, zerbricht die unzerbrechlichen Fesseln, tritt den Tod unter seine Füße, nimmt dem Fürsten des Hades seine Gewalt und führt erst Adam, dann alle Heiligen aus dem Totenreich ins Paradies. Diese Schilderung entbehrt zum Teil nicht sinniger Schönheit, hat aber mit der Exegese des Psalms nichts zu tun. 2) Justin der Märtyrer sagt, dieser 24. Psalm gehöre auf Christi Himmelfahrtstag, denn da hätten die Engel im Himmel gesungen: Machet die Tore weit usw. Andere Kirchenväter folgten ihm in dieser Deutung oder Anwendung und danach hat die englische Kirche den Psalm auch ausdrücklich für den Himmelfahrtstag bestimmt. Dieser Überlieferung folgten jahrhundertelang die englischen Ausleger und es wundert uns daher nicht, diese Art der Auslegung auch bei Spurgeon anzutreffen. Schon Prof. Joh. Aug. Dietelmair muss in seiner "aus den auserlesensten Anmerkungen verschiedener englischer Schriftsteller zusammengetragenen Erklärung" aus dem Jahre 1755 (insofern einem kleinen Vorgänger von Spurgeons "Schatzkammer") dazu bemerken, es sei kein genügende Hinweis vorhanden, dass allhier eben von der Himmelfahrt Christi geredet werde. Auch uns mutet diese Beziehung, zumal als eigentliche Deutung, fremd an. 3) Wir halten für die Exegese die Beziehung der Vers auf den Einzug der Bundeslade fest. Später ist jedoch dieses Lied ohne Zweifel, unter Absehen von seinem nächsten Zweck, zum Adventslied Israels geworden, vergl. Mal. 3,1; und so bietet sich uns sehr angemessen die Anwendung desselben auf das uns vor Augen stehende Kommen des Herrn zu seiner Gemeinde und unsere Bereitung für das himmlische Zion dar. - James Millard

  
Wenn der König von England in die City (die innere Stadt) von London einziehen will, begehrt der Herold an den verschlossenen Toren für seinen königlichen Herrn Einlass, indem er ruft: "Öffnet das Tor!" Eine Stimme lässt sich von drinnen vernehmen: "Wer ist da?" Der Herold antwortet: "Der König von England." Alsbald tut sich das Tor auf und der König zieht unter dem Jubel seines Volkes ein. Diese Sitte ist uralten Herkommens. Christmas Evans † 1838.

  Diese Worte erinnern uns an den Einzug Jesu in Jerusalem (Mt. 21). Die ganze Stadt erregte sich und sprach: Wer ist der? Das Volk aber sprach: Das ist der Jesus, der Prophet von Nazareth aus Galiläa. Und der ganze Haufen seiner Jünger und alles Volk, das vorging und nachfolgte, lobten Gott mit lauter Stimme und sprachen: Hosianna dem Sohne Davids! Gelobet sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe! Und die Kinder im Tempel schrieen und sangen: Hosianna dem Sohn Davids! Wie viel herrlicher muss denn sein Einzug in das himmlische Jerusalem gewesen sein! Sollte da nicht "die ganze Stadt sich erregt" und gefragt haben: Wer ist der? Siehe, wie Tausende von Engeln ihn geleiten und Zehntausende ihm entgegengehen, um ihr Willkommen zu bieten. Der Einzug der Bundeslade in die Stadt Davids war davon nur ein schwaches Vorbild. Andrew Fuller † 1815.

  Welche Zunge genügte wohl, und wäre es die des höchsten Erzengels, den Willkommensgruß zu schildern, womit du, o König der Herrlichkeit, in dem gesegneten Reich der Unsterblichkeit begrüßt wurdest? Wahrlich, der Himmel, die Wohnung der seligen Geister, hatte noch nie von solcher Freude widergehallt. Gott fuhr auf mit Jauchzen und der Herr mit heller Posaune (Ps. 47,6). Als Gott den Erstgebornen in die Welt einführte, sprach er: Es sollen ihn alle Engel Gottes anbeten (Hebr. 1,6). Wie viel mehr hat er ihm jetzt, da er in die Höhe auffährt und das Gefängnis gefangen führt (Eph. 4,8), einen Namen gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen alle Knie! (Phil. 2,9 f.) Und wenn die heiligen Engel schon in der Weihnacht, bei seinem Eintritt in den Stand der Niedrigkeit und Schwachheit, so jubilierten, mit welchem Triumph werden sie ihn jetzt willkommen geheißen haben, da er nach vollbrachtem Erlösungswerk zur himmlischen Herrlichkeit zurückkehrte! Als David, sein Vorbild, den Goliath erschlagen und dessen Haupt nach Jerusalem gebracht hatte (1. Samuel 17,54), waren ihm die Weiber aus allen Städten Israels entgegengegangen mit Gesang und Reigen: Wie mögen die himmlischen Geister dem großen Überwinder des Todes und der Hölle entgegengekommen sein! Wie sangen sie: Erhebet, ihr Tore, eure Häupter, und erhöht euch, ihr ewigen Pforten, dass der König der Ehren einziehe! Und wie er einst gen Himmel gefahren ist, so wird er wiederkommen: Siehe, der Herr kommt mit viel tausend Heiligen; tausendmal tausend dienen ihm, und zehntausendmal zehntausend stehen vor ihm (Judas V. 14; Dan. 7,10), von welchen allen ich schon den Lobgesang zu hören meine: Das Lamm, das erwürget ist, ist würdig zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob. Dem, der auf dem Stuhl sitzt, und dem Lamm sei Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! (Off. 5,12 f.) Und warum stimmst du, meine Seele, nicht mit ein in den himmlischen Chor? Warum wirst du nicht von seliger Freude hingerissen, da du siehst, wie dieser unser erstgeborner Bruder über alle Himmel erhöht ist, von den Engeln und Erzengeln, den Cherubim und Seraphim angebetet wird und auf dem Thron sitzt zur Rechten des Vaters, mit unvergleichlicher Herrlichkeit und Majestät gekrönt? Bischof Joseph Hall † 1656.

Seht hier zu der Unsterblichkeit den Pfad,
Die uns sein Tod erwarb, die kräftiglich erwiesen
In seiner Auffahrt. Hat er nicht den Tod besiegt?
Hört es, ihr Völker, hört, ihr Toten, alle:
Er lebt! Des Todes Bande sind gesprengt.
Tut weit euch auf, ihr heil’gen, ew’gen Tore,
Und lasst den Ehrenkönig ziehen ein!
Wer ist der Ehrenkönig? Der den Thron
Der Herrlichkeit vertauscht mit Todesschmerzen!
Tut weit euch auf, ihr heil’gen, ew’gen Tore,
Und lasst den Ehrenkönig ziehen ein!
Wer ist der Ehrenkönig? Der den Feind erschlug,
Der Menschheit grimmen, mörderischen Feind.
Er, dessen Liebe zu den Staubgebornen
Die Engel selbst zu schau’n gelüstet hat.
Nach Edward Young † 1765.


Homiletische Winke

V. 1. Der große Eigentümer, seine Güter und seine Knechte, das Recht, das ihm gebührt, und das Unrecht, das er erfährt.
  Die Erde ist des Herrn.
1) Führe andere vor, die das Eigentumsrecht für sich beanspruchen: Die Götzen, der Papst, der Mensch, der Teufel.
2) Geh mit ihren Ansprüchen ins Gericht.
3) Tu, wie dein Gewissen urteilt. Brauche alles zu Gottes Ehre, verkünde in allen Landen des Herrn Namen und nimm alles für Gott in Anspruch.
4) Denke dem nach, wie herrlich die Erde sein wird, wenn sie einst ganz ihres Schöpfers Namen tragen wird.
V. 1b. Alle Menschen gehören Gott an, als Söhne oder Untertanen, als (willige) Diener oder als Sklaven, als Schafe oder Böcke usw.
V. 2. Auf Meeren gegründet. Die Unsicherheit alles Irdischen.
V. 3. Eine hochbedeutsame Frage.
V. 4a. Der Zusammenhang zwischen äußerer Ehrbarkeit und innerer Reinheit.
  Reine Hände:
1) Wie werden sie rein?
2) Wie bleiben sie rein?
3) Wie werden sie unrein?
4) Wie wieder rein?
V. 4b. Und hat nicht Lust zum Eiteln. (Grundtext) Willst du die Menschen erkennen, so sieh, wo sie ihre Freude suchen.
V. 5b. Auch der Fromme empfängt seine Gerechtigkeit als eine Gottesgabe, und sein Heil wird ihm aus Gnaden. Oder: Der evangelische Untergrund anscheinend gesetzlicher Schriftstellen.
V. 6. Wer sind die, die wahrhaft Gemeinschaft mit Gott suchen? Wo ist das wahre Gottesvolk?
V. 7. Man wende den Text auf den Einzug Christi in die Menschenherzen an.
1) Es stehen seinem Einzug Hindernisse im Wege: verschlossene Tore.
2) Wir müssen (in Kraft der Gnade) einwilligen, dass diese Hindernisse weggeräumt werden: Machet die Tore weit.
3) Dann wird der Herr einziehen.
4) Er zieht ein als König und als König der Herrlichkeit.
V. 7-10. in Anwendung auf Christus:
1) Sein Name: Herr der Heerscharen.
2) Seine Siege. (Der Herr, stark und mächtig im Streit).
3) Seine königliche Herrlichkeit als Frucht seiner Leiden.
4) Sein triumphierender Einzug ins obere Zion.
V. 8. Der mächtige Held. Seine Herkunft, seine Macht, seine Kämpfe und seine Siege.

Fußnoten

1. Siehe hierzu die Erläuterungen und Kernworte zu V. 7-10.

2. Vergl. 25,1 im Hebr. An Luthers Übersetzung ist nur die willkürliche Begrenzung auf die Lehre zu bemängeln. Andere (Schnitz, Kautzsch u.) fassen )w:$f hier in der oft vorkommenden engeren Bedeutung Lüge, Falschheit. Das Qere "meine Seele" erscheint unbrauchbar.

3. Spurgeon sagt Hülsen, in Anspielung auf Lk. 15,16, wo die engl. Bibel dieses Wort braucht. Allerdings ist an jener Stelle nicht an leere Hülsen, sondern wohl an die fleischigen Hülsen des Johannesbrotbaums zu denken.

4. In unseren hebräischen Bibeln steht nur: Jakob. Die revid. Lutherbibel schiebt nach dem Vorgang der LXX. und vieler Ausleger "Gott" ein (vergl. 20,2), und dieses Wort findet sich in der Tat in zwei hebr. Handschriften. Doch halten es viele Ausleger für einen Zusatz und übersetzen: (Das ist) Jakob, d. h. das wahre Gottesvolk. Luther selbst hat ebenfalls stets nur: Jakob.

5. Siehe hierzu die Erläuterungen u. Kernworte zu V. 7-10.

6. Hält man, entgegen der jetzt üblich gewordenen Auffassung, die Zusammengehörigkeit der beiden Teile des Psalms und die Abfassung des Ganzen durch David fest, so ist bei den uralten oder ewigen Pforten nicht an die des (erst später erbauten) Tempels, sondern an die altersgrauen Tore der Zions-Königsburg zu denken.