Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 113 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Dieser Psalm enthält lauter Lobpreis, und nur weniges darin bedarf der Erklärung; ein warmes Herz, das von anbetender Bewunderung des Höchsten erfüllt ist, wird diese heilige Hymne am besten verstehen. Ihr Gegenstand ist die Erhabenheit und herablassende Güte des Gottes Israels, wie sie sich in der Erhöhung der Elenden aus ihrer Niedrigkeit erweist. Der Psalm eignet sich trefflich, von der Gemeinde in Zeiten der Erweckung gesungen zu werden, wenn sie nach langer Minderung und Erniedrigung die belebende und erhebende Kraft des HERRN erfährt. Mit diesem Psalm beginnt das sogenannte Hallel der Israeliten, der Lobgesang (Mk. 14,26), den sie an ihren hohen Festen sangen; wir können uns ihn also als Anfang des Hallel leicht merken. D. Edersheim berichtet uns, der Talmud hebe hervor, wie sehr das Hallel namentlich für das Passahfest geeignet sei, da es nicht nur im Allgemeinen die Güte Gottes gegen Israel, sondern auch namentlich die Errettung aus Ägypten feiere und darum sehr passend mit den Worten beginne: Lobet den Namen Jehovahs, ihr Knechte Jehovahs - und nicht mehr Knechte Pharaos. Seine Hinweisungen auf die im Staube und Kot liegenden Geringen und Armen halten sich ganz in dem Rahmen der Erinnerung an Israels Zustand in Ägypten, und ebenso verhält es sich mit der Hinweisung auf die Geburt zahlreicher Kinder, wo solche am wenigsten zu erwarten.
  Wir betrachten den Psalm in einem Stück; will man ihn teilen, so mag man sagen, er ermuntere uns, den HERRN erstens wegen seiner Erhabenheit, V. 1-5, sodann wegen seiner Gnade, V. 6-9, zu preisen.


Auslegung

1. Hallelujah.
Lobet, ihr Knechte des HERRN,lobet den Namen des HERRN!
2. Gelobt sei des HERRN Name
von nun an bis in Ewigkeit!
3. Von Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang
sei gelobet der Name des HERRN!
4. Der HERR ist hoch über alle Heiden;
seine Ehre geht, so weit der Himmel ist.
5. Wer ist wie der HERR, unser Gott?
Der sich so hoch gesetzt hat
6. und auf das Niedrige sieht
im Himmel und auf Erden;
7. der den Geringen aufrichtet aus dem Staube
und erhöht den Armen aus dem Kot,
8. dass er ihn setze neben die Fürsten,
neben die Fürsten seines Volks;
9. der die Unfruchtbare im Hause wohnen macht,
dass sie eine fröhliche Kindermutter wird.
Hallelujah!


1. Hallelujah, das ist: Lobet Jah oder Jehovah. Preis des HERRN ist ein Hauptopfer bei allen hohen Festen des Volkes Gottes. Gebet ist die Myrrhe und Lob der Weihrauch, und beide sind dem HERRN darzubringen. Wie können wir um Gnade für die Zukunft bitten, wenn wir nicht für seine in der Vergangenheit uns erwiesene Liebe danken? Der HERR ist’s, der alle Fülle des Guten für uns gewirkt und bereitet hat; darum lasst uns ihn anbeten. Jeder andere Ruhm muss ausgeschlossen bleiben; die ganze Inbrunst der Seele ist Jehovah allein zu weihen. Lobet, ihr Knechte des HERRN. Ihr vor allen Menschen, denn ihr seid dazu verpflichtet durch euren Stand und Beruf. Wenn seine eigenen Diener Gott nicht preisen, wer wird es tun? Ihr seid ihm ja so nahe verbunden und solltet darum auch am eifrigsten sein, eure liebende Dankbarkeit zu betätigen. Als sie noch Sklaven Pharaos waren, konnten die Kinder Israel nur seufzen und stöhnen ob ihrer harten Dienstbarkeit; nun sie aber Knechte des HERRN geworden sind, dürfen Jubellieder von ihren Lippen strömen. Sein Dienst ist wahre Freiheit, und wer sich mit völligem Herzen diesem Dienst hingibt, entdeckt darin tausend Gründe zu seliger Anbetung. Es ist kein Zweifel, dass diejenigen Gott am besten preisen werden, die ihm am besten dienen; ja, dem HERRN dienen ist ihn preisen. Lobet den Namen des HERRN, verherrlicht sein Wesen, wie es sich geoffenbart hat, preist jede seiner heiligen Eigenschaften, frohlockt über allem seinem Tun und ehrt auch den Namen, mit dem er sich nennen lässt. Der Name Jehovah ist in diesem Vers dreimal gebraucht; wir, die wir die Lehre von der Dreieinigkeit verstehen, mögen darin eine leicht verhüllte Andeutung dieses heiligen Geheimnisses sehen. Mögen Vater, Sohn und Heiliger Geist miteinander gepriesen werden als der eine und alleinige lebendige und wahre Gott. Die nahe Aufeinanderfolge der Worte Hallelujah, Hallelu, Hallelu (im Hebräischen) muss im öffentlichen Gottesdienst von feiner Wirkung gewesen sein. Edersheim schildert den Tempeldienst als vielfach aus Responsorien (Antwortgesängen) bestehend und bemerkt: Jede erste Zeile eines Psalms wurde vom Volke wiederholt, während die andern Versglieder mit Hallelujah beantwortet wurden, in folgender Weise:

Die Leviten begannen: Hallelu Jah (Lobet den HERRN).
Das Volk wiederholte: Hallelu Jah.
Die Leviten: Lobet (Hallelu) ihr Knechte des HERRN.
Das Volk antwortete: Hallelu Jah.
Die Leviten: Lobet (Hallelu) den Namen des HERRN.
Das Volk erwiderte: Hallelu Jah.

  Das waren keine müßigen Wiederholungen, denn der Gegenstand ist solcher Art, dass wir bei ihm in der Tat verweilen sollten; tief soll er uns ins Herz geprägt sein und in unserm Leben stets den ersten Platz einnehmen.

2. Gelobt (wörtl.: gesegnet) sei des HERRN Name. Während es seinen Gott öffentlich laut pries, sollte das auserwählte Geschlecht ihn auch in der Stille der Herzen segnen oder lobpreisen, seinem Namen Ruhm, der Sache seines Reichs Gelingen, seiner Wahrheit Sieg wünschend. Durch Erwähnung des Namens Jehovahs will der Psalmist uns wohl anweisen, jede der geoffenbarten Eigenschaften des Höchsten, die gleichsam die Buchstaben seines Namens sind, zu segnen, uns anbetend und lobend in sie zu versenken; dass wir also nicht hadern mit seiner Gerechtigkeit, nicht widerstreben dem Ernst seiner Heiligkeit, noch knechtisch seine Allgewalt fürchten, sondern ihn annehmen, wie wir ihn in dem geisterfüllten Bibelwort und in seinen Taten geoffenbart finden, und ihn als solchen lieben und rühmen. Wir dürfen dem HERRN nicht einen neuen Namen geben oder eine andere Beschaffenheit andichten; denn das hieße einen falschen Gott aufrichten. Jedes Mal, wenn wir an den Gott der Bibel denken, sollten wir ihn preisen und seinen hehren Namen nie ohne freudige Ehrfurcht aussprechen. Von nun an. Wenn wir ihn noch nie gepriesen haben, lasst uns jetzt beginnen. Das Passahfest, an dem dieses Hallel stets gesungen ward, lag ja am Anfang des Jahres; war es nicht ein trefflicher Anlass, jedes neue Jahr mit dem Preise dessen zu beginnen, der seinem Volke eine so herrliche Erlösung gewirkt hatte? Aber jedes der hohen Feste Israels hatte seine besonderen Erinnerungen an herrliche Gnadentaten des HERRN und konnte somit als ein Zeitpunkt betrachtet werden, an dem es sich geziemte, wieder mit frischem Eifer mit der Anbetung einzusetzen. Sind keine Gründe vorhanden, warum der Leser den heutigen Tag zum Anfang eines neuen Jahres des Lobpreises machen sollte? Wenn der HERR zu uns spricht: "Von nun an will ich dich segnen" (vergl. 5. Mose 26,18 f.; 27,9; Jos. 3,7; Joh. 1,51), so sollte unsre Antwort sein: "Gesegnet sei des HERRN Name von nun an."
  Und bis in Ewigkeit. Dies Wort muss in seinem Vollsinn genommen werden. Könnten unsre Herzen je aufhören, den Namen des HERRN zu preisen? Können wir uns eine Zeit denken, da die Lobgesänge der Erlösten nicht mehr den Thron der göttlichen Majestät umgeben werden? Unmöglich. Immerdar und mehr als immerdar, wenn es ein Mehr geben kann, werde sein Ruhm erhoben.

3. Von Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang sei gelobet der Name des HERRN! Vom frühen Morgen bis zum Abend steige das Loblied ohne Ende zum Thron des Ewigen empor, und von Ost nach West um das ganze Erdenrund werde seiner Herrlichkeit Anbetung dargebracht. So sollte es sein; und Gott sei Dank, wir sind nicht ohne Hoffnung, dass es einmal so sein wird. Wir erwarten zuversichtlich, dass, ehe der düstere Weltabend kommt, der glorreiche Name des HERRN unter allen Völkern verkündigt sein wird und von allen Enden Lobgesänge aufsteigen werden. Bei der ersten Verkündigung des Evangeliums wurde der Name des HERRN herrlich in allen Landen; wird das nicht in noch viel höherem, umfassenderem Maße geschehen, ehe das Ende kommt? Auf jeden Fall ist das das Sehnen unserer Herzen. Und inzwischen wollen wir uns bestreben, jeden Tag zu heiligen, indem wir Gott loben. In der Morgenfrühe lasst uns den sich dem Himmelslicht öffnenden Blumen nacheifern, und den singenden Vöglein, die jeden Morgen neu des Schöpfers Güte preisen. Auf, träges Herz, erwache und stimme fröhlich ein. Ist’s nicht ein Wunder von Güte, dass die Sonne wieder aufgeht über die abtrünnigen Menschenkinder und ihnen, die es wahrlich nicht verdienen, Tage voll heiterer Frühlingspracht und reichen Erntesegens bereitet? O lasst uns für diese erstaunliche, ja diese verschwenderische Gütigkeit den Allherrn preisen! Von Stunde zu Stunde lasst uns das Lied neu anheben, denn jeder Augenblick bringt seine besonderen Gnadengaben. Und wenn die Sonne zur Ruhe geht, so wollen wir in dem feierlichen Schweigen der Natur die Musik unsrer Herzen nicht schweigen lassen, sondern mit dem letzten wachen Gedanken noch den Vater Himmels und der Erde preisen, der den Müden Ruhe gibt.

4. Der HERR ist hoch über alle Heiden. Wiewohl die Heiden Gott nicht kannten, war Jehovah doch der Lenker ihrer Geschicke; ihre Götzen waren keine Götter, und ihre Könige waren Marionetten in seiner Hand. Der HERR ist hoch erhaben über all die Gelehrsamkeit, scharfsinnige Urteilskraft und Erfindungsgabe der heidnischen Weisen, und seine Herrlichkeit übertrifft unendlich all die Pracht und Macht der gepriesensten Herrscher der Weltreiche. Gleich dem erhabenen Himmelsgewölbe überspannt seine Gegenwart alle Lande, die Wohnstätten der verschiedenen Rassen des Menschengeschlechts; denn seine Vorsehung waltet allüberall. Diese Tatsache ist wohl geeignet, uns zu kindlichem Vertrauen und freudigem Lobpreis anzuregen. Den Himmel überragt seine Herrlichkeit. (Grundtext) Erhabener als die erhabensten Teile der Schöpfung ist Gottes unvergleichliche Herrlichkeit. Die Wolken sind der Staub zu seinen Füßen, und Sonne, Mond und Sterne funkeln tief unter seinem Thron. Selbst der Himmel Himmel mögen ihn nicht fassen (1. Könige 8,27). Seine Herrlichkeit kann nicht von dem ganzen sichtbaren Weltall, nicht einmal von der erhabenen Pracht der Engelheere widergestrahlt werden; sie geht über alle geschöpfliche Fassungs- und Einbildungskraft hinaus, denn er ist Gott, der Unendliche. Lasst uns ihn über alles bewundern und preisen, der über alles erhaben ist.

5. Wer ist wie der HERR, unser Gott? Auf diese Herausforderung wird nie eine Antwort gegeben werden. Niemand kann mit ihm auch nur einen Augenblick verglichen werden. Israels Gott hat seinesgleichen nicht; unser Bundesgott steht einzig da. Selbst diejenigen, welche er sich in gewissen Beziehungen gleich gemacht hat, sind doch nicht ihm gleich in seinem göttlichen Wesen; denn viele seiner Vollkommenheiten sind unmittelbar und unnachahmlich. Keines der Bilder und Gleichnisse, unter denen der Ewige uns in der Schrift dargestellt wird, vermag uns einen vollkommenen Begriff von ihm zu geben; seine volle Ähnlichkeit spiegelt nichts auf Erden und im Himmel ab. Nur in Jesu wird die Gottheit erschaut, er aber hat ohne Zögern erklärt: Wer mich sieht, der sieht den Vater. Der sich so hoch gesetzt hat. Auch an Erhabenheit seiner Wohnstätte kann niemand ihm gleichen. Sein Thron, sein ganzes Dasein, seine Persönlichkeit, sein Wesen, alles an ihm ist erhaben und unendlich majestätisch, so dass niemand ihm verglichen werden kann. Sein erlauchter Geist bleibt stets in der erhabensten Höhe; seine Ehre ist unverletzlich, auch steigt er nie hernieder von der Höhe der lauteren Heiligkeit und unbeschränkten Vollkommenheit seiner Gesinnung und Handlungsweise. Seine Heiligen wohnen in der Höhe (vergl.
Ps. 148,1; Judas V. 14), und darin sind sie ein Abbild seiner Herrlichkeit; er selber aber hat seinen Wohnplatz in unausdenklicher Höhe und erhebt sich hoch über die am höchsten Erhobenen seines verklärten Volkes. Die niederste Stufe an seinem Thron ist zu hoch, als dass selbst ein Gabriel sie erklimmen könnte, und Michael würde es vergeblich versuchen, mit seinen hellen Augen bewundernd zu jenen Höhen zu dringen. Was sollen erst wir tun, die wir Staub und Asche sind? Und doch ist’s unser Vorrecht, aus dem Staub der Erde, aus der Asche der Buße ihn, den hohen, erhabenen Heiligen anzurufen und seine Gnade anzubeten.

6. Und auf das Niedrige sieht (wörtl.: tief herabschaut) im Himmel und auf Erden. Er wohnt in so ferner Höhe, dass er, selbst um himmlische Dinge zu sehen, in die Tiefe schauen muss. Er muss sich bücken, um das Firmament zu betrachten, und sich hinabneigen, um zu sehen, was die Engel tun. Wie groß muss denn seine Herablassung sein, da er die geringsten seiner Diener auf Erden beobachtet und sie frohlocken lässt wie Maria, weil er die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Wie köstlich sind jene Worte bei Jesaja 57,15: Also spricht der Hohe und Erhabene, der ewig Thronende, dessen Name ist der Heilige: Ich wohne in der Höhe und im Heiligtum und bei denen, so zerschlagenen und demütigen Geistes sind, auf dass ich erquicke den Geist der Gedemütigten und das Herz der Zerschlagenen. Die heidnischen Philosophen konnten nicht glauben, dass der große Gott die kleinen Ereignisse der menschlichen Geschichte beachte; sie schilderten ihn als unwandelbar in erhabener Gleichgültigkeit gegen Wohl und Weh seiner Geschöpfe verharrend. Unser Fels ist nicht wie ihr Fels (5. Mose 32,31); wir haben einen Gott, der hoch erhaben ist über alle Götter und der dabei doch unser Vater ist, der weiß, was wir bedürfen, ehe denn wir ihn bitten, unser Hirte, der alle unsre Bedürfnisse erfüllt, unser Hüter, der die Haare auf unserem Haupte zählt, unser zart fühlender, sorgsamer Freund, der an allem, was unser Herz bewegt, herzlich teilnimmt. Ja wahrlich, der Name unseres sich so ganz zu uns herablassenden Gottes muss gelobt werden von allen, die ihn kennen.

7. Der den Geringen aufrichtet aus dem Staube. Dies ist ein Beispiel davon, wie gnadenreich seine Liebe sich niederbeugt. Er erhebt oft die Allerniedrigsten der Menschenkinder aus ihrer Armut und entwürdigenden Lage und versetzt sie in Stellungen von Macht und Ehre. Sein guter Geist sucht stets die in Gnaden heim, die niedergeschlagen am Boden liegen, gibt den Traurigen Schmuck für Asche und tröstet die Herzen der rechten Leidtragenden, bis sie vor Freude jauchzen. Diese aufrichtenden Taten der Gnade werden in unserem Psalm unmittelbar der Hand Gottes zugeschrieben; und wahrlich, bei allen, die sie erfahren haben, wird darüber kein Zweifel sein, dass es der HERR allein ist, der die Seinen aus dem Staube der Not und des Todes emporhebt. Wenn keine andre Hand als die seine helfen kann, dann greift er ein, und alsbald ist’s getan. Es ist der Mühe wert, niedergeschlagen zu sein, um so durch Gottes Kraft aus dem Staube aufgerichtet zu werden. Und erhöht den Armen aus dem Kot, vom Kehrichthaufen, wo er wie wertloser Auswurf und Unrat lag, verstoßen und verworfen, dem Verderben und Vergessenwerden, wie er meinte, preisgegeben. Welch großer Abstand zwischen seinem Thron hoch über allen Himmeln und dem elenden Kehrichthaufen dort im Winkel auf der Erde! Wie bewunderungswürdig ist diese Allmacht, die sich damit abgibt, Bettler aufzuheben, die ganz und gar besudelt sind mit dem Schmutz, darin sie lagen! Denn er erhöht sie aus dem Kot, scheut nicht davor zurück, sie mitten aus dem Unedlen der Welt herauszusuchen, damit er durch sie das, was vor der Welt groß ist, zunichtemache und alles menschliche Rühmen zu Schanden werde. (Vergl. 1. Kor. 1,26-29) Das Bild des Misthaufens mag wenig schmeichelhaft sein; aber entspricht es nicht dem Elend unserer Sünde? Wie verrottet war unser ursprünglicher Zustand! Und welch eine Masse von Abscheulichkeiten haben wir durch unser sündhaftes Leben aufgehäuft! Welch widerliche Dünste umgeben uns in der menschlichen Gesellschaft! Aus alledem hätten wir uns niemals durch eigene Anstrengung erheben können; es war ein Grab, in dem wir wie Tote dalagen und die Verwesung sahen (Apg. 2,27). Es ist ein allmächtiger Arm, der uns aufrichtete, uns noch heute aufrecht hält und zu der Vollkommenheit des Himmels emporheben wird. Hallelujah!

8. Dass er ihn setze neben die Fürsten. Der HERR tut nichts halb; wenn er Menschen aus dem Staube erhöht, so ruht er nicht, bis er sie unter den Adel seines Reichs versetzt hat. Wir sind zu Königen und Priestern gemacht vor Gott und werden regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit. Anstatt der Armut gibt er uns fürstlichen Reichtum, statt der Schmach einen höheren Stand als den der Großen auf Erden. Neben die Fürsten seines Volks. Alle die Seinen sind Königskinder; somit entnehmen wir dem Textwort, dass Gott dürftige Menschenkinder, an denen er seine Gunst erweisen will, zu Fürsten unter Fürsten macht. Er macht oft solche, die in den hoffnungslosesten Tiefen waren, tüchtig, sich zu den höchsten Stufen des geistlichen Lebens und der Gnadengaben zu erheben; denn die Letzten werden die Ersten sein. Ja Paulus, der sich selbst als den Allergeringsten unter allen Heiligen bekannte (Eph. 3,8), wirkte doch die Gnade so mächtig, dass er in nichts auch nur im Geringsten den hohen Aposteln nachstand (2. Kor. 12,11); und in neueren Zeiten ward ein Bunyan, der gottvergessene Kesselflicker, zu einem andern Johannes erhoben, dessen Traum fast an die Gesichte der Offenbarung hinanreicht. Ja wahrlich, unser Gott vollbringt Wunder der Gnade; mögen unsere Lobgesänge sie immer aufs Neue erzählen. - Aus Schriftworten wie dem vorliegenden sollten gerade diejenigen, die in ihrem eigenen Urteil die Niedrigsten sind, mächtige Ermutigung schöpfen. Der HERR schüttet Verachtung auf Fürsten (Ps. 107,40); aber auf Menschenkinder, die im Staube liegen, blickt er voll Erbarmen nieder, handelt überaus gnädig an ihnen und erweist an ihnen den Reichtum seiner Herrlichkeit in Christo Jesu. Alle, die solch erstaunliche Huld erfahren haben, sollten dem Gott ihres Heils ein Hallelujah nach dem andern singen.

9. Der die unfruchtbare (Frau) des Hauses als fröhliche Kindermutter sesshaft macht. (Grundtext) Die Morgenländer, und sonderlich die Erben der dem Abraham gegebenen Verheißung, hatten ein mächtiges Verlangen nach Kindersegen; daher begrüßten sie die Geburt von Sprösslingen als das größte Glück, während Unfruchtbarkeit als ein Fluch angesehen ward. Deshalb ist dieser Vers an den Schluss gesetzt, um das Ganze zu krönen und in der Aufzählung von Wohltaten Gottes die oberste Stufe zu bilden. Der glorreiche HERR tut seine herablassende Gnade dar durch liebreiche Beachtung der Bedauernswerten, die wegen Unfruchtbarkeit, sei diese leiblich oder geistlich, Geringschätzung erdulden. Sarah, Rahel, die Frau des Manoah, Hanna, Elisabeth und andere sind lauter Beispiele davon, wie die Wunderkraft Gottes sich in wörtlicher Erfüllung des Psalmwortes erwiesen hat. Solange eine Ehefrau keinen Sohn hatte, war ihr noch kein Haus, d. i. keine Familie, erbaut; so hatte sie auch im Hause des Gatten keinen festen Stand, bis Gott ihr Kinder schenkte. In wie manchen Fällen aber ist es uns berichtet, wie der HERR solche im Verborgenen sich grämende kinderlose Frauen in Gnaden heimsuchte, indem er ihnen Kinder bescherte, so dass sie nun Hausmütter wurden, ja, ihnen ein beständiges Haus baute, so dass ihr Geschlecht sich durch die Jahrhunderte erhielt. Die in der Heidenwelt sich erbauende Missionsgemeinde unserer Tage ist ein geistliches Beispiel im großen Maßstabe von der Gabe der Fruchtbarkeit nach langen Jahren aussichtsloser Unfruchtbarkeit; und die judenchristliche Gemeinde der letzten Tage wird eine neue erstaunliche Entfaltung der gleichen belebenden Gotteskraft sein. Israel, das um seines geistlichen Ehebruchs willen so lange verstoßene, wird volle Vergebung erfahren, wird wieder in Gnaden angenommen und in seine Rechte eingesetzt werden, und fröhlich wird es dem Hause vorstehen, das ihm jetzt wüste gelassen ist. Aber damit ist die Anwendung des Textes nicht erschöpft: es gibt wohl keinen unter denen, die an den Herrn Jesus glauben, der nicht zuzeiten über seine klägliche Unfruchtbarkeit hätte trauern müssen; er war allem Anschein nach ein dürrer Baum, der seinem Herrn keine Frucht brachte - und doch, da der Heilige Geist ihn heimsuchte, fand sich’s auf einmal, dass er dem Stabe Aarons glich, der grünte und blühte und reife Früchte trug! (4. Mose 17,23) Ehe wir recht wussten, wie es zuging, hatten wir, die Unfruchtbaren, ein fröhlich Haus, darin der Herr Jesus herbergte, unsere Gnade vervielfältigte sich, als wären uns in einer Stunde viele Kinder geboren, und wir konnten uns freuen und fröhlich sein vor dem HERRN. Da staunten wir darüber, dass der HERR, der so hoch thront, geruht hatte, solch armselige Kreaturen, die zu nichts nütze schienen, so gnadenvoll heimzusuchen. Gleich Maria haben wir da unser Magnificat angestimmt und mit Hanna bekannt: Es ist niemand heilig wie der HERR, außer dir ist keiner; und ist kein Hort, wie unser Gott ist. (1. Samuel 2,2.)
  Hallelujah. Die Musik endigt mit dem Anfangsakkord. Der Psalm schließt sich zum Kreis, er preist den HERRN von der ersten Silbe bis zur letzten. Möge der Psalm unseres Lebens von gleicher Art sein und keine Unterbrechung, kein Ende kennen. In endloser Kette von Lobgesängen lasst uns den HERRN preisen, dessen Gnadenerweisungen nie aufhören. Lasst uns ihn loben in der Jugend und alle die Jahre der Manneskraft hindurch; und wenn wir im hohen Alter uns gleich den reifen Ähren neigen, lasst uns immer noch den HERRN preisen, der seine alt gewordenen Diener nicht abdankt. Lasst uns nicht nur selber Gott loben, sondern auch andere dazu ermuntern, wie es der Psalmdichter tut. Und wenn wir mit dem einen und andern jener Armen zusammentreffen, die reich gemacht worden, und jener Unfruchtbaren, die zu fröhlichen Kindermüttern geworden, so lasst uns gemeinsam mit ihnen den Namen dessen erheben, dessen Gnade ewiglich währt. Und als solche, die selber aus tiefster geistlicher Armut und Unfruchtbarkeit erhöht worden sind, lasst uns nie unseren ehemaligen Stand vergessen noch die Gnade, die uns heimgesucht hat, sondern in alle Ewigkeit den HERRN loben. Hallelujah!


Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzen Psalm. Mit diesem Psalm beginnt das Hallel, welches an den drei hohen Festen, an dem Tempelweihfest (Joh. 10,22) und den Neumonden rezitiert wird, nicht am Neujahrs- und Versöhnungstag, weil heiterer Lobgesang nicht zu dem düstern Ernste dieser Tage stimmt, und nur bruchstückweise in den letzten Passahfesttagen, denn "meine Geschöpfe", sagt der Heilige, gebenedeit sei er, "ertranken damals im Meer, und ihr solltet Jubellieder anstimmen?" In der Familienfeier der Passahnacht wird es halbiert, indem die eine Hälfte, Ps. 113; 114, vor der Mahlzeit vor Leerung des zweiten Festbechers, und die andere Hälfte, Ps. 115-118, nach der Mahlzeit nach Einschenkung des vierten Festbechers gesungen wird, worauf sich das u(mnh/santej ("da sie den Lobgesang gesprochen hatten") Mt. 26,30; Mk. 14,26 beziehen mag. Paulus Burgensis nennt Ps. 113-118 Alleluja Iudaeorum magnum, das große Hallel. Diese Benennung findet sich auch sonst häufig. Aber herrschender Sitte gemäß heißen Ps. 113-118 und insbesondere Psalm 115-118 nur Hallel, und den Namen "das große Hallel" führt Ps. 136 mit seinen 26 Kehrreimen: "Denn seine Güte währet ewiglich." Prof. Franz Delitzsch † 1890.


V. 1. Dies Loben Gottes beruht nicht auf bloßem Nachgrübeln über Gottes Vortrefflichkeit oder müßigem, beschaulichem Betrachten derselben, und es besteht nicht in hoch daher schwebenden Gedanken oder glatt hinfließenden schönen Worten, sondern hat zur Voraussetzung solch frische, lebhafte innere Erfassung der Hoheit und Herrlichkeit Gottes, dass die Gedanken und Begriffe tief ins Herz eindringen und dort Gemütsbewegungen hervorrufen, die ihnen angemessen sind, so dass wir ihn lieben wegen seiner Güte, ehren wegen seiner Erhabenheit, fürchten wegen seiner Gerechtigkeit, scheuen wegen seiner Macht, anbeten wegen seiner Weisheit und aller seiner Eigenschaften und in beständiger heiliger Ehrfurcht und treuem Gehorsam vor ihm wandeln. Das heißt Gott loben, und ohne das ist alles Knicksen und Hofieren vor ihm eitel Schmeicheln und Heucheln. Der Allmächtige hat uns dazu mit höheren und edleren Fähigkeiten begabt als andere Geschöpfe, dass wir sein Lob verkündigen. Denn wiewohl andere Dinge uns Stoff und Anlass zu Gottes Lob darreichen, ward doch der Mensch allein dazu ausersehen und befähigt, mit Bewusstsein und Willen auf Erden Gott zu verherrlichen. Und Gott hat seine eigene Herrlichkeit und unsere Glückseligkeit so eng miteinander verknüpft, dass wir, indem wir die eine zu Ehren bringen, zugleich auch die andere fördern. Matthew Hole † 1730.


V. 2.3. Welch tiefe Bedeutung gewann manches Wort auch dieses Psalms in dem Munde des Herrn Jesu bei dem letzten Passahmahle! Man vergleiche zu V. 2 z. B. das Wort des Herrn Joh. 13,31, nachdem der Verräter hinausgegangen war. Und mit welch heiterer Zuversicht sah Jesus auf die Frucht seiner Leiden, da des HERRN Name gepriesen werden sollte vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang durch das Zeugnis der Jünger und die, welche durch ihr Wort an ihn glauben sollten. Barton Bouchier 1856.


V. 3. Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang - überall, von Ost bis West. Unser Abendland soll nach dieser Weissagung sich der Anbetung Gottes erfreuen nach den Juden, deren Heimat das Morgenland war. Auch unsere (britischen) Inseln, die in dem Meer liegen, darin schon nach dem Ausdruck der alten griechischen Dichter die Sonne untergeht. Samuel Torshell 1641.
  Auch in Japan, dem "Lande der aufgehenden Sonne" (Nippon), soll der Name des HERRN gelobt werden. - James Millard


V. 4.5. Wie hoch ist denn der HERR? I. So hoch, dass alle Geschöpfe sich vor ihm neigen und ihm huldigen nach ihren verschiedenerlei Fähigkeiten. Der Seher Johannes führt sie uns alle vor: die vierundzwanzig Ältesten, die ihre güldenen Kronen von ihren Häuptern nehmen und sie vor dem Throne niederwerfen, die viel tausendmal tausend Engel, die vier Tiere oder Lebewesen, und alle Kreatur, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde ist und im Meer.
(Off. 4,4.10; 5,11-14) 1) Die einen Geschöpfe unterwerfen sich Gott freiwillig, die Engel und die Heiligen; sie neigen sich in Anbetung vor ihm und preisen seine Hoheit, während sie alle eigne Höhe in tiefer Demut verleugnen, und erkennen freudig seinen Willen als ihr oberstes Gesetz und als Ursprung ihrer eigenen Würde an. 2) Andere erkennen seine Erhabenheit unfreiwillig an durch die Bestürzung, von der sie erfasst werden, sobald seine Herrlichkeit sie auch nur mit einem Strahle trifft; alsbald zittern Teufel, Menschen beben. (Jak. 2,19; Jes. 33,14.) 3) Selbst die unbeseelte Schöpfung erkennt seine Größe an, indem sie sich den Einflüssen seiner Macht hingibt.
(Hab. 3,10.11; Jes. 48,13; Dan. 4,32.) II. Er ist so erhaben, dass er alle Fähigkeit der Geschöpfe, ihn begreifend zu erfassen, übertrifft (Hiob 11,7-9); ja seine Größe ist in der Tat unausforschlich, wie Ps. 145,3 sagt. Kurzum, er ist so hoch, dass 1) kein leibliches Auge ihn je gesehen hat noch sehen kann (1. Tim. 6,16), aber auch 2) das innere Auge, das Verständnis keines Geschöpfes ihn je völlig erschauen kann. Er wohnt in einem Licht, da niemand zukommen kann. Thomas Hodges 1642.


V. 5. Wer ist wie der HERR, unser Gott? Es ist der Liebe Art, dass sie spricht: "Wer ist wie mein Geliebter?" und darauf nur eine Antwort weiß: "In aller Welt ist seinesgleichen nicht". (Vergl. das Hohelied.) So denkt die Liebe stets, selbst von solchen, die in Wahrheit andern in vielen Stücken nachstehen; denn in Beurteilung der Menschen ist die Liebe, wie das Sprichwort sagt, blind. Wenn diejenigen aber, die den HERRN, ihren Gott, lieben, auch mit noch viel heißerer Inbrunst für ihn erglühend fragen würden: "Wer ist wie er?", so würden sie sich damit gerade als mit hellen Augen Sehende erweisen. Denn es gibt im Himmel und auf Erden in der Tat kein Wesen, das ihm irgend gleich käme. Ja, selbst die innigste Liebe zu Gott kann Gott nicht in seiner ganzen inneren Herrlichkeit erfassen und ausdenken, geschweige denn sein Wesen in Worte fassen. Wolfg. Musculus † 1563.
  Der Psalm sagt von Gott nicht nur, dass er hoch sei (V. 4), sondern auch, dass er sich hoch gesetzt habe, d. i. hoch throne. Das zeigt ruhiges, gesetztes Wirken an. Der Unglaube hat zu allen Zeiten dadurch einen Schein der Glaubwürdigkeit bekommen, dass Gott dem Anschein nach die Ausführung seiner Ratschlüsse, seiner Verheißungen und Drohungen verzieht. Nun hat Gott ja bereits deutlich genug bewiesen, dass er seine Worte erfüllt; die Hauptantwort aber ist, dass das Wesen, welches von Ewigkeit zu Ewigkeit ist, es nicht nötig hat, die Ausführung seiner Pläne zu übereilen. (Vergl. 2. Petr. 3,4-8.) Er thront in erhabener Höhe, und ihm sind alle seine Werke samt deren Zeiten und Stunden von Anfang her bewusst. Richard Watson 1831.


V. 5.6. Die Philosophie hat sich je und je zu hohen Anschauungen über das göttliche Wesen aufgeschwungen. Doch treffen wir, ob wir uns den Weisen der alten heidnischen Welt oder denen der Gegenwart zuwenden, auf die übereinstimmende Erscheinung, dass sie, je erhabener ihre Ansichten über Gottes Wesen sind, desto mehr zu Zweifel und Misstrauen neigen, und dass genau in dem Grade, als ihre Gedanken über Gott vornehm waren, auch der Eindruck sich bei ihnen vertieft hat, dass die Menschen, wenigstens als einzelne Individuen, nicht Gegenstand der unmittelbaren Fürsorge Gottes seien. Die Lehre von einer über den einzelnen waltenden Vorsehung und einer unmittelbaren göttlichen Einwirkung auf das Menschenherz ist ihnen stets abgeschmackt und schwärmerisch erschienen. Wenn ich mich jedoch den heiligen Männern zuwende, die ihre Weisheit der göttlichen Erleuchtung verdanken, so finde ich ein ganz anderes Ergebnis, dass nämlich ihre Zuversicht und Hoffnung im genauen Ebenmaß ist mit der Höhe ihrer Anschauungen von Gottes Herrlichkeit. Dass sich aus der gleichen Gedankenreihe zwei so entgegengesetzte Folgerungen ergeben, ist eine einzigartige Tatsache, die der Untersuchung wert ist. Die Antwort liegt darin, dass in unseren Versen zwei Behauptungen vorliegen, die die menschliche Vernunft aus sich nie vereinigen kann: Der so hoch thront - der seinen Blick tief hernieder richtet, also auch das Niedrigste nicht unbeachtet lässt, es vielmehr zum besonderen Gegenstand seines Augenmerks macht, V. 7 f. Die höchste Vereinigung dieser beiden Seiten des göttlichen Wesens, die nie in eines Menschen Herz kommen konnte, aber das Unvereinbare in vollste Harmonie und Einheit auflöst, ist Joh. 3,16 zu lesen. Richard Watson 1831.


V. 6. Gott der Höchste kann nicht über sich schauen, denn ihm ist niemand überlegen; auch kann er nicht um sich schauen, denn er hat seinesgleichen nicht. So richtet er denn seinen Blick hernieder, und je niedriger jemand ist in seinen eigenen Augen, desto näher ist er Gott. John Boys † 1625.
  Was immer von Gott ausgesagt werden kann, das kann ihm im höchsten, unbegrenzten Maße zugeschrieben werden; was Gott ist, das ist er unendlich. So ist Gott auch an Herablassung, an Demut vollkommen und unendlich über alle unsere Fassungskraft und über alle Vergleiche erhaben. Setzen uns manche Beispiele der göttlichen Herablassung in Verwunderung, so mag es uns ganz außer Fassung bringen, wenn wir sehen, wie der erhabene König des Himmels sich von seiner Höhe niederneigt, um seinen Geschöpfen, die sich wider ihn empört haben, die Versöhnung anzubieten, Mensch wird, um selber ihre Schuld zu sühnen, ja sie nun bitten und überreden lässt, doch in die Versöhnung einzugehen, als ob sein Leben mit dem ihrigen unlöslich verknüpft wäre und seine Seligkeit von ihrem Glück abhinge; wenn wir sehen, wie der anbetungswürdige Geist Gottes sich mit unendlicher Langmut der Missachtung und den Beleidigungen solch verächtlicher Elenden aussetzt, wie wir dem Tode verfallene Sünder es sind! Ist das nicht erstaunlich? Valentin Nalson † 1724.


V. 7. Er erhöht den Armen. Das Evangelium darf mit Auszeichnung und im Unterschied von anderen Religionen die Religion der Armen genannt werden. Das ist sein höchster Ruhm. Man vergleiche, wie der Herr Jesus zum Erweis seiner göttlichen Sendung gegenüber den Gesandten des Täufers die Aufzählung seiner Wundertaten mit den Worten abschließt: Und den Armen wird das Evangelium gepredigt. (Mt. 11,5) Das ist ein ebenso großes Wunder, ein ebenso großes Wahrzeichen seines Messiasberufs, wie irgendeins der andern. Einzig die wahre Religion, im Alten wie im Neuen Bunde, nimmt gleiche Rücksicht auf alle Klassen der Gesellschaft. In allen andern Religionen gab und gibt es eine bevorzugte Klasse; hier aber ist keine. Es gibt vielleicht keine Seite, von der aus das Christentum sich uns anziehender und lehrreicher darbietet, als wenn wir betrachten, wie sehr es der Denkungsart und den Umständen der Armen und Elenden angepasst ist. Richard Watson 1831.
  Wahrlich, die Reichen regieren nicht auf Erden, sondern am meisten kommen empor, die der HERR hervorzieht als arme Aschenbrödel, welche herrschen in der Welt. Martin Luther † 1546.
  Die höchste Ehre, die je einem Geschöpf zuteil ward, ward gerade in Ansehung der tiefsten Niedrigkeit erwiesen: Der Sohn Gottes würdigte die Niedrigkeit der gebenedeiten Jungfrau solcher Aufmerksamkeit, dass er ihr die Ehre antat, sie zur Mutter seiner heiligen Menschheit zu erwählen. Und Chrysostomus bemerkt einmal, der Herr Jesus habe eben die Hand, die der demütige Täufer nicht für wert hielt, die Schuhriemen an den Füßen unseres erhabenen Erlösers zu lösen, für würdig erachtet, sein heiliges Haupt zu taufen. Valentin Nalson † 1724.
  Der Staub ist nach 1. Kön. 16,2 (vergl. 14,7) Bild des niedrigen Standes, und der Kehrichthaufen Bild der tiefsten Armut und Verlassenheit, denn auf diesem, dem Dünger- oder Aschenhaufen, liegt in Syrien und Palästina der von der Gesellschaft Ausgeschlossene, am Tage die Vorübergehenden um Almosen anrufend, und nachts sich in die von der Sonne erwärmte Asche bergend. Prof. Franz Delitzsch † 1890.


V. 9. Tritt der Fall ein, dass eine verheiratete Frau, die lange für unfruchtbar gegolten hat, Mutter wird, so ist ihre, ihres Mannes und ihrer Gefreundten Freude über alle Maßen groß. "Man hat sie ,Krankheit’ (Unfruchtbarkeit) genannt; aber sie hat uns gute Frucht gegeben." "Sonst wiesen die Nachbarn mit Fingern auf mich und nannten mich ,Krankheit’; aber was werden sie jetzt sagen!" Von jemand, der aus irgendeinem Anlass überschwängliche Freude zeigt, sagt man, er gebärde sich wie ein unfruchtbares Weib, das endlich ein Kind geboren hat. Etwas außerordentlich Wertvolles wird etwa beschrieben: "Das ist so kostbar wie der Sohn der Unfruchtbaren", d. h. eines Weibes, das lange für unfruchtbar gehalten worden war. Joseph Roberts 1844.
  Wie Niedrigkeit der Geburt und des Standes bei den Männern für ein großes Unglück gehalten wird, so Unfruchtbarkeit bei den Frauen. Aber wie Gott den Armen vom Kehrichthaufen erhöht, um ihn neben Fürsten zu setzen (V. 7 f.), so macht er auch die Unfruchtbare zur fröhlichen Kindermutter. Er lenkt alles, im engen Familienkreis wie im öffentlichen Leben. Kinder sind eine Gabe des HERRN (Ps. 127,3), und die Römischen, die zu der heiligen Anna um Kinder beten, sind daher ebenso im Irrtum wie die Heiden, die deshalb die Diana, Juno oder Latona anriefen. John Boys † 1625.
  Die Unfruchtbare ist die arme, verlassene, betrübte Gemeinde Christi, die von der falschen Kirche unterdrückt, geschmäht und verfolgt wird und als nutzlos, elend und unfruchtbar betrachtet wird, weil jene größer und volkreicher ist und in der Tat den größten Teil der Welt einnimmt. Josua Arndt † 1685.
  Hallelujah! Schon das Hören von den trostreichen Wandlungen, die der HERR die Bedrückten und Bekümmerten erfahren lassen kann und erfahren lässt, ist eine Erquickung für alle und ein Anlass, dass alle Gott preisen. David Dickson † 1662.


Homiletische Winke

Zum ganzen Psalm. Der Psalm enthält drei Teile. 1) Eine Aufforderung an die Knechte des HERRN, den HERRN zu loben,
V. 1. 2) Eine Vorschrift, wie und wo man ihn loben soll, V. 2.3) Die Gründe, die uns dazu bewegen sollen. a) Gottes unendliche Macht, V. 4.5. b) Seine Güte, wie sie sich im Himmel und auf Erden erweist, V. 6-9. Adam Clarke † 1832.
  Aus der (mit den beiden Hallelujah) sechsmal in diesem Psalm wiederholten Aufforderung, den HERRN zu loben, mögen wir lernen, 1) wie wichtig es ist, den HERRN zu preisen, 2) wie viele Verpflichtungen wir dazu haben, 3) dass wir darin manche Versäumnis nachzuholen haben, 4) wie herzlich und wie häufig wir den HERRN preisen sollten, 5) dass es nötig ist, auch andre zu ermuntern, sich mit uns in Gottes Lob zu vereinigen.

V. 1. 1) Wem Lob gebührt. 2) Von wem. 3) Wofür: für seinen "Namen", für alle Offenbarung a) über sein Wesen, b) über das, was er seinen Knechten sein will. George Rogers 1878.
V. 1.9. Hallelujah, preiset den HERRN. 1) Beginnt und schließt das Leben und jeden Lebenstag mit dem Lobe Gottes, desgleichen jeden Gottesdienst, alle Arbeit für den Meister, jede Leidenszeit usw. 2) Füllt auch die Zwischenzeit mit Gottes Lob. (Man überblicke die Zwischenverse.)
V. 2. 1) Das köstliche Werk des Himmels (den HERRN zu preisen) werde auf Erden begonnen: Von nun an. 2) Das auf Erden begonnene Werk wird im Himmel fortgesetzt werden: bis in Ewigkeit. Werden wir dort sein, um daran teilnehmen zu können? George Rogers 1878.
  1) Es ist jetzt Zeit, dass wir beginnen, den HERRN zu preisen. Haben wir nicht besondere Ursache dazu, weil wir schon lange damit rückständig sind oder weil uns die Gegenwart neue Verpflichtungen dazu auferlegt usw.? 2) Dagegen gibt es keine Zeit, da wir damit aufhören könnten. Keine solche Zeit denkbar, keine Umstände ein Entschuldigungsgrund.
V. 3. Der Name des HERRN sei gelobt a) den ganzen Tag, b) in aller Welt, c) im Licht der Öffentlichkeit, d) mitten in den täglichen Pflichten, e) ohne Unterbrechung - denn irgendwo ist es stets Tag.
  Aus diesem Vers schließen wir: 1) die Aufhebung der besonderen heiligen Zeiten; 2) die Aufhebung der besonderen heiligen Orte. 3) Das Ziel demnach: allezeit heilige Zeit, überall heilig Land.
V. 5.6. 1) Die Größe Gottes, von hienieden beschaut, V. 5. 2) Die Herablassung Gottes, von oben her besehen, V. 6, und zwar wie sie sich kundtut a) in der Schöpfung, b) in der Menschwerdung, c) in der Erlösung. George Rogers 1878.
  Die unvergleichliche Herablassung Gottes. 1) Niemand ist so groß wie er und darum imstande, sich so tief herniederzubeugen. 2) Niemand ist so gut wie er und darum so willig, sich herabzulassen. 3) Niemand ist so weise wie er und darum so fähig, die Bedürfnisse der Niedrigen zu erkennen. 4) Niemand ist unendlich wie er und darum fähig, sich so in die geringsten Einzelheiten einzulassen und auch den kleinsten Kummer mitzufühlen. Die Unendlichkeit erweist sich im Kleinen ebenso wie im unermesslich Großen.
V. 6. 1) Derselbe Gott regiert im Himmel wie auf Erden. 2) Beide Weltgebiete sind für ihr Glück gleich abhängig davon, dass er auf sie sieht. 3) Beide erfreuen sich seiner fürsorgenden Beachtung. 4) Alles, was in beiden geschieht, steht gleichermaßen unter seiner Aufsicht.
V. 7. Das Evangelium und sein besonderes Augenmerk auf die Armen.
V. 7.8. 1) Wo befinden sich die Menschen von Natur? Im Staub des Elends und im Kot der Sünde. 2) Wer nimmt sich ihrer an? Er, der so hoch thront, V. 5. 3) Was tut er an ihnen? Er richtet sie auf, erhöht sie, setzt sie neben Fürsten, neben die Fürsten seines Volks.
V. 8. Erhebung in den himmlischen Adel.
V. 9. Für Mütterversammlungen. Eine fröhliche Kindermutter. 1) Es ist eine Freude, Mutter zu sein. 2) Sonderlich ist es eine Freude, lebende, gesunde, gehorsame Kinder zu haben. 3) Das Beste aber ist, gläubige Kinder zu haben. Preis gebührt dem HERRN, der solche Segnungen gibt.