Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 19 (Auslegung & Kommentar)


Inhalt

Es wäre ein müßiges Beginnen, darüber Untersuchungen anzustellen, in welchem Lebensabschnitt David dies köstliche Gedicht abgefasst haben mag; denn weder in der Überschrift, noch im Inhalt ist ein Anhaltspunkt für derartige Nachforschungen zu finden. Die Überschrift: Ein Psalm Davids, vorzusingen, meldet uns, dass David es verfasst und dem Sangmeister des Heiligtums zur Verwendung im öffentlichen Gottesdienste übergeben hat. Der königliche Psalmsänger hatte sich in seinen jungen Jahren, als er noch die Schafe seines Vaters hütete, dem Studium der beiden großen göttlichen Bücher - der Natur und der heiligen Schrift - hingegeben, und er war so völlig in den Geist dieser beiden einzigen Bände seiner Bibliothek eingedrungen, dass er, wie kaum einer, befähigt war, sie in heiliger Kritik miteinander zu vergleichen und eins dem andern gegenüberzustellen und zwar zur Verherrlichung ihres gemeinsamen Verfassers, der seine Erhabenheit in beiden zu erkennen gibt. Wie töricht und gottlos ist es doch, statt die beiden ehrwürdigen Bände dankbar entgegenzunehmen und mit Freuden in beiden dieselbe göttliche Hand zu erkennen, allen Scharfsinn daran zu wenden, um Verschiedenheiten und Widersprüche zwischen ihnen aufzufinden. Wir mögen ganz gewiss sein, dass die wahren "Spuren der Schöpfung" der Genesis (dem 1. Buche Mose) in keinem Stück widersprechen und ein richtiger "Kosmos" niemals in irgendetwas Wesentlichem von dem Schöpfungsbericht des Mose abweichen wird. Gelehrt sein heißt nicht immer weise sein. Wahre Weisheit legt der an den Tag, der beide, das Buch der Welt und das Buch des Wortes, als zwei Bände eines Werkes liest und dabei von der Empfindung durchdrungen wird: Mein Vater in den Himmeln hat sie beide geschrieben.

Einteilung. Der Psalm zerfällt in drei Abschnitte: Die Schöpfung offenbart Gottes Herrlichkeit V. 2-7, das Wort offenbart seine Gnade V. 8-12; V. 13-15; erbittet David sich Gnade. So verbinden sich in dem Psalm Lobpreis und Bitte miteinander; der Dichter, der die Werke Gottes in der Welt um ihn her besungen hat, fleht am Schluss, dass die göttliche Gnade in seinem Herzen ihr herrlichstes Werk treibe.


Auslegung

2. Die Himmel erzählen die Ehre Gottes,
und die Feste verkündigt seiner Hände Werk.
3. Ein Tag sagt’s dem andern,
und eine Nacht tut’s kund der andern.
4. Es ist keine Sprache noch Rede,
da man nicht ihre Stimme höre.
5. Ihre Schnur gehet aus in alle Lande,
und ihre Rede an der Welt Ende;
er hat der Sonne eine Hütte an ihnen gemacht;
6. und dieselbe gehet heraus, wie ein Bräutigam
aus seiner Kammer,
und freut sich, wie ein Held zu laufen den Weg.
7. Sie gehet auf an einem Ende des Himmels
und läuft um bis wieder an sein Ende
und bleibt nichts vor ihrer Hitze verborgen.


2. Die Himmel erzählen die Ehre Gottes. Das Buch der Natur hat drei Blätter: Himmel, Erde und Meer; von diesen dreien ist der Himmel das erste und herrlichste Blatt, und mit seiner Hilfe vermögen wir die Schönheiten der beiden andern recht zu erkennen. Jedes Buch würde ohne sein erstes Blatt in bedenklicher Weise unvollständig sein, insonderheit aber die große Bibel der Natur, da ihre erste Seite, Sonne, Mond und Sterne, auf den ganzen übrigen Teil des Werkes Licht wirft und so der Schlüssel zu diesem Buche ist, ohne den die Schrift auf den folgenden Blättern dunkel bliebe und nicht zu entziffern wäre. Der Mensch ist mit seinem aufrechten Gang offenbar dazu geschaffen, den Himmel, der sich über ihm wölbt, zu erforschen und wer im Buche der Schöpfung zu lesen beginnt, indem er die Sterne durchforscht, fängt das Buch an der rechten Stelle an.
  Das Wort die Himmel steht im Hebräischen stets in der Mehrzahl wegen der Mannigfaltigkeit der überirdischen Schöpfungsgebiete. Es sind darin begriffen der Wasserhimmel mit seinen Wolken von unzählig mannigfaltiger Gestaltung, der Lufthimmel mit seiner Abwechslung von Stille und Sturm, der Sonnenhimmel mit an dem Glanz des Tages und der Sternenhimmel mit all den Wundern der Nacht. Was aber erst der Himmel Himmel sein mag, das ist in keines Menschen Herz gekommen; doch erzählt dort in vollendetster Weise alles die Ehre Gottes. Jeder Teil der Schöpfung hat mehr Belehrung in sich, als der Menschengeist je ausschöpfen wird; aber das Gebiet der Himmel ist eine besonders reiche Fundgrube geistlicher Wissenschaft. Die beiden Zeitwörter des Verses stehen im Hebräischen in der Partizipialform, um anzudeuten, dass es sich um ununterbrochen fortdauernde Bezeugungen handelt. Fort und fort lassen die himmlischen Herolde, die hoch droben über der Welt dahinwandeln, ihren Ruf erschallen und bezeugen Gottes Dasein und seine Macht, Weisheit und Güte. Wer Gottes Erhabenheit ahnen möchte, der blicke zu dem sternbesäten Gewölbe über sich empor; wer die göttliche Weisheit zu sehen begehrt, erwäge das wunderbare Gleichgewicht der Himmelskörper; wer Gottes Treue erkennen möchte, beachte die Regelmäßigkeit des Ganges der Planeten; und wer einen Begriff von Gottes Macht, Größe und Majestät gewinnen will, der suche die geheimnisvolle Anziehungskraft und Abstoßungskraft dieser Welten, die unermessliche Größe der Fixsternwelt und den hehren Schönheitsglanz des ganzen himmlischen Heeres abzuschätzen und zu würdigen. Die Himmel erzählen aber nicht nur von Herrlichkeit, sondern von Gottes Herrlichkeit. Sie liefern uns so unumstößliche Beweise für das Dasein eines selbstbewussten und anweisen Schöpfers, der dies wunderbare Weltall geplant hat und es am Zügel hält und regiert, dass jeder, der nicht in Vorurteilen befangen ist, dadurch überzeugt werden muss. Das Zeugnis der Himmel ist nicht ein bloßer Wink, sondern eine deutliche, unmissverständliche Verkündigung: Sie erzählen als lebendige Zeugen die Schöpferehre Gottes und zwar beständig, ununterbrochen. Aber was für Nutzen hat auch das lauteste Zeugnis für einen Tauben oder der deutlichste Hinweis für einen geistlich Blinden? Der Heilige Geist muss uns erleuchten; sonst werden alle die Millionen von Sonnen, die die Milchstraße dem Auge durchs Fernrohr zeigt, uns Gott nicht näher bringen.
  Und die Feste verkündigt seiner Hände Werk, das ist, was seine Hände geschaffen haben und schaffen können. Das weithin über die Erde ausgebreitete Himmelsgewölbe tut Gottes Meisterschaft kund; denn der unermessliche Raum ist voll von unnachahmlichen Kunstwerken der göttlichen Schöpferhand. Dem großen schaffenden Geist werden Hände zugeschrieben, um damit die Sorgfältigkeit und Kunstmäßigkeit seines Wirkens anzuzeigen und der armseligen Fassungskraft von uns Sterblichen entgegenzukommen. Es ist demütigend zu sehen, dass selbst die frömmsten und erleuchtetsten Geister, wenn sie ihren erhabensten Gedanken über Gott Ausdruck zu geben wünschen, dazu Worte und Bilder gebrauchen müssen, die der Erde entnommen sind. Wir sind Kinder am Verständnis und müssen ein jeder für sich bekennen: Ach, ich urteile und rede wie ein Kind (vergl. 1. Kor. 13,11)! - Am Himmelszelt droben lässt Gott gleichsam sein Sternenbanner wehen, als Zeichen, dass der König in seinem Palast ist; dort ist sein Wappenschild ausgehängt, dass die Gottesleugner sehen mögen, wie er ihre Kriegserklärung gegen ihn verachtet. Wer zum Sternenzelt aufblickt und sich dennoch für einen Atheisten ausgibt, brandmarkt sich im selben Augenblick entweder als Blödsinnigen oder als Lügner. Es ist zu sonderbar, dass es unter denen, die Gott lieben, Leute gibt, die sich davor fürchten, das herrliche Buch der Natur, das doch Gottes Schöpferehre und seine Meisterschaft verkündet, zu erforschen. Die falsche Geistlichkeit etlicher Gläubigen, die zu himmlisch sind, um die Himmel zu betrachten, hat dazu beigetragen, dem prahlerischen Geschwätz der Ungläubigen, als ob die Natur der Offenbarung widerspräche, einen Anstrich von Berechtigung zu geben. Die weisesten Menschen sind die, welche mit frommem Eifer den Fußspuren des Ewigen sowohl im Reich der Schöpfung als im Reich der Gnade nachgehen; nur Toren haben Angst, es könnte ein ehrliches Erforschen der Natur dem Glauben an Gottes Offenbarung im Wort schädlich sein. James Mac Cosh sagt (1850) gut: "Die Bemühungen, Gottes Werke gegen sein Wort aufzuspielen und dadurch Eifersüchteleien zu erregen, auszubreiten und zu verewigen, die geeignet sind, Parteien zu trennen, welche in engster Gemeinschaft leben sollten, haben uns oft mit Trauer erfüllt. Ganz besonders haben wir es stets bedauert, dass es Leute gibt, welche die Natur herabsetzen zu sollen glauben, um dadurch das Wort Gottes zu erheben; wir haben darin nie etwas anderes sehen können als das Herabwürdigen eines Teils der Werke Gottes in der Hoffnung, dadurch den andern Teil im Werte zu erhöhen und zu empfehlen. Man sehe Wissenschaft und Glauben doch nicht als zwei feindliche Burgen an, die sich gegenseitig Trotz bieten und deren Besatzungen gegeneinander drohend die Waffen schwenken. Sie haben zu viele gemeinsame Feinde - wenn sie nur daran denken wollten - wie Unwissenheit und Vorurteile, Leidenschaften und Laster in allen ihren Gestalten, als dass sie ihre Kraft in nutzloser gegenseitiger Befehdung vergeuden dürften. Die Wissenschaft hat eine feste Grundlage und der Glaube desgleichen; vereinigen sie sich miteinander, so wird die Basis breiter und Wissenschaft und Glaube bilden dann zwei Teile eines mächtigen, Gott zu Ehren errichteten Baues. Der eine sei der äußere, der andere der innere Vorhof. In dem einen mögen alle schauen und bewundern und anbeten; im andern mögen die, welche im kindlichen Verhältnis des Glaubens stehen, niederknien und beten und lobpreisen. Das eine sei das Heiligtum, wo menschliche Gelehrsamkeit ihren köstlichsten Weihrauch Gott als Opfer darbringt; das andere sei das von jenem durch den nun zerrissenen Vorhang getrennte Allerheiligste, wo wir die Liebe unserer versöhnten Herzen auf dem blutbesprengten Gnadenthron ausschütten und die Offenbarungen des lebendigen Gottes mit geöffnetem Ohr vernehmen."

3. Ein Tag sagt’s dem andern, und eine Nacht tut’s kund der andern. Der eine Tag nimmt gleichsam die Erzählung da wieder auf, wo der andere sie abgebrochen, und jede Nacht überliefert der nächsten die wunderbare Nachricht. Der Grundtext lautet genauer: Ein Tag sprudelt dem andern Rede oder Botschaft zu. Jeder Tag ist gleichsam eine übersprudelnde Quelle, aus der Jahwes Lobpreis auf den andern überquillt. O dass wir oft an diesem Himmelsbrunnen trinken und es der Natur ablernen mögen, die Herrlichkeit Gottes zu verkündigen. Die Zeugen droben am Firmament kann niemand mundtot machen. Von ihren erhabenen Kanzeln predigen sie, unbeirrt von den Urteilen der Menschen, beständig die Kenntnis Gottes (Röm. 1,19 = hier). Selbst der Wechsel von Tag und Nacht hat eine stumme Beredsamkeit und Licht und Schatten offenbaren eins wie das andere den Unsichtbaren. Mögen die Wechsel unseres Lebens uns denselben Dienst leisten. Lasst uns den Gott preisen, der uns Freudentage schenkt; aber lasst uns auch Ihn erheben, der uns Lobgesänge gibt in der Nacht (Hiob 35,10)!
  Tag und Nacht geben uns viele Lehren, die zu beherzigen allen Menschen heilsam wäre. Kein Tag sollte vorübergehen und keine schlaflose Stunde der Nacht, ohne dass wir uns des eilenden Fluges der Zeit, des wechselvollen Wesens aller irdischen Dinge, der kurzen Dauer unserer Freuden und Leiden, der Kostbarkeit des Lebens, unseres gänzlichen Unvermögens, die entflohenen Stunden zurückzurufen, und des unaufhaltsamen Herannahens der Ewigkeit erinnern. Der Tag ruft uns zum Wirken auf; die Nacht mahnt uns zur Bereitung auf unsere letzte Ruhestätte. Der Tag gebietet uns, für Gott zu arbeiten; die Nacht lädt uns ein, in ihm zu ruhen. Der Tag fordert uns auf, jenem Tage entgegenzusehen, der kein Ende hat; die Nacht predigt uns, der Nacht zu entrinnen, die auch kein Ende hat.

4. Es ist keine Sprache noch Rede, da man nicht ihre Stimme höre. So fassen Luther, Calvin und andere den Sinn.1 Auf Erden gibt’s der Sprachen viele, am Himmelszelt nur eine, und diese eine ist jedem verständlich, der ihr sein Ohr leiht. Die tiefstgesunkenen Völker haben keine Entschuldigung, wenn sie die unsichtbaren Eigenschaften Gottes nicht an seinen Werken erschauen (Röm. 1,20). Sonne, Mond und Sterne sind Gottes Wanderprediger; sie sind Apostel des unsichtbaren Ewigen, die auf ihrer Wanderschaft die Seelen derer stärken, die auf den Herrn achten, und sie sind Richter, die sich auf der Rundreise befinden, um alle zu verurteilen, welche die Götzen anbeten.
  Nach wörtlicher Übersetzung lautet der Vers: (Es gibt da) nicht Rede und (es gibt da) nicht Worte; nicht gehört (ungehört) ist ihre Stimme.2 Das will nach unserer Auffassung sagen: Die Unterweisung der Himmel richtet sich nicht an das Ohr, sie äußert sich nicht in artikulierten Lauten; es ist eine Predigt in Bildern, die sich an Auge und Gemüt wendet. Sie trifft nicht den Sinn, durch den vornehmlich der Glaube kommt, denn der Glaube kommt e)x a)koh=j aus der durch das Ohr vernehmbaren Predigt (Röm. 10,17). Jesus Christus wird das Wort genannt; er ist eine weit deutlichere Offenbarung der Gottheit, als alle Himmel uns geben können. Sie sind immerhin doch nur stumme Lehrmeister. Weder die Sonne noch die Sterne können ein Wort hervorbringen; Jesus aber ist das sprechende Bild Jahwes und sein Name heißt das Wort Gottes (Off. 19,13).

5. Ihre (Mess-)Schnur gehet aus in alle Lande, und ihre Rede (ihre Worte, im Grundtext steht die Mehrzahl) an der Welt Ende. Wiewohl die Himmelskörper in erhabenem Schweigen ihre Bahnen wandeln, lassen sie das Ohr des Verständigen dennoch kostbare Lehren vernehmen. Ihre Kundgebungen ergehen nicht buchstäblich in Worten, sind aber deutlich genug, dass sie als Rede bezeichnet werden können. Die Sprache der Natur gleicht der Zeichensprache der Taubstummen; die Gnade aber verkündigt uns frei heraus vom Vater (Joh. 16,25). Die Messschnur zeigt das Gebiet an, das von diesen himmlischen Predigern beherrscht wird: ihre Verkündigung ergeht über die ganze Erde, bis an das äußerste Ende des Erdkreises. Keiner, der unter der Kuppel des Himmelsdomes lebt, wohnt außerhalb des Sprengels dieser Hofprediger der himmlischen Majestät. Dem Licht der Boten des Evangeliums, die wie Sterne in der Hand des Menschensohnes sind (Off. 1,20), kann man sich leicht entziehen; aber selbst dann werden solche, deren Gewissen noch nicht verhärtet ist, in den stillen Sternen der Nacht einen Nathan finden, der sie anklagt, einen Jona, der sie warnt, einen Elia, der sie schreckt. Auf begnadete Seelen aber wirken die Stimmen der Himmel noch weit kräftiger ein. Sie fühlen den milden Einfluss der Plejaden und die leuchtenden Bande des Orion ziehen sie mit Macht zu ihrem himmlischen Vater.
  Er hat der Sonne eine Hütte an ihnen gemacht. Mitten am Himmel hat der Sonnenball3 sein Feldlager aufgeschlagen und gleich einem mächtigen Herrscher wandelt er seine glorreiche Bahn. Er hat keinen festen Wohnplatz, sondern ist ein Wanderer, der seine Hütte aufschlägt und abbricht. Dies Zelt wird bald für immer abgerissen und wie ein Buch zusammengerollt werden (Jes. 34,4; Off. 6,14). Wie das Zelt des Königs im Mittelpunkt des Kriegslagers stand, so erscheint die Sonne als der König inmitten der ihr Gefolge bildenden Sterne.

6. Und dieselbe3 gehet heraus, wie ein Bräutigam aus seiner Kammer. Der Bräutigam tritt an seinem Ehrentag in prächtigem Gewand aus seiner Kammer hervor; sein Antlitz erstrahlt von Freude, so sehr, dass seine ganze Umgebung auch mit Freude erfüllt wird. So, aber in einer alles Irdische überstrahlenden Pracht, tritt die aufgehende Sonne hervor. Und freuet sich, wie ein Held zu laufen den Weg. Wie ein Kämpe, der zum Wettlauf gegürtet ist, sich voll Lust zum Laufe anschickt, so ein die Sonne mit unvergleichlicher Regelmäßigkeit und unermüdlicher Schnelligkeit in der ihr vorgezeichneten Bahn vorwärts. Es ist ihr ein Spiel; niemand kann die geringste Spur von besonderer Anstrengung, von Nachlassen der Kräfte oder gar von Erschöpfung an ihr bemerken. Keine andere Kreatur verbreitet so viel Freude über die Erde wie ihr Bräutigam, der Sonnenball, und kein Geschöpf, weder Ross noch Adler, kann an Schnelligkeit auch nur einen Augenblick mit diesem himmlischen Helden wetteifern. (Über die Schnelligkeit als Heldeneigenschaft vergl. zu Ps. 18,34) Aber an die Herrlichkeit der Sonne ist nur ein Abglanz der Herrlichkeit Gottes; sogar sie leuchtet nur in geborgtem Licht, in dem Lichtglanz, den sie von dem großen path`r tw=n fw/twn dem Vater der Lichter (Jak. 1,17), empfängt.

  Lobe deinen Schöpfer,
  Himmel, lobe prächtig,
  Wie er ist von Taten mächtig;
  Licht der Sonne, wandle
  Deine Himmelskreise
  Ihm, dem Herrn des Nichts, zum Preise.

7. Sie gehet auf an einem Ende des Himmels, und läuft um bis wieder an sein Ende. Sie trägt ihr Licht bis zu den Grenzen des sichtbaren Himmels, indem sie die Bahn des Tierkreises festen Schrittes durchwandelt, und verwehrt ihr Licht keinem, der in ihrem Bereich wohnt. Und bleibt nichts vor ihrer Hitze verborgen. Oben, unten und ringsumher macht sich die Sonnenwärme geltend. Die Tiefen der Erde sind angefüllt mit den uralten Erzeugnissen der Sonnenstrahlen (den Kohlen) und noch heute empfinden die innersten Höhlen der Erde die Macht der Sonne. Wo dem Licht der Zutritt versagt ist, bahnen doch die Wärme und andere, zartere Einflüsse sich den Weg.
  Es ist ohne Zweifel nach dem Sinn des Dichters, wenn wir zwischen dem Himmel der Gnade und dem Himmel der Natur eine Parallele ziehen. Der Lauf der göttlichen Gnade ist erhaben, weltumfassend und voll der Herrlichkeit Gottes. Wo immer die Gnade sich zeigt, ist sie anbetender Bewunderung und eifrigen Erforschens wert. Beides, ihr Licht und ihr Schatten, sind lehrreich. Sie ist in gewissem Maß allen Völkern verkündet worden und wird zu Gottes Zeit noch völliger bis zu den Enden des Erdkreises bekannt gemacht werden. Wie sich unser ganzes Planetensystem um die Sonne bewegt, so ist Jesus der Mittelpunkt der göttlichen Offenbarungssphäre. Auch er wohnte als in einem Zelte unter den Menschen in seiner Herrlichkeit (Joh. 1,14; e)skh/nwsen e)n h(mi=n); auch ihm war es eine Freude, als der Bräutigam seiner Gemeinde sich den Menschen zu enthüllen und als ein Held sich Ruhm zu erwerben. Er macht in seinem Evangelium einen wunderbaren Rundlauf durch die Welt; die segensreichen Strahlen seiner Gnade dringen in die entferntesten Winkel der Erde und nicht einer suchenden Seele, mag sie noch so verborgen oder noch so tief gesunken sein, versagt er die erquickende Wärme seiner Liebe mit ihrer belebenden Wirkung. Sogar das Totenreich tief drunten wird die Macht seiner Gegenwart empfinden und wird die Leiber der Heiligen wiedergeben müssen und diese unsere verkommene Erde wird zu ihrer ursprünglichen Herrlichkeit wiederhergestellt werden.


8. Das Gesetz des Herrn ist vollkommen
und erquickt die Seele.
Das Zeugnis des Herrn ist gewiss
und macht die Unverständigen weise.
9. Die Befehle des Herrn sind richtig
und erfreuen das Herz.
Die Gebote des Herrn sind lauter
und erleuchten die Augen.
10. Die Furcht des Herrn ist rein
und bleibt ewiglich.
Die Rechte des Herrn sind wahrhaftig,
allesamt gerecht.
11. Sie sind köstlicher denn Gold
und viel feines Gold;
sie sind süßer als Honig
und Honigseim.
12. Auch wird dein Knecht durch sie erinnert;
und wer sie hält, der hat großen Lohn.

In den drei ersten Versen dieses Abschnitts haben wir eine kurze, aber lehrreiche Hexapla4, die sechs beschreibende Titel des Wortes Gottes enthält, durch welche sechs charakteristische Eigenschaften desselben und sechs Wirkungen dieser ins Licht gestellt werden. Die Auswahl der Namen des Gesetzes, sowie der Prädikate, welche die objektive Beschaffenheit desselben und seinen Einfluss aus das Menschenherz kennzeichnen, ist überaus treffend.

8. Unter dem Gesetz des Herrn haben wir nicht ausschließlich das Gesetz im engeren Sinn, sondern nach der nächsten Bedeutung von torah die göttliche Unterweisung oder Lehre im vollen Umfang, also das ganze Wort Gottes, nach seinem fordernden und züchtigenden, wie nach seinem verheißenden Inhalt, zu verstehen. Die von Gott geoffenbarte Lehre erklärt David für vollkommen, und doch besaß er nur einen sehr kleinen Teil der heiligen Schrift. Wenn schon ein Bruchstück, und zwar der düsterste und zumeist geschichtliche Teil, vollkommen ist, was muss das ganze Werk sein? Wie hochvollkommen ist dann das Buch, welches die denkbar klarste Darstellung der göttlichen Liebe enthält und uns einen freien Einblick in die erlösende Gnade gewährt, wenn schon das Gesetz des alten Bundes hier vollkommen heißt, das ist, wie Delitzsch bemerkt, makellos und arglos als schlechthin wohlmeinend, ganz und gar auf des Menschen Heil abzweckend. Auch das Evangelium kann ein Gesetz (Jes. 2,3; vergl. 1. Kor. 9,21; Gal. 6,2), eine Lebensordnung und eine Rechtsordnung der Gnade und des Heils genannt werden; und es ist vollkommen auch in dem Sinn, dass es dem hilfsbedürftigen Sünder alles darbietet, was seine jämmerliche Armut irgend bedarf. Es gibt weder Überflüssigkeiten noch Lücken in Gottes Wort und Heilsplan; warum versuchen Menschen denn diese Lilie zu bemalen und dies lautere Gold zu vergolden? Das Evangelium ist vollkommen in allen seinen Teilen und vollkommen als Ganzes; Frevel ist es, etwas hinzuzufügen, Verrat, daran zu ändern, und ein todeswürdiges Verbrechen, etwas davonzunehmen.
  Und erquickt die Seele (buchstäblich: führet zurück die Seele = Lebenskraft, vergl. 1. Samuel 30,12; Klgl. 1,11, was die englische Übersetzung, sowie manche ältere Ausleger, auch Luther 1519 und unter den neueren Stier, irrig aufgefasst haben: bekehret die Seele, zu welcher Übersetzung Spurgeon sagt:) Es führt den Menschen zu dem Urstand zurück, ans dem ihn die Sünde herausgeworfen hat. Die praktische Wirkung des Wortes Gottes ist, dass es den Menschen wieder zu sich selbst, sowie zu Gott und zur Heiligkeit zurückbringt. Und diese Umwendung oder Bekehrung ist nicht eine bloß äußerliche; die Seele macht eine Wandlung und Erneuerung durch. Das eine große Mittel der Bekehrung von Sündern ist das Wort des Herrn und je genauer wir uns in unserem Predigtamt an dieses halten, desto wahrscheinlicher wird unser Wirken erfolgreich sein. Es ist viel mehr Gottes Wort als der Menschen Auslegung desselben, was sich an den Menschenseelen so mächtig erweist. Das Gesetz treibt, das Evangelium zieht: Die Art des Wirkens ist verschieden, aber das Ziel ist das gleiche; denn durch den Geist Gottes wird die Seele dazu gebracht, dass sie sich der Wahrheit ergibt und ausruft: Bekehre du mich, so werde ich bekehrt (Jer. 31,18). Versuche doch die Kraft der Philosophie und der menschlichen Vernunftgründe an dem Herzen des gefallenen Menschen: Es antwortet auf deine Bemühungen mit Hohnlachen. Das Wort Gottes ist’s, was so wunderbar und schnell die Herzen umwandelt.
  Das Zeugnis des Herrn ist gewiss. Gottes Wort ist das Zeugnis von Gottes Heiligkeit; es zeugt wider des Menschen Sünde und zeugt von dem Wesen der wahren Gerechtigkeit; es zeugt von des Menschen Fall und zeugt von seiner Wiederherstellung. Dieses Zeugnis ist zuverlässig (wörtlich), es ist klar, bestimmt, wahrhaftig und unfehlbar; es ist über allen Zweifel erhaben, wir dürfen und sollen es als ein völlig gewisses und festes Wort annehmen. Gottes Zeugnis in seinem Wort ist so gewiss, dass wir aus demselben festen, starken Trost (Hebr. 6,18) für Zeit und Ewigkeit schöpfen können; so gewiss, dass alle Angriffe auf dasselbe, so gewaltig oder spitzfindig sie immer sein mögen, niemals seine Kraft schwächen können. Welch ein Segen, in einer Welt voller Ungewissheit und Unzuverlässigkeit etwas zu haben, worauf wir bauen können! Wir eilen von dem Flugsand menschlicher Spekulationen auf die terra firma, den unbeweglichen Grund der göttlichen Offenbarung.
  Und macht die Unverständigen weise. Das hebräische Wort bezeichnet einen Menschen, der für jeden Eindruck offen steht, für Beschwätzung und Verführung sowohl (und so wird das Wort besonders in den Sprüchen gebraucht), wie auch für die göttliche Belehrung. Luther sagt 1519: "Die Unmündigen sind hier diejenigen, die einfältig und leicht zu bereden sind". Es sind die unwissenden und einfältigen Seelen, die noch Kinder am Verständnis sind, aber auch den für Gottes Unterweisung erforderlichen Kindessinn noch nicht verloren haben. Solch demütige, offenherzige, gelehrige Gemüter nehmen das Wort an und werden durch dasselbe weise zur Seligkeit (2. Tim. 3,15). Dinge, die den Weisen und Klugen verborgen sind, werden den Unmündigen geoffenbart (Mt. 11,25). Wer sich belehren lässt, wird weise; aber spitzfindige Kritiker bleiben Toren. Es ist nicht genug, dass wir bekehrt sind; wir müssen Schüler des göttlichen Zeugnisses im Wort werden und bleiben. Haben wir die Macht der Wahrheit in unseren Herzen empfunden, so gilt es, nun auch die Gewissheit derselben durch Erfahrung zu erproben. Die Vollkommenheit des Wortes bekehrt die Seelen; seine Zuverlässigkeit erbaut. Wollen wir wahrhaft durch dasselbe erbaut werden, so ziemt es uns, nicht durch Unglauben an der Verheißung zu zweifeln (Röm. 4,20); denn ein Evangelium, dem wir nicht volles Vertrauen entgegenbringen, kann uns nicht weise machen; nur Wahrheit, von der wir eine gewisse Überzeugung haben, kann uns zur Befestigung dienen.

9. Die Befehle des Herrn sind richtig, buchstäblich: gerade. Gottes Anordnungen, seine Anforderungen an den Menschen sind begründet in Gottes Gerechtigkeit und "führen uns geradeswegs zum Ziele" (Luther); sie erweisen sich darum dem wieder zurechtgebrachten Menschenverstand auch als richtig und gut. Das Wort Gottes ist der geschickte Arzt, der dem Kranken die richtige Arznei gibt; es ist der Wegweiser, der dem Irrenden den richtigen und geraden Weg zeigt. Und erfreuen das Herz. Welche Freude erfüllt den Wanderer, wenn er sich auf dem richtigen Weg zum Ziele weiß! Die freie Gnade macht das Herz fröhlich. Erdenlust färbt wohl die Wangen und lässt den Mund übersprudeln; Himmelslust aber befriedigt den inneren Menschen und füllt seinen Geist mit überfließender Wonne. Es gibt nichts Herzstärkenderes als einen Labetrunk aus dem lauteren Quell des Wortes Gottes.
  Die Gebote des Herrn sind lauter. Keine Beimischung von Irrtum trübt sie, kein Makel der Sünde besteckt sie; die Satzung des Herrn (Grundtext Einzahl) ist lautere, unverfälschte Milch (1. Petr. 2,2), unverdünnter Wein. (Etliche verstehen das Wort lauter von der Reinheit des Lichtglanzes, vergl. Hohelied 6,10: lauter wie Sonnenlicht.) Und erleuchtet die Augen. Durch seine Lauterkeit reinigt das Wort des Herrn die Unterscheidungskraft des Verstandes von der irdischen Schwerfälligkeit, die sie beeinträchtigt, und das Gemüt von der Schwermut, die unseren Blick verdunkelt. Mag das Auge trüb sein vor Kummer oder verschleiert durch die Sünde, - Gottes Wort ist ein geschickter Augenarzt; es macht das Auge klar und funkelnd. Schau in die Sonne: sie blendet dich; schaust du aber in Gottes Offenbarung, die heller strahlt als das Mittagslicht, so erleuchtet sie deine Augen. Die Reinheit des Schnees macht den Alpenwanderer schneeblind; aber die Reinheit der göttlichen Wahrheit hat die entgegengesetzte Wirkung: Sie heilt die natürliche Blindheit der Seele.

10. Die Furcht des Herrn ist rein wie gediegenes Gold. Ähnlich wie wir die Glaubensartikel kurzweg den Glauben heißen (F. W. Schultz), so beschreibt dieser Name die geoffenbarte Wahrheit nach ihrer geistlichen Wirkung, nämlich innerlicher Frömmigkeit oder Furcht des Herrn (vergl. 5. Mose 17,19). Diese ist rein an sich und reinigt das Herz, worin sie herrscht, von der Liebe zur Sünde. Gottesfurcht ruht nicht, bis jede Straße und jedes Gässchen, ja jedes Haus und jeder Winkel in der Menschenseele völlig von den darin versteckten Anhängern des Diabolus gesäubert ist.5 Und bleibet ewiglich. Schmutz führt zu Verfall; aber die Reinheit ist der große Feind des Verderbens. Die Gnade Gottes im Herzen ist ein reines Element, darum ist sie auch ein unvergängliches und unzerstörbares Element. Sie mag eine Zeit lang unterdrückt werden, aber gänzlich zerstört werden kann sie nicht. Wo Gott etwas hinschreibt, sei’s im Wort, sei’s im Herzen, da spricht er wie Pilatus: "Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben." Er selbst radiert nichts aus, noch viel weniger wird er es dulden, dass andere das tut. Der geoffenbarte Wille Gottes ist unveränderlich. Selbst Jesus kam nicht aufzulösen, sondern zu erfüllen, und auch das Zeremonialgesetz wurde nur nach seiner schattenhaften Äußerlichkeit aufgehoben; der Kern, das Wesen, das, worauf es zielte, ist ewig. Wenn die irdischen Throne durch Aufruhr wanken und uralte Staatsverfassungsrechte aufgehoben werden, ist es tröstlich zu wissen, dass Gottes Thron nicht wankt und sein Gesetz unwandelbar feststeht.
  Die Rechte des Herrn sind wahrhaftig, allesamt gerecht. Wie jedes einzelne Wort des Herrn sich als Wahrheit bewährt, so sind auch alle die Rechtsordnungen des Herrn miteinander nichts als lautere und ewig währende Wahrheit. Was im Einzelnen gut ist, ist vortrefflich im Ganzen. Keine Ausnahme ist zulässig, weder in Bezug auf irgendeinen einzelnen Satz noch in Bezug auf das Buch als Ganzes. Gottes Rechte, alle zusammen und jedes für sich, geben sich als gerecht zu erkennen und bedürfen keiner mühsamen Entschuldigungen zu ihrer Rechtfertigung. Die Rechtsentscheidungen Jahwes, sei es, wie sie im Gesetz festgestellt sind, oder wie sie in dem geschichtlichen Walten der Vorsehung zur Darstellung kommen, sind Wahrheit und bezeugen sich als solche jedem wahrheitsliebenden Gemüt. Nicht nur ist ihre Macht unwiderstehlich; auch ihre Gerechtigkeit ist unantastbar.

11. Sie sind köstlicher (wörtlich: begehrenswerter) als Gold und viel feines Gold. Die biblische Wahrheit bereichert die Seele im höchsten Maße. Man beachte, wie das Bild an Kraft zunimmt: Gold - feines Gold - viel feines Gold. Gottes Wort ist das Beste vom Besten, der köstlichste Schatz, nach dem wir mit der Habgier eines Geizhalses, ja, wenn das möglich wäre, mit noch größerer Begierde trachten sollten. Da die geistlichen Schätze edlerer Art sind als bloß materieller Reichtum, sollten wir sie in der Tat mit umso größerem Eifer begehren. Man spricht wohl von gediegenem Golde; aber was ist so gediegen wie die lautere Wahrheit? Aus Liebe zum Gold schwört mancher dem Vergnügen ab, verzichtet auf Bequemlichkeit, bringt selbst sein Leben in Gefahr; und wir sollten nicht bereit sein, aus Liebe zur Wahrheit eben solche Opfer zu bringen? Sie sind süßer denn Honig und Honigseim (wörtlich: Erguss der Honigzellen, das ist, der feinste, von selbst aus den Waben fließende Honig). John Trapp († 1669) sagt: "Alte Leute sinnen auf Gewinn, junge auf Vergnügen. Wohlan, hier gibt’s Gold, ja das feinste Gold in Haufen für die einen; hier gibt’s Honig, süßen Honig für die andern, der die Augen tapfer (1. Samuel 14,27.29) und das Herz frisch macht." Die Freuden, die uns aus dem rechten Verständnis der göttlichen Zeugnisse zufließen, sind köstlichster Art; die irdischen Vergnügungen verlieren, mit ihnen verglichen, allen Reiz und werden ganz verächtlich. Die süßesten Freuden, ja wahrlich die süßesten der süßesten, fallen dem zu, der Gottes Wahrheit zu seinem Erbteil erwählt hat.

12. Auch wird dein Knecht durch sie erinnert, - er lässt sich stets durch sie belehren und warnen. Das Wort Gottes erinnert uns an unsere Pflicht, warnt uns vor der Gefahr und belehrt uns über das rechte Heilmittel gegen unseren Schaden. Wohl dem, der so das Wort zu sich reden lässt (Grundtext niphal tolerativum). Es gäbe der Wracke auf dem Ozean des Lebens noch viel mehr, wenn Gott nicht in seinem Wort die Sturmsignale ertönen ließe, die den Aufmerksamen zur rechten Zeit warnen. Die Bibel sollte unser Ratgeber, Lehrer, Erinnerer und Mahner, unser memento mori und der Hüter unseres Gewissens sein. Ach, dass so wenige Menschen die so freundlich gegebenen Warnungen beherzigen! Nur Knechte Gottes tun’s, denn sie allein fragen nach dem Willen ihres Meisters. Treue Knechte aber finden nicht nur den Dienst dieses besten aller Herren an sich köstlich, sondern sie bekommen auch gute Zahlung: Wer sie hält, der hat großen Lohn. Es gibt einen Lohn, und großen Lohn. Gott ist uns zwar nichts schuldig; dennoch gibt er uns reichen Gnadenlohn. Die Diener Christi mögen für eine kurze Spanne Zeit nur zu verlieren scheinen; aber zuletzt wird es sich herausstellen, dass ihr Verlust herrlicher Gewinn war, und jetzt schon ist, von allem andern abgesehen, ein gutes Gewissen kein geringer Lohn des Gehorsams. Wer das Kräutlein Herzenstrost im Busen trägt, der ist in Wahrheit ein glücklicher Mensch. Immerhin kommt erst die Zeit, wo der volle Lohn ausgezahlt wird; auch das Wort des Grundtextes bezeichnet den Lohn als das, was "hinterherkommt". Jetzt bekommen wir ein Angeld; den vollen Lohn erst, wenn das Werk getan ist, nicht während die Arbeit noch unter unseren Händen ist. O der Herrlichkeit, die auf uns wartet! Die Aussicht darauf ist genug, einem vor Freude die Sinne schwinden zu lassen. Unsere leichte, nur kurze Zeit währende Trübsal ist nicht wert, mit der Herrlichkeit verglichen zu werden, die an uns geoffenbart werden soll (2. Kor. 4,17; Röm. 8,18). Dann werden wir so recht den Wert des Wortes Gottes erkennen, wenn wir in dem Meer unaussprechlicher Freude schwimmen, zu dem uns dieser Strom sicher tragen wird, wenn wir uns ihm anvertrauen.


13. Wer kann merken, wie oft er fehlt?
Verzeihe mir die verborgnen Fehle!
14. Bewahre auch deinen Knecht vor den Stolzen,
dass sie nicht über mich herrschen,
so werde ich ohne Tadel sein
und unschuldig bleiben großer Missetat.
15. Lass dir wohlgefallen die Rede meines Mundes
und das Gespräch meines Herzens vor dir,
Herr, mein Hort und mein Erlöser.


13. Wer kann merken, wie oft er fehlt? Diese Frage birgt die Antwort in ihrem Schoße. Der Satz erheischt eher ein Ausrufungs- als ein Fragezeichen: Verfehlungen, wer merkt sie! Durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde (Röm. 3,20), und im Lichte der göttlichen Wahrheit staunt der Psalmist über die Menge und die Abscheulichkeit seiner Sünden. Am besten kennt sich selber, wer Gottes Wort am besten kennt; aber ein solcher wird sich eher in einem Labyrinth der Verwunderung über seine Unkenntnis des eigenen Ich finden, als auf der Höhe der Selbstbeglückwünschung zu seiner guten Kenntnis des eigenen Herzens. Wir haben etwa von einer Komödie der menschlichen Irrtümer reden hören; aber für die Gutgesinnten ist es vielmehr eine Tragödie. Viele Bücher haben am Schluss einige Zeilen Errata (Irrtümer und Druckfehler); aber unsere Liste der Errata würde wohl so groß ausfallen wie der Band selbst, wenn wir nur scharfsichtig genug wären, sie zu merken. Der Kirchenvater Augustinus schrieb in seinen letzten Lebensjahren zwei Bücher Retractationes (Verbesserungen, Berichtigungen), worin er über seine eigenen Schriften schonungslos Gericht hielt und vieles in denselben zurücknahm oder änderte. Unsere Retractationes könnten eine ganze Bibliothek ausmachen, wenn wir in der Gnade so fortgeschritten wären, alle unsere Verfehlungen zu erkennen und zu bekennen.
  Verzeihe mir die verborgnen Fehle. (Wörtl.: Von den verborgenen sprich mich los) Du vermagst es, Gebrechen an mir zu entdecken, die mir gänzlich verborgen sind. Es wäre aussichtslos zu erwarten, dass ich all meine Flecken sehe; darum bitte ich dich, Herr: Reinige du mich mit dem Blut der Sühnung auch von den Sünden, welche mein Gewissen zu entdecken unfähig gewesen ist. Verborgene Sünden müssen gleich geheimen Verschwörern aufgespürt werden, sonst können sie ungeheures Unheil anrichten; darum ist es gut, gerade ihretwegen viel zu beten. Auf dem vierten allgemeinen Lateran-Konzil im Jahr 1215 wurde unter Innozenz III. die Vorschrift erlassen, dass jeder Gläubige seine Sünden, und zwar alle, einmal im Jahr dem Priester beichten müsse, und man fügte dem die Erklärung bei, dass ohne die Erfüllung dieser Vorschrift niemand eine Hoffnung auf Vergebung der Sünden habe. Kommt wohl irgendetwas diesem Kirchenerlass an Unsinnigkeit gleich? Meint man denn, die Menschen könnten ihre Sünden so leicht der Reihe nach angeben, wie sie ihre Finger abzählen? Wahrlich, wenn wir für alle Sünden unseres ganzen Lebens Vergebung erlangen könnten unter der Bedingung, dass wir alle Sünden nur einer Stunde bekennen würden, - dann käme nicht einer unter uns in den Himmel, da außer den Sünden, deren wir uns bewusst werden und die wir also bekennen könnten, eine unermessliche Menge von Sünden auf uns lastet, die so gewisslich Sünden sind, wie die, welche wir beklagen, die uns aber verborgen sind, für die wir keinen Blick haben. Hätten wir Augen gleich denen des heiligen Gottes, so würden wir gar anders von uns denken. Die Übertretungen, welche wir gewahr werden und bekennen, sind nur wie die kleinen Kornproben, die der Landmann auf den Markt mitnimmt, während er die volle Scheune zu Hause hat. Die Zahl der Sünden, die wir beachten und entdecken, verschwindet ganz im Vergleich zu denjenigen, welche vor uns selbst verborgen sind und auch von unseren Mitmenschen nicht bemerkt werden.

14. Bewahre auch (wörtl.: halte zurück) deinen Knecht vor Vermessenheitssünden (andere Übers.)6, dass sie nicht über mich herrschen. Diese ernste und demütige Bitte lehrt uns, dass selbst Knechte Gottes in die allerschlimmsten Sünden fallen können, es sei denn, dass die Gnade sie davon zurückhält, und dass sie darum wachen und beten müssen, damit sie nicht in Anfechtung fallen. Die besten unter den Menschen haben in sich einen natürlichen Hang zur Sünde und müssen zurückgehalten werden, wie ein Pferd durchs Gebiss, sonst rennen sie in die Sünde hinein. Vermessenheitssünden sind besonders gefährlich. Alle Sünden sind große Sünden; dennoch sind einige noch größer als andere. Alle Sünde hat das Gift der Empörung in sich und der innerste Kern einer jeden ist treulose Verwerfung Gottes; aber es gibt Sünden, in denen dieses unheilvolle empörerische Prinzip zu größerer Entfaltung gekommen ist und die den unverschämten Hochmut, der dem Höchsten Hohn spricht, noch frecher an der Stirn tragen als andere. Es ist irrig zu meinen, weil jede Sünde in die Verdammnis führt, sei die eine Sünde nicht größer als die andere. Der Sachverhalt ist dieser, dass es, obwohl jede Übertretung sündig und gefährlich ist, doch gewisse Übertretungen gibt, deren schwarzer Schatten noch tiefer und deren scharlachrote Farbe der Schuld noch schreiender ist als die anderer. Die Vermessenheitssünden, von denen unser Vers redet, sind die schwersten und schlimmsten aller Sünden; sie stehen zu alleroberst in der Reihe der Missetaten. Obwohl in dem mosaischen Gesetz für Sünden allerart eine Sühnung vorgesehen war, bestand diese eine, wohl zu beachtende und folgenschwere Ausnahme: Wenn aber eine Seele aus Frevel (wörtlich: mit [gegen den Herrn] erhobener Hand) etwas tut, die soll ausgerottet werden aus ihrem Volk (4. Mose 15,30). Und obgleich jetzt, in der Haushaltung des neuen Bundes, in dem Opfer unseres hochgelobten Heilands auch für die vorsätzlichen Sünden eine allgenugsame Sühnung vorhanden ist, durch welche Sünder, die sich in solch freventlicher Weise vergangen haben, reingewaschen und losgesprochen werden, - so haben vermessene Sünder doch, wenn sie ohne Vergebung sterben, ohne Zweifel ein zwiefaches Teil des Zornes Gottes und ein besonders schreckliches Los ewiger Strafe in dem Abgrund des Verderbens, der für die Gottlosen bereitet ist, zu erwarten. Aus diesem Grunde ist David so besorgt, dass er doch ja nie unter die beherrschende Macht dieser Riesen unter den Sünden geraten möge. So werde ich ohne Tadel sein und unschuldig bleiben großer Missetat. Er schaudert ob dem Gedanken, dass er in unsühnbare Übertretung fallen könnte. Unerkannte und unbeachtete Sünden wuchern leicht in ihrem heimlichen Dunkel fort. Darum werden die verborgenen Sünden zu Stufen, auf denen wir zu vermessenen Sünden fortschreiten, und diese bilden die Vorhalle zu der unerlässlichen Sünde, der Sünde zum Tode (1. Joh. 5,16). Wer nicht vorsätzlich sündigt, ist auf gutem Wege zur Unsträflichkeit, sofern ein armer sündiger Mensch überhaupt ohne Tadel sein kann; wer aber durch Überhebung wider Gott und wissentliche Sünden selber den Teufel reizt, ihn in Versuchung zu stürzen, der ist auf einem Weg, der ihn vom Schlimmen zum Schlimmeren und vom Schlimmeren zum Schlimmsten führen wird.

15. Lass dir wohlgefallen (als angenehmes Opfer) die Rede meines Mundes und das Gespräch (Grundtext: das Sinnen oder Dichten) meines Herzens vor dir (wörtl.: vor deinem Angesicht), Herr, mein Hort und mein Erlöser. Eine liebliche Bitte, von solchem geistlichen Gehalt, dass sie sich in vielen christlichen Kreisen fast so eingebürgert hat wie der apostolische Segen. Die Rede des Mundes ist nichts als Gespött, wenn sie nicht zugleich ein Sinnen, ein stilles Gespräch des Herzens vor Gott ist: Die Schale ist wertlos ohne den Kern. Beide aber sind nutzlos, wenn sie nicht wohlgefällig angenommen werden. Und fänden sie auch der Menschen Beifall, so ist’s doch alles eitel, wenn sie nicht Gottes Wohlgefallen erlangen. Es gilt, dass wir bei unserm Gebet den Herrn im Auge haben und zwar ihn als unseren ewigen Hort, dessen Treue felsenfest ist, und als unseren Erlöser, dessen Liebe sich Tag für Tag in neuen Gnadentaten erweist. Verlieren wir Ihn aus dem Auge, so werden unsere Gebete niemals rechter Art sein. Und es ist wichtig, dass wir unseren persönlichen Anteil an Gott und seiner Treue und Liebe so empfinden, dass wir das Glaubenswörtlein mein recht brauchen; sonst werden wir mit unseren Bitten nicht durchdringen können. Goel, der Loskaufende, der Einlöser: so hieß ja im Gesetz der nächste Blutsverwandte, der das wegen Verarmung verkaufte Erbgut eines Israeliten wieder einlöste. Das Wort wird oft von der göttlichen Befreiung Israels aus Ägypten und Babel gebraucht. Wir haben einen Goel, der unser nächster Blutsverwandter geworden ist und uns um teuren Preis erkauft hat. Der Name unseres Erlösers macht den köstlichen Schluss des Psalms. Das Lied beginnt mit den Himmeln, aber es endet mit dem, dessen Herrlichkeit Himmel und Erde erfüllt. Du unser teurer Blutsfreund, mache du uns nun geschickt, über deine süße Liebe und deine herrliche Erlösung anbetend nachzusinnen, wie es Gott gefällt!


Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzen Psalm. Auch der heidnische Philosoph Plutarch († um 125) hat gesagt, die Welt sei eine Schule der Gottesgelehrsamkeit. Wie Aristoteles († 322 vor Chr.) zwei Arten von Schriften geschrieben hat, von denen die einen, die exoterischen genannt, für das große Publikum, die andern aber, die akroamatischen, für seine vertrauten Schüler bestimmt waren, so hat Gott auch gleichsam zwei verschiedene Bücher herausgegeben, nämlich das Buch der Schöpfung als ein Sentenzenbuch, in dem alle Welt lesen soll (V. 1-7), und das Buch der heiligen Schrift als ein Buch der Lebensregeln für seine Hausgemeinde (V. 8 ff.). Das große Foliowerk der Natur mag passend des Hirten Almanach und des Pflügers Abc-Buch genannt werden, worin auch die Unwissendsten (die Heiden) lesen mögen. Es ist ein offener Brief für alle (V. 5); denn obwohl die Himmel eine stumme Sprache führen, ist diese dennoch wohlverständlich. Sie halten eine treffliche Katechese über die Anfangsgründe der Religion, als, dass es einen Gott gibt, dass dieser Gott nur einer ist und dass dieser eine Gott alle Dinge an Macht und Majestät unendlich überragt. Diese himmlischen Prediger ragen in dreierlei Hinsicht hervor. Erstens sind sie gar fleißige Prediger, sie predigen den ganzen Tag und die ganze Nacht ohne Unterbrechung, V. 3; zweitens sind’s gar gelehrte Prediger, da sie in allen Sprachen ihre Botschaft verkündigen, V. 4; und drittens sind sie wahrhaft katholische (d. h. allgemeine) Prediger, da sie in jedem Weltteil, Land und Ort ihr Kirchspiel haben. - Lasst uns auf dieser Hochschule, wo sich die Stimmen so vieler großen Lehrer hören lassen, uns nicht wie faule Knaben an andern Schulen benehmen, die sich so an den Bildern, dem vergoldeten Einband und den bunten Randverzierungen ihrer Bücher vergaffen, dass sie den Inhalt der Bücher und ihre Sektion darüber ganz vergessen. Die Natur ist gleichsam Gottes Fibel für jedermann; aber er hat noch ein anderes Lehrbuch, das für sein Privatauditorium, die Gemeinde, bestimmt ist: Er zeigt Jakob sein Wort, Israel seine Sitten und Rechte. So tut er keinen Heiden, noch lässt er sie wissen seine Rechte. (Ps. 147,19 f.) Die Heiden lesen in der Fibel, die Christen in der Bibel, ihrem vertrauten Lehrbuch. Die Fibel ist ein treffliches Buch, aber es ist nur ein Abc-Buch, also unvollkommen; wer es ausgelernt hat, muss mehr lernen. Dagegen "das Gesetz des Herrn", d. i. die heilige Schrift, ist das allumfassende Lehrbuch der Glaubens- und Sittenlehre. Es ist ein vollkommenes Gesetz, das die Seele belebt und erfreut und die Unverständigen weise macht; es ist gewiss, rein, gerecht und wahrhaftig. John Boys † 1625.
  Während St. Chrysostomus († 407) der Meinung ist, dass die Hauptabsicht des ersten Teils dieses Psalms sei, die göttliche Vorsehung, wie sie sich in dem Gang der Himmelskörper enthüllt, ins Licht zu stellen, meint St. Augustinus († 430) dagegen, der ganze Psalm gehe auf Christus, dessen Wesen wegen seiner Herrlichkeit und Schönheit mit der Sonne verglichen werde, dessen Lehre in alle Welt ausgegangen sei durch die Apostel (vergl. Röm. 10,18) und dessen Evangelium an Wirksamkeit der Sonnenhitze gleichkomme. Wie diese ins Innere der Erde eindringe, so jenes in das Verborgene der Herzen. - Jedes Geschöpf ist ein Blatt, daraus Gott seinen Namenszug geschrieben hat; vor allem leiten uns die Himmel zur Erkenntnis Gottes. Sie sind der besondere Schaltplatz seiner Weisheit, Macht und Herrlichkeit. Viel bestimmter und deutlicher freilich als die natürliche Gotteserkenntnis, die uns die Schöpfung vermittelt, ist die, welche uns durch die Offenbarung im Wort zukommt. An der Hand jener tasten auch die Heiden nach einer Gottheit; durch diese aber sehen die Christen in Gottes enthülltes Antlitz. Obadiah Sedgwick † 1658.
  Aus dem Anfang dieses Psalms hat ja Joseph Haydn († 1809) das Motiv zu seiner wunderbaren Tondichtung "Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre" in seinem Meisterwerk, der "Schöpfung", entnommen. Der Psalm klingt aber auch im deutschen Kirchenlied sehr häufig durch. Gar sinnig und für die Predigt anregend ist Gustav Königs († 1869) neutestamentliche Beleuchtung dieses Psalms in dem einen seiner zwölf großen Psalmbilder. - James Millard


V. 2. Die großen Heiligen der alten Zeit waren aufmerksame Beobachter der Natur. In jedem Ereignis sahen sie ein Handeln Gottes; darum war es ihnen eine Lust, sich darin zu vertiefen. Konnten sie doch nicht anders als sich freuen, wenn sie so die Züge der Weisheit und Güte dessen, den sie anbeteten und liebten, mit Augen sahen. Sie waren noch nicht so fortgeschritten, wie wir Leute der Neuzeit, den Schöpfer von seinen Werken durch unabänderliche Naturgesetze zu trennen, diesen eine eigene, ihnen selbstständig innewohnende Kraft anzudichten und so tatsächlich Gott von seiner Schöpfung weg in eine ätherische, überweltliche Sphäre untätiger Ruhe und Seligkeit zu entrücken. Ich sage nicht, dass dies die allgemeine Anschauung oder, besser gesagt, Empfindung der heutigen Zeit sei; aber sie beherrscht weite Kreise in der Kirche und noch mehr in der Welt. Die bedeutendsten Philosophen der Neuzeit erklären zwar, dass ein Naturgesetz nichts anderes sei als die gewöhnliche Weise, in der Gott wirke, und dass es demnach nicht die Wirkung der Naturgesetze, sondern Gottes eigene Wirkungskraft sei, welche die ganze Natur in Bewegung erhalte; dass Gott immanent und unmittelbar, nicht aus der Ferne und mittelbar jedes Ereignis wirke, und dass jede Bewegung und Veränderung in der Natur so tatsächlich Gottes Werk sei, wie wenn wir mit unseren sinnlichen Augen seine Hand das Rad der Natur drehen sehen könnten. Aber obwohl die größten Denker zu diesem Schluss gekommen sind, so tastet doch die große Masse auch der Christen in der Finsternis jenes mechanischen Weltbegriffs und Gottesbegriffs umher, der die Wirkungen in der natürlichen Welt den Gesetzen der Natur statt dem Gott der Natur zuschreibt. Als bildliche Redeweise wollen die Vertreter dieser Weltanschauung es wohl gelten lassen, dass man von Gott als dem Urheber der Naturereignisse spreche, weil er ursprünglich die Naturgesetze festgestellt habe; aber davon haben sie keinen Begriff, dass er in unmittelbarer Tätigkeit die Ereignisse hervorbringt. Darum bleiben sie auch bei der Betrachtung der Natur von dem sonst so überwältigenden Eindruck der Gegenwart und Wirksamkeit Gottes unberührt. Wie ganz anders war dagegen die Empfindung der Frommen im Altertum! Der Psalmsänger konnte nicht zum Himmel aufblicken, ohne in den Ruf auszubrechen: Die Himmel erzählen die Ehre Gottes usw. Wenn er seine Augen über die Erde schweifen ließ, machte sich sein Herz in begeisterten Worten Luft: Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist von deiner Güter (Ps. 104,24). Ihm war es Gott, der Brunnen lässt quellen in den Gründen, dass die Wasser zwischen den Bergen hinfließen (Ps. 104,10). Der Donner war ihm Gottes Stimme, die Blitze Gottes Pfeile. Wenn er das Sturmesbrausen hörte, den Rauch der Gewitterwolken sah und die Erde unter seinen Füßen wanken fühlte, so durchschauerte ihn die Gegenwart Gottes: Er schauet die Erde an, so bebet sie; er rühret die Berge an, so rauchen sie (Ps. 104,32). Edward Hitchcock 1867.
  Wenn jemand, der sein Leben unter der Erde zugebracht und sich dort mit Kunst und Wissenschaft vertraut gemacht hätte, auf einmal ans Tageslicht gebracht würde und die Herrlichkeit des Himmels und der Erde schallte, er würde alsbald erklären, dass diese das Werk eines solchen Wesens sein müssten, als welches wir Gott definieren. Aristoteles † 322 vor Chr.
  Ist es möglich, dass wir zum Firmament aufschauen und die Himmelskörper betrachten, ohne zu einer Überzeugung von Gottes Dasein zu kommen? Sind wir nicht genötigt, anzuerkennen, dass es eine Gottheit gibt, ein vollkommenes Wesen, einen alles beherrschenden Verstand, einen Gott, der überall ist und alles durch seine Macht regiert? Wer das bezweifeln wollte, könnte gerade so gut leugnen, dass es eine Sonne gibt, die uns leuchtet. Die Zeit zerstört alle falschen Anschauungen, bestätigt aber die, welche in der Natur der Dinge begründet sind. Aus diesem Grunde nehmen bei uns sowohl als bei andern Völkern die Verehrung der Götter und die heiligen Gebräuche der Religion Tag für Tag an Reinheit wie an Ausbreitung zu. Cicero † 43 vor Chr.
  Wie eine Kammer, deren Wände ringsum mit Spiegeln bekleidet sind, das Angesicht dessen, der darin steht, stets widerspiegelt, nach welcher Seite man sich auch wenden möge, so spiegelt die ganze Welt Gottes Macht, Weisheit und Güte ab. Anthony Burgeß 1656.
  Kein Erwählter ist so töricht, sich zu weigern, Gottes Werke und Worte zu betrachten und zu hören, als ob diese ihn nichts angingen. Das sei ferne. Niemand in der ganzen Welt betrachtet die Werke Gottes mit größerem Eifer, niemand hält sein Ohr so willig hin, um Gott reden zu hören, als eben diejenigen, welche die innere Erleuchtung durch den heiligen Geist besitzen. Wolfgang Musculus † 1563.
  Zur Zeit der französischen Revolution sagte Jean Bon St. André, einer von der Partei der Vendéer, zu einem Landmann: "Ich will dafür sorgen, dass an eure Kirchtürme niedergerissen werden, damit ihr nichts mehr habt, was euch an den alten Aberglauben erinnert." "Mag sein", erwiderte der Bauer, "aber eins werdet ihr uns wohl lassen müssen: die Sterne." John Bate 1865.

Wie herrlich wölbt sich dort des Himmels mächt’ger Dom,
Die Felsen hier, wie glühend Erz, erstarrt
Mitten im Lauf auf dein Gebot. Soll denn der Mensch,
Den du mit Geist gerüstet, weniger als sie
Von dir zu zeugen wissen? Schweig’, wer da kann
Und mag: ich will und muss dich preisen.
Wenn im Gedränge je mein Mund dein Lob vergaß;
Hier kann er’s nicht, wo deine Herrlichkeit
Im Blau des Himmels auf mich niederstrahlt.
Nach William Wordsworth † 1850.

Die leuchtenden Gestirne -
Wo ernstes Sinnen ihren Harmonien lauscht -
Sie singen seinen Ruhm in stiller Mitternacht.
Ein leiser Wink von ihm: Da braust des Sturmes Wut.
Donner ist seine Stimme, und der rote Strahl
Sein zuckend Richtschwert. Rührt er nur sie an,
Flammen die Berge auf. Die Erd’ erschüttert er,
Und Zittern fasst die Völker. Was da lebt,
Es kündet seines großen Namens Ruhm.
Nach James Thomson † 1748.


V. 2-4. Und wenn alle Prediger auf Erden verstummen und wenn kein Menschenmund mehr von Gott erzählte, dort oben erzählt und verkündiget es ohne Aufhören von seiner großen Ehre und Herrlichkeit. Es prediget ohne Aufhören, denn wie in ununterbrochener Kette wird solche Botschaft von einem Tage an den andern, von einer Nacht an die andere überliefert, so dass, wenn der eine Herold schweigt, der andere seine Rede schon wieder beginnt. Dieselben Schauspiele der Herrlichkeit entfaltet ein Tag wie der andere, dieselben Wunder der Majestät führt eine Nacht wie die andere vor. Wohl ist es still und leise in der weiten Natur, wenn im Blau des Tageshimmels die Sonne in ihrer Pracht am höchsten steht, wohl feiert die Welt zur Nachtzeit, wenn die Sterne am hellsten glänzen, in heiligem Schweigen, aber, sagt der Sänger, dennoch redet es, ja das heilige Schweigen ist selbst eine Rede, wenn nur Ohren da sind, um zu vernehmen. Prof. Aug. Tholuck 1843.


V. 3. Eine Erzählung aus dem Leben des großen englischen Malers Turner († 1851) mag beleuchten, in welch verschiedenem Maß die natürlichen Dinge Menschen von verschiedenen geistigen und geistlichen Fähigkeiten Erkenntnis vermitteln. Turner arbeitete einst gerade an einem seiner unsterblichen Werke, als eine Dame von hohem Rang ihm zusah und die Bemerkung machte: "Aber, Herr Turner, ich sehe das gar nicht alles in der Natur, was Sie da malen." "Ja, gnädige Frau, das mag wohl sein", erwiderte der Künstler, "aber möchten Sie nicht, dass Sie es sehen könnten?" C. H. Spurgeon 1869.


V. 4. Ohne Rede, ohne Worte, unhörbar ihre Stimme. (And. Übers., siehe die 2. Anm.) Der Sonnenuntergang war an jenem Abend so prächtig, wie ich ihn kaum je gesehen, und in der Natur herrschte überall eine so feierliche Stille, dass man weder Gottes noch eines Menschen Stimme hörte. Das Wasser war spiegelglatt; kein Blatt, kein Grashalm bewegte sich; die Felsen am jenseitigen Ufer spiegelten das Abendglühen der bereits entschwundenen Sonne ab und spiegelten sich selber wiederum während der kurzen Dämmerung im Fluss, so herrlich, wie ich mich nicht erinnere, es je vorher gesehen zu haben. Nein, ich will nicht sagen, man habe Gottes Stimme nicht vernommen; sie redete in der großen Stille so laut wie im dröhnenden Donner, in der friedlichen Abendlandschaft so überwältigend wie sonst in unzugänglichen Felsen und Klüften, und lauter noch in dem Himmel und dem Firmament und dem lieblichen Anblick rings um mich her. Gottes wunderbare Werke bezeugten, dass er nahe sei, und ich empfand es tief, dass die Stätte, da ich stand, heilig war. John Gadsby 1862.


V. 7. Wie vor der Sonnenhitze nichts verborgen bleibt, so auch nichts vor dem Licht, das von Christus ausstrahlt. Es leuchtet nicht nur aus den Bergeshöhen, wie zu den Zeiten, da diese Sonne noch nicht völlig aufgegangen war, ihre Strahlen aber schon einen Lichtschein um das Haupt der Propheten verbreiteten, die sie schauten, während sie für die große Masse der Menschen noch unter dem Horizont verborgen war. Jetzt aber, wo die Sonne der Gerechtigkeit aufgegangen ist, ergießt sie ihr Licht in die Täler so gut wie auf die Berge; auch ist nicht einer, wenigstens in unseren Landen, den nicht etliche Strahlen dieses Lichtes träfen, es sei denn, dass er sich in den finstern Höhlen der Sünde verberge. Aber nicht nur Licht, auch Wärme teilt Christus von seinen himmlischen Gezelt aus mit. Er erleuchtet nicht nur das Verständnis zum Erkennen der Wahrheit; er macht auch die Herzen warm und bringt sie zum Schmelzen, dass sie die Wahrheit lieben, und er treibt aus ihnen Früchte hervor und zeitigt diese; und das tut er an dem geringsten, am Boden kriechenden Pflänzlein wie an dem himmelanstrebenden Baum. Julius Ch. Hare 1841.
  Wie die Sonne mit ihrem Licht alle Welt erfreut und segnet, so reicht auch Christus seine Gnade allen Menschen dar, ob sie diese dankbar annehmen und nicht im Ungehorsam von sich weisen möchten. Robert Cawdray 1609.


V. 7. 8ff. Durch die letzten Worte. "Es ist nichts vor ihrer Glut verborgen" wird es klar, dass den Gedanken des Dichters der Vergleich der Sonne mit dem Gesetz vorschwebt. Das allsehende Auge Gottes macht sich allen Menschen fühlbar in der Betrachtung der Sonne. "Es ist kein Fädchen so fein gesponnen, es kommt doch endlich an die Sonnen." - So nennt anderwärts David Jahwe selbst eine Sonne, des erwärmenden Lichtes wegen, welches von seinem Angesicht ausgeht. (Vergl. Joh. 1,4; Hebr. 4,13.) - V. 8; Der Vergleich mit der Sonne ist hier und im folgenden Vers nicht zu verkennen: Leben, Licht, Wärme und Freude geht von dieser geistigen Sonne aus. (Vergl. Joh. 1,9.) Prof. Johannes Wichelhaus † 1858.
  (Zu der Verschiedenheit des Stils im ersten und zweiten Absatz:) Der Betrachtung des Himmels geziemt Erhabenheit, Macht der Worte und Sätze; der Meditation über das Gesetz sanfte und ruhige Rede. Maurer.


V. 8. Das Gesetz. Dieser Name bedeutet gewöhnlich die durch Mose am Berge Sinai gegebenen Gebote (5. Mose 33,4; Mal. 3,22; Joh. 1,17; 7,19); er wird aber auch häufig von den Schriften Mose überhaupt gebraucht. So wird Gal. 4,21 die Geschichte des 1. Buches Mose (Kap. 16) das Gesetz genannt. Und obgleich manchmal das Gesetz von den Psalmen und Propheten unterschieden wird (Lk. 16,16; 24,27), so werden doch auch prophetische Bücher das Gesetz genannt, z. B. 1. Kor. 14,21, siehe Jes. 28,11. Auch der Psalter wird Joh. 10,34; 15,25 so angeführt (Ps. 82,6 ff. Ps. 35,19). Henry Ainsworth † 1622.
  Dieser und die beiden folgenden Verse, die alle von Gottes Gesetz handeln, bestehen im Hebräischen ein jeder aus zehn Worten; vielleicht in Anspielung auf die zehn Gebote, die 2. Mose 34,28 die zehn Worte genannt werden. Henry Ainsworth † 1622.


V. 8-11. lehrt David, wie Gott seinem Gesetz ebensolche Vollkommenheiten wie dem Himmel beigelegt. Man merke die Beziehungen des Geistlichen aufs Natürliche hier wohl. Friedr. Christoph Oetinger † 1775.
  David hätte von dem Gesetze so nicht sprechen können, wenn es ihm nicht ein Zeugnis von Christus gewesen wäre. Das heißt, er hat den ganzen Pentateuch in seinem Zusammenhang genommen als das Wort Gottes, welches Gesetz und Verheißung in sich fasst; er wurde daraus belehrt über Gottes Gerechtigkeit, Heiligkeit und Wahrheit, und indem er diesem Zeugnisse gegenüber sich selbst als Menschen und Sünder erkannte, wird er aus eben demselben Worte in seinen Verheißungen, den Opferanordnungen, den Wegen und Taten Gottes in der Geschichte darüber belehrt, dass Gott nicht den Tod des Sünders wolle, sondern aus und durch sich selbst eine Versöhnung und Erlösung bereitet habe, weshalb auch David mit den Worten schließt: Jahwe, mein Fels und mein Erlöser. Wenn David so redet von den fünf Büchern Moses, welche Schmach für die Christen, die das Evangelium haben und doch dabei so kalt und gleichgültig sind! Prof. Johannes Wichelhaus † 1858.
  Siehe da, wie mannigfaltig Gott sein Wort an dich bringt, bald als ein Gesetz mit göttlichem Ansehen zum Gehorsam, bald als ein Zeugnis mit Gelindigkeit, den Glauben vorzuhalten, bald als Rechte, die den Ausspruch über alles Künftige tun. O wie bist du ohne dies Wort und die heilsame Wirkung desselben in dir so von Irrtum und Zweifel, Unentschlossenheit, Eitelkeit, ermüdender Geschäftigkeit! Wie muss der unvergängliche Same des göttlichen Wortes erst in dein Herz, in deine Gedanken, in deine Absichten, in deine Arbeiten etwas Festes, Bleibendes, Ruhiges, Lichtes bringen! Karl Heinrich Rieger † 1791.
  Hier erhebt sich eine Frage, die nicht leicht zu lösen ist. Dieser Lobpreis des Gesetzes, den David hier vorträgt, scheint durch Paulus gründlich zerstört zu werden. Wie reimt es sich, dass das Gesetz die Seele erquickt, und dass es ein tötender Buchstabe ist, der ins Verderben bringt? Dass es das Herz erfreut, und dass es den Geist der Knechtschaft gebiert und Schrecken einflößt? Dass es die Augen erleuchtet und dass es das innere Licht wie durch eine Decke unterdrückt? Hauptsächlich ist aber zu beachten, dass David hier nicht von den bloßen Vorschriften des Gesetzes redet, sondern an den ganzen Bund denkt, durch den Gott Abrahams Kinder als sein Volk angenommen hatte. Er verbindet also mit den Regeln eines guten Lebens die Verheißungen der Erlösung aus Gnaden, ja Christus selbst, auf den die Annahme des Volkes gegründet war. Paulus hingegen berücksichtigt nur das Amt des Mose, weil er es mit verkehrten Auslegern des Gesetzes zu tun hatte, die dasselbe von der Gnade und von dem Geiste Christi trennten. Nun steht aber fest, dass das Gesetz, wenn es durch Christi Geist nicht lebendig gemacht wird, für seine Schüler nicht nur unnütz, sondern auch tötend ist. Denn losgelöst von Christus lebt in dem Gesetz nur eine unerbittliche Strenge, die das ganze menschliche Geschlecht dem Zorne Gottes und der Verdammnis unterwirft. Auch bleibt in uns eine Widerspenstigkeit des Fleisches, welche jenen Hass gegen Gott und sein Gesetz in uns anzündet, der die Quelle der bekannten traurigen Knechtschaft und Furcht ist. Wenn wir diese verschiedenen Auffassungen des Gesetzes beachten, so löst sich der scheinbare Widerspruch zwischen Paulus und David. Paulus’ Absicht ist, zu zeigen, was das Gesetz allein, sofern es ohne die Verheißung der Gnade in Gottes Namen seine strengen Forderungen stellt, uns bietet. David dagegen empfiehlt uns die ganze Lehre des Gesetzes, die mit dem Evangelium übereinstimmt. Er schließt also Christum mit ein. Jean Calvin7 † 1564.
  Die Lobsprüche, die der Dichter dem Gesetz spendet, sind auch auf neutestamentlichem Standpunkt berechtigt. Auch Paulus sagt Röm. 7,12.14: "Das Gesetz ist heilig und geistlich, das Gebot heilig und gerecht und gut." Das Gesetz verdient diese Lobsprüche an sich und für den, der im Stand der Gnade steht, ist es ja auch kein Fluchgesetz mehr, sondern ein Spiegel des in Heiligkeit gnädigen Gottes, in welchen er ohne knechtische Furcht hineinsieht, und eine Norm freiwilligen Gehorsams. Und wie so gar verschieden ist die Gesetzesliebe der Psalmsänger und Propheten, diese auf das Wesentliche, Gemeinsittliche der Gebote, auf Verinnerlichung des Buchstaben und den Trost der Verheißungen gerichtete Gesetzesliebe von dem pharisäisch-rabbinischen Buchstaben- und Zeremoniendienst der nachexilischen Zeit! Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Wie hassenswert ist die unheilige Gesinnung solcher Namenchristen, welche die heilige Schrift vernachlässigen, sich dafür aber ans das Lesen weltlicher Bücher legen. Wie manche kostbare Stunde wird mit dem Lesen von törichten Romanen, erdichteten Geschichten und lüsternen Gedichten vergeudet, - und das nicht nur an den Werktagen, sondern sogar am Tag des Herrn! Und warum tut man es? Um sich zu ergötzen und zu erheitern, während wahrhaft sättigende Freude doch nur in diesem heiligen Buche zu finden ist. Ach, das Vergnügen, das euch jene Bücher bieten, ist vielleicht nur verderblicher Sinnenkitzel, der euch tiefer in die Gottlosigkeit hineinführt. Im besten Fall ist’s Zeitverschwendung, bloße Unterhaltung ohne wirklichen Nutzen und Wert, während diese heiligen Schriften, um Davids Ausdruck zu gebrauchen, richtig sind und das Herz erfreuen. Und dann, gibt es nicht manche, die Plutarchs Sittenlehre, Senekas Episteln und ähnliche Bücher höher stellen als Gottes Wort? Es ist wahr, meine Lieben, es finden sich treffliche Wahrheiten in diesen Moralschriften der Heiden; dennoch kommen sie von ferne nicht den heiligen Schriften gleich. Jene mögen wohl etwa in äußerer Trübsal Trost gewähren, aber nicht in Seelennot; sie können dem Gemüte wohltun, aber das Gewissen nicht stillen; sie können wohl einige schimmernde Freudenfunken hervorbringen, aber nicht die Seele durch ein anhaltendes Feuer wahren Trostes erwärmen. Ja, meine Brüder, wenn Gott euch ein geistliches Verständnis gibt, so werdet ihr mit Petrus Damiani († 1072) bekennen, dass euch jene Schriften der heidnischen Redner, Philosophen und Dichter, die früher so angenehm schmeckten, jetzt im Vergleich mit dem Labsal, das die heilige Schrift gewährt, geschmacklos und herb erscheinen. Nathanael Hardy † 1670.
  Der Prophet schreibet in diesen Versen dem Gesetz so treffliche Ämter zu, dass alles, was er hier von dem Gesetz rühmt, von dem heiligen Geiste, der durch das Wort des Glaubens uns erwärmt, verstanden und ihm zugeschrieben werden muss. Deswegen macht er vor Freuden so viele Worte und wiederholet das Wort Gesetz so oft (nämlich sechsmal) und das immer mit andern Worten, und gibt ihm zwölf Beiwörter, gleich als wolle er dieses nach den zwölf Früchten des Baums des Lebens loben. Und so zeigt er selbst durch das äußerliche Gepränge derer Worte dasjenige, was in einer Seele, die das Gesetz liebt und sich darüber freut, in der Tat geschieht. Denn wer das Gesetz liebt, der kann es nicht genug loben; so gar wohl gefällt nun der Seele dasjenige, was ihr vorher so gar sehr missfiel. Das Wort Gottes ist nun ohne Wandel, unbefleckt durch den Glauben, nicht nur in sich selbst, sondern auch in uns, das ist, in Ansehung seiner Wirkung; es labt, erquickt und tröstet unverständige, betrübte und zerrüttete Gewissen. Gottes Zeugnis ist auch wahrhaftig und macht nicht Heuchler, sondern rechtschaffene, wahrhaftige und solche Leute, die einen rechten Glauben und Meinung von Gott haben. Es macht weise die Unmündigen, so sich wider Gottes Wort nicht setzen, sondern sich dadurch lassen unterweisen; denn es lehrt rechte Gedanken und Verstand haben von allen Dingen. Auf solche Art wird das Gesetz, indem es himmlische Dinge lehrt, durch den Glauben ein Zeugnis des Herrn. Die Befehle des Herrn sind richtig. In Gesetz und Werken derer Menschen sind Umwege und Krümmungen; aber hier geht es richtig zu, es ist eine feine, lustige, rechtschaffene Lehre, da man davon kommt. Das macht die Leute auch fröhlich. Martin Luther † 1546.
  Die englische Übersetzung "bekehret die Seele" bietet zwar einen sehr ansprechenden und an und für sich wahren und treffenden Sinn dar, ist aber nicht in Übereinstimmung mit der Absicht des Psalmisten. Der Grundtext lautet wörtlich: bringet zurück die Seele, nämlich durch Erquickung und Tröstung, wenn sie durch allerlei Ungemach niedergedrückt ist und gleichsam am Ersterben ist. Das Wort Gottes ist wie stärkende Nahrung, die den Verschmachtenden neubelebt; es teilt dem mutlos und kraftlos Gewordenen Stärke und Zuversicht mit. William Walford 1837.


V. 9. Das Wörtlein lauter heißt in seiner Sprache rein und lieblich, hell und klar. Gleichwie ein schönes Licht leuchtet Gottes Wort in unsere Seele vor Gottes Augen. Johann Arnd † 1621.


V. 11. Lasst uns das Wort Gottes lieben. "Wie habe ich dein Gesetz so lieb!" (Ps. 119,97.) "Herr", sagt Augustinus, "lass die heilige Schrift meine keusche Lust sein!" Chrysostomus vergleicht die Schrift mit einem Garten; jede Wahrheit sei eine duftende Blume, die wir nicht am Busen, sondern im Herzen tragen sollten. Dem David war das Wort süßer als Honig und Honigseim. Die Schrift enthält in der Tat alles, was uns glücklich machen kann. Sie zeigt uns den Weg zu Reichtum (5. Mose 28,5; Spr. 3,10), zu langem Leben (Ps. 34,13), ja zu einem Königreich (Hebr. 12,28). Ist dem so, dann lasst uns die Stunden als die köstlichsten ansehen, die wir beim teuren Bibelbuch zubringen. Dann mögen wir wohl mit dem Propheten (Jer. 15,16) sagen: Dein Wort ward meine Speise, da ich’s empfing; und dein Wort ist meines Herzens Freude und Trost. Thomas Watson 1660.


V. 12. Auch lässt sich dein Knecht durch sie warnen. (Wörtl.) Ein Jude hatte den Vorsatz gefasst, Luther zu vergiften, wurde aber an der Ausführung des Verbrechens durch einen treuen Freund des Reformators gehindert, der diesem ein Bild des Mannes mit einer Warnung vor demselben sandte. Dadurch erkannte Luther den Mörder und entrann seinen Händen. So zeigt dir, Christ, das Wort Gottes das Bild der Lüste, welche Satan als Werkzeuge gebraucht, um deinen Frieden zu zerstören und deine Seele zu vergiften. G. S. Bowes 1860.
  In ihrer Beobachtung liegt großer Lohn. (Wörtl.) Merke: nicht nur für die Beobachtung, sondern in der Beobachtung der Rechte Jahwes ist großer Lohn zu finden. Die Freude und Ruhe, die Erquickungen und Tröstungen, die volle Genüge der Seele, die freundlichen Blicke von oben und die Kraftzuflüsse der göttlichen Gnade, welche die Gläubigen jetzt genießen, sind in ihren Augen so köstlich und herrlich, dass sie dieselben nicht um tausend Welten eintauschen würden. Wenn nun schon das Handgeld so kostbar, so fürstlich ist, was wird es sein, wenn der Zahltag kommt! Was für eine Herrlichkeit wird das sein, mit der Christus die Seinen krönen wird, die allen Schwierigkeiten zum Trotz in seinem Dienst treu gewesen sind. Wenn so viel schon in der Wüste zu genießen ist, was wird’s im Paradiese sein! Thomas Brooks † 1680.
  Wer sie hält, oder nach dem Grundtext: bewahret, welches Wort einen Fleiß anzeigt, es mit dem Verstand zu fassen, in dem Gedächtnis zu behalten und im Willen sich danach zu richten, welches, ob’s schon nicht vollkommen zustande gebracht wird, doch zu allen Dingen nütz ist (1. Tim. 4,8). Johann David Frisch 1719.


V. 13. Wer kann merken, wie oft er fehlt? Nach diesem Überblick über die Werke und das Wort Gottes schlägt der Psalmsänger nun das dritte Buch, sein Gewissen, auf; dies Buch, das gottlose Leute gut verschlossen halten und in das sie natürlich nicht gern blicken, das aber dennoch einst vor dem großen Gerichtshof angesichts der ganzen Welt aufgeschlagen werden wird, zur Rechtfertigung Gottes in seinem Richten und zur ewigen Verwirrung der unbußfertigen Sünder. Und was sieht der Prophet in diesem Buch? Fehlerhafte, verwischte Schriftzüge, die er nicht entziffern kann. Die Schrift, die Gott mit eigener Hand in lesbaren Lettern dem Gewissen eingeprägt hatte, sind zum Teil mit Gekritzel und Zwischengeschreibsel verborgener Fehle verunstaltet und besudelt, zum Teil ausgestrichen und ausgekratzt durch vermessene Sünden. Und doch, mag diese Handschrift noch so misshandelt sein, sie legt dennoch für Gott ein Zeugnis ab; denn es gibt in der ganzen Welt kein Beweismittel, das mit überwältigenderer Kraft dem Gewissen die Anerkennung Gottes abnötigt, als das Schuldbewusstsein. Der Sünder kann sich gegen die Erkenntnis nicht verschließen, dass er ein Gesetzesübertreter ist, und er trägt - wenn er nicht alles Gefühl verloren hat - in sich das Vorgefühl, dass Gott ihn um dies alles vor Gericht bringen wird. Diese Gewissensüberzeugung von der Sünde führt die Seele, wo noch irgendein Sinn für echte Frömmigkeit vorhanden ist, dazu, sich gleich David an Gott zu wenden, dass er sie von den verborgenen Fehlern reinigen und von vermessenen Sünden zurückhalten wolle, oder sie doch, wo sie in solche Frevel verwickelt wird, von der Herrschaft derselben befreien möge. Adam Littleton † 1694.
  Kein Mensch kann merken, wie oft er fehlt; aber Gott merkt es. Darum denke wie St. Bernhard: Ich erkenne und bin erkannt. Ich erkenne nur mangelhaft; Gott aber erkennt mich völlig. So urteilt auch der Apostel Paulus (1. Kor. 4,4). Zugegeben, du hältst dich so frei und erneuerst deine Buße Tag für Tag so, dass du dir nichts bewusst bist, so beachte doch, was der Apostel Paulus sagt: Ich bin mir zwar nichts bewusst, aber darinnen bin ich nicht gerechtfertigt; der Herr ist’s aber, der mich richtet. Nur der Unendliche kennt das Menschenherz. Darum sollten wir es nicht wagen, uns selber zu richten, sondern mit David in dem Psalm den Herrn bitten, dass er uns von unseren verborgenen Fehlern reinige. Richard Stock † 1626.
  Mit den Verirrungen meint David seine unbewussten und unbeachteten Fehler. Es gibt Sünden, die an der lichten Sonne begangen werden, mit Wissen und Willen. Solche Sünden kann man leicht erkennen, wie die Farben im Sonnenschein und darum auch als Übertretungen bekennen. Aber es gibt auch Sünden, die man entweder in der Unwissenheit oder, wenn auch eine gewisse Erkenntnis da war, doch ohne Vorbedacht getan hat. Diese Sünden der Unwissenheit oder Unbedachtsamkeit können so zahlreich sein, dass uns, wenn wir auch mit dem hellsten Licht an die Winkel des Herzens durchsuchten, doch viele entgehen würden. Ach ja, das ist auch ein Stück unseres Elends, dass wir unsere Verirrungen nicht merken! Ein Blick genügt, uns zu zeigen, dass ihrer eine erschreckend große Zahl ist; und doch ist die weitaus größte Menge uns verborgen. Wäre es uns möglich, auf jede einzelne Sünde mit dem Finger zu weisen, wie ganz anders wurden unsere Herzen von Gram und Scham gebeugt sein, und wie wurden wir den Reichtum der Gnade anbeten, die die unzählbare Menge unserer Verirrungen und Sünden tilgt In der Erfahrung aber beweist es sich, dass die Gnade das Herz, sobald sie darin einzieht, die Sünde in anderer Weise ansehen lehrt als zuvor und dass mit dem Wachstum der Gnade auch die Sünde stets mehr aufgedeckt wird. Immer neue Sünden werden sichtbar, - nicht als ob sie nicht schon zuvor da gewesen wären im Herzen und im Wandel, aber neu sind sie für unser Erkennen. Wir erkennen jetzt Neigungen und Handlungsweisen als sündig, die wir vorher nicht so beurteilt hatten. Wie manche Arzneien gewisse Krankheiten, die früher im Verborgenen herrschten, dem Kranken erst recht zur Empfindung bringen, oder wie die Sonne die Staubteilchen, die vorher schon im dem Gemach waren, bescheint, so enthüllt das Licht des Wortes immer mehr unser inneres Verderben. Obadiah Sedgwick † 1658.
  Die Haare auf unserm Haupte mag man zählen; und obwohl die Sterne in solchen Mengen am Himmel glänzen, haben doch manche den Versuch gemacht, ihre Zahl zu berechnen; aber keine Rechenkunst vermag unserer Sünden Menge zu ermitteln. Sie gleichen der Hydra, der für jeden Kopf, den man ihr abschlug, zwei neue wuchsen. Thomas Adams 1614
  Es kann jemand ein Muttermal auf seinem Rücken haben und sein Leben lang davon keine Ahnung haben. Herr, reinige mich von meinen verborgenen Fehlern! Thomas Adams 1614.
  Das Gesetz des Herrn ist so heilig und unverbrüchlich, dass wir selbst für die uns ganz unbewussten Sünden um Vergebung bitten müssen - Dieser Vers war eine der Hauptbeweisstellen der Reformatoren gegen die römische Ohrenbeichte T. C. Barth 1865
  Sünden mögen verborgene genannt werden 1) wenn sie übertüncht und verhüllt sind. Obwohl sie weit verbreitet sind, so gehen sie doch nicht unter ihrem wahren Namen, sondern schmücken sich mit dem Schein irgendwelcher Tugend. 2) Wenn sie sich von der Schaubühne der Welt fernhalten. Wie viele treiben im Verborgenen all die Gräuel, um die Hesekiel Jerusalem straft, - aber so, dass nichts davon an die Öffentlichkeit tritt. Seht jenen Sünder: Er treibt seine Laster mit der größten Niederträchtigkeit; der ganze Unterschied zwischen ihm und einem andern Gottlosen ist der, dass er seinen Sünden im Geheimen frönt und der andere aus ihnen kein Hehl macht. 3) Wenn sie nicht nur dem öffentlichen Urteil, sondern jedem sterblichen Auge verhüllt sind, so dass auch der, der sie begeht, sie nicht sieht. Selbst die Leute, mit denen er umgeht und die sein Verhalten rühmen, können die geheimen Regungen und Wirkungen der Sünde in seinem Herzen noch nicht sehen. Denn nicht alle Wirkungen der Sünde, meine Brüder, treten nach außen und sind sichtbar; gerade die gefährlichsten sind die, welche im Innern vorgehen, wo die Verderbnis wie eine verborgene Quelle und versteckte Wurzel ist. Das Menschenherz ist eine geheime Werkstatt von Gottlosigkeiten allerart. Ja, ein Mensch spricht in seinem Herzen, was er sich wohl hüten würde über seine Lippen gehen zu lassen, in Gedanken vollbringt er Dinge, die seine Hand niemals wagen würde auszuführen. Mir scheint, die Sünde sei treffend mit Ausschlagkrankheiten, wie Krätze oder Scharbock, zu vergleichen, die erst verborgen unter der Haut stecken, dann aber ausbrechen und außen sichtbar werden. So ist’s mit der Sünde; sie ist eine bösartige Krankheit der Säfte, ein fressender Aussatz: Erst breitet sie sich im Innern heimlich aus, dann bricht sie hervor und legt endlich alle Scham ab, offenbart ihr Wesen vor aller Welt. Obadiah Sedgwick † 1658.
  Verborgene Sünden 8 sind in manchen Beziehungen gefährlicher als offenbare: Denn der Mensch beraubt sich durch die verschlagene Art seines Sündigens der Hilfe wider seine Sünde. Gleich solchen, die ihre Wunden geheim halten oder innerliche Blutungen haben, wird ihm keine Hilfe, weil die Gefahr nicht entdeckt wird. Wenn jemandes Sünden offen ausbrechen, findet sich wohl ein Seelsorger oder ein Freund oder sonst jemand, der ihn rügt oder warnt und zurechtzubringen sucht: wenn er aber seine Lüste verheimlicht, versperrt er sich selber alle Hilfe und wendet großen Fleiß daran, seine Seele in die Verdammnis zu bringen, indem er seine verborgenen Sünden mit irgendeinem scheinbaren Firnis bedeckt und sich so bei andern eine gute Meinung über seinen Wandel erobert. Gerade durch die Heimlichkeit lässt er seinen Lüsten die Zügel schießen. Das Gemüt weidet sich den ganzen Tag an sündigen Gedanken und Plänen, so dass die Lebenskraft der Seele vergeudet und verwüstet wird. Ja, solch heimliches Spielen mit der Sünde erhitzt und entflammt recht eigentlich die verderbte Natur des Menschen. Sündige Taten sind nicht nur Früchte der Sünde, sondern zugleich Samen neuer Sünden; sie stärken die Macht der Sünde im Herzen. Geben wir einer Sünde nach, so werden wir dadurch alsbald zu einer zweiten bereit. Durch verborgene Sünden wird endlich die Heuchelei des Herzens ausgebildet und zur Vollkommenheit gebracht. Obadiah Sedgwick † 1658.
  Hüte doch ein jeder sich vor Taten, die das Licht nicht ertragen. Ein Gedicht von Thomas Hood († 1845), betitelt Eugen Arams Traum, gibt diesem Gedanken ergreifenden Ausdruck.

Aram hatte einen Menschen ermordet und den Leichnam in einen Fluss geworfen,
  ein träges Wasser, tintenschwarz und unergründlich.
Den nächsten Morgen schon treibt ihn die innere Unruhe zur Stätte seines Verbrechens hin.
  Und wild und unstet irrt sein Blick
  Hin über die schaurige Flut:
  Das treulose Wasser deckt ihn nicht mehr,
  Der auf dem Grunde dort ruht.
Er verscharrt den Leichnam unter aufgehäuftem Laub. Aber ein scharfer Wind weht durch den Wald und wieder liegt das schaurige Geheimnis offen am Tageslicht.

  Da warf ich mich hin und weinte sehr
  Und fühlt’ es in bitterer Reu:
  Die Erde will es nicht bergen mehr,
  Wie tief die Grube auch sei.
  Und was ich auch tu’, ich find’ keine Ruh,
  Im Ohr gellt der Racheschrei:

In schmerzlicher Klage spricht er die Gewissheit der bevorstehenden Entdeckung aus. Wohl vergräbt er sein Opfer, so tief er kann, und deckt es mit Steinen zu. Aber als die Jahre ihren traurigen Lauf vollendet hatten, kam der Frevel zu Tage, und der Mörder wurde zum Tode geführt.
  Es ist um die Schuld ein schreckliches Ding. Verborgene Sünden verursachen rot geweinte Augen und schlaflose Nächte, bis der Mensch sein Gewissen ausgebrannt hat und für die Hölle reif wird. Den Heuchler zu spielen ist eine schwere Aufgabe; denn in dem Spiel steht ein Betrüger gegen viele Beobachter. Ganz gewiss aber ist’s ein elendes Geschäft, dessen Ende ein furchtbarer Bankrott ist. Ja, ihr, die ihr gesündigt habt, ohne dass ein Mensch es gewahr geworden ist, seid versichert, dass eure Sünde euch finden wird, und bedenket, dass das gar bald geschehen mag. Die Sünde kommt heraus, so oder anders; die Menschen erzählen wohl gar selber ihre Geschichten im Traum. Gott hat manche Leute durch die Anklagen ihres Gewissens in solchen inneren Jammer gebracht, dass sie nicht anders konnten, als hervortreten und die Wahrheit bekennen. Der du im Geheimen den Lüsten frönst: Willst du auf Erden einen Vorgeschmack der Verdammnis haben, so fahre in deinen heimlichen Sünden fort; denn kein Mensch ist elender, als wer im Verborgenen sündigt und dennoch bestrebt ist, seinen guten Ruf zu bewahren. Jenes gehetzte Wild dort, dem die blutdürstige Meute mit offenem Munde auf der Ferse folgt, ist glücklicher als ein Mensch, der von seinen Sünden verfolgt wird. Jener Vogel, der im Netz des Vogelstellers gegangen ist und vergeblich zu entschlüpfen trachtet, ist glücklicher, als wer um sich selbst ein Netz von Trug gesponnen hat und ihm zu entfliehen sucht; denn er macht Tag um Tag das Netz nur dichter und stärker. O des Elends der geheimen Sünden! Wir mögen wohl bitten: Mache mich rein von den verborgenen Fehlen! C. H. Spurgeon 1869.
  Die Sünden aus Versehen, von denen 3. Mose 4,2 redet, sind dieselben wie die Verirrungen, wider die David in unserm Vers bittet. Es sind das nicht etwa nur Unterlassungssünden, sondern Tatsünden, von denen der Täter aber zur Zeit, da er sie vollbrachte, nicht meinte, dass sie Sünde seien. Wiewohl er die Sache mit Bedacht tat, merkte er doch die Sündhaftigkeit seines Tuns nicht. So trügerisch ist die Sünde, dass ein Mensch eine schwere Missetat begehen und sich dennoch in dem Augenblick dessen, was er damit tut, nicht bewusst sein kann. Mangel an Erkenntnis der Wahrheit und an Zartheit des Gewissens verbergen es vor uns. Die Härte des Herzens und die Verdorbenheit unserer Natur verursachten es, dass wir sündigen, ohne es zu merken. Aber auch da kommt uns der Trost der Schrift entgegen. Jahwe, der Gott Israels, richtete ein Opfer ein für Sünden der Unwissenheit und offenbarte damit schon dasselbe mitleidige und auf unser Heil bedachte Herz, das an unserm großen Hohenpriester so herrlich kund wird, der mitfühlen kann mit denen, die da unwissend sind und irren (Hebr. 5,2). Andrew A. Bonar 1859.
  Es ist nützlich, die Sünden in Sünden der Unwissenheit, der Schwachheit und der Vermessenheit zu scheiden, je nachdem der Fehler hauptsächlich im Verständnis, in den sinnlichen Trieben oder im Willen liegt. Lasst uns zur Erläuterung drei Beispiele aus der reichen Schatzkammer der Schrift entnehmen, drei hervorragende Männer, David, Petrus und Paulus, deren Sünden - Mord eines Unschuldigen, Verleugnung Christi und Verfolgung der Gemeinde - ebenfalls besonders hervorragen. Die Verfolgungssucht des Saulus war eine überaus schwerwiegende Sünde und dennoch eine Sünde der Unwissenheit; Petrus’ Verleugnung war ebenfalls schrecklich und doch eine Schwachheitssünde; aber Davids Mordtat war eine weit schlimmere Missetat, weil sie ein vorsätzlicher Frevel war. St. Paulus verfolgte und verstörte vor seiner Bekehrung die Gemeinde Gottes bis aufs äußerste, ging hin und her in die Häuser und zog hervor Männer und Weiber, überantwortete sie ins Gefängnis und zwang sie zu lästern; er reiste in entfernte Gegenden, um unter den Bekennern Christi so viel Unheil wie möglich anzurichten und schnaubte mit Drohen und Morden wider die Jünger des Herrn, mit einer Wut, als wäre er ein Wahnsinniger (Apg. 26,11). Seine Leidenschaften waren aber wider sie entbrannt nicht aus persönlichen Gründen oder durch die Reize sinnlicher Triebe (Zorn, Wollust und dergl.), sondern einzig durch seinen Eifer für das Gesetz; und wahrlich, sein Eifer hätte alles Lob verdient, wenn er nicht ein blinder Eifer gewesen wäre. Auch durchkreuzte nicht sein Wille sein Urteil, sondern jener war durch dieses geleitet; denn er meinte bei ihm selbst, er müsste viel zuwider tun dem Namen Jesu von Nazareth (Apg. 26,9). Und wahrlich, sein Wille wäre gut gewesen, wäre er nicht missgeleitet gewesen. Der Fehler lag in seiner Erkenntnis, indem Paulus von der Wahrheit der christlichen Lehre noch nicht überzeugt war. Er war im Gegenteil noch ganz gewiss, dass Jesus ein Betrüger gewesen und das Christentum eine verderbliche Irrlehre sei, vom Satan zur Unehre und zum Schaden des mosaischen Gesetzes aufgebracht. Sein irregeleitetes Urteil war es, was alles vergiftete und aus dem Eifer für das Gute einen Eifer wider das Gute machte. Eben darum bezeichnet Paulus selber seinen Verfolgungseifer als eine Sünde der Unwissenheit (1. Tim. 1,13). Solcherart war dagegen Petrus’. Verleugnung nicht. Er wusste gut genug, wer Jesus war, da er so lange mit ihm in trautem Umgang gestanden, auch lange vorher schon ein gutes Bekenntnis von ihm als dem Messias, dem Sohn des lebendigen Gottes, abgelegt hatte Auch wusste er, dass er nur keinen Preis ihn verleugnen dürfe, gerade darum war er vorher von solcher Zuversicht erfüllt gewesen, dass er es nicht tun werde, weil er so stark davon überzeugt war, dass er es nicht tun dürfe. Augenscheinlich mangelte es dem Petrus daher nicht an Erkenntnis, weder über die Person seines Meisters noch über seine eigene Pflicht, so konnte er sich denn in keiner Weise mit Unwissenheit entschuldigen. Doch lag die Ursache seines Fehltritts auch nicht in solchem Grad in seinem Willen, dass seine Verleugnung die Eigenschaft einer vorsätzlichen, vermessenen Sünde gehabt hätte. Denn obwohl er tatsächlich den Herrn verleugnete, und zwar mit schrecklichen Schwüren und Flüchen, so geschah es doch von seine nicht mit dem vorüberlegten Gedanken oder Wunsch, von Jesus abtrünnig zu werden. Nein, er kam vielmehr gewiss mit entgegengesetzten Gedanken zu dem Hofe des Hohenpriesters und sobald er durch den zweiten Hahnenschrei zur Besinnung kam über das, was er getan, gereute es ihn schmerzlich und er weinte bitterlich darüber. Wir finden in der ganzen Erzählung nichts, was auf ein tieferes Widerstreben seines Willens hindeutete. Dagegen in seinem Gemüt, ja, da lag der Fehler. Eine plötzliche Anwandlung von Furcht übermannte seine Seele, als er seinen Meister so unwürdig behandelt sah vor seinen Augen (was ihm zeigte, welch grausames Schicksal ihm zuteilwerden könne, wenn er sich hier zu Jesus bekenne) und diese Furcht nahm ihm für eine Weile den Gebrauch seiner Vernunft und richtete all sein Sinnen so auf den einen Punkt, wie er der drohenden Gefahr entrinnen könne, dass er gar nicht dazu kam, sein Gewissen zu befragen, ob es Sünde sei oder nicht. Darum, weil sie durch eine solche plötzliche Verwirrung und heftige Gemütserregung verursacht war, haben wir die Sünde des Petrus trotz ihrer Schwere als Schwachheitssünde zu bezeichnen. Als, aber David den Mordplan gegen Uria ersann, beging er eine noch schwerere Sünde, als, jene beiden. Er kannte das göttliche Gesetz zu gut, als dass er nicht gewusst hätte, welch himmelschreiende Sünde der vorsätzliche Mord eines Unschuldigen ist; und dass Uria unschuldig war, wusste er ebenfalls. So war denn, was David tat, nicht eine Sünde der Unwissenheit. Auch war es streng genommen keine Schwachheitssünde, wie wenn sie in plötzlicher Aufwallung des Zornes begangen worden wäre, wie man etwa für seinen Ehebruch mit Bathseba, als in der hitzigen Begierde der Wollust begangen, mildernde Umstände zugestehen mag. Obwohl er Zeit und Muße genug hatte, zu bedenken, was er zu tun im Begriff stand, tat er es dennoch, nur kühlem Blut und sorgfältiger Überlegung, hin und her ratschlagend, auf welche Weise er es am besten ausführen könne. Er war entschlossen, Uria aus der Welt zu schaffen, komme davon, was da wolle. In Anbetracht dieser festen Willensentschließung war Davids Sünde ein vermessener Frevel. Bischof Robert Sanderson † 1663.
  Das ist ein eigentümlicher Unterschied zwischen pharisäischer und wahrer Heiligkeit: Jene hat die Augen überall, nur nicht zu Hause, - wie der Pharisäer im Tempel über den Zöllner aburteilte, bei sich aber nichts Tadelnswertes sah; diese hingegen hält sorgsam daheim Rundschau und dringt forschend in die verborgenen Winkel des Hetzens. So sehen wir es hier bei David. Nathanael Hardy † 1670.
  Gar manchmal sind den Blicken des Gottesfürchtigen Sünden, wiewohl er sie begangen hat, verborgen, weil er nicht eifrig und genau genug sich selber erforscht und nicht unparteiisch sein Leben untersucht. Darum ermahnt die Schrift uns so oft zur Prüfung und Durchforschung unseres Inneren; denn nur durch solches Sichten und Sieben unserer Gedanken, Werke und Worte können wir erkennen, was Weizen und was Spreu ist. Anthony Burgeß 1656.
  Ich finde, die Art und Schwere der einzelnen Sünden hängt so sehr von der Art der Persönlichkeit und den Umständen ab, dass das bei dem einen Menschen ein Schwachheitsfehler ist, was sich bei dem andern als schwere Sünde darstellt. Wer mit Willen sündigt und nach vollbrachter Tat - nicht um seine Seele wider den Satan zu ermutigen, sondern um vor sich selber seine Sünde zu beschönigen - sagt, es sei nur eine Schwachheitssünde, der wird sich aller Voraussicht nach durch seine "Schwachheitssünden" in die Hölle bringen. Richard Capel † 1656.


V. 14. Halte deinen Knecht auch zurück von Vermessenheitssünden. (Siehe d. Ausl.) Dem Bösen ist’s ein Kreuz, dass er nicht sündigen kann, wie er möchte; der Gute hingegen freut sich darüber, dass Gott ihn von der Sünde zurückhält. Wo sich Gelegenheiten zur Sünde bieten, streckt der Böse seine Hand nach der Sünde aus; der Gute aber streckt seine Hand flehend gen Himmel aus wider seine Sünde. Und wenn er findet, dass sein Herz bereit ist, sich dem Bösen hinzugeben, ruft er: O halte du deinen Knecht zurück! Der Gottlose wird von der Sünde zurückgehalten, wie ein Freund vom Freunde, wie ein Liebhaber von seiner Geliebten: Ihr Herz gehört einander und ihr Sinnen geht darauf, sich zu vereinigen. Aber der Fromme wird von dem Frevel zurückgehalten, wie ein Mann von seinem Todfeind, dessen Nähe er hasst und dessen gänzlichen Untergang er begehrt. Es ist des Gottesfürchtigen Kummer, dass sein Herz, weil es noch immer Böses in sich hat, noch gezähmt und gezügelt werden muss; den Gottlosen verdrießt es und ist ihm eine Qual, dass er noch im Zaum gehalten wird. So wird uns klar, worauf David mit seiner Bitte um Zurückhaltung vom Frevel zielt, nämlich nicht nur auf Bewahrung vor einzelnen Ausbrüchen, sondern auf Bezwingung der bösen Neigungen in seinem Innern, und zwar auf gänzliche Abtötung derselben. Obadiah Sedgwick † 1658.
  Deinen Knecht: O Gott, du bist mein Herr, du hast mich zu deinem Dienst erwählt, und ich habe mich dir zum Gehorsam ergeben. Nun wird ein Herr doch gewiss seinem Knecht helfen wider einen Feind, der ihn eben wegen des Dienstes angreift. Darum, Herr, hilf mir! Ich vermag mich nicht durch eigene Kraft gegen ihn zu behaupten; aber du bist der allvermögende Helfer. Obadiah Sedgwick † 1658.
  Dass sie nicht über mich herrschen. Jede scheinbar noch so kleine Sünde kann über den Menschen die Oberhand gewinnen und ihn mit der Zeit, wenn sie durch Gewohnheit eingewurzelt und erstarkt ist, in solchem Grade unter sich zwingen, dass er kaum ihr Joch abschütteln und sich von ihrer Tyrannei befreien kann. Wir können das an gewohnheitsmäßigen Fluchen oder Trinkern nur zu oft recht augenscheinlich bestätigt sehen. Solche Sünden wachsen aber meist ganz allmählich heran; sie schleichen sich unvermerkt auf den Thron und üben ihre Herrschaft über die geknechtete Seele erst dann öffentlich aus, wenn sie durch viele einzelne Sündenfälle erstarkt sind. Vermessenheitssünden dagegen bewirken oft plötzlich und auf einmal eine große Veränderung in der Seele und machen durch eine einzige Tat erstaunliche Fortschritte, indem sie den Nerv des geistlichen Lebens durchschneiden und dem Fleisch gewaltig Vorschub leisten, sogar ihm zum entscheidenden Sieg für immer verhelfen. Bischof Robert Sanderson † 1663.
  Großer Missetat. Wache mit heiligem Eifer, dass du nicht in irgendeine Sünde gerätst; vor allem aber hüte dich vor solchen Sünden, die der Sünde wider den heiligen Geist nahe kommen; als da ist: Heuchelei, da man nur die äußerlichen Formen der Religion mitmacht und sich so vor Gott verstellt und mit dem Heiligen spielt; ferner vorsätzliches Sündigen wider die Überzeugung des Gewissens. Solche Sünden sind zwar an sich noch nicht unmittelbar die Sünde wider den heiligen Geist, aber sie kommen ihr nahe und sind der gerade Weg dazu. Darum hüte dich besonders vor ihnen, damit sie dich nicht mit der Zeit in jene unverzeihliche Sünde stürzen. Robert Bussel 1705.


V. 15. David konnte es nicht ertragen, dass auch nur ein Wort, ein Gedanke von ihm des göttlichen Wohlgefallens entbehren sollte. Er war nicht damit zufrieden, dass sich seine Taten vor den Menschen auf Erden wohl bezeugten, wenn nicht sogar seine innersten Gedanken von Gott im Himmel ein gutes Zeugnis erhielten. Joseph Caryl † 1673.
  Weißt du auch, dass das die beste Weise ist, mit Gottes Wort fruchtbar umzugehen, wenn ernstliche Betrachtung und Beten einander ablösen? Da ist Gottes Wort und dessen Erinnerungen bei dir zu Grund gesunken, wenn sie sich im Beten wieder aufwärts treiben, und da ist dem Herz und Mund zum Beten recht gestimmt, wenn es vom Wort Gottes und dessen Erinnerungen getrieben wird. Karl Heinrich Rieger † 1791.
 Goel, Erlöser (Röm. 11,26; Jes. 59,20; Apg. 7,35), ist von Schulden, Gefahren, Gewalt, Verderbnis, Feinden, jedem Übel, besonders aus einem Stand der Alienation (der Enteignung), 1. Könige 16,11; Ruth 3,9. Friedr. Christoph Oetinger 1775.
  Die letzte Strophe gibt in nuce (ganz kurz gefasst) eine scharf umrissene Soteriologie (Heilslehre). Nimmt man Ps. 32 hinzu, so hat man das Ganze des Heilswegs in fast Paulinischer Klarheit und Bestimmtheit. Paulus zitiert auch beide Psalmen; sie waren gewiss seine Lieblinge. Prof. Franz Delitzsch † 1890.


Homiletische Winke

V. 2-7. Gottes Macht, Weisheit, Güte, Sorgfalt, Treue, Erhabenheit und Herrlichkeit erkennbar an den sichtbaren Himmeln.
  Vergleich zwischen der Offenbarung Gottes an den Himmeln und der Offenbarung im Wort, mit besonderer Hervorhebung Christi als der Zentralsonne der heiligen Schrift.
V. 2. Das Verkündigen der Ehre Gottes- ein Werk, in dem wir mit der Schöpfung wetteifern sollen. Die Hoheit, Köstlichkeit, Nützlichkeit und Pflichtmäßigkeit solchen Gottesdienstes.
V. 3. Die Stimmen des Tages und der Nacht. Tag- und Nachtgedanken.
V. 4. Die Übersetzung: "Ohne Rede, ohne Worte, unhörbar ihre Stimme" legt in Verbindung mit dem folgenden Vers die bildliche Anwendung auf die Beredsamkeit eines stillen Zeugnisses durch den Wandel nahe.
V. 5. Inwiefern Gott sich allen Menschen geoffenbart habe.
V. 5-7. Jesus die Sonne der Gerechtigkeit: 1) Sein Gezelt. 2) Seine Erscheinung als Bräutigam. 3) Seine Freude als Siegesheld. 4) Seines Evangeliums-Lauf über den Erdkreis und dessen Einfluss.
V. 6. Die Freude des Kraftgefühls; die Freude heiligen Wirkens; die Freude im Blick auf den zu erwartenden Lohn.
V. 7b. Die alles durchdringende Kraft des Evangeliums.
V. 8a. Das Wort Gottes. 1.) Was ist es? Ein Gesetz. 2) Wessen ist es? Des Herrn. 3) Wie beschaffen ist es? Vollkommen. 4) Was bewirkt es? Es erquickt (belebt) die Seele.
V. 8b. Gottes Schule. 1) Die Schüler. 2) Das Lehrbuch. 3) Der Lehrer. 4) Die Fortschritte.
  Die Weisheit der Unweisen.
V. 9a. Die herzerfreuende Kraft des Wortes: 1) begründet in seinem Wesen (r$fyf). 2) erprobt in der Erfahrung: es macht das Herz wahrhaft froh, und zwar in allen Lagen (Partizip).
V. 9b. Die beste Augensalbe.
V. 10. Die Reinheit und ewige Beständigkeit der wahren Religion ("Furcht des Herrn"), und die Wahrheit und Gerechtigkeit der Grundsätze, auf denen sie erbaut ist.
V. 11. Zwei Gründe, die uns bewegen sollten, Gottes Rechte zu lieben; sie gewähren Gewinn und Freude.
  Die unaussprechliche Wonne des Sinnens über Gottes Wort.
V. 12a. 1) Eine dankenswerte Wohltat: Erinnerung (Belehrung, Mahnung, Warnung); 2) Durch wen erwiesen? Durch die Rechte des Herrn; 3) Wem? "Deinem Knecht"; 4) Wann? Stetig (Partizip).
V. 12b. Echt evangelischer Lohn (Jak. 1,25). In ihrer Beobachtung (wörtl.), nicht: für die Beobachtung.
V. 13-14. Drei Grade der Sünde; Verborgene (d. i. unbewusste, unbeachtete), vermessene (s. d. Ausl.) und unverzeihliche Sünden.
V. 13. "Die Sünde ist unermesslich", siehe Predigt von C. H. Spurgeon, 1. Bd. (Min.-Ausg. S. 131), Baptist. Verlag, Kassel.
V. 15. Gebet um den Geist des Gebetes. Sacharja 12,10; Röm. 8,26. 27.
  Das Verlangen zu gefallen. Etliche suchen sich selber zu gefallen, andere den Menschen, andere Gott. Zu den letzten gehörte David. Die Bitte zeigt 1) seine Demut, 2) seine Liebe zu Gott, 3) sein Pflichtbewusstsein und 4) sein Verlangen gesegnet zu werden. W. Jay † 1853.
  Übereinstimmung von Mund und Herz notwendig, nur das Wohlgefallen Gottes zu erlangen.

Fußnoten

1. Gegen diese Übers. mag geltend gemacht werden, das. rme)o und MyribfdI: nicht Sprache und Mundarten der verschiedenen Völker und Volksstämme bedeuten können, wofür der Hebräer die Ausdrucke
NO$lf und hpf&f hat.

2. Diese Übersetzung ist die sprachlich nächst liegende, sie wird z. B. von Hengstenberg, Hupfeld und J. W. Schultz befolgt. Doch fassen manche, z. B. Ewald und Keßler, den Sinn anders als Spurgeon, indem sie den Vers als vorangehende Adverbialbestimmung zu dem folgenden Vers ansehen: Ohne Rede, ohne Worte, unhörbar ihre Stimme - läuft über die ganze Erde ihre Schnur, d.h. ihr Machtbereich. Sinn: Das Zeugnis der Himmel vollzieht sich in feierlicher Stille (Keßler). - Ganz entgegengesetzt übersetzen die meisten Neueren (Hitz., Del., Häthg., Kautzsch) aus sachlichen Gründen nach den LXX und fielen Alten: Da ist keine Rede (= Botschaft) und keine Worte, deren Stimme unhörbar (wäre). "Die Predigt des Taghimmels und Nachthimmels", sagt Delitzsch, "ist kein wüstes, verworrenes Lärmen (Targum), keine Winkelpredigt, es ist eine Predigt in allvernehmbarer Rede, allverständlichen Worten, ein fanero/n (Röm 1,19), etwas Offenkundiges." Für diese letztere Auffassung (und damit gegen die Auslegung Spurgeons) macht man namentlich geltend, dass der nächste Vers nicht mit einem Dennoch (w: adversat.) beginne, also durch nichts angedeutet sei, dass V. 5 als Gegensatz zu V. 4 zu fassen sei. Dieser Einwurf berührt natürlich die andere Auffassung von Ewald u. Keßler nicht.

3. Zu beachten ist, dass die Sonne im Hebräischen fast immer, und so auch hier, als Maskulinum erscheint. (Ebenso im Gothischen, Alt- und Mittelhochdeutschen.)

4. "Die Sechsfache," Anspielung auf das große Bibelwerk des Origenes, das in sechs Kolumnen verschiedene Texte und Übersetzungen nebeneinander stellte.

5. Aus Bunyans Buch: Der heilige Krieg.

6. Die meisten Ausleger (Ewald, Hupfeld-Riehm, Olshausen, Kautzsch, Schultz, Böthg., Keßler usw.) fassen mit Luther Mydiz" konkret gleich übermütige Frevler, dagegen nehmen es die engl. Übers. wie schon Kimchi und unter den Neueren Hitzig, Lange-Moll, Delitzsch. Stier usw. als abstractum gleich Überhebung oder als "neutrales Massenwort" gleich Überhebungssünden, Freveltaten (obwohl das Wort sonst nur als männl. concretum vorkommt). Von diesen, bittet David, möge Gott ihn zurückhalten K:&xA Die Auslegungen berühren sich dadurch, dass das Herrschen auch bei der ersten Auffassung von Mydiz" als sittliche Beeinflussung zu verstehen ist. Man beachte, dass "das Zeitwort dWz mit seinen Nominalbildungen dz" und NOdzf gerade das Wort ist, welches seinem eigentüml. Begriff nach die Sünden, die 4. Mose 15,30 (als hmfrf dyfbI:, mit erhobener Hand = aus Frevel geschehen) den Gegensatz zu den Verirrungssünden, um deren Vergebung der Sänger im vorhergehenden Vers gebeten bilden, - nämlich die vorsätzlichen oder Bosheitssünden, Frevel, in ihrer Quelle bezeichnet. Eigentlich sieden, überwallen, von übersprudelnder, ihre Schranken überschreitender Aufwallung und Leidenschaft, daher bildlich von Überhebung und Vermessenheit des eitlen, seine Schranken verkennenden Herzens." (Hupfeld) Spricht dies für die neutrische Fassung, so dagegen das letzte Versglied für die männliche, da dieses sonst tautologisch erscheint.

7. Aus Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift in deutscher Übersetzung. Verlag der Buchhandlung des Erziehungsvereins, Neukirchen.

8. In diesem und dem folgenden Abschnitt liegt eine Verwechslung zwischen verborgenen d. h. unbewussten, und geheimen Sünden vor, wozu die engl. Übers. secret sins leicht Veranlassung bietet.