Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 118 (Auslegung & Kommentar)


Inhalt

Verfasser und Inhalt. Im Buche Esra 3,10.11 lesen wir: "Da die Bauleute den Grund legten am Tempel des HERRN, standen die Priester in ihren Kleidern mit Trompeten, und die Leviten, die Kinder Asaph, mit Zimbeln, zu loben den HERRN mit dem Gedicht Davids, des Königs über Israel; und sangen umeinander und lobten und dankten dem HERRN, dass er gütig ist und seine Barmherzigkeit ewiglich währet über Israel. Und alles Volk jauchzte laut beim Lobe des HERRN, dass der Grund am Hause des HERRN gelegt war." Nun sind die bei Esra erwähnten Worte die ersten und letzten Sätze dieses Psalms. Daraus ziehen wir den Schluss, dass das Volk das Ganze dieses herrlichen Liedes sang, und ferner, dass David den Psalm zum Gebrauch für solche Gelegenheiten bestimmt hatte. Wir halten demnach David für den Verfasser. Ja wir glauben sogar, dass der Psalm von ihm handelt, wenigstens in einem gewissen Grade; denn es ist augenscheinlich, dass der Dichter zunächst über sich selber redet, wenn er sich auch nicht in jeder Einzelheit auf seine persönliche Erfahrung beschränkt hat. Es ist offenbar, dass der Psalmist seinen Blick prophetisch auf unseren Herrn Jesus Christus richtete, wie aus dem häufigen Gebrauch von Versen dieses Liedes im Neuen Testament ohne Frage hervorgeht; aber andererseits sollte nicht jeder einzelne Satz messianisch gedeutet werden, weil dazu ein ganz besonderes Maß von Findigkeit gehören würde und gar zu geistreich ausgeklügelte Erklärungen selten richtig sind. Dann könnte es uns ergehen wie gewissen frommen Erklärern, die den Ausdruck des 17. Verses "Ich werde nicht sterben, sondern leben" so lange gedreht haben, bis er auf unseren Heiland anwendbar war, der doch wahrhaftig gestorben ist, ja dessen Ruhm es ist, dass er gestorben.
  Der Psalm scheint uns die Erlebnisse entweder Davids selbst oder eines andern hervorragenden Mannes Gottes zu schildern, der nach göttlicher Wahl zu einem hohen und ehrenvollen Amt in Israel bestimmt war. Dieser auserlesene Kämpe sah sich von seinen Freunden und Volksgenossen verworfen und zugleich von Feinden heftig befehdet. Aber im Glauben an Gott nimmt er den Kampf um den ihm zugewiesenen Platz auf, den er endlich auch erlangt, und zwar so, dass sich darin in hervorragender Weise die Macht und Güte des HERRN erweisen. Sodann geht er hinauf zum Hause des HERRN, um zu opfern und seinen Dank für die göttliche Hilfe zum Ausdruck zu bringen, wobei das ganze Volk ihm Glück- und Segenswünsche zuruft. Diese Heldenperson, die wir für David selber zu halten kaum umhinkönnen, ist im großen Ganzen ein Vorbild auf den Herrn, aber nicht in der Art, dass wir bei jedem einzelnen Zuge seiner Nöte und Gebete Gleiches in dem Leben unseres Heilandes ausspüren müssten. Die Vermutung vieler, dass das in dem Psalm redende Ich das ganze Volk darstelle, ist der Beachtung wert; aber es kann dabei doch der Gedanke bestehen bleiben, dass hier an einen persönlichen Führer gedacht ist, weil ja, was von dem Führer ausgesagt wird, zum großen Teil auch von seiner Gefolgschaft gilt. Die Glieder machen dieselbe Erfahrung wie das Haupt, und die gleichen Worte gelten so ziemlich von beiden. Alexander ist der Meinung, dass die Befreiung, die im Psalm gepriesen wird, am allerbesten auf diejenige aus der babylonischen Gefangenschaft passe.1 Nach unserer Meinung beziehen wir ihn am besten auf kein einzelnes geschichtliches Ereignis, sondern sehen in ihm eine Art Nationallied, das sich sowohl beim Hervortreten eines auserkorenen Helden wie beim Tempelbau eignete.

Einteilung. Wir schlagen folgende Teilung vor: V. 1-4 werden die Gläubigen aufgefordert, die ewig währende Gnade des HERRN zu preisen. V. 5-18 gibt der Dichter eine Schilderung seiner Erlebnisse und bringt sein Gottvertrauen zum Ausdruck. V. 19-21 bittet er um Zulassung zu dem Hause des HERRN und beginnt, Gottes Hilfe zu bezeugen. In V. 22-27 erkennen Priester und Volk ihn als ihren Führer an, preisen den HERRN dafür, dass er ihn ihnen geschenkt, rühmen ihn als gesegnet und laden ihn ein, mit seinem Opfer zum Altar zu nahen. In den zwei letzten Versen preist der Held wiederum selber den ewig gnadenreichen Gott. - Als Beispiel einer andern Einteilung fügen wir die folgende von Delitzsch bei. Danach zerfällt der Psalm in zwei Hälften, V. 1-19 und V. 20-27. Die erste Hälfte singt der von Priestern und Leviten abgeholte Festzug, der mit den Opfertieren zum Tempel hinaufzieht, und zwar V. 1-4 beim Aufbruch, V. 15-18 auf dem Wege. Mit V. 19 steht er am Eingang. Die Leviten, welche den Festzug in Empfang nehmen, singen die zweite Hälfte, V. 20-27. Hierauf ist V. 28 die Antwort der Angekommenen und V. 29 Schlussgesang aller.


Auslegung

1. Danket dem HERRN, denn er ist freundlich,
und seine Güte währet ewiglich.
2. Es sage nun Israel:
Seine Güte währet ewiglich.
3. Es sage nun das Haus Aaron:
Seine Güte währet ewiglich.
4. Es sagen nun, die den HERRN fürchten:
Seine Güte währet ewiglich.


1. Danket dem HERRN. Der Held des HERRN, aus dessen Seele dieses Lied geflossen, hat die Empfindung, dass er allein außerstande ist, seiner Dankbarkeit hinreichend Ausdruck zu geben; darum holt er andere zu Hilfe. Von Dank erfüllte Herzen sind begierig, aller Menschen Zungen ausschließlich der Verherrlichung Gottes zu Dienst gestellt zu sehen. Das ganze Volk war an Davids glorreicher Thronbesteigung beteiligt; darum gebührte es sich, dass sie auch alle in seinen anbetenden Lobgesang einstimmten. Der Dank galt Jehovah allein, nicht der Ausdauer oder Kraft des Führers. Wir sollen nicht bei den Hilfsmitteln stehen bleiben, sondern gleich zu der obersten Quelle aufsteigen und alles Lob dem HERRN selber weihen. Sind wir etwa vergesslich gewesen oder haben wir dem Seufzen und Murren Raum gegeben? Dann möge die lebhafte Sprache des Psalms zu unserem Herzen reden: Lasst alles Klagen und allen Selbstruhm schweigen und danket dem HERRN! Denn er ist freundlich, wörtl.: gut. Das ist Grund genug, ihm zu danken: Güte ist sein Wesen, seine eigenste Natur; darum ist er immerdar zu preisen, mögen wir gerade etwas Besonderes von ihm empfangen haben oder nicht. Leute, die Gott nur loben, weil er ihnen Gutes tut, sollten eine höhere Tonart anstimmen und ihm danken, weil er gut ist. Im wahrsten Sinn des Wortes ist er allein gut (Lk. 18,19), darum gebührt dem HERRN der königliche Anteil von aller Dankbarkeit. Andere mögen gut scheinen, er ist gut. Sind andere in einem gewissen Maße gut, so er ohne Maßen. Wenn andere sich uns gegenüber übel verhalten, sollte uns das nur anspornen, dem HERRN umso herzlicher dafür zu danken, dass er gut ist; und sind wir uns bewusst, dass uns selber viel daran fehlt, so sollten wir mit umso größerer Ehrfurcht ihn preisen, dass er gut ist. Wir dürfen an der Güte Gottes auch nicht einen Augenblick zweifeln; denn was sonst auch fraglich sein mag, das ist unbedingt gewiss, dass Jehovah gut ist. Seine Führungen mögen sehr verschieden sein, aber seine Natur ist stets dieselbe und immer gut. Er war nicht nur ehedem gut oder wird gut sein, sondern er ist gut, mag sein Tun sich ausnehmen, wie es will. Darum lasst uns gerade jetzt, auch wenn an unserem Himmel dunkle Wolken hängen, seinem Namen danken.
  Und seine Güte (oder Gnade) währet ewiglich. Die Gnade ist ein wichtiger Teil seiner Güte und derjenige, der uns näher noch als irgendein anderer angeht, denn wir sind Sünder und bedürfen eben darum der Gnade. Auch die Engel mögen rufen: "Er ist gut", aber seiner vergebenden Gnade bedürfen sie nicht und können sich deshalb nicht in gleichem Maße über sie freuen. Die unbeseelte Schöpfung ist ein Zeuge seiner Güte, aber für seine Sünden tilgende Liebe hat sie kein Empfinden, denn sie hat keine Missetat begangen. Aber wenn der Mensch, der sich in der Tiefe der Seele schuldig weiß, Vergebung empfangen hat, so sieht er die Gnade als den eigentlichen Brennpunkt der Güte Gottes an. - Die Dauer der göttlichen Gnade ist ein besonderer Gegenstand des Lobgesanges: trotz unseren Sünden, Anfechtungen und Befürchtungen währt sie ewiglich. Die schönsten irdischen Freuden vergehen, ja die Welt selbst wird alt und geht der Auflösung entgegen; aber in der Gnade Gottes gibt es keine Veränderung. Er war unseren Vätern treu, er ist barmherzig gegen uns und wird unseren Kindern und Kindeskindern gnädig sein. Hoffentlich lassen die überklugen Gelehrten, die das Wort ewig so beschneiden, dass es nur eine mehr oder weniger lange Zeitperiode bezeichnet, diese Stelle gütigst in Ruhe. Doch mögen sie tun, was ihnen beliebt; wir glauben an eine Barmherzigkeit, die kein Ende hat, eine Gnade, die in alle Ewigkeit währet. Unser Herr und Heiland, der in seiner Person die Gnade Gottes sichtbar darstellt, ruft auch uns auf, jedesmal wenn wir sein gedenken, dem HERRN zu danken, weil er so gut ist.

2. Es sage nun Israel: Seine Güte (oder Gnade) währet ewiglich. Mit Israels Vätern hatte Gott einen Gnaden- und Liebesbund geschlossen, und diesem war er immerdar treu. Israel sündigte in Ägypten, versuchte den HERRN in der Wüste, wich in der Richterzeit immer wieder ab und übertrat zu allen Zeiten die göttlichen Gebote; dennoch hörte der HERR nicht auf, es als sein Volk anzusehen, zu ihm zu reden durch die Propheten und ihm die Sünden zu vergeben. Er ließ von seinen Züchtigungen, die sie so reichlich verdient hatten, bald ab, weil er sie mit liebenden Augen ansah. Sein Herz voll Erbarmens trieb ihn, die Rute in dem Augenblick in die Ecke zu stellen, da sie Buße taten. Seine Güte währet ewiglich: das war gleichsam Israels Nationalhymne, und das Volk hatte früher bei vielen Gelegenheiten Grund gehabt, sie zu singen. Jetzt fordert der heilige Sänger, der sich endlich an dem von Jehovah ihm zugedachten Platze sieht, dieses auf, mit ihm zusammen die ewige Gnade des HERRN, die sie eben wunderbar erfahren, hoch zu rühmen. Wenn Israel nicht singt, wer soll es denn tun? Wenn Israel nicht von der Gnade singt, wer kann es dann? Wenn Israel nicht singt, da der Sohn Davids den Thron besteigt, dann werden die Steine schreien.

3. Es sage nun das Haus Aaron: Seine Güte (oder Gnade) währet ewiglich. Die Söhne Aarons hatten das Vorrecht, Gott am nächsten zu treten, und es war nur seine barmherzige Güte, die sie in den Stand setzte, in der Gegenwart des dreimal heiligen Jehovah zu wohnen, der ein verzehrendes Feuer ist. An jedem Morgen und Abend stellte das Lammopfer den Priestern die unaufhörliche barmherzige Güte des HERRN vor Augen, ja jedes der heiligen Geräte sowie alle gottesdienstlichen Handlungen im Heiligtum waren von Stunde zu Stunde neue Zeugen der Gnade des Höchsten. Wenn der Hohepriester in das Allerheiligste hineinging und dann wieder als in Gnaden aufgenommen und erhört hervortrat, so konnte er vor allen anderen Menschen von der ewigen Gnade Gottes singen. Die Priester hatten jetzt besonderen Grund zur Dankbarkeit: während vorher viele ermordet waren und sie ihren heiligen Dienst nicht hatten versehen können, standen sie jetzt wieder in Achtung, empfingen ihren Unterhalt und wurden in ihrer Person und ihrem Amt geschützt. Nachdem unser Herr Jesus Christus alle die Seinen Gott zu Priestern gemacht hat, darf er die so Begnadigten wohl ermuntern, die ewige Gnade des Allerhöchsten zu erheben. Kann da irgendein Glied der königlichen Priesterschaft schweigen?

4. Es sagen nun, die den HERRN fürchten: Seine Güte (Gnade) währet ewiglich. Jetzt werden alle diejenigen, die mit heiliger Furcht und demütiger Verehrung gegen Gott erfüllt waren, obwohl sie nicht zu Israel nach dem Fleisch gehörten und wo immer in aller Welt sie auch wohnen mögen, von dem heiligen Sänger aufgefordert, mit ihm einzustimmen in seinen herzlichen Dank, und das gerade jetzt nach der wunderbaren Erhöhung des ganzen Volkes sowie besonders seines Führers. Das ist keine übertriebene Forderung; denn jeder gute Mensch auf Erden hat Vorteil davon, wenn ein treuer Knecht Gottes und gar sein Volk zu Einfluss und Ehren kommt. Das Heil Israels in dieser Zeit war ein Segen für alle, die Jehovah fürchteten. Die wahrhaft Gottesfürchtigen richten ihre Augen besonders auf Gottes Güte, denn sie wissen sich ihrer sehr bedürftig, und die Gnade Gottes erweckt in ihnen tiefe Ehrfurcht. Bei dir ist die Vergebung, dass man dich fürchte (Ps. 130,4).
  In den drei Aufforderungen, nämlich an Israel, das Haus Aaron und die den HERRN Fürchtenden, wird jedesmal die Mahnung wiederholt, zu sagen, dass seine Gnade ewig währe. Wir sollen die Gnade Gottes nicht bloß still im Herzen glauben, sondern sie auch verkündigen. Die Wahrheit will nicht geheim gehalten, sondern laut ausgerufen sein. An dem Tage, da die Ehre Gottes angegriffen wird, will Gott sein Volk als Zeugen und nicht als stumme Beobachter haben. Und ist es nicht eine besondere Freude für uns, die Ehre und den Ruhm Gottes zu preisen, wenn wir an die Erhöhung seines lieben Sohnes denken? Wenn wir den Stein, den die Bauleute verworfen (V. 22), an den rechten Platz gelegt sehen, sollten wir da nicht Hosianna rufen und laut unser Hallelujah singen?
  Man kann das vierfache Zeugnis von der ewig währenden Gnade Gottes mit den vier Evangelisten vergleichen, von denen jeder einzelne den Kern und Stern des Evangeliums bringt, oder mit den vier Engeln, die an den vier Enden der Erde stehen, die Winde in ihrer Hand halten und die Plagen der letzten Zeit zurückhalten, damit die Güte und Langmut Gottes gegen die Menschenkinder noch weiter währe (Off. 7,1). Es sind vier Seile, die das Opfer an die vier Hörner des Altars binden (V. 27), und vier Posaunen, die das Jubel-Halljahr den vier Enden der Erde verkündigen. Lasst uns die folgenden Verse des Psalms nicht eher betrachten, bis wir aus aller Macht mit Herz und Mund den HERRN gepriesen haben, dass seine Güte ewiglich währt.


5. In der Angst rief ich den HERRN an,
und der HERR erhörte mich und tröstete mich.
6. Der HERR ist mit mir, darum fürchte ich mich nicht;
was können mir Menschen tun?
7. Der HERR ist mit mir, mir zu helfen;
und ich will meine Lust sehen an meinen Feinden.
8. Es ist gut, auf den HERRN vertrauen
und nicht sich verlassen auf Menschen.
9. Es ist gut, auf den HERRN vertrauen
und nicht sich verlassen auf Fürsten.
10. Alle Heiden umgeben mich;
aber im Namen des HERRN will ich sie zerhauen.
11. Sie umgeben mich allenthalben;
aber im Namen des HERRN will ich sie zerhauen.
12. Sie umgeben mich wie Bienen,
aber sie erlöschen wie ein Feuer in Dornen;
im Namen des HERRN will ich sie zerhauen.
13. Man stößt mich, dass ich fallen soll;
aber der HERR hilft mir.
14. Der HERR ist meine Macht und mein Psalm
und ist mein Heil.
15. Man singt mit Freuden vom Sieg
in den Hütten der Gerechten:
Die Rechte des HERRN behält den Sieg;
16. die Rechte des HERRN ist erhöht;
die Rechte des HERRN behält den Sieg.
17. Ich werde nicht sterben, sondern leben
und des HERRN Werke verkündigen.
18. Der HERR züchtigt mich wohl;
aber er gibt mich dem Tode nicht.


5. In der Angst (oder aus der Bedrängnis heraus) rief ich den HERRN an. Es blieb ihm nichts übrig als Gebet, und in seiner Not hatte er für nichts anderes Sinn; aber doch war er ein Herr aller Dinge, weil er Zuversicht zu Gott besaß und das Vorrecht des Gebets ihm blieb. Da die Gebete, die aus der Not geboren sind, gewöhnlich aus dem Herzen kommen, gehen sie auch zum Herzen Gottes. Es ist köstlich, uns unsere Gebete wieder ins Gedächtnis zurückzurufen, und oft ist es auch nützlich, anderen davon zu sagen, wenn sie erhört sind. Beim Aussprechen mag das Gebet für uns zuweilen einen bitteren Beigeschmack haben, aber wenn es erhört wird, ist es süß. Da der gottergebene Sänger gewohnt war, den HERRN auch in Tagen der Freude anzurufen, fand er es in der Zeit der Not natürlich und leicht, sein Herz vor ihm auszuschütten. Anbetung, Lob und Bitte gehörte bei ihm zum Anrufen Gottes, auch wenn er in der Enge saß. Wie groß war da seine Freude, als er sagen konnte: Und der HERR erhörte mich und tröstete mich. Wörtlich übersetzt Luther 1524: Der HERR erhörte mich im weiten Raum, d. h. er wurde aus dem Engpass der Not in die weite Ebene der Freude geführt. Bei Gott ist Hören und Erhören ein und dasselbe. Die Erhörung entsprach der Bitte. Es gibt viele unter uns, die mit dem Psalmisten in die Worte dieses Verses einstimmen können. Wir waren in tiefer Not wegen der Sünde und fanden uns unter dem Gesetz wie in einem Gefängnis verschlossen, aber das Gebet des Glaubens wurde erhört, und wir erhielten die Freiheit der völligen Rechtfertigung, womit Christus uns frei machte. So sind wir nun wahrhaft frei. Es war der HERR, der es getan, und wir schreiben seinem Namen alle Ehre zu. Wir hatten kein Verdienst, keine Stärke, keine Weisheit; alles, was wir tun konnten, war doch nur, ihn anzurufen, und auch das war eine Gabe von ihm. Aber die ewige Gnade kam uns zu Hilfe, und wir wurden aus der Knechtschaft herausgeführt und durften uns eines endlosen Erbes in der ganzen Länge und Breite erfreuen. Was ist das für ein weiter Raum, in den der große Gott uns hineingestellt hat! Alle Dinge, alle Zeiten und die ganze Welt gehören uns, denn Gott selbst gehört uns; wir haben die Erde zur Herberge und den Himmel als ewige Wohnstatt - kann man sich weiteren Raum denken? Wir haben die Mithilfe von ganz Israel, dem ganzen Hause Aaron und allen, die den HERRN fürchten, nötig, um unseren Dank recht darzubringen. Und wenn diese uns nun auch mit Aufbietung aller ihrer Kraft unterstützt und wir selber unser Bestes getan haben, dann bleibt doch alles noch weit zurück hinter dem Lobpreis, der unserm freundlichen Herrn gebührt.

6. Der HERR ist mit mir, wörtl.: für mich. Weiland stand mir seine Gerechtigkeit entgegen, aber nun ist er mein versöhnter Gott, der für mich eintritt. Der heilige Sänger jubiliert natürlich über die göttliche Hilfe: als alle Menschen sich gegen ihn gewandt, da war Gott sein Beschützer und Fürsprecher und führte den göttlich großen Ratschluss seiner Gnade aus. Man könnte den Ausdruck auch (vergl. Luther Ps. 56,10) übersetzen und auslegen: Jehovah gehört mir, er ist mein. Was ist das für ein unendlicher Reichtum! Wenn wir unseren HERRN nicht rühmen, dann sind wir die Gefühllosesten unter allen Menschen. Darum fürchte ich mich nicht. Er sagt nicht, dass er nichts zu leiden haben werde, sondern dass er sich nicht fürchten wolle. Das Gegengewicht der Liebe Gottes ist unendlich größer als der Hass der Menschen; so empfand der Psalmist, als er das eine mit dem anderen verglich, dass überhaupt kein Grund vorliege, sich zu fürchten. So stand er denn mutig und zuversichtlich da, ob auch die Feinde ihn umringten. Möchten alle Gläubigen diese Stellung einnehmen, denn damit ehren sie Gott. Was können mir Menschen tun? Nicht mehr, als Gott ihnen erlaubt; im schlimmsten Fall vermögen sie den Leib zu töten, aber mehr auch dann nicht. Wenn Gott sich vorgenommen, seinen Knecht David auf den Thron zu setzen, so ist die ganze Menschheit nicht imstande, den göttlichen Ratschluss zu durchkreuzen. Auch die erbittertste Feindschaft der Mächtigsten kann weder den Vorsatz ins Wanken bringen, den Jehovah in seinem Herzen gefasst hat, noch seine Erfüllung aufhalten; sie kann ihn schon gar nicht verhindern. Saul trachtete danach, David zu töten, aber David überlebte Saul und setzte sich auf seinen Thron. Die Schriftgelehrten und Pharisäer, die Priester und Herodianer verbanden sich in der Feindschaft gegen den Gesalbten Gottes, aber er ist nun hoch erhöht trotz ihrer Feindschaft. Der Gewaltigste unter den Menschen ist ein winziges Zwerglein, wenn er sich Gott gegenüberstellt, ja er schrumpft in lauter Nichts zusammen. Wäre es also nicht ein jämmerlich Ding, sich vor einem so elenden und verächtlichen Wesen, wie es der Mensch im Widerstreit mit dem allmächtigen Gott ist, zu fürchten? Der Psalmist redet hier wie ein Ritter, der allen, die sich auf dem Kampfplatz zeigen, den Fehdehandschuh hinwirft und das ganze Weltall in Waffen herausfordert; ein echter Ritter Bayard ohne Furcht und Tadel. Er trotzt jedem Feind, weil er sich der Huld Gottes erfreut.

7. Der HERR ist mit mir, mir zu helfen, wörtl.: unter meinen Helfern. Das heißt aber nicht nur: als einer unter vielen, sondern als ein Helfer, der alle andern aufwiegt. Wie tröstlich ist es doch zu wissen, dass der HERR unsere Partei ergreift und dass er, wenn er Freunde für uns erweckt, diese nicht allein für uns kämpfen lässt, sondern sich selbst herablässt, als unser oberster Bundesgenosse mit auf das Schlachtfeld zu kommen und den Kampf für uns aufzunehmen. David z. B. hatte ja nicht wenige Getreue, die ihm zur Seite standen; man vergleiche die lange Liste von Davids Gewaltigen im 1. Chronikbuch (Kap. 11; 12). Wir sollen die edlen Freunde, die sich um uns scharen, nicht gering achten. Dabei muss aber doch unsere ganze Zuversicht auf den HERRN allein gerichtet sein. Ohne ihn vermögen auch die starken Helden nichts. Und ich will meine Lust sehen an meinen Feinden, oder: Ich werde auf meine Hasser schauen, d. h. ich werde ihnen gerade ins Gesicht sehen, ja ich werde auf sie herabsehen, die jetzt so verächtlich auf mich blicken. Ich werde ihre Niederlage, ihr Ende sehen. In diesem Augenblick schaut unser Herr Jesus auf seine Feinde herunter, und diese sind ein Schemel seiner Füße. Bei seinem zweiten Kommen wird er wieder auf sie schauen, und dann werden sie vor den Strahlen seiner Augen fliehen, weil sie diesen Blick nicht ertragen können, der sie bis ins Innerste durchschaut.

8. Es ist gut, auf den HERRN vertrauen und nicht sich verlassen auf Menschen. (Wörtl.: besser ... als. Ebenso V. 9) Ja, das ist nach allen Seiten hin besser. Zunächst ist es weiser: Gott ist unendlich eher imstande zu helfen als Menschen; darum legt es uns schon die Klugheit nahe, unsere Zuflucht vor allen anderen zu ihm zu nehmen. Dann steht es auch sittlich höher, weil es die Pflicht des Geschöpfes ist, auf den Schöpfer zu trauen. Gott hat ein Anrecht auf das Zutrauen seiner Geschöpfe, er verdient ihr unbedingtes Vertrauen; darum ist es geradezu eine Beleidigung seiner Treue, wenn wir uns auf einen anderen mehr als auf ihn verlassen. Ferner ist es auch sicherer, da wir ja, wenn wir auf sterbliche Menschen bauen, niemals festen Grund haben können, während wir in den Händen unseres Gottes allerwegen sicher sind. Sodann hat es eine bessere Wirkung auf uns selbst; denn das Vertrauen auf Menschen bringt uns auf die Bahn einer niedrigen, kriechenden Sinnesart, während das Vertrauen auf Gott uns hebt, eine heilige Ruhe des Geistes erzeugt und die Seele läutert. Schließlich ist das Ergebnis bei der Bergung in Gott viel besser; denn in vielen Fällen versagt der Mensch als Gegenstand unserer Zuflucht, sei es aus Unfähigkeit oder aus Mangel an Edelmut, Liebe oder treuem Gedenken. Wie ganz anders bei unserem HERRN! Er versagt nicht bloß nicht, sondern tut weit über all unser Bitten und Verstehen. Dieser Vers ist ganz aus der Erfahrung vieler heraus geschrieben, denen zuerst der Rohrstab der Kreatur in der Hand zerbrach und die hernach mit freudigem Dank den HERRN als eine starke Säule erkannten, die all ihre Lasten trägt.

9. Es ist gut, auf den HERRN vertrauen und nicht sich verlassen auf Fürsten. Die Fürsten sollen unter den Menschen die Edelsten sein, ritterlich von Art und wahr bis ins Mk. Ein Königswort soll man nicht deuteln. Sie sind die Edelsten im Rang und an Macht die Stärksten, und dennoch sind die Fürsten für gewöhnlich um kein Haar verlässlicher als die übrigen Menschenkinder. Eine vergoldete Wetterfahne dreht sich ebenso geschwind nach dem Wind wie eine ganz gewöhnliche. Fürsten sind auch nur Menschen, und auch die besten der Menschen sind armselige Geschöpfe. In manchen Nöten können sie uns nicht im Geringsten helfen, z. B. in Krankheit, in Vereinsamung oder beim Sterben, und ebenso wenig vermögen sie auch nur das Mindeste für unser ewiges Los zu tun. In der Ewigkeit gilt eines Fürsten huldvolles Lächeln nichts, und weder der Himmel noch die Hölle bringen einer irdischen Königswürde Huldigungen dar. Fürstengunst ist ja sprichwörtlich unbeständig, worüber sogar Weltmenschen Zeugnisse in Hülle und Fülle beibringen. Wir erinnern uns der Worte, die unser weltberühmter Shakespeare dem sterbenden Wolsey auf die Lippen legt:

O wie elend
der arme Mensch, der hängt an Fürstengunst!
Denn zwischen jenem Lächeln, so erwünscht,
der Fürstengunst und unserm Untergang
liegt mehr der Qual, als Krieg und Kindeswehen
je in die Welt gebracht; und wenn er fällt,
fällt er wie Luzifer, ohn’ alle Hoffnung,
je wieder aufzustehn.

  Und doch bestrickt das holde Lächeln eines Fürsten so manches Herz, und es gibt nur wenige, die gefeit sind gegen diese Jagd nach Flitter, die einen schwachen Geist verrät. Wer denkt da noch an Grundsätze und Charakter, wenn es gilt, eine Stellung am Hof zu behaupten? Ja, man verschleudert den letzten Rest von Manneswürde, wie sie der niedrigste Sklave noch besitzt, für einen Stern und ein Hosenband aus der Hand eines launischen Despoten. Wer sein Vertrauen auf Gott, den großen König, setzt, wird dadurch geistig und geistlich stark und erhebt sich zu der höchsten Manneswürde. Je mehr der Mensch im Glauben lebt, desto freier wird er, während der, der irdische Größen unterwürfig umschmeichelt, sich gemeiner macht als der Kot, auf den er tritt. Aus diesem und tausend anderen Gründen ist es unendlich besser, auf den HERRN zu vertrauen, als auf Fürsten seine Zuversicht zu setzen.

10. Alle Heiden umgeben mich. Während der Mann Gottes keinen irdischen Freund hatte, auf den er sich völlig verlassen konnte, war er von unzähligen Feinden umringt, die ihn von Herzensgrund hassten. Die Gegner hatten ihn umzingelt, dass er kaum eine Lücke finden konnte, um aus den Fesseln zu entschlüpfen, die sich wie ein Ring um ihn gelegt. Es war, als hätten sich die Menschenkinder aller Art gegen ihn verschworen, und doch konnte er ihnen allen die Spitze bieten, weil er auf den Namen des HERRN vertraute. Darum nimmt er mit Freuden den Kampf auf und ergreift im Voraus den Sieg, indem er ausruft: Aber im Namen des HERRN will ich sie zerhauen. Sie gedachten ihn zu vernichten, aber er ist gewiss, dass er sie zunichte machen wird; sie wollten seinen Namen auslöschen, er aber war der Zuversicht, dass er nicht bloß den eigenen, sondern auch den Namen des HERRN, seines Gottes, in den Herzen der Menschen zu neuem Ruhm bringen werde. Ja, es erfordert großen Glauben, am Tage der Schlacht ruhig zu sein, und besonders, wenn der Kampf heiß wird. Aber der Held unseres Psalmes war so ruhig, als ob gar kein Kampf wütete. Napoleon hat den Ausspruch getan, Gott sei immer auf Seiten der stärksten Bataillone; aber unser Streiter fand, dass der HERR der Heerscharen mit dem allein stehenden Kämpfer war und in seinem Namen die Bataillone zusammengehauen wurden. Das Ich tritt in diesem Satze mit ganzer Kraft auf, aber es wird von dem Namen des HERRN doch wieder so überschattet, dass die Demut gewahrt bleibt. Der Sänger erkannte die Aufgabe seiner Persönlichkeit und behauptete sie. Er blieb nicht faul sitzen, es Gott überlassend, durch geheimnisvolle Mittel das Werk zu vollenden, nein, er war entschlossen, sich mit seinem guten alten Schwert an die Arbeit zu machen und dadurch in Gottes Hand das Werkzeug seiner eigenen Befreiung zu werden. Einerseits tat er alles im Namen des HERRN, aber anderseits war ihm seine eigene Verantwortlichkeit nicht unbewusst, wie er auch nicht hinter andern Deckung suchte, um dem persönlichen Kampf zu entgehen; darum rief er aus: Ich will sie zerhauen. Er hofft nicht nur etwa ihnen zu entschlüpfen wie ein Vogel dem Strick des Vogelstellers, sondern er tut das Gelübde, den Kampf in die Reihen der Feinde zu tragen und sie so gänzlich niederzuwerfen, dass jede Furcht vor einer nochmaligen Erhebung verschwinden muss.

11. Sie umgeben mich allenthalben. Die Vorstellung von der damaligen Gefahr wird dem Sänger so lebendig, dass auch die Feinde in diesen Versen wieder lebendig zu werden scheinen. Wir sehen ihre furchtbare Rüstung und die entsetzliche Vereinigung ihrer Kräfte. Sie schlossen gewissermaßen einen doppelten Ring mit vielen Gliedern um ihn. (Wörtl,: Sie umringen, ja umringen mich.) Sie redeten nicht bloß davon, dass sie es tun wollten, nein, sie schlossen den Psalmisten wirklich wie mit einer Mauer ein. Er hatte seine gefährliche Lage lebhaft erkannt, und es macht ihm nun Freude, sich dieselbe noch einmal vorzustellen, um desto feuriger die Gnade anzubeten, die ihn in der Stunde des Kampfes stark gemacht, dass er die Feindesschar durchbrach, ja ihr Heer völlig aufrieb. Aber im Namen des HERRN will ich sie zerhauen, sie unterwerfen, unter meine Füße treten und ihre Macht in Stücke brechen. So gewiss er ihre Umzingelung erfahren hatte, eben so gewiss ist ihm nun die Vernichtung seiner Feinde. Es ist köstlich, einen Mann so reden zu hören, wenn es nicht Prahlerei ist, sondern er in aller Demut seinem herzlichen Vertrauen auf Gott ruhigen und klaren Ausdruck gibt.

12. Sie umgeben mich wie Bienen. Die Feinde erscheinen allenthalben wie ein Bienenschwarm, um ihn von allen Seiten anzugreifen; jetzt sind sie hier, im Hui da, aber währenddessen haben sie ihn schon gestochen und ihm empfindlichen Schmerz beigebracht. Im ersten Augenblick war es, als würden sie ihn wirklich überwältigen; denn was hatte er für eine Waffe gegen sie? Sie waren so zahlreich und dabei so hartnäckig, so verächtlich klein und doch so kühn, so unbedeutend und doch geschickt, unerträgliche Schmerzen zu erzeugen, dass man nichts gegen sie anfangen konnte. Es war wie bei dem Fliegenschwarm in Ägypten, dem niemand zu widerstehen vermochte. Sie drohten ihm den Todesstich zu geben mit ihrer unaufhörlichen Bosheit, ihren gemeinen Verdächtigungen und tückischen Falschheiten. Ja, er war in einer üblen Lage; aber auch da half der Glaube. Der allvermögende Glaube ist allen Umständen gewachsen: er vermag selbst Teufel, geschweige denn Bienen zu vertreiben. Überlebt er sogar den Stachel des Todes, so wird er wahrlich nicht an einem Bienenstich sterben! Aber sie erlöschen wie ein Feuer in Dornen. Der wütende Angriff der Feinde kam zu schnellem Ende, die Bienen verloren ihren Stachel, und das Gesumme des Schwarmes hörte auf. Wie die Dornen mit gewaltigem Prasseln und hochschießender Flamme auflodern, aber sehr bald zu einem Häuflein Asche ersterben, so verstummte bald das Geschrei der Heiden, die den Helden unseres Psalmes umringten, und sie endeten ruhmlos. Sie waren schnell heiß, aber auch schnell kalt; so war ihr Angriff nur kurz, wenn auch scharf. Er brauchte die Bienen nicht zu vernichten, denn sie starben von selbst wie knisternde Dornen. Zum dritten Mal fügt er hinzu: Aber im Namen des HERRN will ich sie zerhauen, wie man etwa junge Dornen mit einer Sense oder Sichel abschneidet.
  Welche Wunder sind schon in dem Namen des HERRN vollbracht worden! Er ist der Schlachtruf des Glaubens, vor dem die Feinde Reißaus nehmen. "Hie Schwert des HERRN und Gideons" (Richter 7,20): dies Wort trägt im Augenblick Schrecken in die Reihen der Feinde. Der Name des HERRN ist die einzige Waffe, die am Tage der Schlacht nie versagt; und wer sie recht zu schwingen weiß, kann allein mit seinem Arm Tausende vor sich her jagen. Ach, wie gar oft gehen wir an die Arbeit und in den Kampf in dem eigenen Namen! Den kennt der Feind nicht und fragt spöttisch: Wer bist du? (Vergl. Apg. 19,15.) Drum wollen wir uns nie an den Feind heranwagen, ohne uns zuallererst mit diesem undurchdringlichen Panzer zu bewaffnen. Wenn wir diesen Namen besser kennten und ihm mehr vertrauten, dann würde unser Leben fruchtbringender und siegreicher sein.

13. Triumphierend redet der so stark angefochtene Held nun den Widersacher unmittelbar an: Du hast mich wohl gestoßen (oder: Du stießest, ja stießest mich), dass ich fallen sollte. Wir sehen den Feind all seine Kraft zusammennehmen zu dem furchtbaren Stoße, den er gegen den Knecht Gottes führt. Ein Stoß folgte dem andern, mit der schärfsten Spitze, wie die Bienen den Stachel in ihr Opfer graben. Der Feind hatte äußerste Erbitterung und eine furchtbare Entschlossenheit an den Tag gelegt, und nicht ohne Erfolg: es hatte Wunden gegeben, die empfindlich schmerzten. Ach, wie manches Gotteskind hat auch aufs schmerzlichste geblutet an den Wunden, die es von dem Satan und der Welt in Stunden der Versuchung und Trübsal empfangen! Das Schwert drang bis ins Innerste und grub seine Spuren tief an den Knochen ein. Und die Absicht all der Angriffe war, dass er fallen sollte. Ja, niedergeworfen werden sollte er, also verwundet werden, dass er nicht mehr seinen Stand behaupten könnte, dass er von seiner Rechtschaffenheit weiche und sein Gottvertrauen verliere. Können unsere Widersacher das zustande bringen, dann haben sie ihres Herzens Wunsch. Wenn wir in schwere Sünde fallen, so werden sie tiefer befriedigt sein, als wenn sie uns meuchelmörderisch eine Kugel ins Herz geschossen hätten, denn der moralische Tod ist schlimmer als der äußere. Können sie uns in Schande stürzen und damit auch Gottes Namen Schmach bereiten, so ist ihr Sieg vollkommen. "Lieber Tod als Treubruch", ist der Wahlspruch einer der adligen Familien unseres Landes; er mag auch der unsere sein. Aber der HERR half mir (Luther 1524.) Welch glückliches Aber! Also doch gerettet! Andere Helfer gab es nicht, die die erbosten Heiden hätten vertreiben, die Schwärme von hasserfüllten Feinden hätten vernichten können; aber als der HERR zur Rettung auf dem Plan erschien, da war der schwache Arm des Knechtes Gottes stark genug, alle seine Widersacher zu besiegen. Wie freudig können viele unter uns bei dem Rückblick auf frühere Anfechtungen in diese herrlichen Worte einstimmen: Aber der HERR half mir! Ich war von unzähligen Zweifeln und Befürchtungen bestürmt; aber der HERR half mir. Mein natürlicher Unglaube war durch die Einflüsterungen des Satans furchtbar entfacht worden; aber der HERR half mir. Meine mannigfachen Trübsale wurden durch die grausamen Angriffe von Menschen unendlich verschlimmert, dass ich nicht mehr wusste, was tun; aber der HERR half mir. Ja, wenn wir einmal am jenseitigen Ufer des Jordans landen, wird dies gewiss eines unserer Lieder sein: Kraft und Mut versagten mir, und die Feinde meiner Seele umringten mich in der wogenden Flut, aber der HERR half mir; Preis sei seinem Namen!

14. Der HERR ist meine Macht und mein Psalm: er war meine Stärke, solange ich im Kampfe stand, und ist mein Psalm und Loblied jetzt, da er zu Ende ist; meine Stärke gegen die Starken und mein Loblied über ihren Fall. Fern liegt ihm das Rühmen seiner eigenen Kraft; er schreibt den Sieg der wahren Ursache zu. Darum besingt sein Loblied nicht seine eigenen Heldentaten, sondern es gelten alle Triumphgesänge dem HERRN, dessen rechte Hand und heiliger Arm ihm den Sieg verliehen hatte. Und ist mein Heil (oder: ward mir zum Heil). Unser Dichterheld schreibt seine Rettung nicht nur Gott zu, sondern nennt Gott selbst sein Heil. Mit diesem allumfassenden Ausdruck zeigt er an, dass er seine Errettung von Anfang bis zu Ende, im Ganzen wie in jedem einzelnen Umstand ausschließlich dem HERRN verdankt. Und alle Erlösten stimmen in den Lobgesang ein: Des HERRN ist das Heil. (Ps. 3,9) Wir wollen von keiner Lehre etwas wissen, die dem unrechten Haupte die Krone aufsetzt und unserm glorreichen König den Ruhm raubt, der ihm gebührt. Jehovah ist es, der alles getan hat; ja in Christo Jesu ist er alles in allen, darum soll unser Loblied ihn allein preisen. Glücklich, wer Gott gleichermaßen als seine Kraft und sein Heil besingen kann; denn es gibt manchmal Leute, die eine verborgene Kraft, von Gott ihnen gegeben, wohl haben und dennoch ihr eigenes Heil in Frage ziehen und darum nicht davon zu singen imstande sind. Andererseits finden wir viele, die persönlich gewiss im Besitz des Heiles sind, aber zeitweise so wenig Kraft haben, dass sie auf dem Punkt stehen, ohnmächtig zu werden, und darum auch nicht singen können. Wo man aber Kraft empfangen hat und sich des Heiles erfreut, da tönt der Psalm klar und voll.

15. Man singt mit Freuden vom Sieg in den Hütten der Gerechten. (Luther 1524: Es ist eine Stimme von Freuden und Heil in den Hütten der Gerechten.) Die Gerechten nahmen teil an der Freude ihres Führers. Sie wohnten nun im Frieden in ihren Hütten und jauchzten darüber, dass ihnen ein Helfer erstanden, der sie im Namen des HERRN gegen ihre Feinde schützte. Die Hütten der Gläubigen sind Stätten des Glücks, darum sollte dieses Glück auch in den Hausandachten fröhlich zum Ausdruck kommen. Sollten die Wohnstätten der Geretteten nicht Tempel des Lobes und Preises sein? Es ist nicht mehr als recht, wenn die Gerechten den gerechten Gott preisen, der ihre Gerechtigkeit ist. Der streitbare Held wusste, dass in den Zelten der Feinde Weinen und Wehklagen über die schwere Niederlage, die sie durch seine Hand erlitten hatten, erscholl; aber sein Angesicht strahlte bei dem Gedanken, dass sein Volk, für das er gekämpft hatte, von einem Ende des Landes bis zum andern über die Errettung, die Gott ihm durch ihn hatte zuteil werden lassen, jubiliere. Und erst recht gibt der Held aller Helden, der sieghafte Heiland, jeder Familie seines Volkes überreichen Grund zu unaufhörlichem Lobgesang, denn er hat das Gefängnis gefangen geführt und ist aufgefahren über alle Himmel (Eph. 4,8.9). Kann da einer von uns in seinem Hause stille sein? Haben wir Heil und Sieg, so lasst uns uns freuen, und haben wir Freude, so wollen wir ihr unsere Zunge leihen, dass sie den HERRN preise. Wenn wir sorgfältig lauschen auf die Musik, die aus den Hütten Israels erschallt, werden wir immer diesen Vers heraushören: Die Rechte des HERRN (erweist sich tatkräftig, sie gewinnt und) behält den Sieg. Jehovah hat seine Macht bewiesen, dem von ihm erwählten Kämpfer Sieg gegeben und alle Heere des Feindes überwunden. Der HERR ist der rechte Kriegsmann, HERR ist sein Name (2. Mose 15,3). Wenn er zum Schlage ausholt, dann wehe auch dem mächtigsten Gegner.

16. Die Rechte des HERRN ist erhöht, sie ist hoch erhoben, um den Gegner zu treffen, oder aber, sie steht in den Augen seines Volkes erhaben und gepriesen da. Es ist die rechte Hand des HERRN, die Hand, die uns seine größte Geschicklichkeit und Stärke zeigt und seine Heiligen zu schützen pflegt. Wenn sie erhoben wird, so richtet sie auf alle, die ihm vertrauen, und wirft nieder alle, die ihm widerstehen. (Die meisten Neueren lassen nur diese Bedeutung "sie erhöht" gelten). Die Rechte des HERRN behält den Sieg. Der Lobpreis des Psalmisten gestaltet sich dreigliedrig; sein Herz ist warm, und er verweilt mit Lust bei dem Lob seines Gottes. Darum genügt ihm der Lobpreis nicht, den er schon gebracht hat, sondern er trachtet danach, ihn jedesmal feuriger und jubilierender zu bringen als vorher. Wie er vordem dreimal gesagt hatte: "Sie umgeben mich allenthalben", weil ihm die Gefahr von den ihn umringenden Feinden lebendig vor Augen stand, so fesselt ihn jetzt der Gedanke an die rechte Hand Jehovahs, dessen Gegenwart und Majestät ihm ebenso lebendig vor der Seele steht. Wie selten finden wir das! Man vergisst der Gnadentaten des HERRN und hält nur die Trübsale im Gedächtnis fest.

17. Ich werde nicht sterben, sondern leben. Die Feinde hatten gehofft, der Psalmist würde untergehen und sterben, und dieser hatte selbst gefürchtet, er werde durch ihre Hand umkommen; schon hatte man vielleicht an verschiedenen Orten zur großen Betrübnis der Seinen ausposaunt: Es ist aus mit dem Fürsten sowie mit Israel. Aber hier ruft er laut aus: Ich lebe noch und bin der guten Zuversicht, dass ich nicht durch die Hand des Feindes fallen werde. Er ist der fröhlichen Gewissheit, dass es keinem Bogen gelingen werde, ihm den tödlichen Pfeil durch die Gelenke seines Harnisches zu senden, und dass keine Waffe, welcher Art sie auch sei, seiner Laufbahn ein Ziel setzen werde. Seine Zeit war noch nicht gekommen, er fühlte den Pulsschlag der Unsterblichkeit in seinem Busen. Er war elend gewesen und an den Rand des Unterganges gebracht worden, aber er hatte das bestimmte Vorgefühl, dass die Trübsal nicht zum Tode, sondern zur Ehre Gottes sei. Das wusste er jedenfalls, dass Gott seinen Untergang nicht zu einem Triumph für die Feinde Gottes ausschlagen lassen würde, denn die Ehre Gottes und das Gedeihen seines Volkes hängen eng zusammen. Und nun, als er das neue Leben wieder in sich spürte, widmete er sich der edelsten Aufgabe, nämlich Zeugnis abzulegen von der göttlichen Treue. Und des HERRN Werke verkündigen. Das tut er schon in diesem Psalm, der voll Liebe und Bewunderung den Ruhm der Heldenstärke Jehovahs mitten in dem Getümmel des Kampfes erstrahlen lässt. Es ist gewiss, dass wir so lange nicht aus dem Lande der Lebendigen weggerissen werden, wie wir noch ein Zeugnis von Gott an jemanden zu bringen haben. Die Propheten des HERRN bleiben mitten in Hungersnot, Krieg, Pestilenz und Verfolgung am Leben, bis sie alle Worte ihrer Weissagung ausgerichtet haben, und die Priester Jehovahs werden so lange unverletzlich am Altar stehen, bis sie ihm ihr letztes Opfer dargebracht haben. Es wird uns kein Geschoss eher ins Herz dringen, als bis die uns zugemessene Wirkenszeit zu Ende ist.

18. Der HERR züchtigt mich wohl. So deutet der Glaube die vorigen Worte in V. 13: Man stößt mich, dass ich fallen soll. In der Tat sind die Angriffe des Feindes Züchtigungen aus der Hand Gottes. Als der Teufel Hiob quälte, hatte er seine eigenen Absichten dabei, aber in Wirklichkeit waren die Trübsale des Patriarchen Züchtigungen aus der Hand des HERRN. Gezüchtigt, ja gezüchtigt hat mich Jah, sagt unser Dichter hier, und damit will er sagen: Der HERR hat mich hart geschlagen, hat mich unter vielen Schmerzen die volle Wucht seiner Rute fühlen lassen. Es ist oft, als sparte der HERR seine wuchtigsten Schläge für seine geliebtesten Kinder auf; ist irgendeine Trübsal schmerzlicher als andere, so pflegt sie denen zuzufallen, die er in seinem Dienst am meisten auszeichnet. Der Gärtner beschneidet seine besten Rosen mit der größten Sorgfalt. Züchtigungen werden gesandt, um mit besonderem Erfolg gesegnete Heilige in der Demut zu halten, ihr Zartgefühl für andere zu wecken und sie in den Stand zu setzen, die hohen Ehren, die ihr himmlischer Freund ihnen zuwendet, ohne Schaden zu ertragen. Aber er gibt mich dem Tode nicht. Der Vers schließt, wie V. 13, ein gesegnetes Aber in sich; dieser Zusatz eröffnet den Blick auf die Rettung. Der Psalmist hatte das Gefühl, als ob er fast totgeschlagen wäre, aber der Tod trat tatsächlich nicht ein. Bei den Geißelhieben, die Kinder Gottes erleiden, gibt es immer eine schonende Grenze. Das Äußerste, was man einem Israeliten antat, waren vierzig Streiche weniger einen (2. Kor. 11,24), und der HERR wird niemals zugeben, dass dieser eine, der tödliche Streich sie treffe. Sie sind als die Gezüchtigten und doch nicht getötet (2. Kor. 6,9), ihre Schmerzen dienen zu ihrer Unterweisung, nicht zu ihrem Untergang. Die Gottlosen sterben daran, aber Hiskia konnte sprechen: Davon lebt man, und das Leben meines Geistes steht darin. (Jes. 38,16) Nein, gepriesen sei der Name Gottes, er züchtigt uns wohl, aber er verdammt uns nicht; die schmerzhafte Rute müssen wir spüren, aber das todbringende Schwert darf uns nicht anrühren. Er gibt uns niemals dem Tode preis, und besonders können wir dessen gewiss sein, dass er das nicht tun wird, solange er uns züchtigt; denn er würde sich nicht die Mühe geben, uns seine väterliche Züchtigung zuteil werden zu lassen, wenn er es auf unsere endgültige Verwerfung abgesehen hätte. Wenn wir unter der Schmerzen verursachenden Rute sind, kommt uns das hart vor; aber wäre es nicht viel schrecklicher, wenn der HERR sagen würde wie Hos. 4,17: Er hat sich zu den Götzen gesellt, so lass ihn hinfahren? Also können wir selbst aus unseren Kümmernissen Trost gewinnen und aus dem Garten, darin der HERR die heilsame Raute und den bitteren Wermut gepflanzt hat, uns wohlriechende Blumen holen. Wenn wir die Züchtigung erdulden, so erbietet sich uns Gott als Kindern, und das ist tröstlich. Ja, wir können wohl zufrieden sein, von ihm wie alle die anderen Glieder seiner geliebten Familie behandelt zu werden.
  Der Psalmist bringt jetzt, nachdem er aus der Gefahr der Krankheit und des Kampfes errettet worden ist, dem HERRN sein Lied dar; aber er tut es nicht allein, sondern er bittet sein ganzes Volk Israel, das jetzt mit der glücklichen Priesterschar hinaufzieht, mit ihm zusammen ein fröhliches "HERR Gott, dich loben wir" anzustimmen.


19. Tut mir auf die Tore der Gerechtigkeit,
dass ich dahin eingehe und dem HERRN danke.
20. Das ist das Tor des HERRN;
die Gerechten werden dahin eingehen.
21. Ich danke dir, dass du mich demütigst
und hilfst mir.


19. Tut mir auf die Tore der Gerechtigkeit. Der Held unseres Psalms hat jetzt (mit dem Festzug) den Eingang zum Tempel erreicht und bittet nun ordnungsgemäß um Einlass. Er ist von dem Gefühl durchdrungen, dass auch er sich dem geweihten Heiligtum nur nach göttlicher Erlaubnis nahen darf, und er will auch nur in der vorgeschriebenen Weise hineingehen. Gott hatte seinen Tempel für die Gerechten bestimmt, diese sollten ihn betreten und die Opfer der Gerechtigkeit darbringen; darum heißen seine Pforten "Tore der Gerechtigkeit". Innerhalb seiner Mauern geschahen Taten der Gerechtigkeit, und rechte Lehre erschallte aus seinen Höfen. Der Eingang zum Tempel war die wahre Hohe Pforte, ja er war die porta justitiae, der Palast des großen Königs, der in allen seinen Werken gerecht ist. Dass ich dahin eingehe und dem HERRN danke. O öffnet nur das Tor, so werden die wahrhaftigen Anbeter gerne eintreten und im rechten Geist und mit dem reinsten Vornehmen dem Allerhöchsten huldigen. Leider gibt es freilich viele, denen es völlig gleichgültig ist, ob die Türen des Gotteshauses offen oder geschlossen sind, und die auch an den weit geöffneten Türen teilnahmslos vorbeigehen, ja in deren Herzen nicht einmal der Gedanke aufsteigt, Gott zu preisen. Aber für diese wird eine Zeit kommen, wo sie die Türen des Himmels für sich verschlossen finden; denn diese sind wahrlich die Tore der Gerechtigkeit, durch welche nicht hineingehen wird irgendein Gemeines (Off. 21,27). Der Psalmist hätte den HERRN in der Stille loben können, was er auch gewiss getan hat; aber er war nicht zufrieden, bis er sich mit der versammelten Gemeinde vereinigt hatte, um auch dort in der Öffentlichkeit seinen Dank darzubringen. Wer den öffentlichen Gottesdienst vernachlässigt, pflegt überhaupt keine Andacht zu halten; hingegen sind diejenigen, die Gott in der Stille der eigenen Mauern loben, die Ersten, die das auch in den Mauern seines Tempels tun. Wer, wie der Psalmist, von schwerer Krankheit oder sonstiger Todesgefahr errettet worden, der rufe mit Hiskia aus: Der HERR war bereit mir zu helfen; so wollen wir meine Lieder singen, solange wir leben, im Hause des HERRN. (Jes. 38,20.) Öffentlicher Dank für offenbare Wohltaten ist nach allen Seiten hin am Platz: er ist Gott angenehm und unseren Mitmenschen nützlich.

20. Das ist das Tor des HERRN; die Gerechten werden dahin eingehen. Das Haus Gottes ist dem Psalmisten so lieb, dass er sogar das Tor bewundert und unter dem Bogen Halt macht, um seiner Liebe für dasselbe Ausdruck zu geben. Er liebte es, weil es das Tor des HERRN und das Tor der Gerechtigkeit war, weil schon so viele gottesfürchtige Menschen dadurch eingegangen waren und auch in zukünftigen Zeiten immer wieder solche hindurchschreiten würden. Wenn das Tor des irdischen Hauses Gottes für uns schon so lieblich ist, wie groß wird die Freude sein, wenn wir durch jene Perlentore ziehen, zu denen nur die Gerechten jemals Zutritt haben, durch die aber auch alle Gerechten zu ihrer Zeit in die ewige Seligkeit eingehen werden. Der Herr Jesus ist diesen Weg vorangegangen, und er hat nicht nur das Tor weit geöffnet, sondern auch allen denen, die durch seine Gerechtigkeit gerecht geworden sind, den Eingang verbürgt. Alle Gerechten müssen und sollen dahin eingehen, mag auch die ganze Welt sich entgegenstellen. Unter einem anderen Bilde ist unser Heiland selbst diese Tür (Joh. 10,9), und alle Gerechten freuen sich, durch ihn als den neuen und lebendigen Weg (Hebr. 10,20) zum HERRN zu kommen. Und auch wir müssen, wenn wir uns nahen, um den HERRN zu preisen, durch diese Türe kommen; denn gottgefälliger Lobpreis steigt niemals über die Mauer oder dringt auf irgendeinem anderen Wege ein, sondern kommt in Christo Jesu vor Gott, wie geschrieben steht: Niemand kommt zum Vater denn durch mich (Joh. 14,6). Ewiger Lobpreis sei diesem wunderbaren Tor, der Person unseres Herrn selbst.

21. Ich danke dir. Gleich nach dem Eintritt ins Gotteshaus ruft der Psalmist aus: Ich preise dich (nicht: Ich preise den HERRN). Er weiß sich von diesem Augenblicke an lebhaft in der göttlichen Gegenwart und wendet sich unmittelbar an Jehovah, den sein Glaubensauge als den Lebendigen und Nahen klar erschaut. Wie köstlich ist es bei all unseren Lobgesängen, im Herzen eine unmittelbare und bestimmte Gemeinschaft mit Gott selbst zu haben! Der Lobpreis des Psalmisten war zunächst ein persönlicher: Ich, sagt er, preise dich oder will dich preisen; dann bestimmt, denn er war fest entschlossen, ihn darzubringen; weiter freiwillig, denn er sang fröhlich aus vollem Herzen, und endlich beständig, denn er dachte nicht daran, sobald damit aufzuhören. Dass du mich erhörst (Grundtext, so auch Luther 1524) und hilfst mir, wörtl.: und bist (oder wurdest) mein Heil. Er preist Gott, indem er seine Gnadenbezeugungen rühmt; er webt gleichsam sein Lied aus den goldenen Fäden der göttlichen Güte, die er erfahren. Mit diesen Worten gibt er den Grund an für seinen Lobpreis, nämlich die Erhörung seines Gebetes, und seine Errettung als dessen natürliche Folge. Mit welcher Wonne betont er das persönliche Eintreten Gottes. Du hast mir geantwortet! Wie warm schreibt er seinen ganzen Sieg über die Feinde Gott zu; ja, in der Person Gottes selbst sieht er alles beschlossen: Du wardst mein Heil, meine Hilfe! Wir tun in der Tat am besten, wenn wir so zu Gott selber vordringen und nicht bei seiner Gnade oder den Taten seiner Barmherzigkeit stehen bleiben. Gebetserhörungen bringen uns den lebendigen Gott oft sehr nahe, und vollends, wenn wir unseres Heils persönlich gewiss werden, erfahren wir die unmittelbare Gegenwart Gottes. Beim Blick auf die schlimme Not, die der Psalmist durchgemacht hatte, ist es gar nicht merkwürdig, dass sein Herz voller Dankbarkeit war über das große Heil, das Gott für ihn bereitet hatte, und dass er beim ersten Eintritt in den Tempel seine Stimme erhob, um den HERRN für so große, so notwendige und so vollkommene persönliche Gnadenerweisungen zu preisen.


22. Der Stein, den die Bauleute verworfen haben,
ist zum Eckstein geworden.
23. Das ist vom HERRN geschehen
und ist ein Wunder vor unseren Augen.
24. Dies ist der Tag, den der HERR macht;
lasst uns freuen und fröhlich drinnen sein.
25. O HERR, hilf!
O HERR, lass wohl gelingen!
26. Gelobt sei, der da kommt im Namen des HERRN!
Wir segnen euch, die ihr vom Hause des HERRN seid.
27. Der HERR ist Gott, der uns erleuchtet.
Schmückt das Fest mit Maien
bis an die Hörner des Altars!


22. Wir hören nun die Stimme des Volkes. Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden. Mit diesen Worten erhöht das Volk Gott, weil er seinem erwählten Knecht jetzt das ehrenvolle Amt übergeben, das ihm nach göttlichem Ratschluss zugeteilt war. Ein weiser König und tatkräftiger Führer des Volkes ist in der Tat ein Stein, auf dem das Gebäude des Staatswesens fest auferbaut wird. Die Machthaber hatten David verworfen, aber Gott stellte ihn auf den Platz der höchsten Ehre und des größten Einflusses und machte ihn so zu dem Grundstein des Staates. An wie vielen anderen, deren frühere Lebensjahre auch von heißen Kämpfen erfüllt waren, hat Gott seine himmlischen Ratschlüsse in ähnlicher Weise zur Ausführung gebracht. Aber auf niemand passt dieser Text so gut, wie auf den Herrn Jesus selbst. Er ist der lebendige, der erprobte, der auserwählte, der köstliche Stein, den Gott von alters her erwählt hat. Die jüdischen Bauleute, die Schriftgelehrten, Priester und Pharisäer samt Herodes und seinen Leuten warfen ihn verächtlich beiseite. Sie sahen nichts Besonderes in ihm, auf das sie hätten bauen können; er ließ sich in ihr Ideal der jüdischen Kirche nicht einfügen, war überhaupt ein Stein aus einem ganz anderen Steinbruch und nicht nach ihrem Sinn und Geschmack. Darum warfen sie ihn fort und überhäuften ihn mit Spott, wie Petrus sagt (Apg. 4,11): Das ist der Stein, von euch Bauleuten verworfen. Man achtete ihn für nichts, obwohl er der Herr über alles ist. Aber Gott der HERR erweckte ihn von den Toten und erhöhte ihn zum Haupt über seine Gemeine, wie zum Eckstein so auch zum Giebelstein ihres Ruhmes und ihrer Schönheit. Seither ist er die Zuversicht der Heiden geworden, auch derer ferne am Meer, und hat also die beiden Mauern, der Juden und der Heiden, zu einem stattlichen Tempel vereinigt; jetzt sieht man ihn als den verbindenden Eckstein, der aus beiden eins hat gemacht. Welch ein erquickender Gegenstand der Betrachtung!
  Jesus hat in allen Dingen den Vorrang; er ist der wichtigste Stein an dem ganzen Hause Gottes. Wir pflegen an öffentlichen Gebäuden einen Stein unter feierlichen Gebräuchen zu legen und in demselben wertvolle Gegenstände aufzubewahren, die zur Erinnerung an jene Gelegenheit ausgesucht sind; von da an wird dieser Eck- oder Grundstein als besonders bedeutungsvoll angesehen, und festliche Erinnerungen knüpfen sich an ihn. Dies alles trifft nun in hervorragendem Maße zu bei unserem gelobten Herrn, dem Hirten, dem Felsen Israels. Gott selbst hat ihn dahingestellt, wo er sich befindet, und hat in ihm alle die köstlichen Kleinode des ewigen Gnadenbundes geborgen. Und da wird er auch ewiglich bleiben als Grund all unserer Hoffnungen, als Ruhm all unserer Freuden und als Einigungsband all unserer Gemeinschaft. Er ist gesetzt zum Haupt der Gemeinde über alles (Eph. 1,22), und auf ihm ist die Gemeinde wohl ineinandergefügt und wächst zu einem heiligen Tempel im HERRN (Eph. 2,21). Aber auch noch heute verwerfen ihn die Bauleute; bis auf die gegenwärtige Stunde sind die berufsmäßigen Lehrer der Wahrheit weit eher geneigt, sich auf jedes neu auftauchende System menschlicher Weisheit zu stürzen, als an dem einfachen Evangelium festzuhalten, dessen Kern und Wesen Christus ist. Aber er behauptet trotz alledem bei seinem Volke seinen Platz als Eckstein, und die törichten Bauleute werden einmal mit tiefer Beschämung erkennen, dass seine Wahrheit ewig feststeht und alles überdauert. Die diesen auserwählten Stein verwerfen, werden auf ihn fallen und zerschellen; und nicht lange mehr wird es währen, da wird er zum andern Mal kommen und aus den Höhen des Himmels auf sie fallen und sie zermalmen. (Mt. 21,42.44.)

23. Das ist vom HERRN geschehen. Die hohe Stellung, die Christus in seiner Gemeinde einnimmt, ist nicht Menschenwerk und hängt auch für den Fortgang von keinen irdischen Bauleuten oder Predigern ab. Gott hat selbst unseren Herrn Jesus Christus erhöht. Blicken wir auf den Widerstand, den die Weisen, die Mächtigen und Angesehenen dieser Welt dem Reiche Christi entgegensetzen, so wird uns klar, dass dieses Reich nur durch übernatürliche Macht in der Welt aufgerichtet worden sein und fortdauernd sich behaupten kann. Und das gilt in der Tat auch bis ins Kleinste und Einzelne. Jedes Körnlein wahren Glaubens in dieser Welt ist eine göttliche Schöpfung, und jede Stunde, da die Gemeinde Christi hienieden besteht, ist ein immer neues Wunder. Nicht die Güte der menschlichen Natur noch die Stärke der Vernunft hat Christum erhöht und die Gemeinde Gottes aufgerichtet, sondern eine Macht von oben. Das verdutzt die Feinde, sie können nicht verstehen, was es doch ist, das ihre Pläne immer wieder zu Schanden macht; denn vom Heiligen Geist wissen sie nichts. Und ist ein Wunder vor unseren Augen. Wir sehen es tatsächlich; es lebt nicht bloß in unseren Gedanken, Hoffnungen und Gebeten, nein, das erstaunliche Werk steht wirklich vor unseren Augen. Jesus herrscht, seine Macht gibt sich der Welt zu fühlen, wir nehmen es wahr. Der Glaube sieht unseren herrlichen Herrn hoch erhöht über alle Fürstentümer und Macht und Gewalt und Herrschaft und über alle Namen, nicht bloß in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen. Der Glaube sieht es und staunt, und er bleibt am Staunen; denn wir sehen sogar schon hier unten, wie Gott die Starken durch Schwache besiegt, die Klugheit der Menschen durch die Einfalt seines Wortes zu Schanden macht, und durch den unsichtbaren Einfluss seines Geistes seinen Sohn in den Menschenherzen erhöht trotz aller offenen, entschlossenen Feindschaft. Es ist in der Tat ein Wunder vor unseren Augen, wie das mit allen Werken Gottes der Fall ist, sobald man sich nur die Mühe gibt, forschend in sie einzudringen. Wenn man das Hebräische (mit Delitzsch) übersetzt: Wunderbar ist es geworden, d. i. hinausgeführt, so kann man darin nicht bloß eine Beleuchtung der wunderbaren Erhöhung Jesu von Nazareth sehen, sondern auch der wundersamen Art und Weise dieser Erhöhung. Je tiefer wir in die Geschichte Christi und seiner Gemeinde eindringen, desto tiefer werden wir auch mit diesen Worten übereinstimmen.

24. Dies ist der Tag, den der HERR macht. Eine neue Zeit ist angebrochen. Der Tag der Thronbesteigung Davids war der Anfang besserer Zeiten für Israel, und in noch viel höherem Sinne ist der Auferstehungstag unseres Herrn ein neuer Tag, den Gott selbst gemacht, denn er ist das Morgenrot des herrlichen Neuen Bundes. Gewiss hat das ganze Volk Israel den Triumphtag seines Führers in Freuden mit Musik und Gesang gefeiert, und so schickt es sich erst recht für uns, den Siegestag unseres Herrn Jesus Christus in Ehren zu halten. Darum beobachten wir fortan den Tag des Herrn als unseren rechten Sabbat, den Gott gemacht und bestimmt hat zur fortgehenden Erinnerung dessen, was unser Heiland vollbracht und uns errungen hat. Sooft sich das sanfte Sabbatlicht des ersten Wochentages über die Erde ergießt, wollen wir singen:

  Dies ist der Tag, da Jesus Christ
  Vom Tod für mich erstanden ist,
  Und schenkt mir die Gerechtigkeit,
  Trost, Leben, Heil und Seligkeit.
  Hallelujah!

  Aber nicht nur jeder Sabbattag, die ganze Zeit des Evangeliums ist ein Tag, den der HERR macht; seine Segnungen strömen auf uns, weil unser Herr zum Eckstein geworden ist. Lasset uns freuen und fröhlich drinnen sein. Wie sollten wir auch anders können? Unser glorreicher Herzog hat uns eine so große Erlösung gebracht, und da sollten wir, nun wir die ewige Gnade Gottes im Strahlenkranz seiner Führungen gesehen haben, traurig und mürrisch sein? Das würde uns schlecht anstehen. Lieber wollen wir uns doppelt freuen, uns freuen im Herzen und strahlen im Angesicht, uns freuen in der Stille und fröhlich sein vor den Menschen; denn wir haben mehr als zwiefachen Grund, uns im HERRN zu freuen. Unsere Freude sollte an den Sabbattagen den Gipfelpunkt erreichen, denn der Sonntag ist der König unter den Tagen, dem der Schmuck königlicher Freude gebührt, wo wir darum allewege mit dem Dichter singen sollten:

  Hallelujah, schöner Morgen,
  Schöner als man denken mag!
  Heute fühl’ ich keine Sorgen,
  Denn das ist ein lieber Tag,
  Der durch seine Lieblichkeit
  Recht das Innerste erfreut.

  Muss unsere Freude nicht überfließen, wenn wir in die Mitte der Gemeinde Gottes treten und dort die Gegenwart Jesu verspüren als des Herrn, der in den Versammlungen seines Volkes alles in allem ist? Steht nicht geschrieben: Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen? (Joh. 20,20) Wenn der König das Bethaus zur Stätte einer großen Festfeier macht und uns die Gnade zuteilwerden lässt, dass wir der Gemeinschaft mit ihm genießen, sowohl an seinen Leiden wie an seinen Siegen, so fühlen wir eine tief innerliche Freude und geben dieser gerne lauten Ausdruck im Verein mit allen anderen Gliedern seines Volkes.

25. O HERR, hilf! Dieser Gebetsruf ist uns in dem hebräischen Wortlaut vertrauter: Hosianna. Gott, hilf, gib Heil unserm König! Lass das Haus Davids regieren! Oder, wie wir in der Zeit des Neuen Bundes dies israelitische God save the king verstehen: Es lebe der Sohn Davids in alle Ewigkeit! Seine Hilfe breite sich rettend aus über alle Völker! Es war dies Hosianna der besondere Freudenruf beim Laubhüttenfest; auch wir können, solange wir noch in den Pilgerhütten hienieden wohnen, nichts Besseres tun, als in denselben Ruf einstimmen. O, dass wir beständig beteten, dass unser großer König Heil und Hilfe auf Erden bringe. Für uns selbst bitten wir, dass der HERR uns helfe, uns befreie und immer mehr heilige. Wir bitten dies mit großem Ernst, indem wir Jehovah darum anlaufen: O HERR, lass wohl gelingen! HERR, lass dein Reich erbaut werden! Lass die Zahl der Heiligen durch Bekehrung von Sündern zunehmen, lass durch die Bewahrung der Heiligen deine Gemeinde innerlich gestärkt, gefördert, verklärt und vollendet werden. Unser Herr Jesus bittet selbst um die Bewahrung und das Heil seiner Erwählten; und als unser Fürsprecher vor dem Thron des himmlischen Vaters fleht er, dass der Vater alle diejenigen rette und bewahre, die von alters her ihm gegeben sind, und sie durch den ihnen innewohnenden Geist eins sein lasse. Wie aber - ist dieser Psalm nicht ein Danklied für erfahrene Hilfe? Jawohl, man hatte Heil empfangen, und deswegen bat man darum! Es mag merkwürdig erscheinen, aber wer um Heil fleht, besitzt schon etwas vom Heil. Niemand kann so in Wahrheit rufen: O HERR, hilf doch! als wer schon Hilfe erhalten hat; und das höchste Gedeihen zeigt die Gemeinde des HERRN dann, wenn sie am inbrünstigsten um Gedeihen fleht. Und so bittet unser Held, obwohl er mit hochgeröteten Wangen und voll stolzer Freude triumphierend einzieht, doch noch um Hilfe und Heil. Das klingt sonderbar, aber es ist so und kann nicht anders sein. Bei unserem Heilande war es geradeso: am Schluss seines ganzen Werkes wurde das Flehen womöglich noch mehr als früher ein vorherrschender Zug seines Lebens, und nach dem Sieg über alle seine Feinde legte er Fürbitte ein für die Übeltäter. Und was von ihm gilt, das gilt auch von seiner Gemeinde; denn gerade dann, wenn sie das höchste Maß geistlichen Segens genießt, fühlt sie sich am stärksten getrieben, um weitere Segnungen zu bitten. Ja, gerade dann ist es ihr ernst mit der Bitte um Heil und Gelingen, wenn sie das Wirken des HERRN in ihrer Mitte besonders wahrnimmt und darüber erstaunen muss. Wenn eine gnädige Heimsuchung sie erquickt und ermuntert, sondert sie heilige Gebetstage aus und ruft mit heißem Flehen: HERR, hilf doch! HERR, lass wohl gelingen! Sie möchte so gerne die Zeit der Hochflut benutzen und den Tag recht auskaufen, den der HERR schon so groß gemacht hat.

26. Gelobt sei, der da kommt im Namen des HERRN! In dem Namen des HERRN hatte der siegreiche Held alles vollbracht; in diesem Namen hatte er alle seine Feinde in die Flucht geschlagen, hatte er den Thron bestiegen und war er in den Tempel gegangen, um seine Gelübde zu bezahlen Aber wir kennen den, der in einzigartigem Sinn in dem Namen des HERRN kommt. In den Tagen des Psalmisten war er der Kommende, und auch heute ist er immer noch der Kommende, obwohl er schon gekommen ist. Wir haben unsere Hosiannas für ihn bereit, wie für sein erstes, so für sein zweites Kommen. In der Tiefe unserer Seele beten wir ihn dankbar an, preisen ihn und erflehen unaussprechliche Freuden auf sein Haupt. "Man wird immerdar für ihn beten, täglich wird man ihn segnen." (Ps. 72,15.) Um seines Namens willen wird von uns jeder gesegnet, der im Namen des HERRN kommt, wir heißen sie alle herzlich willkommen in unserm Herzen und in unserm Hause; aber hauptsächlich und mehr als alle anderen ihn selbst, wenn er sich herablässt, zu uns zu kommen, dass er mit uns Abendmahl halte und wir mit ihm. (Off. 3,20.) O heiliges Glück, o wahrer Vorgeschmack des Himmels! - Dieser Vers ist vielleicht der Segensgruß der Priester über den Knecht des HERRN, den tatkräftigen Herzog des Volkes; dazu passt denn schön das Folgende: Wir segnen euch, die ihr vom Hause des HERRN seid. Es war das Amt der Priester, das Volk zu segnen; aber siebenfach segneten sie den Befreier des Volkes, den aus dem Volk vom HERRN Erwählten und Erhöhten. Alle, die das hohe Vorrecht haben, immerdar im Hause des HERRN wohnen zu dürfen, weil sie in Christo Jesu zu Priestern Gottes gemacht sind, können in Wahrheit sagen, dass sie Christum segnend lobpreisen, der sie zu dem gemacht hat, was sie sind, und sie an den Platz gestellt, wo sie sind. Immer, wenn wir das Glück empfinden, Hausgenossen Gottes zu sein, und wir den Geist der Gotteskindschaft spüren, in dem wir "Abba, lieber Vater" rufen, sollte der erste Gedanke unserer Herzen der sein, dass wir den Namen des erstgeborenen Bruders segnen, durch den uns Unwürdigen der Vorzug der Gotteskindschaft zuteil geworden ist. Wir denken mit seliger Erinnerung an so manche köstliche Stunde in dem vergangenen Leben zurück, da wir mit unaussprechlicher Freude und aus vollem Herzen unseren Heiland und König gepriesen haben, und jede dieser unvergesslichen Erinnerungen ist ein Vorgeschmack und Unterpfand auf die Zeit, da wir im Hause unseres Vaters droben jubelnd den Namen des Erlösers preisen und auf ewig singen werden: Würdig ist das Lamm, das geschlachtet ist. (Off. 5,12.)

27. Der HERR ist Gott, der uns erleuchtet. Gott ist Jehovah, der allein lebendige und wahre Gott. Es gibt keinen andern Gott außer ihm. Das hier für Gott gebrauchte Wort (El) heißt der Starke, der allein Mächtige. Nur die Kraft Gottes war imstande, uns das große Licht und die Freude zu bringen, die aus dem Werk unseres Helden und Königs fließt. Auch uns hat Gott erleuchtet; sein Licht lehrte uns, den verworfenen Stein als den Eckstein zu erkennen, und das trieb uns, uns unter dem Kreuzesbanner in das Heer des einst verspotteten Nazareners einreihen zu lassen, der jetzt der Fürst der Könige auf Erden ist. Dem Strahl der Erkenntnis folgte der Strahl der Freude, denn wir sind jetzt frei von den Mächten der Finsternis und versetzt in das Reich des lieben Sohnes Gottes. (Kol. 1,13) Wir wissen von der Herrlichkeit Gottes im Angesichte Jesu Christi nicht wegen unserer Natur oder unserer Vernunft; weder hat diese Erkenntnis ihren Ursprung in den Funken, die wir selbst angezündet, noch empfingen wir sie von Menschen, sondern der mächtige Gott allein hat uns diese Herrlichkeit gezeigt. Er schuf den Tag des Heils, dass er über uns leuchte wie die Sonne, und er ließ unser Angesicht leuchten im Licht jenes Tages, wie es im 24. Vers heißt: Dies ist der Tag, den der HERR macht. Darum gebührt ihm allein alle Ehre für unsere Erleuchtung. Wohlan, lasst uns von ganzem Herzen den großen Vater des Lichtes preisen, der uns aus der Höhe mit der Seligkeit erfüllt hat, die wir jetzt genießen.
  Schmückt das Fest mit Maien bis an die Hörner des Altars, oder nach der Auffassung anderer: Bindet das Festopfer mit Seilen bis an die Hörner des Altars.2 Man erklärt dies sehr verschieden, etwa von der Menge der Opfertiere, die den ganzen Raum des Vorhofs füllten, so dass sie sogar bis an den Altar hin festgebunden werden mussten, oder von den Ochsen, die wegen ihres Widerstrebens, ehe sie geschlachtet wurden, am Altar angebunden wurden. Andere denken an Kränze, an Laubgewinde, mit denen die Festopfer geschmückt und zum Altar geführt worden seien. Das ist ein Bild für uns, denn auch wir sind an den Altar Gottes gebunden, aber mit Seilen der Liebe, nicht mit rauem Zwang, der die Freiheit des Willens vernichtet. Das Opfer, das wir zur Verherrlichung der Siege unseres Herrn Jesus Christus darbringen, ist das lebendige Opfer von Geist, Seele und Leib. Wir bringen uns selbst zu dem Altar und begehren, dem HERRN alles, was wir sind und was wir haben, darzubringen. Freilich bleibt in unserer Natur eine Neigung, vor dem Altar zurückzuscheuen; sie mag das Opfermesser nicht leiden. Im Drange der ersten Liebe kommen wir wohl willig zum Altar, aber es bedarf der fesselnden Macht, um uns dort ganz und lebenslänglich festzuhalten. Glücklicherweise gibt es ein Seil, das, um den Sühnaltar oder besser um die Person unseres Herrn Jesus Christus, unseres einzigen Altares, gewunden, uns halten kann und wirklich hält. Denn die Liebe Christi drängt uns, zumal wir überzeugt sind, dass, wenn einer für alle gestorben ist, so sind sie alle gestorben. Und er ist darum für alle gestorben, damit, die da leben, hinfort nicht sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist. (2. Kor. 5,14.15) Wir sind an die Lehre von der Versöhnung gebunden, ja an Christum selbst, der für uns beides zusammen ist, Altar und Opferlamm; und wir begehren mehr denn je an ihn gebunden zu sein, denn unsere Seele findet gerade ihre wahre Freiheit, indem sie fest an den Altar des HERRN gekettet ist. Die amerikanische Missionsgesellschaft in Boston hat auf ihrem Siegel einen Ochsen mitten zwischen einem Altar und einem Pflug, und als Wahlspruch darunter. "Willig zu beidem", willig zu leben und zu arbeiten, aber auch willig zu leiden und zu sterben. Wir möchten uns gern für den HERRN in Tätigkeit opfern, sind aber auch bereit, durch ihn uns im Leiden opfern zu lassen, wie es gerade sein Wille ist. (Vergl. 2. Kor. 12,15) Wir kennen jedoch die Auflehnung unserer verderbten Natur zu gut, drum ist es unser ernstliches Gebet, dass wir in diesem heiligen Sinn bewahrt bleiben mögen und es uns niemals zugelassen werde, dass wir, durch Entmutigungen oder durch Versuchungen dieser Welt beirrt, den Altar verlassen, an den wir nach unserm Herzenswunsch auf ewig gebunden sein wollen. Eine Übergabe dieser Art und das Verlangen, dass sie unaufhörlich dauere, passt gut zu jenem Tag der Freude, den der HERR durch den Triumph seines Sohnes, unseres innigst geliebten Bundeshauptes, so herrlich gemacht hat.


28. Du bist mein Gott, und ich danke dir;
mein Gott, ich will dich preisen.
29. Danket dem HERRN; denn er ist freundlich,
und seine Güte währet ewiglich.

Wir kommen nun zu dem Schlussgesang des königlichen Helden (V. 28), in den dann alle seine Getreuen einstimmen (V. 29).

28. Du bist mein Gott, und ich danke dir, du mein mächtiger Gott, der du diese gewaltige und wunderbare Tat getan. Du sollst mein sein, und alles Lob, dessen meine Seele fähig ist, soll zu deinen Füßen ausgegossen werden. Mein Gott, ich will dich preisen, oder erhöhen. Du hast mich erhöht, und soweit mein Lobpreis es vermag, will ich deinen Namen erhöhen. Jesus ist verherrlicht, und er verherrlicht den Vater. (Joh. 17,1) Gott hat uns Gnade gegeben und Herrlichkeit verheißen, darum müssen wir alle Gnade wie auch allen ihren Ruhm ihm zuschreiben. Die Wiederholung weist hin auf die Festigkeit, mit der der Psalmist diesen Entschluss fasste, auf die Herzlichkeit seiner Liebe und die Tiefe der Dankbarkeit. Dies Gelübde "Ich will dich preisen" passt trefflich in den Mund unseres Herrn Jesus, und ihm nach mag ein jeder von uns in aller Demut im Vertrauen auf die göttliche Gnade ebenso feierlich erklären: Ich will dich preisen. Umso mehr als andere dich lästern, will ich dich erhöhen; und mag ich mir selbst manchmal kalt und gleichgültig vorkommen, so will ich doch meine träge Natur aufrütteln und den festen Entschluss fassen, dass mein Leben, solange ich atme, deinem Preise gewidmet sein soll. Für und für bist du mein Gott, und für und für will ich dir danken.

29. Danket dem HERRN; denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich. Der Psalm endigt, wie er begonnen, und bildet somit einen vollständigen Kreis freudiger Anbetung. Wir können uns wohl vorstellen, dass die Töne am Schlusse des lauten Halleluja rascher, wohlklingender und kräftiger erschollen als im Anfang. Bei dem Klang der Trompeten und Harfen vergaßen Israel, das Haus Aaron und die den HERRN fürchteten alle Unterschiede, sie stimmten alle miteinander den gemeinsamen Gesang an und bezeugten aufs Neue ihre tiefe Dankbarkeit für die Freundlichkeit des HERRN und seine ewige Gnade. Könnte es einen schöneren Schluss geben zu diesem wahrhaft königlichen Liede? Die Dichter steigen gern in ihren Gesängen immer höher empor, so dass sie mit der höchsten Steigerung endigen. Aber hier gab es nichts Höheres. Der Psalmist hat die Höhe seines Gegenstandes erreicht, nun macht er Halt. Die Musik schweigt, der Gesang ist zu Ende, der letzte Ton des großen Hallel ist verklungen, und Israel geht zu seinen Hütten, ein jeder still und freudig sinnend über die Freundlichkeit des HERRN, dessen Gnade die Ewigkeit erfüllt.


Erläuterungen und Kernworte

Der ganze Psalm hat eine eigentümliche Formung. Er ist den Maschal- (Sinnspruch-) Psalmen ähnlich, denn jeder Vers hat für sich seinen geflossenen Sinn, eignen Duft und eigne Farbe; ein Gedanke fügt sich an den andern wie Zweig an Zweig, Blume an Blume. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Nichts vermag die Kraft und Erhabenheit, wie auch die reiche Mannigfaltigkeit und Schönheit dieses Psalms zu übertreffen. Sein messianischer Inhalt ist unverkennbar. Der Geist Christi bringt in ihn prophetisch den Jubel zum Ausdruck, womit die jungfräuliche Tochter Zion in der unmittelbaren Voraussicht der Zukunft ihres Befreiers, den Sieg im Glauben zum Voraus ergreifend, die versammelten Heere des Menschen der Sünde (V. 10-13) verlachen wird. Arthur Pridham 1869.
  (Aus der Widmung der Auslegung des Psalms an den Abt zu Nürnberg.) Ich wollte mich gerne gegen Ew. Lieb und Gunst, mir erzeigt, dankbar erzeigen; so bin ich nach der Welt ein armer Bettler. Also habe ich mich zu meinem Reichtum, den ich für meinen Schatz achte, gekehret, und meinen lieben Psalm vor mich genommen, das schöne Confitemini, habe darüber meine Gedanken aufs Papier gefasset, weil ich hier in der Wüsten (auf der Feste zu Koburg) so müßig sitze und doch zuweilen, des Haupts zu verschonen, mit der größern Arbeit, die Propheten vollends zu verdeutschen, ruhen muss ... Bessers habe ich nicht. Denn es ist mein Psalm, den ich lieb habe. Wiewohl der ganze Psalter und die Heilige Schrift gar mir auch lieb ist, als die mein einiger Trost und Leben ist, so bin ich doch sonderlich an diesen Psalm geraten, dass er muss mein heißen und sein, denn er sich auch redlich um mich gar oft verdienet und mir aus manchen großen Nöten geholfen hat, da mir sonst weder Kaiser, Könige, Weise, Kluge, Heilige hätten mögen helfen, und ist mir lieber, denn des Papsts, Türken, Kaisers und aller Welt Ehre, Gut und Gewalt, wollte auch gar ungerne um diesen Psalm mit ihnen allesam beuten. Und wollte Gott, dass alle Welt den Psalm also für den seinen anspräche wie ich. Das sollte der freundlichste Zank werden, dem kaum eine Einträchtigkeit und Liebe zu vergleichen sein sollte. Es ist leider derer wenig, auch unter denen, die es billig vor andern tun sollten, die zur Heiligen Schrift oder zu einigem Psalm ihr Leben lang einmal von Herzen sprächen: Du bist mein liebes Buch, du sollst mein eigen Psälmlein sein. Martin Luther, 1. Juli 1530.


V. 1. Was der Schluss des Ps. 117 von Gottes Wahrheit sagt, dass sie ewig währe, sagt der Anfang des Ps. 118 von ihrer Schwester, der Gnade. Prof. Franz Delitzsch † 1890.


V. 1-4. Wie das Heil aller Erwählten eines ist und Gottes Liebe zu ihnen allen eine ist, so sollte auch ihr Gesang einer sein, wie denn hier viermal gesagt ist: Seine Güte währet ewiglich. Dickson † 1662.
  Seine Güte, d. i. seine Bundesgnade, dieses kostbare Vorrecht der Erwählten. Diese waltet beständig über seinem Volke und sollte darum auch beständig als Andenken in unserem Herzen sein. Die vierfache Wiederholung bringt in beachtenswerter Weise zum Ausdruck, wie unersättlich das Begehren der Gläubigen ist, Gott für seine nie ermattende Gnade zu preisen. Haben diese himmlischen Singvögel den Ton einmal angestimmt, so singen sie ihn immer und immer wieder. In dem letzten Psalm sind der Vers nur sechs, doch zwölf Hallelujah. Abr. Wright 1661.
  Die Jahve Fürchtenden sind die Proselyten (in der Apostelgeschichte sebo/menoi to`n qeo/n oder bloß sebo/menoi, wie denn in lateinischen Inschriften der Proselyt [religionis Judaicae] metuens heißt); jedenfalls sind diese (1. Könige 8,41; Jes. 56,6) eingeschlossen, auch wenn Israel V. 2 die Laienschaft bedeuten sollte, denn der Begriff der Jahve Fürchtenden ragt über Israel hinaus. Prof. Franz Delitzsch † 1890.


V. 5. Angst im Hebräischen lautet, als das enge ist, wie ich achte, dass im Deutschen auch Angst daher komme, das enge sei, darinne einem bange und wehe wird, wie die Anfechtungen und Unglück tun, nach dem Sprichwort: Es war mir die weite Welt zu enge. Dagegen lautet im Hebräischen, das er hier sagt, in weitem Raum: dass, gleichwie die Enge oder Angst heißet Trübsal und Not, also heißet weiter Raum Trost und Hilfe; dass dieser Vers soviel gesagt ist: Ich rief den HERRN an in der Not, so hörte er und half mir tröstlich. Denn wie die Not unser enger Raum ist, der uns betrübt und klemmet, also ist die Hilfe Gottes unser weiter Raum, der uns frei und fröhlich macht.
  Es heißet: Ich rief den HERRN an. Rufen musst du lernen (das hörest du wohl), und nicht da sitzen bei dir selbst oder liegen auf der Bank, den Kopf hängen und schütteln und mit deinen Gedanken dich beißen und fressen, sorgen und suchen, wie du los werdest, und nichts anders ansehen, denn wie übel es dir gehe, wie wehe dir sei, wie ein elender Mensch du seist; sondern wohlauf, du fauler Schelm, auf die Knie gefallen, die Hände und Augen gen Himmel gehoben, einen Psalm oder Vaterunser vorgenommen, und deine Not mit Weinen vor Gott dargelegt, geklagt und angerufen. Martin Luther 1530.


V. 6. Der Grund, warum der Psalmist so guter Zuversicht ist und sich nicht fürchtet, ist die erhabene Tatsache, dass der HERR auf seiner Seite ist als sein Schirmherr, mit ihm als erhabener Verbündeter gemeinsame Sache macht. Es ist uns ja wohlbekannt, wie ernstlich die Menschen in allen ihren weltlichen Händeln darauf bedacht sind, sich den Beistand eines mächtigen Verbündeten zu sichern, desgleichen in Rechtshändeln die Dienste eines einflussreichen Advokaten zu erlangen, bei ihren Versuchen, in der Welt voranzukommen, die Freundschaft und Anteilnahme solcher Leute zu gewinnen, die ihr Vorhaben zu fördern imstande sind. Als Herodes mit denen von Tyrus und Sidon zu kriegen gedachte, wagten diese es nicht, ihm um Frieden bittend zu nahen, bis sie Blastus, des Königs Kämmerer, sich zum Freunde gewonnen hatten. Wenn nur eine so und so beschaffene Person auf ihrer Seite ist, denken die Menschen, alles müsse gut gehen. Wer aber ist so gut daran, als wer sagen kann: Der HERR ist für mich! Ph. B. Power 1861.
  Gott ist mit denen, die er zu öffentlichem Dienst beruft. Dem Josua wird anbefohlen, getrost und freudig zu sein, "denn der HERR, dein Gott, ist mit dir". (Jos. 1,9). Ebenso dem Jeremia: "Fürchte dich nicht vor ihnen, denn ich bin mit dir, dich zu erretten". (Jer. 1,8) Gottes Nähe sollte uns in der Tat frische Kraft einhauchen. Untergeordnete Naturen sind, wenn ein Höherer ihnen den Rücken deckt, voll Mutes und vollbringen Taten, die sie für sich allein nie unternehmen würden. Ist Gott, der Höchste, mit uns, so mögen wir wohl furchtlos sein wie der Psalmist. Mögen die Menschen es noch so schlimm machen, mögen sie finstre Blicke werfen, Drohungen ausstoßen, sich verschwören, bewaffnen, auf mich eindringen, - der HERR ist auf meiner Seite, er wendet mir seine besondere Sorge zu, er ist mein Schild, so will ich mich nicht fürchten, sondern guter Hoffnung sein. W. Greenhill † 1677.


V. 8. Man mag es fast unter der Würde und Feierlichkeit des Gegenstandes unserer Betrachtung ansehen, zu bemerken, dass dieser achte Vers der mittlere Vers der Bibel ist. Es sind ihrer, wenn ich nicht irre, im Ganzen 31.174 Verse, und dieser ist der 15.587ste. Ich möchte wahrlich nicht, dass ihr eure Zeit darauf verwendet, selber nachzuzählen, und würde die Sache überhaupt nicht erwähnt haben, wenn ich nicht auf eins hinweisen wollte. Und das ist Folgendes: Wiewohl wir solche Berechnungen im Allgemeinen als geschäftigen Müßiggang anzusehen haben werden - und wie ist man selbst auf die unbedeutendsten Kleinigkeiten eingegangen, sodass man z. B. sogar gezählt hat, wie oft das Wörtlein "und" vorkomme - verdanken wir es doch dieser Kleinigkeitskrämerei nicht zu einem geringen Teil, dass das heilige Buch im Vergleich mit anderen Büchern so unversehrt erhalten worden ist. Barton Bouchier 1856.


V. 8.9. Luther nennt dies die Kunst über alle Kunst, nicht auf Menschen, sondern auf den lebendigen Gott trauen, und das wohlgefälligste und köstlichste aller Opfer, die wir Gott darbringen können. John Trapp † 1669.
  Da Herzog Friedrich von Sachsen lebte, der teure werte Fürst, da trösteten sich beide, geistliche und weltliche Tyrannen, auf seinen Tod und sprachen: Es ist um zwei Augen zu tun, wenn dieselbigen zu sind, so liegt des Luthers Ketzerei auch. Nichts Gewissers haben sie ihr Lebtage gehabt, denn solche ihre eigene Weissagung; sie hatten es am Griffe, wie die Fiedler. Denn sie dachten nicht anders, unsere Lehre stünde auf Herzog Friedrichen, und unser Trost und Hilfe wäre Menschentrost und Fürstenhilfe. Solches nahmen sie bei ihnen selbst ab. Sie meinten, wir täten auch also, weil sie keinen andern Trost noch Hilfe wissen. Martin Luther 1530.
  Ich habe gehöret von dem seinen Bischof Friedrich zu Magdeburg, nicht lange vor dieser Zeit. Wider den war ein Fürst zu Sachsen, Herzog Friedrich, willens zu kriegen, als sein abgesagter Feind, und schickete einen Kundschafter an des Bischofs Hof, zu schauen, wie er sich rüstete und zur Wehre stellete. Der kam heim zu seinem Fürsten fröhlich, zeigete ihm an, dass der Bischof sich gar nichts rüstete, wären alle Sachen schon gewonnen. Da fragete der Fürst: Was sagte denn der Bischof vom Kriege? Der antwortete, er sagte nichts mehr, denn also: Er wolle hin und seines Amts warten, Klöster visitieren und arme Leute hören, und wollte Gott lassen für sich streiten, der würde indes den Krieg wohl führen. Da das der Fürst hörete, sprach er: Sagt der Bischof also, so kriege der Teufel wider ihn an meiner Statt, und ließ den Krieg anstehen, furchte sich mit Gott zu kriegen. Da siehe, wer hat dem Bischofe so bald und so leicht geholfen und des Fürsten Herz so ganz umgekehret? Allein der Name des HERRN, das allmächtige Wörtlein. Martin Luther 1530.
  Eine Hauptursache, warum Gott oft Mittel nicht segnet, ist die, dass wir so geneigt sind, uns auf sie zu verlassen, und rauben Gott seine Ehre, indem wir nicht auf den Segen von seinen Händen warten. Das veranlasst Gott, unsere Hoffnungen zu durchkreuzen und seine eigenen Gaben ihres Segens zu entleeren, weil wir nicht ihn suchen, sondern unserer Geschicklichkeit Weihrauch opfern, indem wir auf die äußeren Mittel unsre Zuversicht setzen. Darum vereitelt er das Gelingen und wendet die Mittel zu unserem Schaden. Abr. Wright 1661.
  Sind meine Feinde zu Schanden gemacht, so möge nicht mein Freund sich mir als guter Helfer (V. 7) darbieten und mich bewegen, meine Hoffnung auf ihn zu setzen, sondern auch dann muss ich auf den HERRN allein trauen. Aurel. Augustinus † 430.
  Wie hat David das an seinem König, dem Saul, an Achis, an Ahitophel und andern erfahren, dass man sich nicht auf Fürsten und Große verlassen kann. Sie alle erwiesen sich als trügerisch; aber nie vertraute er vergeblich auf Jehovah. Kardinal R. Bellarmin † 1621.
  Großer Leute Worte, hat einer gesagt, sind wie toter Leute Schuhe; wer auf sie wartet, mag barfuß gehen. John Trapp † 1669.


V. 12. Sie umgeben mich wie Bienen. Da der Nordostwind uns gerade entgegen blies, musste das Boot von der Schiffsmannschaft an der Leine gezogen werden. Als das Tau durch das Gras am Ufer entlang geschleift wurde, störte es einen Bienenschwarm auf. In einem Augenblick stürzten sie sich wie eine dichte Wolke auf die Leute, die am Ziehen waren. Diese warfen sich alle kopfüber ins Wasser und suchten schleunigst in das Schiff zu kommen. Aber der Schwarm folgte ihnen auf den Fersen nach und erfüllte in wenigen Sekunden alle Winkel und Löcher auf Deck. Welche Verwirrung daraus entstand, kann man sich leicht denken. Ich war gerade, nichts Böses ahnend, damit beschäftigt, meine Pflanzen in meiner Kabine zu ordnen, als ich alles um mich her davonlaufen hörte, was ich zuerst für ausgelassene Fröhlichkeit meiner Leute hielt, wie das oft vorkam. Ich rief hinaus und fragte, was der Lärm zu bedeuten habe, bekam aber nur aufgeregte Handbewegungen und vorwurfsvolle Blicke zur Antwort. Bald drang der Ruf "Bienen, Bienen" an mein Ohr, und ich ging daran, eine Pfeife anzuzünden. Mein Versuch war ganz vergeblich; im Augenblick sind Bienen zu Tausenden um mich, und ich werde ohne Erbarmen überall an Gesicht und Händen zerstochen. Ohne Erfolg suche ich mein Gesicht mit einem Handtuch zu schützen, und je heftiger ich mit den Händen umherschlage, desto heftiger wird auch das Ungestüm der wütenden Insekten. Der rasende Schmerz ist jetzt an meiner Wange, jetzt im Auge, jetzt im Haar. Die Hunde fahren wie toll unter meinem Bett hervor und reißen auf ihrem Wege alles um. Fast alle Selbstbeherrschung verlierend, stürze ich mich in den Fluss ich tauche unter, aber alles umsonst, denn die Stiche regnen noch immer auf meinen Kopf nieder. Ohne auf die Warnungsrufe meiner Leute zu achten, krieche ich durch das Schilfgras auf das morastige Ufer. Das Gras schneidet meine Hände, und ich suche festen Boden zu gewinnen, in der Hoffnung, im Walde Zuflucht zu finden. Auf einmal packen mich vier starke Arme und schleppen mich mit solcher Gewalt zurück, dass ich meine, ich müsste im Schlamm ersticken. Ich bin gezwungen, wieder an Bord zu gehen, an Flucht ist nicht zu denken. Am Abend war mir zu Mute, als wollte ich lieber ein Zusammentreffen mit einem Dutzend Büffel oder ein paar Löwen haben, als je wieder es mit Bienen zu tun zu bekommen, und das war eine Empfindung, in der die ganze Schiffsgesellschaft von Herzen mit mir einstimmte. Nach G. Schweinfurth (Im Herzen Afrikas) 1873.
  Deborim, "Bienen", heißen sowohl Bienen als Wespen, die besonders zur Erntezeit sich lästig machen. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Die Feinde Christi sind so von Hass erfüllt, dass sie bei dem Kämpfen gegen sein Reich nicht danach fragen, was aus ihnen selber wird, wenn sie nur sein Volk verwunden können. Aber wie die Biene mit dem Stechen sich selber zu Grunde richtet und mit ihrem Stachel ihr Leben oder doch ihre Macht verliert, so ist es mit ihnen. Alles, was die Feinde der Gemeinde Christi zu tun vermögen, ist, dass sie des HERRN Volk äußerlich quälen; die Wunden, die sie beibringen, sind wie der Stich einer Biene: er schmerzt und verursacht eine Anschwellung, aber es ist eine vorübergehende Pein, keine tödliche Wunde. David Dickson † 1662.
  Wie ein Feuer in Dornen. Im Morgenlande pflegte man wohl die Felder in der dürren Jahreszeit anzuzünden und sie auf diese Weise von Dornen und anderem Unkraut zu reinigen. Natürlich fingen die Dornen zu solcher Zeit schnell Feuer, loderten auf und waren bald verzehrt. So wollte der Psalmist auch über seine Feinde kommen, wie ein Feuer, das über ein Feld in dürrer Zeit läuft und alles verbrennt, was ihm in den Weg kommt. Albert Barnes † 1870.


V. 13. Du hast mich heftig gestoßen, dass ich fallen sollte. (Wörtl.) Ja, Satan, du hast dein Bestes getan. Du hast all meine schwachen Stellen herausgefunden und hast mich im rechten Augenblick und schulgerecht angegriffen. Calderon († 1681), der berühmte spanische Dichter, erzählt von einem Ritter, der seine schwere Rüstung, die er sonst jahraus jahrein trug, nur eine Stunde ablegte, und in der Stunde kam der Feind, und der Mann musste diese einzelne Unachtsamkeit mit seinem Leben bezahlen. James Millard Neale 1871.


V. 14. Gute Lieder, gute Verheißungen, gute Sprichwörter, gute Lehrsätze verlieren nichts durch hohes Alter. Was einst Mose und die Kinder Israel sangen, als sie eben durch das Rote Meer gegangen waren, singt hier der Psalmist und wird bis zum Ende der Welt von den Heiligen des Höchsten gesungen werden. William Swan Plumer 1867.


V. 15. Unser jeglicher sehe dazu, dass seine Wohnung eine Hütte der Gerechten sei, dass er mit allen seinen Hausgenossen in Gerechtigkeit wandle, die Gott gefällig ist. Und lasst uns so fleißig Psalmen und Lobgesänge und geistliche liebliche Lieder anstimmen, dass unsere Wände davon allezeit widerhallen. Martin Geier † 1681.


V. 17. Da Christus vom Tode auferstanden ist, werden wir nicht sterben, sondern leben. Wir haben mit dem ewigen Tode nichts mehr zu schaffen, sondern wir werden in dieser Welt das Leben der Gnade und in der zukünftigen das Leben der Herrlichkeit leben, auf dass wir in beiden Welten die Werke des HERRN verkündigen und das Lob Gottes, unseres Heilands, singen. Wohl werden wir gezüchtigt um unserer Sünden willen, aber das ist uns nun gerade ein Beweis, dass wir nicht dem Tode hingegeben werden. Bischof G. Horne † 1792.
  Aus dem Leben des bedeutenden Vorreformators, Johann Wiclif † 1384. - Wiclif war erst an die sechzig Jahre alt, aber die vielen Angriffe seiner Feinde und seine unausgesetzten, immer zunehmenden Arbeiten hatten seine Lebenskraft frühe aufgezehrt. Er wurde krank. Mit unbändiger Freude vernahmen die Bettelmönche das Gerücht, dass ihr Erzfeind im Sterben liege. Natürlich werde er ganz von Schrecken des Todes und Gewissensbissen übermannt sein um all des Übels willen, das er ihnen angetan; so wollten sie denn an sein Bett eilen und das Geständnis seiner Reue und Schmerzes vernehmen. Im Nu war ein kleiner Haufe Mönche von den vier Orden um das Lager des Kranken versammelt. Sie begannen recht schön, wünschten ihm Gesundheit und Genesung von seinem Übel; aber alsbald änderten sie den Ton und ermahnten ihn, da er am Rand des Grabes sei, eine gründliche Beichte abzulegen und seinem aufrichtigen Kummer über all die Unbilden, die er ihren Orden zugefügt habe, Ausdruck zu geben. Wiclif lag schweigend da, bis sie geendet; dann aber ließ er sich durch seinen Diener ein wenig aufrichten, heftete seine durchdringenden Augen auf sie und sagte mit lauter Stimme. Ich werde nicht sterben, sondern leben und die bösen Werke der Mönche verkündigen. Bestürzt und verwirrt eilten die Fratres aus der Kammer. J. A. Wylie 1860.
  Gott verlängert das Leben seiner Knechte nicht, damit sie sich an Essen und Trinken gütlich tun, schlafen, soviel ihnen beliebt, und alle zeitlichen Güter genießen, sondern auf dass sie ihn verherrlichen. Jean Calvin † 1564.
  Nach Matthesius hatte Luther diesen Vers an der Wand seiner Studierstube angeheftet.


V. 18. Aber er gibt mich dem Tode nicht. Es hätte schlimmer sein können, mag der mit Trübsal heimgesuchte Christ sagen, und es wird noch besser werden. Gott züchtigt seine Kinder in Gnaden und mit Maßen. "Nicht auf immer will ich hadern, noch ewig zürnen; denn ihr Geist würde vor mir dahinschmachten, und die Seelen, die ich selbst geschaffen habe." (Jes. 57,16 Grundtext) Wenn sein Kind unter den Rutenstreichen ohnmächtig wird, lässt Gott den Stock fallen und küsst es wieder ins Leben. John Trapp † 1669.


V. 19. Tut mir auf die Tore der Gerechtigkeit. Die Tore, die uns geöffnet sind durch die Gerechtigkeit dessen, zu dem wir täglich sprechen: Du bist allein heilig. Die Tore, für die es der Via dolorosa (des Schmerzensweges) und des Kreuzes bedurfte, ehe sie sich auf ihren Angeln drehen und den Einlass freigeben konnten. An jenem stürmischen Tage, als die Sonne drei Stunden lang verfinstert gewesen war, hörte die Welt wieder von dem Eden, aus dem viertausend Jahre zuvor Adam verbannt worden war. "Wahrlich ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein." O glücklicher Schächer, der so durch die Tore der Gerechtigkeit eingeht! Und siehe, wie freien Mutes er einzieht! Er steht nicht wie jener Zöllner von ferne, er spricht nicht wie der Aussätzige: Herr, wenn du willst, kannst du mich wohl reinigen. Siehe hier die allmächtige Ohnmacht der Bitte des Glaubens. James Millard Neale 1871.


V. 22. Christus Jesus ist der Stein: keine Festigkeit außer in ihm. Er ist der Grundstein: es gibt kein Bauen, es sei denn auf ihm. Er ist der Eckstein: es gibt keine Verbindung und Aussöhnung, keinen Zusammenhalt, außer in ihm. James Ford 1856.
  Christus, der Stein, ist der Grund, auf dem alles ruht. Zweierlei widerfuhr ihm, so verschieden als es nur sein kann. 1) Er ward verworfen, und zwar nicht von "ungelehrten Leuten und Laien", sondern von den Fachkundigen, den Arbeitern, den berufsmäßigen Bauleuten. Und sie achteten ihn nicht nur gering, als nicht für einen hervorragenden Platz geeignet, sondern sie verwarfen ihn völlig, als für jeden Platz im Gebäude untauglich. 2) Aber er ward aufgerichtet, erhöht, und zwar von einem, der das Fach wahrlich nicht schlechter verstand als jene, von dem Baumeister und Bauherrn selber, von Gott. Und wozu erhöht? Zu dem am meisten in die Augen springenden, dem höchsten Ehrenplatz: er ist zum Eckstein geworden, der den ganzen Bau trägt und zusammenhält. Bischof L. Andrewes † 1626.
  Der Verfasser der Historia Scholastica erwähnt eine Sage, dass bei dem Bau des zweiten Tempels einem Stein das buchstäblich widerfahren sei, was hier als Gleichnis vorgeführt wird. Der Quaderstein sei von den Bauleuten oft aufgenommen und immer wieder als nicht passend beiseite gestellt worden, bis sich endlich herausgestellt habe, dass er für den vornehmsten Platz, nämlich als Haupteckstein, der die Kanten der Mauern verbindet, vollkommen passend sei. Diese überraschende Entdeckung habe die Rede veranlasst: Das ist vom HERRN geschehen und ein Wunder vor unseren Augen. Henry Hammond † 1660.


V. 24. 1) Diese Worte wenden wir mit vollem Recht auf den Sabbat an. Er ist der Tag, den der HERR gemacht hat für den Menschen und von den andern Tagen ausgesondert, geheiligt hat. Er heißt deshalb des Herrn Tag, denn er trägt sein Bild und seine Überschrift. Dem Vers entnehmen wir auch 2) die Sabbatpflicht: Lasst uns freuen und fröhlich darinnen sein, fröhlich nicht nur darüber, dass uns ein solcher Tag bereitet ist, sondern vor allem auch über den Grund desselben, dass nämlich Christus der Eckstein geworden ist. Des sollen wir uns freuen, erstlich, um der ihm nach der Schmach der Verwerfung von Gott widerfahrenen Ehre willen, zweitens um deswillen, was er uns dadurch geworden. Die Sonntage müssen Tage der Freude und des Frohlockens sein, dann sind sie uns Tage, wo wir auf Erden im Himmel leben. Seht, welch gutem Meister wir dienen, der, nachdem er einen der Wochentage zu seinem besondern Dienste festgesetzt hat, bestimmt, dass wir diesen in heiliger Freude verbringen. Matthew Henry † 1714.
  Wie die Sonne am Himmel mit ihrem Licht den natürlichen Tag macht, also machet Christus, die Sonne der Gerechtigkeit, einen geistlichen Tag. Christoph Starcke † 1744.
  Adam hat wohl einen traurigen Tag angerichtet; aber durch Christum ist ein anderer Tag gemacht. Abraham sah diesen Tag von fern und freute sich; wir wandeln nunmehr gar in seinem Lichte. Johann Frisch 1731.


V. 25. Der Hosiannaruf der Menge, die den Herrn Jesus bei seinem königlichen Einzug in Jerusalem umdrängte, war aus diesem Psalm genommen, dessen V. 25.26 sie beim Laubhüttenfest herzusagen gewohnt waren. An diesem Fest wurde das Hallel, Ps. 113-118, von einem der Priester gesungen, und in bestimmten Zwischenräumen stimmte die Volksmenge ein, gewisse Vers als Antwortgesang wiederholend. Dabei schwenkten sie die Weiden- und Palmzweige, die sie in den Händen trugen, und riefen dazu Hallelujah oder Hosianna. An jedem der sieben Tage des Festes waren die Vorhöfe des Tempels voll Volks, man umkreiste in feierlichem Aufzug den Altar, der mit großen Bachweidenzweigen umpflanzt war, die sich über ihn neigten (vergl. V. 27), und rief beim Ton der Posaunen Hosianna. Am siebenten Tage aber zog man siebenmal um den Altar und rief dabei zu der Musik der Leviten das große Hosianna. Selbst von den Kindern erwartete man, dass sie, sobald sie nur die Palmwedel zu schwenken imstande waren, an der Feierlichkeit teilnahmen. (Vergl. dazu Mt. 21,15.) Von der Gewohnheit, bei dieser Feier die Zweige zu schwenken, wurde schließlich der Name Hosianna auf diese Zweige selbst übertragen, und der siebente Festtag bekam desgleichen den Namen das große Hosianna. William A. Wright 1863.
  O HERR, lass wohl gelingen. Gott gibt das Gedeihen und gibt es gerne; aber seine Kinder müssen darum bitten. "Ich bin gekommen um deiner Worte (des Flehens) willen." (Dan. 10,12 Grundtext) John Trapp † 1669.


V. 26. Der Unterschied zwischen dem wahren Christus und den falschen ist der, dass Christus nicht in dem eigenen, sondern im Namen des HERRN gekommen ist. "Ich bin gekommen in meines Vaters Namen, und ihr nehmet mich nicht an. So ein anderer wird in seinem eigenen Namen kommen, den werdet ihr annehmen." (Joh. 5,43.) So müssen auch alle wahren Diener Christi nicht in ihrem eigenen, noch in Baals oder des Mammons Namen kommen, sondern im Namen des HERRN, mit Beruf von oben, worüber vergl. Hebr. 5,4 f.; Röm. 10,15; 15,18. Salomon Geßner † 1605.


V. 27. Wie angenehm ist das Licht, so wohltuend, dass Licht oft für Trost steht. Der HERR ist Gott, der uns erleuchtet, der uns das Licht des Rats gibt, dass wir wissen, was wir tun sollen, und das Licht des Trostes bei dem, was wir tun, oder nach allem, was wir gelitten haben. Ein Licht leuchtet uns nicht nur, dass wir dabei unsere Arbeit tun können, sondern es macht uns getrost und heiter bei der Arbeit. Es ist das Licht süß, und den Augen lieblich, die Sonne zu sehen. (Pred. 11,7.) Joseph Caryl † 1673.
  Bindet die Festopfer usw. (And. Übers.) Es geht bei den Juden die Rede, die Tiere, die als Opfer dargebracht werden sollten, seien die unruhigsten und widerspenstigsten von allen gewesen. Das ist uns ein Spiegel: wenn wir uns Gott in Liebe darbringen sollen, sind wir vielmehr geneigt, von ihm wegzulaufen. Auch wir müssen an den Altar gebunden werden. Abr. Wright 1661.


V. 28. Die Bundesbeziehungen zwischen Gott und den Seinen sind nicht inhaltsleer, sondern führen auf beiden Seiten zu reger Betätigung. Gott gewährt denjenigen, denen er sich zu ihrem Gott hingibt, ganz besondere Gnadenerweisungen, und diejenigen, die Gott als ihren Gott bekennen, gewähren ihm wiederum besondere Dienste. So finden wir es überall in der Schrift. Du bist mein Gott, und ich danke dir; mein Gott, ich will dich preisen. Ps. 118,28. Du bist mein Gott, frühe suche ich dich. Ps. 63,2. Thomas Horton † 1673.


Homiletische Winke

V. 1-4. 1) Der Gegenstand des Gesanges: Danket dem HERRN, den er ist freundlich. 2) Der Chorrefrain: Seine Güte währet ewiglich. 3) Der Sängerchor: Es sage nun Israel - das Haus Aaron - die den HERRN fürchten. 4) Die Singprobe: Mögen sie es nun sagen, damit sie besser vorbereitet seien für den großen Lobgesang der Ewigkeit.
V. 5. 1) Gute Zeit zum Beten: In der Bedrängnis usw. 2) Erhörung zur rechten Zeit: Der HERR erhörte mich. 3) Erhörung über Bitten: Und stellte mich in weiten Raum. (Wörtl.)
V. 6. 1) Wie kann ein Mensch wissen, dass der HERR auf seiner Seite ist? 2) Welche Zuversicht kann ein solcher Mensch genießen, der des göttlichen Beistandes gewiss ist?
V. 7. Der HERR ist mit mir unter meinen Helfern. (Wörtl.) 1) Der Wert treuer Freunde. 2) Der größere Wert der Hilfe von oben.
V. 8.9. Es ist gut, wörtl.: besser, auf den HERRN vertrauen. Es ist weiser, sicherer, sittlich besser, unserer Würde angemessener und erhebender (adlig und adelnd), und von glücklicherem Erfolg.
V. 10. Steige auf eine hohe Warte und halte weite Umschau, indem du betrachtest, was alles im Namen des HERRN getan worden ist, getan werden sollte und getan werden kann.
V. 12. 1) Die unzähligen Störenfriede des Glaubens. 2) Ihr schnelles Ende. 3) Des Glaubens völliger Sieg.
V. 13. Du hast mich heftig gestoßen usw. (Grundtext) 1) Unser mächtiger Widersacher. 2) Seine heftigen Angriffe. 3) Sein augenscheinliches Ziel: Dass ich fallen soll. 4) Die Vereitelung seines Planes: Aber der HERR half mir.
V. 14. Der HERR ist 1) meine Stärke in Anfechtung und Trübsal; 2) mein Lobgesang des Glaubens in Erwartung der Befreiung; 3) mein Heil, meine Rettung aus aller Not.
V. 15.16. Die Freude in den Hütten der Gerechten. Sie ist Freude an dem siegreichen Heil, das Gott gibt, äußert sich in fröhlichem Lobgesang und findet immer neue Nahrung an den großen Taten, die die Rechte des HERRN vollbringt. (Grundtext).
  1) Wahre Freude ist nur den Gerechten bekannt. 2) Sie singen in ihren Hütten, wo sie als Pilgrime weilen. 3) Sie singen vom Sieg. 4) Sie erheben in ihren Liedern die Rechte des HERRN und deren große Taten.
V. 17. 1) Gottselige Menschen schweben oft in besonderer Lebensgefahr: Joseph in der Grube, Mose im Kästlein, Hiob, David, der mit knapper Not Saul entrinnt, Paulus, in einem Korb niedergelassen. (Welch merkwürdiger Fruchtkorb war das! Wieviel hing an dieser Schnur: die Umwälzung der heidnischen Welt, das Heil Unzähliger!) 2) Gottselige Menschen haben oft das sichere Vorgefühl, dass sie in der Gefahr erhalten bleiben, nicht sterben, sondern leben werden. 3) Gottselige Menschen haben ein besonderes Verlangen, dass ihr Leben erhalten werde; denn sie wollen leben, um des HERRN Werke zu verkündigen. G. Rogers 1878.
V. 17.19.22. Der Sieg des auferstandenen Heilandes und seine weitreichenden Folgen. 1) Der Tod überwunden. 2) Die Tore der Gerechtigkeit aufgetan. 3) Der Eckstein der Kirche gelegt.
V. 18. 1) Die Trübsale der Kinder Gottes sind Züchtigungen. 2) Diese Züchtigungen sind zuweilen sehr schwerer Art. (Vergl. Grundtext) 3) Aber sie haben eine feste Grenze: nicht zum Tode. George Rogers 1878.
V. 19. Zutritt zu Gott 1) begehrt, 2) demütig erbeten, 3) freimütig benutzt, 4) dankbar genossen.
V. 22. Wir beachten folgende Einzelheiten: 1) Die Gemeinde Gottes ist hier als ein Gebäude (Haus, Tempel) gedacht. 2) Die Stellung, die unser Immanuel in diesem Hause einnimmt. Er ist der Stein im einzigartigen Sinne, ohne den kein Haus möglich ist, wo Gott unter den Menschen wohnen kann. 3) Der Beruf der Arbeiter, die an diesem geistlichen Hause beschäftigt sind: sie sollen Bauleute sein. 4) Der verhängnisvolle Irrtum, der ihnen bei diesem Bau des Hauses Gottes zur Last gelegt wird: Sie verwerfen den von Gott selbst erwählten Stein und gewähren ihm keine Stelle in Gottes eigenem Hause. 5) Der Platz, den Christus in diesem Hause einnehmen muss und einnehmen wird, mögen die Bauleute es noch so schlimm treiben: er ist dennoch zum Eckstein gesetzt. Die folgenden Worte erklären, wie dies bewirkt worden, und mit welcher Freude die göttlich Gesinnten seine der Bosheit von Hölle und Welt zum Trotz geschehene Erhöhung betrachten. E. Erskine † 1754.
V. 22.23. 1) Eine rätselhafte Tatsache. a) Was bei den Menschen am geringsten geachtet ist als Mittel des Heils, ist bei Gott am höchsten geschätzt. b) Was bei Gott am höchsten geschätzt ist, wird, wenn es kundgemacht wird, von den Menschen am geringsten geachtet. 2) Die Erklärung des Rätsels: Der Weg des Heils ist göttlich, darum ist er so wunderbar in unseren Augen. George Rogers 1878.
V. 22-25. 1) Christus verworfen. 2) Christus erhöht. 3) Seine Erhöhung ist allein Gott zuzuschreiben. 4) Sie setzt den Anfang einer neuen Zeit. 5) Sie gibt uns ein neues Gebet ins Herz.
V. 24. 1) Von welchem Tage ist die Rede? a) Vom Tag des Heils. b) Vom Tag des Herrn. 2) Was wird von ihm ausgesagt? a) Er ist von Gott geschenkt. b) Er soll von uns als solcher mit Freuden gefeiert werden. George Rogers 1878.
V. 25. O HERR, hilf, o HERR, gib Gedeihen! Was ist wahres Gedeihen der Gemeinde Gottes? Woher muss es kommen? Und wie können wir es erlangen?
V. 27. Bindet die Festopfer mit Seilen an die Hörner des. Altars. (And. Übers.) 1) Welches ist das rechte Opfer? Unser ganzes Ich, jede unserer Gaben, unsere ganze Zeit, Habe, Stellung, unser Herz, Sinn und Gemüt, unser Leben bis zum letzten Atemzug, zum letzten Blutstropfen. 2) Warum bedarf das Opfer des Festbindens? Langes Zögern, Versuchungen aller Art, Reichtum und Stellung in der Welt, Zurückschrecken der Natur, Zweifel, alles zielt darauf, es vom Altar wegzutreiben. 3) Woran ist es gebunden? An die Schriftwahrheit von der Versöhnung, an Jesus und sein Werk für uns, an Jesus und das für ihn zu vollbringende Werk. 4) Welches sind die Seile? Unsere eigenen Gelübde, die Not der Seelen, unsere Freude an dem Werk, der große Lohn, die Liebe Christi, die in uns wirkt durch den Heiligen Geist.
V. 28. 1) Die seligste Tatsache von der Welt: Du bist mein Gott. 2) Die angemessenste Gesinnung, in der wir uns ihrer erfreuen: Ich danke dir, ich will dich preisen.
  1) Das Bundesgut: Du bist mein Gott. 2) Die Bundesverpflichtung: Ich will dich preisen.
V. 29. mit V. 1-4. 1) Anfang und Ende des Heils ist Gnade. 2) Anfang und Ende dessen, was es von uns fordert, ist gläubige Danksagung. George Rogers 1878.

Fußnoten

1. In das erste nachexilische Jahrhundert verlegt auch die neuere deutsche gläubige Theologie unseren Psalm und wird ihm, soweit wir sehen, auf diese Weise am besten gerecht. Delitzsch fasst ihn (vergl. V. 20) als Festpsalm bei der Einweihung des neuen Tempels Esra 6,15 ff. im J. 515 v. Chr.

2. So übersetzen die meisten Neueren. Die Übers. Luthers stammt aus der griech. und latein. Übers. Bäthgen nähert sich ihr wieder: Knüpft den Reigen mit Zweigen bis an des Altars Hörner. Die Worte sind sehr dunkel; schon die alten Übers. gehen weit auseinander.