Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 43 (Auslegung & Kommentar)


Inhalt

Weil dieser Psalm nach Inhalt und Bauart dem 42. so ähnlich ist, halten die meisten Ausleger dafür, die beiden Psalmen hätten ursprünglich ein Ganzes gebildet und seien erst später, vielleicht aus liturgischen Gründen, getrennt worden. Es mag aber auch sein, dass der Dichter an dem Stil des 42. Psalms solches Gefallen gefunden hat, dass er in späteren Tagen den 43. gleichsam als Ergänzung hinzugedichtet hat. Als Nachtrag bedurfte das Lied keiner Überschrift. Der Psalmist klagt darin über seine Feinde und erbittet das Vorrecht trauter Gemeinschaft mit Gott als sicherste Gewähr für seine Errettung aus der Hand der Widersacher.

Einteilung. Der Psalmdichter ruft zu Gott im Gebet, V. 1-3, gelobt in gläubiger Erwartung der Antwort lobpreisenden Dank, V. 4, und tadelt sich selber wegen seines Kleinmuts, V. 5.


Auslegung

1. Richte mich, Gott, und führe meine Sache wider das unheilige Volk
und errette mich von den falschen und bösen Leuten!
2. Denn Du bist der Gott meiner Stärke; warum verstößest du mich?
Warum lässest du mich so traurig gehen, wenn mich mein Feind dränget?
3. Sende dein Licht und deine Wahrheit, dass sie mich leiten,
und bringen zu deinem heiligen Berg und zu deiner Wohnung,
4. dass ich hineingehe zum Altar Gottes,
zu dem Gott, der meine Freude und Wonne ist, und dir, Gott, auf der Harfe danke, mein Gott.
5. Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir?
Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken,dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.


1. Richte mich, Gott. Andere sind nicht imstande, meine Beweggründe zu verstehen, und haben auch nicht den guten Willen, mich gerecht zu beurteilen. Ich bin mir bewusst, bei meinem Handeln lautere Absichten gehabt zu haben; darum bringe ich meine Sache vor dich und beruhige mich dabei, dass du meine Gesinnung unparteiisch prüfen und mir wider die erlittene Unbill Recht schaffen wirst. Fälle du dein Urteil; wenn du mein Verhalten billigst, so ist mir’s genug. Ich kann mit einem Lächeln darüber hinwegkommen, dass die Menschen mein Tun missdeuten und entstellen, wenn mir mein Gewissen bezeugt, dass du auf meiner Seite bist. Du bist der einzige, auf dessen Urteil ich etwas gebe; und deine Gerechtigkeit wird nicht säumen, du wirst dazu sehen, dass deinem verleumdeten Knechte Recht widerfährt. Und führe meine Sache wider das unheilige Volk, Grundtext: wider ein liebloses (pietätloses) Volk. Ein solcher Sachwalter wie der HERR reicht mehr als völlig hin, ein ganzes Heer keifender Ankläger zum Schweigen zu bringen. Wenn Menschen Gott nicht lieben, ist’s kein Wunder, dass sie auch gegen ihre Mitmenschen lieblos und unbarmherzig sind; wer Gott nicht Treue hält, von dem kann man auch nicht erwarten, dass er gegen Gottes Kinder recht handeln werde. Wer den König hasst, mag auch dessen treue Untertanen nicht leiden. Die Meinung der Leute ist für viele von großem Gewicht; aber dem kleinen Häuflein der Gottesfürchtigen gilt Gottes Urteil unendlich mehr. Ein freundliches Wort aus Gottes Munde wiegt zehntausend Stichelreden der Menschen auf. Wer in allen Dingen sein Vertrauen auf Jehova setzt, der trägt einen ehernen Schild vor sich, an dem alle Pfeile der Verleumdung wirkungslos abprallen. Und errette mich von den falschen und bösen Leuten. Täuscherei und böswillige Ungerechtigkeit sind Milchschwestern. Wer uns mit kriecherischer Schmeichelei zu betrügen sucht, wird auch nicht davor zurückschrecken, bei guter Gelegenheit seine Bosheit an uns auszulassen. Von solchem Teufelspaar kann uns niemand als Gott selbst erretten. Seine Weisheit ist den Tücken der listigsten Schlange überlegen, und seine Macht vermag auch den wütendsten Löwen zu bändigen. Im Grundtext steht wörtlich: vom Manne des Truges und der Bosheit. Wir können diese Einzahl mit Luther kollektivisch fassen; möglich ist aber auch, dass der Psalmdichter einen seiner Feinde besonders ins Auge fasst. Ob dieser eine etwa Doeg oder Ahitophel gewesen, ist von geringer Bedeutung; es gibt solcher zwiefachen Schurken eine Menge, und die einzige Weise, wie wir mit ihnen fertig werden können, ist, die ganze Sache dem gerechten Richter aller zu übergeben. Suchten wir sie mit ihren eigenen Waffen zu bekämpfen, so würden wir uns selber mehr schaden als ihnen. Kind Gottes, überlass es stärkeren Händen, deine Feinde zu überwältigen; gedenke, dass die Rache nicht dein, sondern des HERRN ist. Wende dich zu ihm, bete und flehe: Errette du mich, so wirst du bald einen Denkstein seiner Hilfe errichten können.

2. Denn. Nun begründet der Psalmist, warum er sich bittend und Hilfe erwartend an Gott wendet; und solch heilige Beweisführung ist der Nerv des echten Gebets. Wenn wir mehr auf solche Weise mit dem HERRN unterhandelten, würden wir die siegreiche Macht des Gebets herrlicher erfahren. Du bist der Gott meiner Stärke.1 Alle Stärke, die ich habe, gehört dir; darum will ich sie nicht für mich, gegen meine persönlichen Feinde, verwenden. Alle meine Stärke kommt von dir; darum suche ich Hilfe bei dir, der sie gewähren kann. Alle meine Stärke ruht in dir; darum überlasse ich es ganz deinen Händen, meine Feinde zu bekämpfen. Das ist Weisheit des Glaubens, die Hände von solchen Dingen fern zu halten. Man beachte die Gewissheit der Zuversicht Davids: Du bist der Gott meiner Stärke, sagt er; nicht: Ich hoffe, du werdest es sein, sondern: Ich weiß, du bist es. Solches Gottvertrauen birgt mächtigen Trost in sich. Warum verstößest du mich? Warum behandelst du mich, als ob du mich verabscheutest? Hat sich wirklich deine Huld in Widerwillen verwandelt? Es gibt der Gründe genug, um derentwillen der HERR uns von sich stoßen könnte; aber nichts wird ihn je bewegen, denen, die er begnadigt hat, seine Liebe zu entziehen. Der HERR verstößt die Seinen nicht, ob er sie auch für eine Weile wie Verstoßene behandelt. Lasst uns aus dieser Frage des Psalmdichters lernen, dass es gut ist, forschend ins Dunkel der göttlichen Führungen zu dringen; nur müssen wir die Fragen an Gott und nicht an unser angsterfülltes, verwirrtes Gemüt richten. Er, der uns solch geheimnisvolle Trübsal sendet, kann sie uns am besten deuten. Der Unglaube ist blind und verwickelt das Knäuel nur desto mehr, je eifriger er es zu lösen sucht. Gott ist sein eigener Dolmetsch, und er wird uns zu seiner Zeit aus allem Wirrwarr führen. Warum lässest du mich so traurig gehen, wenn mich mein Feind dränget? Warum muss ich hin- und herwandern wie ein ruheloser Geist? Warum muss ich ein Trauergewand an meinem Leibe tragen und auf der Stirn die Furchen des Kummers? Andauernde Bedrückung durch unbarmherzige und verschlagene Feinde kann selbst dem Verständigsten den Verstand rauben; warum lässest du mich denn ein so großes Maß solcher Drangsal so lange Zeit erdulden? Wir hören hier wiederum eine nützliche Frage, an die rechte Adresse gerichtet. Die Antwort wird nicht selten lauten: Weil du ein Gotteskind bist und deinem Haupte ähnlich gestaltet werden musst, und weil solche Trübsal den Geist läutert und süße Frucht hervorbringt. Es ist uns nicht erlaubt, in eigensinniger Rechthaberei den HERRN ins Kreuzverhör zu nehmen; wohl aber dürfen wir ihm in Demut unsere bangen Fragen vorlegen. Gott helfe uns die rechte Linie einhalten, damit wir uns unter dem Druck des Kummers nicht an ihm versündigen.

3. Sende dein Licht und deine Wahrheit, oder: deine Treue.2 Lass mir das Licht deiner Gegenwart scheinen und offenbare mir die Treue deines Herzens. Lass allen Verleumdungen zum Trotz meine aufrichtige Gesinnung ins Licht gestellt werden und vergilt mir deinen zuverlässigen Verheißungen gemäß. Wie die Sonne ihre Strahlen ausschickt, so entsendet der HERR seine Huld und seine Treue all den Seinen; und wie die ganze Natur im Sonnenschein frohlockt, so werden auch die Gläubigen von seliger Wonne erfasst, wenn ihr Gott ihnen seine Liebe und Wahrhaftigkeit enthüllt, die wie goldene Sonnenstrahlen auch die dunkelste Umgebung mit heiterem Glanze erfüllen. Dass sie mich leiten. Lass sie mein Stern sein, der mich zu meiner Ruhe weist. Lass sie meine Führer sein, die mich über Berg und Tal, an Klüften und Abgründen vorüber sicher zu der Stätte leiten, da deine Gnade thront. Und bringen zu deinem heiligen Berg und zu dein er Wohnung. Zunächst bringe mich in Gnaden zu deinen irdischen Vorhöfen und mache meiner mühseligen Verbannung ein Ende, und hernach, zu deiner Zeit, gewähre mir den Zutritt zu deinem himmlischen Palaste droben. Wir begehren nicht Licht, um bei dessen Schein zu sündigen, und forschen nicht nach Wahrheit, um uns mit der gewonnenen Erkenntnis brüsten zu können, sondern wir suchen Licht und Wahrheit als praktische Führer, die uns zur trautesten Gemeinschaft mit Gott leiten; und nur das Licht und die Wahrheit, die uns von Gott gesandt werden, leisten uns diesen Dienst. Das irdische Licht der Vernunft ist nicht hell genug, um uns den Weg zum Himmel zu weisen, und ebensowenig können die bloß moralischen oder natürlichen Wahrheiten den Pfad zu dem heiligen Berg des HERRN erklimmen helfen. Aber das Licht des Heiligen Geistes und die Wahrheit Gottes, wie sie sich in Jesus offenbart, die ziehen uns aufwärts, heiligen und vollenden uns; darum sind sie imstande, uns in die glorreiche Gegenwart Gottes zu führen. Es ist herzerhebend, zu beobachten, wie das Sehnen, der Bedrückung der Menschen zu entfliehen, bei dem Psalmisten stets die Wirkung hat, dass er immer brünstiger nach Gemeinschaft mit Gott seufzt.

4. Dass ich hineingehe zum Altar Gottes. Wenn Gott ihm eine solche Befreiung zuteilwerden lassen wollte, dass er aus der Verbannung ins geliebte Land zurückkehren konnte, so würde der Psalmdichter seine Schritte nicht zuerst seinem Hause und väterlichen Erbteil zuwenden, sondern zum Altar Gottes würden seine Füße freudig eilen. Er brennt vor Verlangen, den schönen Gottesdiensten des HERRN beizuwohnen und seine Dankopfer darzubringen, ja mit den Opfern zugleich sein ganzes Herz auf den Altar zu legen; er würde es als seine höchste Freude achten, sich als ein Gott wohlgefälliges Ganzopfer dem HERRN weihen zu dürfen. Mit welcher Wonne sollten die Gläubigen des neuen Bundes zu Christus, dem Gegenbild des Altars, nahen! Das hellere Licht, das uns geschenkt ist, sollte uns zu noch brünstigerem Verlangen entzünden. Zu dem Gott, der meine Freude und Wonne ist. Nicht um den Altar an sich war es dem Psalmisten zu tun; in seinem Herzen hatte der - heidnische - Aberglaube an eine magische Wirkung der äußeren Formen und Heiligtümer keinen Raum. Seine Seele dürstete danach, mit Gott selbst im Geist und in der Wahrheit Gemeinschaft zu haben. Was sind alle gottesdienstlichen Formen, es sei denn, dass der HERR selbst in ihnen ist? Was anders als leere Schalen und dürre Hülsen? Sieh, mit welch heiliger Begeisterung, mit welchem Entzücken der Psalmsänger an seinem Gott hängt! Der HERR ist nicht nur seine Freude, sondern seine jubelnde Freude (Grundtext); nicht nur der Quell, der Geber und Erhalter seiner Freude, sondern diese seine Freude selbst.3 Diesem Gott zu nahen, der uns solche Wonne ist, danach mag wohl unsere Seele hungern und dürsten. Und dir auf der Harfe danke, oder: dich preise. Seine süßesten und erhabensten Melodien will er dem weihen, den seine Seele liebt. Wenn Gott unser Herz mit Freude füllt, so sollten wir es in Jubeltönen zu seinen Füßen ausschütten, und alle Geschicklichkeit und alle Talente, die wir haben, sollten wir in Dienst stellen, um Gottes Herrlichkeit zu preisen. Gott, mein Gott. (Wörtl.) Wie verweilt der Dichter bei dem Namen, den er so sehr liebt! Es ist, als hätte sein Harfenspiel schon begonnen. Welchen lieblicheren Dreiklang könnte die Musik kennen, als diese drei Worte? Gott zu eigen zu haben und des im Glauben gewiss zu sein, das heißt auf Erden schon im Himmel sein und das Vollmaß des Glücks genießen.

5. Was betrübst du dich, meine Seele? Ist Gott dein, warum dann diese Niedergeschlagenheit? Hat seine Hand dich ergriffen, um dich aufzurichten, was klebst du so am Staube? Der Tau der Liebe rieselt nieder, o mattes Herz, lass dich beleben. Und bist so unruhig in mir? Ist ein stichhaltiger Grund da, dass du dir den Frieden deines Herzens so solltest rauben lassen? Warum willst du dich törichtem Kummer hingeben, der niemand nützt, sondern nur dich ängstigt und deinen Gott entehrt? Warum willst du dir mit düstern Ahnungen der Schwermut das Herz belasten, bis es zusammenbricht? Harre auf Gott. Geduld ist not, aber hoffen sollst und darfst du. Der HERR kann nicht anders als den Seinen helfen und an ihren Widersachern Vergeltung üben. So gewiss die Sonne am Himmel steht, so gewiss muss auch Gottes Kindern das Licht wieder aufgehen, ob sie auch eine Weile im Dunkeln wandeln. Warum sollten wir denn nicht Mut fassen und unsere Häupter hoffnungsvoll aufheben? Denn ich werde ihm noch danken (oder: ihn noch preisen). Die Zeit des Trauerns wird bald enden und die Zeit des Dankens und Preisens anbrechen. Auf, mein Herz, blicke zum Fenster hinaus, hole das Fernrohr des Glaubens herbei und sieh, wie deine Erlösung naht. Dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist. Mein Gott wird die Furchen von meiner Stirne glätten und die Tränenspuren mir von den Wangen wischen; darum will ich mein Haupt aufrichten, und all dem Unwetter der Trübsal zum Trotz soll ein fröhliches Lächeln mein Angesicht erhellen. Der Schluss des Psalms atmet Frieden. Möge auch unser sterbliches Leben einst so enden.


Erläuterungen und Kernworte

Psalm 42 und Psalm 43 bilden ein Ganzes. Entscheidend dafür ist - außer der bei Ps. 43 auffallenderweise fehlenden Überschrift - ihr Bau (vergl. den Kehrvers Ps. 42,6.12; 43,5) und ihr Inhalt. Diese schon dem Eusebius († 340) bekannte Wahrheit ist heute unbestritten. Ps. 43 mag - schon vor der Zeit der alten Übersetzungen - abgetrennt sein, weil er als kurzes Gebet für sich allein gebraucht werden konnte. Der Doppelpsalm ist ein besonders köstliches Erzeugnis alttestamentlicher Lyrik: plastische Wiedergabe der äußern Situation, Tiefe und Innigkeit der Empfindung, kunstvoller Fortschritt im Aufbau des Gedankeninhalts zeichnen ihn aus. Die erste Strophe (Ps. 42,2-6) strömt lauter Klage aus, und nur schüchtern erklingt im Kehrvers der Ton der Selbstermunterung zur Hoffnung auf den hilfreichen Gott; in der zweiten Strophe (Ps. 42,7-12) ringt sich die Klage zum hilfeflehenden, wiewohl immer noch gedrückt gestimmten Gebet hindurch; die dritte Strophe (Ps. 43,1-5) - lauter Gebet - lässt den Klageton nur noch nachhallen und schwingt sich siegesgewiss zur Vorausempfindung der Freude auf, die der zum jetzt noch fernen Heiligtum Zurückgekehrte dann laut ausjubeln wird. Lic. Hans Keßler 1899.


V. 1. Richte mich, Gott, entscheide meine Sache, schaffe mir Recht. Die Gläubigen dürfen sich gegenüber den Ungerechtigkeiten, welche sie von den Menschen erdulden, hilfesuchend an Gottes Gerechtigkeit wenden, weil das Unrecht, das Gottes Kindern widerfährt, ebensowohl wider Gottes gerechtes Wesen wie wider die Wohlfahrt der Gläubigen streitet. So stimmt also ihr Flehen mit Gottes Hass gegen alle Ungerechtigkeit zusammen. Vergl. Röm. 1,18; Ps. 11,7. Ferner: wer Gottes Volk antastet, der tastet Gott selber an (2. Chr. 14,11; Sach. 2,12 [8]; Apg. 9, 4 f.), so dass Gott, indem er die Seinen aus der Hand ihrer Feinde errettet, ebensowohl sich als die Gläubigen rächt. Diese beiden Wahrheiten sollten, wie den Frommen reichen Trost, so ihren Widersachern Schrecken einflößen; denn mit Macht dringt der Ruf wider die Feinde des Volkes Gottes zu der ewigen Gerechtigkeit empor. Die eigenen Sünden der Widersacher der Frommen schreien zu Gott; die Ungerechtigkeiten, die sie den Auserwählten des HERRN zufügen, schreien zu Gott; die Gebete der Gläubigen schreien zu Gott; und die Fürbitte Christi für die Seinen vereinigt sich mit deren Gebeten (Off. 6,9 f. mit 8,3). Nathanael Homes 1652.
  Mit diesem Psalm: "Richte mich, Gott, und führe meine Sache!" überwanden sich die armen Salzburger, legten ihre Büchsen weg und wandelten, ihrer 30.000, im Winter aus der Heimat nach einem Lande, das der HERR ihnen zeigen werde. A. von Salis 1902.
  Unheilige, Falsche, Böse. Es gibt unheilige Leute, die sich, aller religiösen Grundsätze bar, daraus nie ein Gewissen machen, Gottes Kindern Unrecht zuzufügen, wenn sie dadurch ihren Leidenschaften genugtun oder ihre weltlichen Interessen fördern können. Es gibt falsche Leute, die den Mantel der Freundschaft umhängen und sich bei uns Vertrauen und Wertschätzung zu erringen wissen und uns dann mit Truglist um unser Eigentum, unseren guten Ruf und unsere Seelenruhe bringen. Es gibt böse Leute, die uns mit Rechtsverdrehung oder Gewalt unsere kostbarsten Rechte und Güter rauben und uns nicht nur Gelegenheit und Vermögen, Gutes zu tun, nach Kräften schmälern, sondern sogar, wenn sie können, Freiheit und Lebensunterhalt entziehen. Und es gibt Unterdrücker (V. 2), die, indem sie sich unsere Schwäche und Abhängigkeit zunutze machen und alle Gesetze der Billigkeit und Menschlichkeit mit Füßen treten, von uns unbillige Dienste erpressen, uns schwere Bürgen und grausamen Zwang auflegen und mit Kränkungen, Plackereien und Räubereien zusetzen, denen wir nicht entfliehen und für die wir keine Abhilfe finden können. Andrew Thomson 1826.


V. 3. Es ist möglich, dass hier eine Anspielung auf die Urim und Tummim (das hohepriesterliche Licht und Recht), die Sinnbilder von Licht und Wahrheit, vorliegt. J.J. Stewart Perowne 1864.
  Licht und Wahrheit, d. i. Gottes Huld und Treue - köstliche und allumfassende Worte, die das ganze Heil und alles, was eine gläubige Seele begehrt, in sich schließen. Aber nur in ihrer Vereinigung gilt das von ihnen; getrennt sind sie nicht mehr ein fester Grund der Zuversicht und Freude. Denn welchen Wert hätte Gottes Gunst für uns ohne seine Treue? Sie würde von keiner größeren Bedeutung sein als die unsichere Freundschaft der Menschen, dieser Menschen, die uns heute zulächeln und uns morgen schmähen können, die wohl große Versprechungen machen, sie aber nicht erfüllen. Selbst das Licht des göttlichen Angesichts, das die Engel und die verklärten Geister im Himmel genießen, würde nicht hinreichen, in diesen alle Furcht zu bannen und sie mit Wonne und Befriedigung zu füllen, wenn sie sich nicht auf Gottes Treue verlassen könnten. Wieviel mehr denn muss dies bei uns irrenden, sündigen Sterblichen der Erde der Fall sein! Was könnte den demütigen Christen, wenn er unter dem Gefühl seiner gänzlichen Unwürdigkeit, seiner unzähligen Schwachheiten und Befleckungen, seiner Fahrlässigkeiten, Torheiten und Verirrungen tief gebeugt ist, vor dem Verzagen retten, als die Zuversicht, dass Gott, der ihm seine Gnade zugewandt hat, ihm auch Treue halten wird? Anderseits aber könnte Gottes Wahrhaftigkeit ohne die Zuwendung seiner lichtvollen Gnade nichts anders bedeuten als die schreckliche Ausführung seiner furchtbaren, aber gerechten Drohungen gegen die Übertreter des heiligen Gesetzes. "Welches Tages du davon issest, wirst du des Todes sterben." Adam aß und verfiel des Tages der Macht der Sünde und des Todes. Da sehen wir Gottes Wahrhaftigkeit das Urteil ausführen. Aber siehe, da durchbricht ein helles Licht die schaurige Finsternis, Strahlen der Gnade mildern das Dunkel der düstern Wolken. Die Verheißung von dem großen Erlöser wird gegeben, und Gottes Wahrhaftigkeit tritt nun in den Dienst der göttlichen Huld, sie muss die Heilsabsichten Gottes zur Erfüllung durchführen. Seitdem haben alle demütigen und gläubigen Seelen diese beiden Gottesengel Hand in Hand gehen sehen und haben ihre harmonische Vereinigung zum Grund ihrer Zuversicht und Freude gemacht. Henry March 1823.


V. 4. Da die Not, über die der Psalmdichter in diesen beiden Psalmen (Ps. 42 und Ps. 43) klagt, offenbar in der Entbehrung des Tempels gipfelt, so liegt die Frage nahe, ob dies nicht aus einer falschen Anschauung über Gott und Gottesdienst zu erklären sei. Gott ist ja mit seiner Macht und Gnade überall gegenwärtig; warum denn erst in Jerusalem und beim Altar die Befriedigung der nach Gott dürstenden Seele erwarten? Wir antworten: Dieser Standpunkt ist dem wahren Israeliten natürlich und entspricht durchaus der Heilsordnung des alten Testaments. Es ist nicht so gemeint, als ob Gott nur im Tempel gegenwärtig wäre und nur dort angebetet werden könnte. Es redet ja hier ein Israelit in der Fremde mit seinem Gott, und sein Gebet ist ein Muster wahrer Anbetung. Der Israelit weiß wohl, dass Gott durch kein irdisches Gebäude, ja nicht einmal durch die Himmel umschlossen werden kann (1. Könige 8,27), dass er, im Himmel wohnend, zugleich überall gegenwärtig ist und alle Menschenkinder sieht und erforscht (vergl. Ps. 33,13-15 und Ps. 139). Aber er weiß auch, dass Gott in Israel in besonderem Sinne wohnt als Gott der Offenbarung und des Heils, da er seine Gnadengegenwart durch besondere Verheißungen an das Heiligtum gebunden und dieses zur alleinigen verheißungsvollen Anbetungsstätte bestimmt hat. (Vergl. 2. Mose 25,8.22; 29,42; 5. Mose 12,5-7) Darum erwartete und empfing der Israelit gerade durch den vorschriftsmäßigen Gottesdienst im Tempel einen besonderen, realen Segen, den er nicht durch selbsterwählten Gottesdienst an selbsterwähltem Ort empfangen konnte, und daraus erklärt sich die Sehnsucht des frommen Israeliten nach Tempel und Tempeldienst und seine Freude am Heiligtum. Davon lesen wir auch sonst in den Psalmen, besonders Ps. 84. G. T. 1880.
  Lasst uns des eingedenk sein, dass der Zugang zu dem Gott, der im Heiligtum wohnt, durch den Altar vermittelt ist, von welchem ewiglich der süße Geruch des einen vollkommenen Opfers aufsteigt und wo auf immer und ewig die göttliche Heiligkeit ruht und sich mit tiefer Befriedigung an dem heiligen Feuer weidet. Welch wunderbare und erhabene Stätte ist dieser Altar Gottes! Dieser Altar bedeutet jetzt die Köstlichkeit und ewige Wirksamkeit des einen Opfers, mit dem Christus sich selbst Gott für uns dargebracht hat; und in der Kraft dieses Opfers nahen wir zu Gott. Dorthin, in diese unaussprechlich selige Stellung vor Gott, führen Gottes Licht und Wahrheit den Gläubigen. Dieser Altar ist der Punkt, zu welchem hin von Ewigkeit her alle Strahlen des Lichtes der göttlichen Huld und Gnade und der göttlichen Wahrheit und Heiligkeit zusammenlaufen, und von diesem Punkt aus leuchten sie in das Herz des in seiner Zerknirschung von fern stehenden Sünders und ziehen ihn dahin, wo er seinem Gott begegnet. So lasst uns denn zu diesem Altar nahen; lasst uns in die Wolke heiligen Weihrauchs eingehen, welche die Wohnung des Höchsten erfüllt; lasst uns die Tatsache uns aneignen, wie vollkommen Gott mit dem, was Christus für uns getan hat, befriedigt ist, so wird auch uns Gott immer mehr unsere Freude und Wonne werden. John Offord 1868.
  Der Ausdruck "zu Gott gehen" schließt Unterwerfung und Freundschaft in sich. 1) Ich will zu Gott gehen, um ihm als meinem Gebieter meine Huldigung darzubringen; ich will zu ihm gehen, um zu hören, was er sagt, um seine Befehle entgegenzunehmen. 2) Ich will zu ihm gehen, um mir bei ihm Rat zu holen und mit ihm vertraulich zu reden, und will recht dankbar sein, dass ich in einer Welt voller Trübsale und Versuchungen einen solchen Freund als Berater und Helfer habe. Ich will meinen Kummer in sein treues Herz ausschütten. Ich will ihn an meinen Freuden Anteil nehmen lassen; denn auch in diesem Tränental ist ja mein Herz oft fröhlich. Ich will ihm meine Sünden bekennen; freilich weiß er um sie, aber er soll sie auch aus meinem Munde hören. Ich will ihm meine Befürchtungen sagen, will ihm klagen, wie niedergeschlagen ich zuzeiten bin, wenn ich merke, wie sich diese oder jene Leidenschaft mächtig erhebt, von der ich gemeint hatte, dass sie den Todesstoß empfangen habe; ich will ihm sagen, wie ich zittere, wenn ich durch meine Torheiten den HERRN gereizt habe und nun fürchte, er möchte sich auf immer von mir wenden. Ich will ihm meine Hoffnungen mitteilen; denn inmitten aller Entmutigungen hoffe ich dennoch. Ich will zu ihm gehen und ihm das alles, alles sagen; ich will ihm mein ganzes Herz entdecken und alle meine Last auf ihn wälzen. Und wenn die Not mich nicht zu ihm treibt, so zieht mich meines Herzens Lust zu ihm, der meine Freude und Wonne ist. Samuel Lavington † 1807.


V. 5. Was betrübst du dich, meine Seele, usw. David hatte schon vordem seinen Kummer damit beschwichtigt, dass er seine Seele wegen ihrer Verzagtheit schalt und auf Gott hinwies, und jetzt greift er abermals zu diesem bewährten Heilmittel. Er muss die Arznei mehrmals einnehmen, ehe sie ihre volle Wirkung tut. Wir sehen, Davids Seele gelangt nicht alsbald zur Ruhe; die Erregung bricht je und je wieder durch, bis er endlich den Sieg über sein Herz gewinnt. Geliebte, weder die Sünde noch der Kummer über die Sünde kommen mit einem Schlag zur Ruhe. Es gibt manche Christen, deren Mut sehr kurzen Atem hat; wenn nicht alle Anfechtung alsbald aufhört, halten sie alles für verloren. Aber ein gereifter Christ denkt nicht so. David gehörte nicht zu jenen. Wir sehen ihn (Ps. 42) in großer Unruhe; er tadelt seinen Kleinmut und tröstet seine Seele, aber seine Unruhe ist noch nicht beschwichtigt; er spricht seiner Seele abermals zu, aber die Erregung bricht wieder durch; so wendet er denn dasselbe Mittel wieder an, vermahnt und tröstet seine Seele, bis sie in Gott ihre Ruhe gefunden hat. Wir sehen, er ist ein wackerer Streiter, der nicht die Waffen streckt, ob der Feind auch immer wieder neu zum Angriff schreitet; und durch Beharrlichkeit gewinnt er den Sieg. Richard Sibbes † 1635.
  Siehe, wie ein Herz nach und nach aus der Angst genest, wie es aus der Enge nach und nach ins Geraumere geht, wie die Freudigkeit im Gebet zunehmen kann; wie des Klagens und der heftigen Ausdrücke: Es ist wie ein Mord in meinen Beinen, und meine Tränen sind meine Speise, nach und nach weniger werden; wie man bei zunehmender Glaubenskraft immer zärtlichere Namen von Gott gebrauchen lernt: Gott meines Lebens! Gott, meine Stärke! Gott, der meine Freude und Wonne ist! wie man sich immer näher unter seine Flügel hinschwingen, zu seinem Haus, zu seinem Altar, zu ihm selbst Zuflucht und Zutritt nehmen lernt; wie das Licht seines Angesichts auch unsere Finsternis licht macht und auch hier über unser Angesicht Friede und Freude ausbreitet, dass es anfangs heißt: Er hilft mir mit seinem Angesicht, hernach aber: Er ist meine Hilfe und mein Gott. Wir preisen selig, die erduldet haben, die solche Stufen durchgelaufen sind. O, darum werfe doch keiner unter seinen Anfechtungen sein Vertrauen weg. Bei Gottes väterlichen Züchtigungen ist doch alles darauf abgesehen, dass wir seine Heiligung erlangen und also zum ewigen Bleiben in seinem Hause, zum nächsten Zutritt und zur Aufwartung vor seinem Angesicht tüchtig werden. Karl Heinrich Rieger † 1791.


Homiletische Winke

V. 1. Wir wenden uns an Gott 1) als an unsere Richter, 2) als unseren Sachwalter, 3) als unseren Erretter.
  Das Urteil der Menschen ist Gottes Knechten von geringem Gewicht gegenüber dem Urteil und Beifall Gottes.
  Wie führt der HERR die Sache der Seinen?
V. 1.2.4.5. Fünf Mein. 1) Meine Sache: führe sie. 2) Meine Stärke: bist du. 3) Meine Freude: ist Gott. 4) Meine Seele: warum so unruhig? 5) Mein Gott.
V. 2. Warum verstößest du mich? 1) Gottes Kinder sind manchmal scheinbar von Gott verstoßen. Dies Verlassensein ist schmerzlich, um so mehr, wenn es lang andauert, und macht uns bestürzt und verwirrt. 2) Warum widerfährt ihnen dies? Verborgene Fehler müssen aufgedeckt, Sünden der Vergangenheit gezüchtigt werden, die Tugenden erprobt, der Glaube gestärkt werden usw. 3) Wie verhalten wir uns in solcher Lage am besten? Wende dich zu Gott, bekenne die Sünde, unterwirf dich der Züchtigung, bete, glaube usw.
  Zwei Warum. Die Fragen selbst; die Gesinnung, in der wir sie stellen dürfen; die Antworten, die wir auf dieselben erhalten können.
V. 3. Die himmlischen Führer, die der Psalmist sich erbittet, und das Ziel, zu dem sie ihn leiten sollen.
  Was für Einflüsse sollten uns beherrschen, wenn wir uns zu den Gottesdiensten begeben?
V. 4. Der Gottesdienst des Frommen, bezeichnet als ein Gehen zu Gott; sein Glück, bezeichnet als Freude an Gott. Sam. Lavington † 1807.
  Gott allein die Freude und Wonne seiner Geschöpfe.
V. 5. Die Genesung eines Verzagten.
  Ich werde ihm noch danken. Ich, sogar ich; werde, früher oder später, ganz gewiss; noch, trotz aller Trübsale, aller Feinde, aller Macht der Hölle; ihm, der mein Erretter ist, ob er mich auch jetzt schwer heimsucht, mehr als allen anderen Helfern danken, ihn preisen mit Dankbarkeit, mit gläubigem Vertrauen, mit Frohlocken und Jubel.
  Der meines Angesichts Hilfe ist; er wird von meinem Angesicht abtun, was es jetzt befleckt und umdüstert: Sünde, Scham, Furcht, Sorge, Kummer, Schwachheit usw.

Fußnoten

1. Wir übersetzen zw(m hier, wie Ps. 27,1 und öfters, Hort. Überdies ist gegen Spurgeons Auslegung zu erinnern, dass der Genetiv nicht objektivisch, sondern appositionell zu fassen ist: der Gott, der mein Hort ist.

2. Wir ziehen die Übersetzung "deine Wahrheit", die Spurgeon nachher ja ebenfalls verwendet, vor.

3. Man kann den Ausdruck des Grundtextes "dem Gott meiner Jubelfreude" allerdings auch fassen: von dem meine jubelnde Freude (meine höchste und einzig wahre Freude) ausgeht.