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Predigten zu Matthäus 27,46

"um die neunte Stunde aber schrie Jesus auf mit lauter Stimme und sagte: Eli, eli, lama sabachthani? das ist: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?"

Autor: Carl Eichhorn (* 11.07.1810; † 08.02.1890) deutscher lutherischer Pastor
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Karfreitag

"Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?"

Etwas Schwereres konnte dem Heiland nicht widerfahren. Sein Jammer wurde noch verschärft durch die höhnenden Stimmen: "Wo ist nun dein Gott? Seht ihr nun, wie Gott ihn verlassen hat und fragt nichts nach ihm?" Die Schmerzen der Kreuzigung waren für Jesus nicht das Schlimmste. Aber das war für ihn fast unerträglich, dass er statt der Liebe des Vaters eine Gottesferne empfinden musste. War doch die selige Gottesnähe sein höchstes Glück, sein Himmel auf Erden. Diese Liebe erleuchtete seinen dunklen Erdenpfad und tröstete ihn über alle bitteren Erfahrungen seiner Erdentage. Sie musste er nun entbehren, wo er ihrer am meisten bedurft hätte. Aber er hielt dennoch fest an Gott, wie die Worte uns zeigen: "Mein Gott!" Er hielt ihn fest umfangen. Gleichzeitig umschlang er auch die Menschheit, die unter finsterem Sünden- und Todesbann lag. Er ließ seinen Gott und ließ uns nicht los. "Warum", fragt der Heiland, "hast du mich verlassen?" Es ist nicht ein vorwurfsvolles Warum, wie es so oft über die Lippen sündiger Menschen kommt. Jesus rechtete nicht mit Gott. Es war ein Klage- und Hilferuf mit den Worten des 22. Psalms, der ihm für diese schwerste Stunde tausend Jahre zuvor aus dem Munde Davids zubereitet worden war. - Warum? Die Antwort ist nicht schwer. Gott hatte Jesus nicht darum verlassen, weil er ihn verlassen hatte. Vielmehr weil er sich ganz mit uns zusammengeschlossen hatte, kam er in die dunkle Wolke des Zornes Gottes, die auf der sündigen Menschheit lagerte. - Die Gottverlassenheit war nicht nur ein Gefühl in der Seele Jesu, sondern Gott zog wirklich seine Liebesgegenwart eine Weile von ihm zurück und ließ ihn die Wand verspüren, die den Sünder von Gott trennt. - Aber es verhielt sich auch nicht so, dass Gott ihm persönlich zürnte. Nein, keine Sekunde war er aus dem Herzen des Vaters verbannt. Das Wohlgefallen Gottes ruhte vielmehr in erhöhtem Maße auf ihm, als er sich im Gehorsam gegen Gott dem Schwersten unterzog. Er kostete den Zorn Gottes über die Sünde, die er nicht getan hatte, die er aber auf sich nahm, als wäre es die seine. O Wundermacht der Liebe!

- Jesus musste die Bitterkeit des Todes schmecken. Denn Gott hat ihn zur Sünde gemacht. "Er ward ein Fluch für uns." Wer nun an den Heiland glaubt, "schmeckt" den Tod nicht mehr. Er "sieht" oder erfährt ihn nicht. Er lebt, ob er gleich stirbt. Er kommt nicht um, sondern heim. Er schläft ein, um wieder zu erwachen. - So sind schon ungezählte Tausende, voran die Märtyrer, in den Tod gegangen. Gott erquickte sie und hob sie über alles Schwere hinweg. Als der Märtyrer Laurentius auf glühenden Rost gelegt wurde, fühlte er sich wie auf Rosen gebettet. Weil Jesus für uns von Gott verlassen war, dürfen wir sterbend die liebende Gegenwart Gottes haben und spüren. Wir scheiden von der Welt, aber nicht von ihm.


Autor: Hermann Friedrich Kohlbrügge (* 15.08.1803; † 05.03.1875) niederländischer reformierter Theologe

Gottes Herz ist ein Vaterherz den Umkommenden, den Verlorenen, und Jesu Liebe ist unermesslich. Soll es gelogen sein, dass er verlassen am Kreuz hing, eine Stunde, noch eine Stunde und noch eine Stunde? Soll es gelogen sein, dass das unerschaffene Wort mit dem geschriebenen Worte alles wieder hergestellt hat? Wahrheit ist es, Wahrheit bleibt es. Das Wort vom Kreuz soll wohl gelten im Himmel und in der Hölle. – Darum Mut in Not, in Finsternis, in Leid, in Verlassenheit! Mut bei allem Gefühl der Verlorenheit! Es gehe durch die Finsternis, durch den Tod hindurch; über Not, Tod und Grab steht Jesus, unser Erretter. Wem es geht um sein Wort und seine Treue, aus dem Tode wird er hervorkommen sehen das Leben, aus der Verlorenheit die Errettung, aus der grässlichsten Finsternis das Licht. Sprich „mein“, du Seele! Mein Gott, mein Gott, mein Heiland und Erretter! Mein Nothelfer, mein Erlöser, mein Leben, ich lasse dich nicht! Dann gehe es durch den Rachen des Umkommens, dieses Mein wird Gottes Herz brechen, dass Gnade und Errettung, Licht und Trost und ewige Freude wie ein mächtiger Regen herniederkommt. dass du Elender dennoch „mein“ sagest, das gefällt Gott; und so muss dein Dunkel sein wie der Mittag, wie ein Tag von sieben Sonnen; denn der Herr ist unser ewiges Licht.

Nun weiß ich, dass die Macht der Finsternis
zerstöret ist. Muss ich schon ratlos gehen
durch dunkle Täler und verlassen stehen
von allem Trost, so bin ich doch gewiss:
die Sonne muss vorher von Glut und Schein
beraubet in des Abgrunds Kluft sich senken,
eh' ich von Jesu werd' geschieden sein,
und eh' er nicht wird meiner mehr gedenken.


Autor: Ludwig Hofacker (* 15.04.1798; † 18.11.1828) deutscher evangelischer Pfarrer
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Der Herr ist mein Licht und mein Heil, spricht David, vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebens Kraft, vor wem sollte mir grauen? Solange ein Herz die Gnadengegenwart Gottes fühlt, solange sein Licht in unsere Seelen hineinscheint und uns zur Kraft wird, so lange innerer Trost, Trost aus der Höhe vorhanden ist, solange ist alles Leiden, auch das schwerste, wenigstens noch erträglich. Asaph sagt: Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil. Aber wenn die Kraft Gottes sich zurückzieht, wenn der innere Trost weicht, da geht erst das rechte Elend an, da entsteht ein Leiden, mit dem kein äußeres Leiden verglichen werden kann, da kann die Angst zu einer Höllenpein steigen, zu einer wahren Höllenpein, denn wo Gott nicht ist oder sich nicht zu fühlen gibt, da ist die Hölle. In diese Angst mußte auch unser Versühner hinein, und zwar in einem Grad, in eine Art von Angst, wovon wir Sünder gar keinen Begriff haben, denn wer kann die Höhe und die Tiefe des Liebesverhältnisses ermessen, das zwischen dem Vater und dem Sohn stattfindet, und dieses Liebesverhältnis ward auf einige Stunden unterbrochen. Das war die entsetzlichste Höllenpein für unsern Herrn. »Sei nicht ferne von mir, denn Angst ist nahe; den es ist hier kein Helfer. Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch, du legst mich in des Todes Staub; sei nicht ferne; meine Stärke, eile, mir zu helfen!« so betete der Herr recht innerlich, wie wir aus dem 22sten Psalm sehen, aber endlich nach dreistündiger Höllenpein brach er in die Worte aus: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Ach warum bin ich verlassen, o mein Gott! mein Gott! von dir? Jesu, wie ist dies zu fassen? Klagst du so, wie geht's dann mir? Ja, durch dieses scharfe Ringen wirst du deinen Flüchtling bringen, trotz der Sünden Scheidewand, zum geheimen Priesterstand.


Autor: Wilhelm Busch (* 27.03.1897; † 20.06.1966) deutscher evangelischer Pfarrer, Prediger und Schriftsteller
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Ist es uns schon aufgefallen, wie seltsam dies Wort ist? Wenn wir in Anfechtung kommen, dann lassen wir Gott los. Aber Gott hält uns fest. Da muss Gott zu uns sagen: „Mein Kind, mein Kind, warum hast du mich verlassen?" Bei Jesus ist es gerade umgekehrt. Er ist in der größten und furchtbarsten Anfechtung. Aber Er hält Gott fest: „Mein Gott, mein Gott", sagt Er. Er hält an Gott fest. Aber Gott hat Ihn losgelassen.

Ja, so ist es: Gott hat Ihn losgelassen, weggestoßen, verworfen, ausgetan, in die Hölle geworfen.

Warum denn? Um der Gerechtigkeit willen! Hier richtet der ewige Richter die Sünde. Alle Sünde der Welt lag in dieser Stunde auf Jesus. Er war das Lamm, das der Welt Sünde trug. Und nun richtet Gott die Sünde an Ihm. Es gibt so viele, die meinen: „Ach, wenn Gott den Menschen die Sünde vergeben will, dann könnte Er doch einfach einen Engel vom Himmel oder einen erleuchteten Propheten senden, der uns mitteilt: Alles ist vergeben! Es ist alles gut!" Wer hat nicht so töricht auch einmal gedacht?

Aber bedenkt: So kann es nicht gehen. Denn dann wäre Gottes Gerechtigkeit verletzt. Oder wäre das ein gerechter Richter, der einen Hochverräter aburteilen soll und nun zu ihm sagte: „Ach lauf nur, es ist schon gut!" O nein! Sünde erfordert Gericht. Als Jesus rief: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen", da hielt Gott Gericht über unsere Sünde. Schon im Alten Testament steht: „Zinn muss durch Recht erlöst werden." Das ist die Antwort auf Jesu „Warum?": „Um der Gerechtigkeit willen." Nun sieh, wie ernst Gott die Sünde nimmt! Amen.


Autor: Wilhelm Busch (* 27.03.1897; † 20.06.1966) deutscher evangelischer Pfarrer, Prediger und Schriftsteller
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Warum ist der Sohn Gottes verlassen? Das ist eine gewaltige Frage, auf die wir die letzte Antwort selbst geben müssen. Können wir sie geben? Wir stellen uns im Geist unter das Kreuz Jesu. Sieh! Da leidet und stirbt ein Gewaltiger: Er, dem die Stürme gehorchten, der Mächtige aus dem Tempel trieb und Tote aus den Gräbern rief – Er hängt da, elend und hilflos: „Warum, mein Gott, hast du mich verlassen?"

Warum? Nun sollen wir die Antwort geben. Wissen wir unsere Antwort, die wir zu geben haben? – Unter dem Kreuz standen Menschen, die wussten ihre Antwort nicht. Und darum machten sie dumme Witze über den Gekreuzigten. Dass wir doch nicht zu denen gehören möchten, die ihre Antwort nicht geben können oder nicht geben wollen!

Wissen wir unsere Antwort auf die Frage: Warum ist Jesus von Gott verlassen? Wissen wir unsere Antwort auf die Frage: „Wer hat dich so geschlagen?" Die Antwort heißt: „Ich, ich und meine Sünden / die sich wie Körnlein finden / des Sandes an dem Meer / die haben dir erreget / das Elend, das dich schläget." Wenn es so ist – und es ist so -, dann ist ja Sünde etwas Furchtbares! Aber wir sehen noch mehr: Um meiner Sünde willen ist Jesus von Gott verlassen. Dann heißt das ja: Meine Schuld ist durch Ihn abgetan. Durch Ihn bin ich rein und unschuldig und mit Gott versöhnt. – Nun verstehen wir, dass derselbe Jesus, der rief: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?" zugleich auch ruft: „Sehet auf mich, aller Welt Enden, so werdet ihr errettet!" Amen.


Autor: Hermann Bezzel (*18.05.1861; † 08.06.1917) deutscher lutherischer Theologe
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Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

In Geheimnissen lebt die Seele, die von ihnen lebt. Ein geheimnisloses Leben ist Siechtum und Tod. Blickt in das größte Geheimnis, da die Sünde den Sohn vom Vater schied, den Vater dem Sohn gram werden ließ. Überlegt, welche sonst verborgenen Tiefen der Hölle sich auftun! Gebt der bangen Frage die einzig wahre Antwort: Mein Unrecht hat dich ins Unrecht, meine Untreue dich ins schwerste Leid versetzt und versenkt! Aber damit ich nimmer allein sei, wurdest du allein gelassen, und deiner Verwerfung danke ich mein Kindesrecht.


Autor: Elias Schrenk (* 19.09.1831; † 21.10.1913) deutscher Theologe und Erweckungsprediger des Pietismus

Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?

In Gethsemane rang unser Heiland mit dem Tode und es ging dort tief hinab mit ihm um unsertwillen, so tief, dass der Vater ihn durch einen Engel vom Himmel stärken musste, damit er seinen ferneren Leidensund Todesgang noch machen konnte. Während aber in Gethsemane dem Herrn bei allem Ringen mit der Macht der Finsternis; doch das Gefühl und der Genuss der Gemeinschaft mit dem „Vater“ nie entschwand, so finden wir ihn am Kreuze völlig entblößt von dem Gefühl der Nähe des Vaters. Sein Geist war um unsertwillen ganz umhüllt von Finsternis, so dass ihm keine Spur von Licht von dem Vaterangesicht Gottes leuchtete. Wir arme Menschen, die wir Gott von Natur so ferne gekommen sind und oft so lange brauchen, bis wir in innige Lebensgemeinschaft mit ihm kommen, können es nicht verstehen, wie es dem Heiland am Kreuze zu Mute war in seiner Gottverlassenheit. Er, der vorher keine Minute sich vom Vater entfernt fühlte, war in jener Nacht am Kreuz auf den nackten Glauben angewiesen, alle Lebenserquickungen des Vaters waren ihm gänzlich entzogen. O, wie sehen wir da den Ernst unseres heiligen Gottes gegen die Sünde! Unser Mittler ist für uns zur Sünde gemacht; wie können wir, wenn wir nur ein wenig Licht über Jesu inneres Leiden am Kreuz haben, noch der Sünde dienen wollen? Indem er in die tiefste Leidensnacht hinabstieg um unserer Sünden willen, ist er für uns der Urheber des Glaubens geworden, der uns loslösen will, von allem, was uns außer ihm gefangen hält, damit wir mit ihm und dem Vater so vereinigt werden, dass wir in lauterstem Glauben sprechen lernen: Herr, wenn ich nur Dich habe! Und wenn es bei uns durch allerlei innere Not hindurchgeht, so steht er, der gerufen: mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen, tröstend mitleidig, helfend uns zur Seite, damit uns in dunkeln Stunden sein Gnadenlicht dennoch leuchte und das Verdienst seiner Gottverlassenheit, der Anker unseres Glaubens bleibe. Welch unendlicher Trost ist das, für den Gang durch's dunkle Tal! Da heißt es beim Glauben: ich fürchte mich nicht, Du bist bei mir.

Treuer Heiland! Ich beuge mich tief vor Dir, wenn ich Dich am Kreuze erblicke! O, lass Deine Todesliebe die Macht in meinem Herzen sein, die auch mich zu dem Glauben führt, in dem Du am Kreuze hingst. Amen