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Predigten zu Lukas 15,28

"Er aber wurde zornig und wollte nicht hineingehen. Sein Vater aber ging hinaus und drang in ihn."

Autor: Carl Eichhorn (* 11.07.1810; † 08.02.1890) deutscher lutherischer Pastor
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Der selbstgerechte Sohn schließt sich von der Liebe des Vaters aus

"Der älteste Sohn ward zornig und wollte nicht hineingehen."

Er hörte den Gesang und den Reigen. Klingt es doch wie ein Lied: "Dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden. Er war verloren und ist gefunden worden." Es ist ein Triumphlied der Liebe mit dichterischem Schwung. Der Erstgeborene war schon verstimmt, weil dieses Fest in seiner Abwesenheit gehalten wurde. Einer der Sklaven goss Öl in das böse Feuer des Unwillens. Er ist das Bild eines niedrig gesinnten Menschen, der aufreizt und hetzt, anstatt zu beschwichtigen. Es klingt hämisch, wenn er sagt: "Dein Vater hat ein gemästetes Kalb geschlachtet, dass er ihn gesund wieder hat." Da entbrannte sein Zorn. - Der Erstgeborene bringt einen großen Misston in die schöne Feier. Wir kennen solche Misstöne. Als der Heiland sich der Sünder und Zöllner erbarmungsvoll annahm, murrten die Pharisäer. Als die tief gefallene Sünderin zu den Füßen Jesu in Tränen zerfloss, hielt sich Simon, der Pharisäer, darüber auf, dass Jesus sich mit einem solchen Weib abgebe. Als Maria zu Jesu Füßen sass, versunken in seine Rede, bringt Martha eine Störung hinein. (Siehe auch Lk. 19, 7; Mt. 21, 15f.) - Der erstgeborene Sohn ist scheinbar ganz nahe beim Vater und doch fern von seinem Herzen. Er dient ihm Jahr um Jahr, hält sich musterhaft, übertritt sein Gebot nicht. Und doch hat er kein Herzensverhältnis zu seinem Vater. Bei der Rückkehr des Bruders kommt es heraus, wie sein Sinn dem des Vaters eigentlich fern und fremd ist. Ihm fehlt die Liebe. Da ist keine Spur von Freude über die Rückkehr seines verirrten Bruders. Er gibt dem Vater harte Worte, macht ihm bittere Vorwürfe. - Dieser Erstgeborene war voll von sich und darum leer von Liebe. Die eigene Person stand bei ihm im Mittelpunkt. Darum fühlte er sich auch gleich zurückgesetzt. Unmut und Neid kommen aus der Ichsucht. Alle, die in sich verliebt sind, zeigen sich sehr reizbar. Sie sind gleich verstimmt und verärgert. Wird jemand geliebt und geehrt, kommt ihnen sofort der Gedanke: "Ich muss eben immer zurückstehen! Aus mir macht man sich nichts!" So wollte er den Bruder gar nicht einmal sehen. - Dieser Älteste war voller Ansprüche. Er diente seinem Vater nicht aus Liebe und Dankbarkeit, sondern mit dem Gedanken: Er darf froh um mich sein. Eigentlich schätzt er mich nicht genug, sonst hätte er mir schon längst seine Anerkennung gezeigt und die wohlverdiente Belohnung zuteil werden lassen. Selbstgerechte, ungebeugte Menschen sind höchst anspruchsvoll. Die Wohltaten, die sie von Gott geniessen, sehen sie für nichts an. Wenn aber Gott ihnen irgendwie etwas schickt, was ihnen unangenehm ist, sind sie gleich mit der Frage da: "Warum muss mir das begegnen? Ich habe stets so fleißig gebetet und keinen Gottesdienst versäumt, und jetzt geht mir's so!" Da zeigt sich die innere Kälte, ja Feindschaft gegen Gott. Wie anders ist's, wenn das Herz durch die Gnade gebeugt ist!


Autor: Jakob Kroeker (* 1872; † 12.12.1948) wichtigster Vertreter des freikirchlichen russländischen Protestantismus
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"Da ward er zornig und wollte nicht hineingehen. Da ging sein Vater hinaus und nötigte ihn."

Das Leben mit seiner Versuchung und Härte sorgt dafür, dass wir, gelöst von Gott und von seiner Tischgemeinschaft, eines Tages auch in unserer Geschichte neu enden an irgendeinem Trebertrog. Wir mögen diesen Trebertrog nennen, wie wir wollen. Er bleibt das Ergebnis unseres Ringens ohne Gott. Denn unsere Unabhängigkeit von Gott führte uns noch immer in die Abhängigkeit von der Welt. Ging uns erst die Tischgemeinschaft mit dem Vater im Vaterhaus verloren, dann endeten wir in der Gemeinschaft derer, die uns unsere heiligsten Güter raubten. Das Leben, das sie mit uns teilten, ließ uns bettelarm werden. Je ärmer wir jedoch an Leib und Seele wurden, desto abhängiger wurde unser Leben von der Vergänglichkeit und ihren Gütern. Die Welt lohnte unsere Hingabe und unseren Dienst noch immer mit jenen Trebern, die nie den letzten, tiefsten Hunger unserer Seele stillen können. Es liegt im Wesen aller Schätze, die die Welt in ihrer Vergänglichkeit darreicht, dass sie zuletzt dem Menschen zum Ekel werden müssen. Der Mensch zerbricht eines Tages an dem Genussleben, das die Welt ihm bietet.

Nicht aber nur der Jüngste war ein verlorener Sohn. Auch der Älteste war es, obgleich er im Vaterhaus geblieben war. Er, der in seinem Leben aufgegangen war im Dienst seines Vaters, seine Zeit und seine Kraft dem Aufbau der Ökonomie seines Vaters gewidmet hatte. Auch er wurde eines Tages ein verlorener Sohn, weil er sich zurückzog aus der Tischgemeinschaft mit dem Vater.

Die Veranlassung war die Heimkehr des verlorenen Bruders und dessen Wiederaufnahme als Sohn im Vaterhaus. Denn als sein Bruder zurückkam, von seinem Vater den Kuss der Vergebung empfing und auf Grund der Vergebung in die ihm verloren gegangene Sohneswürde wieder eingeführt wurde, da herrschte Freude im Vaterhaus. Es war jene Freude, von der Jesus spricht: "Also wird Freude sein im Himmel über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen." Dieses Große im Vaterhaus wurde ihm zum Anstoss, über den er fiel. Anstatt sich mitzufreuen über die innere Grösse seines Vaters, der auch den Verlorenen nicht verloren hatte als Sohn, zog er sich zurück von der Tischgemeinschaft im Vaterhaus. Er hatte schon vordem das Bruderverhältnis verloren zu dem, der seine Güter in der Fremde vergeudete. Nun fand er auch das richtige Bruderverhältnis nicht wieder zu dem, der von seinem Vater auf Grund der Vergebung in seine verlorene Sohneswürde wieder eingeführt wurde.


Autor: Frederick Brotherton Meyer (* 08.04.1847; † 28.03.1929) englischer Baptistenpastor

Er wollte nicht hineingehen

Jener ältere Bruder ist der dunkle Hintergrund zu dem in warmen Farben strahlenden Bild des reuigen verlornen Sohnes, wie eine finstere Wolkenwand die Schönheit des Sonnenuntergangs um so mehr hervorhebt.

Betrachten wir die Sünde, nicht vom theologischen Standpunkte aus, sondern in ihrem Alltagskleide, so finden wir, dass sie sich nach zwei verschiedenen Seiten hin zeigt. Es gibt Sünden des Leibes und Sünden der seelischen Anlagen; oder besser ausgedrückt: Sünden der Leidenschaften, die alle Arten von Lüsten und selbstsüchtigen Trieben in sich einschließen, – und Sünden der Seelenstimmungen. Der verlorene Sohn ist im neuen Testament das Bild der leidenschaftlichen Sünden – der ältere Bruder, derjenigen des Gemüts. Auf den ersten Blick möchten wir denken, der verlorene Sohn sei der größere Sünder; aber es ist doch zum mindesten merkwürdig, dass wir ihn am Schluss dieser Geschichte als den Gefundenen, Begnadigten, Zurechtgebrachten finden; während der ältere Bruder außen steht und sich vom Freudenfeste ferne hält. Will Jesus damit sagen, dass das unzufriedene Murren des Pharisäers hoffnungsloser ist, als die Leidenschaft des Zöllners und Sünders? Wir dürfen den Gedanken nicht zu weit ausführen; aber fragen wollen wir uns doch, ob wir nicht unter einem achtbaren, tadellosen Äußern den Geist des älteren Bruders beherbergen, der täglich an seine Arbeit geht, und als ein Muster kindlicher Pflichttreue gilt, aber draußen vor der Türe stehen bleiben muss.

Es hat jemand einmal eine Zusammenstellung gemacht von allem, was zu jener bissigen Rede des älteren Sohnes beitrug. Sie enthielt Eifersucht, Zorn, Stolz, Lieblosigkeit, Grausamkeit, Selbstgerechtigkeit, Empfindlichkeit, Trotz. Lasset uns unsere Herzen durchforschen, ob sich nicht darin eine Spur dieses Geistes findet, während andere mit Freuden hineindringen ins Himmelreich.