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Predigten zu Lukas 15,31

"Er aber sprach zu ihm: Kind, du bist allezeit bei mir, und all das Meinige ist dein."

Autor: Carl Eichhorn (* 11.07.1810; † 08.02.1890) deutscher lutherischer Pastor
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Auch ihn will der Vater gewinnen

"Der Vater ging heraus und bat ihn und sprach zu ihm: Mein Sohn, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, ist dein."

Wieviel Bosheit ist doch in wenigen Minuten aus dem Herzen des ältesten Sohnes herausgekommen! Er verletzt den Vater, indem er ihm Ungerechtigkeit vorwirft, und zeigt sich wegwerfend dem Bruder gegenüber. Er mag ihn nicht einmal seinen Bruder nennen. "Dieser dein Sohn", sagt er verächtlich und kalt. Ja, man kann äußerlich fromm sein und sich dafür halten, und doch ist das Herz fern, sehr fern von Gott. Die Gottferne beim verlorenen Sohn trat offen zutage, aber bei dem Erstgeborenen war sie versteckt. Wer befriedigt auf sein eigenes Tun schaut, erfährt und weiss nichts von unverdienter Gnade. Weil die Schrift sagt: "Sie sind allesamt abgewichen, da ist keiner, der Gutes tue, auch nicht einer", darum müssen auch die frommen und äußerlich unbescholtenen Leute sich bekehren. Diesen anständigen und ihrer religiösen Pflicht nachkommenden Menschen wird die Bekehrung viel schwerer als verlorenen Söhnen. Eine solche Bekehrung erregt vor der Welt kein Aufsehen. Es ist eine innerliche oder Herzensumkehr, die unmerklich vor den Augen der Fernstehenden vor sich geht, aber den Nahestehenden, besonders den Hausgenossen, nicht verborgen bleibt. Sie spüren die Umwandlung: vorher hart und streng im Urteil, nun mild und nachsichtig; vorher nur gerecht, unerbittlich gerecht, jetzt barmherzig. Es ist ein Wunder der Gnade, wenn einer aus dem Sumpf der Sünde herausgerettet wird. Aber es ist kein geringeres Wunder, wenn der harte Sinn des äußerlich frommen und tadellosen Menschen von der göttlichen Gnade erweicht und gebrochen wird. Gott möchte auch die Selbstgerechten zurechtbringen und an sein Herz ziehen. "Mein Sohn", sagt er liebevoll zu dem erregten und erbitterten Menschen. Er versichert ihn also seiner Liebe, von der er sich ausgeschlossen wähnt. Dann stellt er ihm seine Lieblosigkeit nicht mit Scheltworten, sondern liebreich und eindringlich vor Augen. O, wie groß ist die Güte des Herrn! So groß, dass sie das enge, lieblose Menschenherz nicht fassen kann. Die Liebe des Vaters zum verlorenen Sohn war gewiss großartig und ergreifend. Aber sie wird überboten durch die Liebe zum älteren Sohn. Der jüngere kam liebehungrig und gebeugt. Er schmiegte sich an den Vater an und war dankbar für jeden freundlichen Blick. Der ältere Sohn stiess die Liebe des Vaters von sich, als ihn der Vater bat, einzutreten. Er stiess gehässige Reden aus und bewies einen furchtbaren Trotz. Dennoch ließ der Vater ihn nicht laufen, sondern suchte ihn mit aller Sanftmut von seinem Unrecht zu überzeugen. Er sollte es als eine Gnade betrachten, dass er nicht auf solche Abwege geraten ist. So ist die göttliche Liebe. Wie lange wehrst du dich gegen sie? Willst du nicht auch dein Herz von ihr gefangennehmen lassen?


Autor: Adolf Schlatter (* 16.08.1852; † 19.05.1938) schweizer evangelischer Theologe und Professor fürs Neues Testament
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Auch seinen frommen Widersachern sprach Jesus die ganze Herrlichkeit der Sohnschaft Gottes zu. Dem, der mit verdrossenem Widerwillen seinen Gottesdienst als eine saure Pflicht betreibt, sagt er: „Du bist beim Vater, hast ihn ja nicht vergessen und verlassen, und weil du bei ihm bist, ist auch alles, was sein ist, dein; du hast Gott für dich in seiner göttlich großen Gnadenmacht.“ Wir hören hier, was es für Jesus bedeutete, wenn er von der Sohnschaft Gottes sprach; damit hat er gesagt: Ich bin allezeit beim Vater und alles, was des Vaters ist, ist auch des Sohnes. Aus dieser Wurzel erwachsen alle machtvollen Worte Jesu. Wenn Er vor den Gräbern in der Gewissheit stand, er öffne sie, und wenn er sich der Welt als den beschrieb, der sie richten werde, und wenn er sich seinen Jüngern als den darstellte, der sie von den Enden der Erde zu ihm holen werde, so floss dies alles aus der Gewissheit: ich bin beim Vater; und was des Vaters ist, ist mein. Damit reichte er den keuchenden und murrenden Frommen das dar, was ihnen half. Ihr seid beim Vater; ist denn das ein Unglück, ein hartes Los, eine peinigende Last? Beim Vater sein und murren kann nicht zusammen bestehen. Und der Vater handelt väterlich an euch und schließt euch nicht aus von dem, was er hat; denn der Vater macht den Sohn zu seinem Bild. Das war im Munde Jesu kein leeres Wort, sondern sichtbare Wirklichkeit und gebende Tat. Dadurch dass uns Gott Jesus gegeben hat, machte er das, was Gottes ist, zu unserem Besitz. Sein Sohn ist sein eigen und zugleich uns gegeben, ist seiner liebe Ziel und zugleich zu uns gesandt, dass er uns lieb habe, ist seines Lebens teilhaft und zugleich mit unserem Tod beladen, ist der Träger des göttlichen Bildes und trägt zugleich die Knechtsgestalt und unser Menschenbild. Sieh, so wahr ist es: alles, was mein ist, ist dein!

Vater, es ist das Geschenk Deines Geistes, dass wir zu Dir rufen: Abba, Vater. Das hat Deine Gnade erfunden in ihrer Höhe und Tiefe, Länge und Breite, dass wir Deine Kinder heißen. An Deiner Gabe will ich mich auch heute freuen und mit dem Psalmisten beten: „Ich will bleiben im Hause des Herrn immerdar.“ Amen.