Anthroposophie
Autor: Lothar Gassmann
Ist die Anthroposophie Rudolf Steiners christlich? Der Autor dieses Bandes hat sich im Rahmen seiner Doktorarbeit acht Jahre lang intensiv mit der Anthroposophie beschäftigt und gelangt bezüglich der Christusauffassung Rudolf Steiners und seiner Nachfolger zu folgendem Ergebnis: "Der Christus Steiners ist nicht wahrer Gott, sondern lediglich ein ´Sonnengeist´, ein Glied auf einer Zwischenstufe der anthroposophischen Geisterhierarchie ... Er schenkt dem Menschen durch seinen Kreuzestod keine Erlösung von Sünde und Tod, sondern treibt ihn auf den Weg, die eigene Apotheose (Selbstvergottung) durch Höherentwicklung anzustreben, also auf dem Weg der Absolutsetzung des ´Ich´ erst recht in die Sünde. Kurzum: Der sogenannte ´Christus Jesus´ der Anthroposophie ist ein neuzeitliches gnostisches Gegenbild zum dem Jesus Christus, von dem die Heilige Schrift spricht" (S. 189 f.). Nach einleitenden Hinweisen beginnt der Autor mit biographischen Abrissen über das Leben und die Entwicklung der wichtigsten Vertreter der Anthroposophie und der von dieser inspirierten "Christengemeinschaft" (neben Steiner vor allem Friedrich Rittelmeyer, Emil Bock und Rudolf Frieling). Danach setzt Gassmann sich ausführlich und grundlegend mit dem anthroposophischen Erkenntnisweg, der "Akasha-Chronik" und der "spirituellen Deutung der Heiligen Schrift" auseinander, um sodann auf die Frage nach der Einheit und Ganzheit der Bibel sowie die anthroposophischen Behauptungen, sie sei ein "Einweihungs- und Meditationsbuch" sowie eine "zeitbedingte und relative Größe" (im Vergleich zu den neuen "Schauungen" Steiners wie auch anderer "Hellseher") einzugehen. Zu allen diesen Lehren nimmt er zunächst aus empirischer und dann aus biblisch-theologischer Sicht Stellung und widerlegt sie auf beiden Ebenen fundiert. Im letzten Hauptteil konfrontiert er sich mit der anthroposophischen Lehre über Gott ("Elohim - ein Gott oder viele Götter?"), mit Reinkarnation und Karma, mit der Steinerschen Deutung der zwei Stammbäume bei Matthäus und Lukas auf "zwei Jesusknaben", mit der esoterischen Auffassung vom "Christus-Sonnengeist" und dem "Mysterium von Golgatha", von "Lazarus als Verfasser des Johannesevangeliums" und "Paulus als erstem Ätherseher" - Dinge, von denen häufig ein anthroposophisch oberflächlich Interessierter nur wenig gehört hat, die aber das Herzstück der Anthroposophie ausmachen und ohne die die ganze Philosophie nicht zu verstehen ist. Alle diese Lehren verweist Gassmann in den Bereich der Spekulation, die über die Bibel gemäß ihrem Wortsinn und Gesamtkontext weit hinausgeht, ja in Gegensatz zur biblischen Lehre tritt. So lautet das Gesamtergebnis seiner Untersuchung: "Die anthroposophische Exegese führt nicht zu einem vertieften Bibelverständnis, sondern sie führt von der [Heiligen] Schrift weg - hin zu okkulter Spekulation. Das anthroposophische Bibelverständnis ermöglicht keine sachgemäße Auslegung. Es ist mit dem biblisch-reformatorischen Schriftverständnis unvereinbar" (S. 208). Dieses Ergebnis erhält dadurch besondere Aktualität und Brisanz, weil das anthroposophische Auslegungsverfahren mit seinen spekulativen Ergebnissen eingeflossen ist "in die Literatur der New-Age-Bewegung, in Teile der Feministischen Theologie sowie in die tiefenpsychologische Bibelauslegung z.B. bei Eugen Drewermann", worauf im Vorwort zurecht hingewiesen worden ist. Ob mit Gassmanns Arbeit nicht nur "die Anthroposophie aus den Angeln gehoben" wird (so Prof. Tadayoshi Araki aus Tokio auf der Rückseite des Buches), sondern auch die von der Anthroposophie beeinflussten Auslegungsmethoden, bleibt abzuwarten. Jedenfalls kommt in Zukunft kein ernsthafter Diskutant der anthroposophischen und esoterischen Exegese um Gassmanns Buch herum.
Die Rezension/Kritik stammt von: Jürgen-Burkhard Klautke
Kategorie: Sonstiges