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Predigten zu Matthäus 18,21

"Dann trat Petrus zu ihm und sprach: Herr, wie oft soll ich meinem Bruder, der wider mich sündigt, vergeben? bis siebenmal?"

Autor: Carl Eichhorn (* 11.07.1810; † 08.02.1890) deutscher lutherischer Pastor
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"Petrus sprach: Herr, wie oft muss ich meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Ist es genug siebenmal? Jesus sprach zu ihm: Ich sage dir: nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal."

Solange wir auf dem gesetzlichen Standpunkt stehen, zählen wir. Die Liebe zählt und zirkelt nicht ab. Die Liebe hat keine äußeren Vorschriften. Sie hat ihr Gesetz in sich, bei ihr findet ein inneres Muss statt. So ist die Liebe zugleich die wahre Freiheit. Pflichtmenschen sind fertig, wenn sie ihre bestimmten Obliegenheiten erfüllt haben; die Liebe wird nie fertig, sie kommt nie zu Ende, sie hat Unendlichkeitscharakter wie Gott selbst, der die Liebe ist. Die Liebe kann nie genug tun. Wer selbstzufrieden denkt, er habe seine Schuldigkeit getan, der hat noch nichts von der Liebe. Denn sie bleibt immer Schuldnerin, auch wo es sich um Vergeben handelt.

Petrus stand noch im Gesetz: "Wie oft muss ich vergeben?" Er dachte, siebenmal müsse doch das Äußerste sein; und dann heiße es: Nun bin ich fertig mit dir, wir sind geschiedene Leute. Die Liebe aber wird nicht müde, zu vergeben. Oder wird Christus müde, dem reuigen Sünder Vergebung angedeihen zu lassen? Wie oft vergibt er uns? Etwa am Tag nur einmal? Wie oft fehlen wir in Gedanken und mit Worten? Ist es zu zählen? Sind wir überhaupt jemals, auch nur einen Augenblick so, wie Gott uns haben will? Bleiben wir nicht beständig zurück? Muss nicht Christus immer wieder fürbittend für uns eintreten? "Vergebt einer dem andern, gleichwie Gott euch vergeben hat in Christus!"

Wenn das Vergehen des anderen dir groß erscheint, denke an deine unendlich größere Schuld vor Gott! Will das Vergeben dir schwer werden, dann denke an die Unsumme deiner Versäumnisse! Dann wird die Schuld des andern klein, du schämst dich deiner Unversöhnlichkeit und vergibst von Herzen.

Zum vollen Vergeben gehört das Vergessen. Wenn du noch heimlich anrechnest, lügst du, wenn du behauptest, vergeben zu haben. Wenn wir von Herzen vergeben, öffnen wir uns die Gnadentür. Durch Unversöhnlichkeit richten wir eine Wand auf zwischen Gott und unserer Seele. Die ganze zuvor vergebene Schuld fällt wieder auf uns. - Dies zeigt uns das Gleichnis von dem großen Schuldner; es gehört zur Antwort Jesu auf Petri Frage. Der König erlässt dem um Erbarmen Bittenden die Riesenschuld. Der Begnadigte aber hat taube Ohren für die gleiche Bitte seines Mitknechtes, der ihm nur einen winzigen Betrag schuldet. Leider ist dieses Unbegreifliche nicht aus der Luft gegriffen. - Der Schlüssel zu diesem Verhalten liegt in den Worten: "Er ging hinaus." In der Gegenwart des Herrn, der so großmütig an ihm gehandelt hatte, wäre es unmöglich gewesen. Aber nun war ihm das Antlitz des Königs entschwunden. Wenn uns die Gnade nicht täglich gegenwärtig bleibt, wenn wir sie vergessen, dann kann der lieblose, unversöhnliche Sinn die Oberhand gewinnen. So fällt man wieder aus der Gnade. Das ist dann schlimmer, als wenn wir nie Gnade empfangen hätten.


Autor: Jakob Kroeker (* 1872; † 12.12.1948) wichtigster Vertreter des freikirchlichen russländischen Protestantismus
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Von unseren Glaubenskonflikten

"Da trat Petrus herzu und sprach: Herr, wie oft soll ich meinem Bruder vergeben, welcher an mir sündigt? Bis zum siebenten Mal?"

Petrus tritt im Namen aller Jünger vor den Meister mit der Frage: "Wenn mein Bruder sich gegen mich versündigt, wie oft muss ich ihm wohl vergeben?" Eine ungemein praktische Frage, praktisch, weil sie so aus der Alltäglichkeit geboren ist. Denn solange wir mit einem Nächsten in Fühlung kommen, werden wir finden, dass der Nächste in irgendeiner Form sich gegen uns versündigen kann. Das wird erst aufhören mit der Vollendung. Solange aber die Welt und wir mit ihr unvollendet sind, wird es solche Verfehlungen geben.

Und da fragt Petrus: "Wie oft soll ich wohl meinem Bruder vergeben, ist es genug siebenmal?" Er stellt eine sehr bestimmte Frage. Denn der Talmud und die Gerechtigkeit der Pharisäer verlangte, dass man im Laufe eines Tages dreimal vergeben soll. Man gründete sich auf ganz bestimmte Aussprüche des Alten Testamentes, so z.B. auch auf jenes Wort, wo es im Buche Hiob heißt: "Solches tut Gott zwei- bis dreimal an dem Menschen ..." So hatte man die Regel gefunden, dass man dem Bruder dreimal vergeben solle. Versündigt er sich aber zum vierten Mal, dann ist man nicht mehr verpflichtet, ihm zu vergeben.

Wir können es uns denken, wie auch diese Frage die Jünger in einen inneren Konflikt gebracht haben muss. Was antwortete jedoch Jesus? Er sprach: "Ich sage dir, nicht siebenmal, sondern siebzig mal siebenmal." Petrus hatte sich innerlich bei dieser Frage bereits auf einen weit höheren Standpunkt gestellt. Er sagte sich offenbar, als Jünger eines Meisters, der eine weit höhere Gerechtigkeit verlangte wie die der Pharisäer und Schriftgelehrten, muss man jedenfalls das doppelte Maß annehmen. "Genügt es, wenn ich meinem Bruder siebenmal am Tage vergebe?"

Wie löst Jesus dem Simon diesen inneren Konflikt zwischen menschlicher Verfehlung und dem Maß unserer Vergebung? Haben wir einmal darauf geachtet, dass Jesus diese Frage ganz aus dem Bereich eines Maßes und aus dem Bereich der Verpflichtung heraushebt? Dass Er einem Petrus sagt: "Petrus, für die Vergebung gibt es kein Maß! Wenn du ein Jünger deines Meisters sein willst, dann sollst du wissen: die Vergebung liegt jenseits jeglichen Maßes! Wenn du auch annimmst siebenmal - nein, Petrus, siebzig mal siebenmal - masslos! Denn die Vergebungsfrage ist nicht eine Frage des Maßes und nicht eine Frage der Verpflichtung. Sie ist eine Frage der Liebe, und die ist unendlich. Die zählt nicht, die kennt kein Maß! Die sieht sich auch nicht verpflichtet, dass man fragen muss: "Wie oft muss ich denn meinem Bruder vergeben?" Sie handelt im Geist der Vergebung, die sie geschaut hat im Angesicht Jesu Christi.


Autor: Adolf Schlatter (* 16.08.1852; † 19.05.1938) schweizer evangelischer Theologe und Professor fürs Neues Testament
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Petrus rechnete auch im Kreis der Brüder auf hartnäckige Bosheit, die dem Vergeben unbeugsam widersteht. Er kannte die harte Festigkeit unseres boshaften Willens, der auch die brüderliche Gemeinschaft zerreißt. Vielleicht dürfen wir aber auch daran denken, dass Petrus nicht nur die, die mit ihm Jesus begleiteten, sondern jeden Juden seinen Bruder hieß. Er sah aber deutlich, dass er von diesen Brüdern bittere Feindschaft zu erwarten hatte, weil er ein Jünger Jesu war. Die Erfahrung hat den Jüngern rasch das Auge dafür geöffnet, dass die jüdischen Brüder ihnen den Anschluss an Jesus mit unversöhnlichem Hass vergalten, der sie immer wieder zu schändlichen Werken und boshaftem Handeln trieb, und Jesus selbst hat sie von Anfang an mit starken Worten über ihre Lage aufgeklärt und sie für ihren Kampf gerüstet. Wenn aber der Hass kein Ende nimmt und die Bosheit sich beständig wieder erneuert, kann dann das Vergeben endlos sein? Muss es nicht eine Grenze geben, die uns von dieser Pflicht befreit? Siebenmal war Petrus bereit, Unrecht freundlich zu dulden, siebenmal willig, sich verhöhnen zu lassen und still den Schaden zu tragen, mit dem der Feind ihn plagt. Ist es nun nicht deutlich, dass der Widersacher die Versöhnung nicht will und die Gemeinschaft mit ihm unmöglich ist? Und doch empfand Petrus, dass dieser Gedanke, mochte er ihm noch so richtig scheinen, gegen den Willen Jesu stritt, weshalb er mit der Frage vor ihn trat, und was er ahnte, wurde ihm durch das bestätigt, was ihm Jesus zur Antwort gab. Jede Zählung des Vergebens tat Jesus weg und nahm von ihm jede Schranke fort. Es hat kein Maß und kein Ende, sondern ist immer vorhanden und unerschöpflich. Wir bleiben mit unserem rechnenden Vergeben immer noch an die anderen gekettet und ihr Hassen behält Gewalt über uns. Erst die ganze Liebe macht uns von allem Hader frei, die, die die Vergeltung nicht nur aufschiebt, sondern unterlässt, die, die sich nicht auf das Wohltun anderer stützt, sondern selber gütig ist und sich die Gemeinschaft nicht von den anderen geben lässt, sondern sie selbst herstellt. Mit diesem Vergeben ist Petrus unverwundbar gemacht, auch wenn er den Hass seiner Brüder nicht überwinden kann. Er steht nun über dem wilden Getümmel der Verleumdung und Befehdung als ein freier Mann. Dies ist er, weil ihm Jesus die Liebe gab.

Dein Vergeben, gnädiger Gott, ist ganze Liebe. Du wägst nicht unser Fallen, zählst nicht unsere falschen Worte und bewahrst nicht unsere gottlosen Gedanken. Sie sind eine unendliche Reihe ohne Zahl. Du aber vergibst und bleibst, der Du bist, in der Herrlichkeit Deiner Güte. Nun schaffe, Herr, Dein Bild in mir und gib mir an Deiner Liebe teil, die vergeben kann. Amen.