Predigten zu Jesaja 65,5

---

"... Bleibe daheim und rühre mich nicht an; denn ich bin heiliger als du."

Ich habe Christen kennengelernt, bei denen der geistliche Hochmut zu einem kostbaren, rauschenden Prunkkleide geworden war, dass sie in gewisse gläubige Kreise und auf gewisse gläubige Konferenzen gar nicht mehr gehen konnten: sie hatten Angst, sich etwas von ihrem Nimbus, ihrer Heiligkeit, zu verderben. Aber ich will in meiner Abendandacht an mich selbst denken. Drohte mir nicht auch nach den schönsten Erfahrungen der Liebe Jesu das heimliche Gefühl des Hochmuts, dass ich mich höher, heiliger, so ganz anders dünkte als manche andere Christen? Ja, kam es nicht vor, dass ich, wenn ich gerade eine Versuchung zur Selbstüberhebung ernstlich niedergekämpft hatte, die Einflüsterung Satans wie eine angenehme Schmeichelei empfand: "Nein, was du eigentlich doch für ein demütiger Mensch bist!" Zweimal in meinem Leben war mir die Gefahr, am geistlichen Hochmut krank zu werden, am nächsten, als ich in schriftlichen Auskünften über mich an andere lesen musste, dass sie mich als einen auffallend demütigen Mann kennengelernt hatten.

Herr Jesus, du kennst die Gefahr der Eitelkeit, des Sichüberhebens, für mich am besten. Darum komm du, rühre mich an, du Heiliger, und entsündige mich innerlich ganz, dass ich auf nichts mehr stolz bin, als auf deine Liebe, und dass ich dich kenne und bei dir Gnade finde allezeit aus Erbarmen. Amen.

---