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Predigten zu Galater 2,19
Zitate von Charles Haddon Spurgeon anzeigen
"Ich bin mit Christo gekreuzigt."
Der Herr Jesus Christus handelte in allem, was Er tat, als ein großer, öffentlicher Stellvertreter, und sein Tod am Kreuze war nach der Wirkung ein Sterben seines ganzen Volkes. Darum haben in Ihm alle seine Heiligen der Gerechtigkeit alle schuldige Genüge geleistet, und der göttlichen Rache für alle ihre Sünden die Sühne dargebracht. Der Apostel der Heiden fühlte sich selig in dem Gedanken, dass er als einer aus der auserwählten Schar Christi in Christo am Kreuze starb. Das war bei ihm kein blosser Glaubenssatz, sondern er setzte sein ganzes Vertrauen darein und ruhte mit seiner Hoffnung darauf. Er glaubte, dass er durch das Verdienst des Todes Christi der göttlichen Gerechtigkeit volle Genüge geleistet und die Versöhnung mit Gott gefunden habe. Geliebte, wie ist es doch etwas Köstliches, wenn sich die Seele gleichsam aufs Kreuz Christi ausstrecken und sagen darf: "Ich bin tot, das Gesetz hat mich getötet, und darum bin ich nun von seiner Macht erlöst, weil ich in meinem Bürgen den Fluch getragen habe, und weil in der Person meines Stellvertreters alles, was das Gesetz an mir zu fordern hatte und wodurch ich der Verdammnis verfallen war, an mir erfüllt wurde, denn"ich bin mit Christo gekreuzigt."Aber der Apostel Paulus meinte mehr als das. Er glaubte nicht nur an Christi Tod und baute darauf, sondern er fühlte seines Todes Macht an ihm selber darin, dass zugleich seine alte sündliche Natur mit gekreuzigt ward. Wenn er die Lust der Sünde betrachtete, sprach er:"Ich kann sie nicht geniessen, ich bin ihr abgestorben."Das ist die Erfahrung jedes wahren Christen. Wenn er Christum in sich aufgenommen hat, so ist er für diese Welt gänzlich abgestorben. Aber obgleich er weiss, dass er für diese Welt tot ist, kann er doch mit dem Apostel ausrufen:"Ich lebe aber." Er ist voller Leben für Gott und aus Gott. Des Christen Leben ist ein unvergleichliches Rätsel. Kein Weltkind kann es begreifen; sogar der Gläubige selber kann es nicht fassen. Tot, und doch lebendig! Mit Christo gekreuzigt, und dennoch zugleich auferstanden mit Christo zur Verneuerung des Lebens! Eins mit dem leidenden, blutenden Christus, und tot für Welt und Sünde, das sind köstliche Dinge. Ach, dass ich sie noch lebhafter und tiefer empfände!"Ich hin mit Christo gekreuzigt."
Man kann von unweisen Eiferern oft die Mahnung hören: "Kreuzige dich selbst!" Manchen klingt das fromm. Es ist aber ein Missverständnis: nicht wir sollen jetzt Martern für unseren Leib oder Qualen für unsere Seele ersinnen, sondern wir sollen eine Tatsache glauben. Als Christus gekreuzigt wurde, da ist mein sündiges, begehrendes Ich schon mitgerichtet und gekreuzigt worden. So wahr ich an das Leben Jesu in mir glaube, so wahr ist sein Tod mein Tod. Haltet euch dafür, dass ihr der Sünde gestorben seid. Im Glauben an diese Tatsache wird die Hilfe lebendig und zu einer Erfahrung meines Geistes: bei jeder klar bewussten Sündenversuchung glaube ich an den rechtmässigen Tod meiner Sündenlust. Es ist, als ob ich im Zusammenhang mit Jesus sagen könnte: "Sünde sei stille! Du bist tot! Es ist abgemacht, dass du für jeden, der in Christo Jesu ist, tot bist." Wir müssen solche Freiheit von der Sünde im Glauben an das Kreuz nur ehrlich in Anspruch nehmen. Dann wird sich die Erfahrung davon einstellen, dass jene alte Tatsache eine täglich neue Kraft zu entwickeln imstande ist.
Herr Jesu, lehre deine Kinder, sich für der Sünde Abgestorbene zu halten, damit wir dir leben können. Stärke uns den Glauben an das, was in und durch dich schon geschehen ist, damit in der Kraft solchen Glaubens neue Siege erfochten werden können zu deiner Ehre. Amen.
Wo der Mensch, der sich für gläubig hält, von Sünde spricht, Sünde bekennt, da hat er eine schmutzige, eine schwarze Tat oder eine besondere Leidenschaft auf dem Gewissen und daher dann Angst, Seelennot, Anfechtung. Predige ihm da vom Kreuz, von Christi Verdienst und gib ihm ein Bußwerk oben darauf, so ist er befriedigt; denn es war bei ihm alles bloßes Gewissenswerk, Furcht vor Strafe. Er findet einen Ablass und bleibt am Sündigen, ohne sich ein besonderes Gewissen daraus zu machen; denn er lebt ohne Gesetz. – Hat dich aber Gottes Gesetz ergriffen, so weißt du, dass es Gottes Gesetz ist. Wie heilig ist dir da des Gesetz, wie heilig, wie gerecht, wie gut ist dir da das Gebot! Und so bleibt es im Inneren deines Herzens; es hört bei dir dein ganzes Leben lang nicht auf. Das Gesetz ist in dir, bei dir; das Gebot lässt dich nicht allein; es ist um dich, wo du gehst, wo du stehst, wo du sitzest oder liegst. Es redet laut in dir, sobald nur ein Fünkchen geistlichen Lebens in dir ist, und ob du schläfst oder wachst, vor deinen Augen bleibt in der einen Hand des Gesetzes der Lohn, in der andern Hand ein Flammenschwert ewiger Strafe. Du willst die Heiligkeit, du willst die Sünde nicht; und vor dem Gesetz verklagst du dich reumütig, zerknirscht deiner geheimsten Gedanken wegen. Du gelobst ihm in allem Ernste, heute und morgen nicht mehr zu sündigen. Kennst du so das Gesetz?
Mein Gewissen, das mich quälet,
deine Strafgerechtigkeit,
dein Gesetz, das nichts verhehlet,
samt dem Satan, stehn bereit,
meine Seele zu verklagen;
ich weiß nichts darauf zu sagen,
denn ein Zeuge gibt sich an,
der gesehn, was ich getan.
Wo der seligmachende Glaube ist, da stirbt man durch das Gesetz der zehn Gebote dem Gesetz der zehn Gebote. Wo der seligmachende Glaube ist, da soll das Gesetz das Gesetz bleiben und der Mensch von der Bahn. Da kann der Mensch sich nicht selbst behaupten, da hält er nicht an seiner Sünde fest, als wäre sie doch zu verzeihen oder zu entschuldigen, etwa der Umstände wegen, der Schwachheit des Fleisches wegen. Da gilt nicht Schwachheit des Fleisches, da gelten nicht diese oder jene Umstände; da nimmt es der Mensch genau, genau mit sich selbst, wie er leibt und lebt, genau mit der Sünde, genau mit dem Gesetz. Er will und soll es halten, das heilige Gesetz, das gute Gebot. Er soll und will mit ihm in Übereinstimmung sein, leiblich, ja aber auch geistlich, äußerlich, ja aber auch nach dem innern Menschen. Aber was lehrt die Erfahrung den Menschen? O, er versucht es redlich, ehrlich; er gibt es so bald nicht auf. Er setzt alles dran. Gelingt es ihm? Ach, darüber möchte er sich zu Tode weinen, dass es ihm nicht gelingt. Und doch wird dem Aufrichtigen vor Gott alles gelingen, mit dem Gesetz nichts. In Christo hat das Gesetz mit allen seinen Forderungen vollkommene Genugtuung, und so geht denn ein anderes Leben an, in welchem der Gläubige von sich bekennt: Nicht ich lebe, ich bin tot, und zugleich bekennt: Ich lebe dennoch, ich habe ein anderes Leben, das stirbt nicht.
Vergießen wird man mir mein Blut,
dazu mein Leben rauben;
das leid ich alles dir zugut,
das halt mit festem Glauben.
Den Tod verschlingt das Leben mein,
mein Unschuld trägt die Sünde dein,
da bist du selig worden.
"Ich bin mit Christus gekreuzigt."
Alles, was zum Fleisch gehört, ist nicht nur zum Tode verurteilt, sondern durch die Vereinigung mit Christus wirklich auch gekreuzigt. Jemand meint, bekehrt und gläubig zu sein, er hat auch wirklich angefangen, anders zu leben, er übt das Wort und einige christliche Werke, aber er lebt noch im Geiz oder in der Hoffart, in der Wollust oder im Hass. - Oder er weiss sogar, dass es Sünde ist, rühmt sich aber seiner Freiheit und fährt in seiner Schosssünde fort; ja, er verteidigt sie und huldigt ihr. - Ein solcher betrügt sich selbst und belügt seine Seele, wenn er von seinem Glauben und inneren Frieden redet. Auch wenn jemand ein wahrer Christ geworden ist und wirklich im Geist angefangen hat, dabei aber nicht fortwährend die Kreuzigung des Fleisches übt, sondern aufs neue seinen Lüsten die Freiheit gegeben hat und aufs neue seiner Sünde huldigt und sie verteidigt, hat er im Fleisch vollendet. Der Glaube, der Friede mit Gott und ein gutes Gewissen können nicht neben einer einzigen freigeübten Sünde bestehen. "Wo ihr nach dem Fleisch lebt, so werdet ihr sterben müssen; wo ihr aber durch den Geist des Fleisches Geschäfte tötet, so werdet ihr leben." Mit diesen Worten verkündet der Apostel ein bestimmtes Urteil. Er zeigt, dass die Tötung des Fleisches nicht eine Sache ist, die zu tun oder zu lassen in unserer Freiheit steht. Sofern wir das Leben behalten und nicht ewig verlorengehen wollen, müssen wir dieselbe unbedingt üben. Sobald wir zu Christus gekommen sind, müssen wir unverzüglich von dem alten Sündenleben Abschied nehmen und ein neues Leben nach Christus beginnen und dürfen uns nie mehr davon ab- und wieder dem Sündendienste zuwenden.
Es ist ganz merkwürdig zu betrachten, wie es sich bei einem Christen in Wirklichkeit beweist, dass der alte Mensch mit Christus gekreuzigt ist. Wie es ihm unter der Wanderung auch gehen mag, ob besser oder schlechter, so wird sein alter Mensch getötet werden, solange der Geist in ihm wohnt und arbeitet. Als Petrus seinem Meister getreu folgte, wurde der alte Jude täglich in ihm getötet, er wurde immer mehr von seinem früheren Wesen zur Ähnlichkeit mit seinem Herrn Christus verwandelt. Und als er einmal aus Vermessenheit aufgeblasen und daher der Sichtung des Satans überlassen wurde, als er fiel und seinen Heiland verleugnete, da weinte er bitterlich wie ein gezüchtigtes Kind; da wurden seine Eigenliebe und seine Vermessenheit getötet. Als er dann vor dem Rat in Jerusalem fest auf der Wahrheit bestand und Christus bekannte, wurde er gegeißelt; da starb er der Welt, da wurde auch das Fleisch getötet. Als er aber danach in Antiochien aus Menschenfurcht "heuchelte", erhielt er eine scharfe Bestrafung durch Paulus. - Wie es dem lieben Petrus auch erging, er wurde gezüchtigt und getötet.
Solange ein Christ rechtschaffen ist und seinem Heiland folgt, wird er getötet werden; denn es ist jetzt dahin gekommen, dass die Sünde seine größte Plage ist. - Bin ich reich und dadurch in der Versuchung, mir auf Erden ein Paradies zu bereiten, und fange ich an, das Fleisch zu nähren und weltlich zu leben, dann erhalte ich durch den Geist die stärksten Schläge, werde vor meinem Reichtum und Wohlleben bange und leide darunter mehr, als wenn ich arm wäre. Geht es nicht so, sondern fange ich an, dem Fleische zu huldigen und zu folgen, und mache ich mir gute Tage in der Sinnlichkeit, so führt dies zum eigentlichen Tod. Bin ich arm und leide ich an irdischem Mangel, halte mich aber an den Herrn, dann sterbe ich der Welt an jedem Tage. Bin ich im Geistlichen wirksam und begabt, habe ich Alter und Erfahrung in der Gnade, Licht und Gaben, mehr als die Brüder, und will ich daher Ehre und Ansehen geniessen - wehe, das ist Gift! Das fühlt der Geist und mir wird jetzt bange wie vor der Hölle. Bin ich im Gebet und im Kampf gegen die Sünde treu und wachsam, will ich sowohl der Sünde als auch der Ehre entsagen, und will ich ernstlich der Geringste sein, - freue mich aber darüber und habe ein geheimes Vergnügen an meinem Ernste, - wehe, das ist die Hölle! Uns müsste angst und bange davor werden! Gebe ich mir dann aber im Gegenteil mehr Freiheit, fleischliche Freiheit, da ja alles Gute mich stolz machen kann, so dass ich nun versäume, zu wachen, zu beten und das zu wirken, was gut ist, dann gerate ich geradezu aus der Asche ins Feuer; dann fühle ich meine Schuld und mein Urteil ganz bestimmt! Und werde ich dann durch die Bestrafung aufrührerisch gegen das Evangelium, schlage ich allen Trost von mir und spreche: Ich bin kein Christ, ich darf keine Gnade annehmen; sieh, dann tobt das Fleisch wieder durch den Unglauben; dann erhalte ich keine Ruhe, bevor ich mich nicht zu einem demütigen Annehmen der Gnade, nämlich der Gnade als eitel Gnade züchtigen lasse. -So sehen wir, dass, wie es einem Christen auch geht, er getötet werden soll. Das heißt, mit Christus gekreuzigt sein.
Hier sagst du nun: "Was ist das? Soll ich denn von allen Seiten gestraft und gezüchtigt werden? Was soll ich denn tun? Soll ich in nichts Ruhe haben dürfen?" Die Antwort kann nur lauten: Ja, aber nur in einem einzigen Punkt - im Herrn! "Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!" Wer Ruhe und Freude haben will, der habe sie im Herrn, in Seiner Gerechtigkeit, Güte und Treue. Alle anderen Freuden, allen anderen Ruhm bestraft der Geist sowie das offenbarte Wort. - Ja, so ist das gekreuzigte Leben. Bin ich ruhig am Kreuz, so leide und sterbe ich; bin ich aber nicht ruhig, sondern winde und krümme mich, dann leide ich um so mehr. Hier ist nichts besser, als dem Geist untertan zu sein, auf Jesus zu blicken und nach dem zu trachten, was droben ist! Das verleihe uns der Herr!
"Ich bin durch das Gesetz dem Gesetz gestorben."
Diese Worte enthalten das Geheimnis unserer Freiheit vom Gesetz. So heißt es auch in Röm. 7: "Also seid auch ihr, meine Brüder, dem Gesetz getötet", "ihm abgestorben, das uns gefangenhielt." In dem gleichen Kapitel zeigt der Apostel, wie das zugeht und was es bedeutet, durch das Gesetz dem Gesetz getötet zu werden. Er sagt: "Ich lebte früher ohne Gesetz. Da aber das Gebot kam, ward die Sünde wieder lebendig; ich aber starb. Denn die Sünde nahm Ursache am Gebot und betrog mich durch dasselbe Gebot." Wenn du der Frage auf den Grund gehst, was solche Worte bedeuten, dann wirst du ein tröstliches Licht finden. Welchen Tod meint der Apostel hier, wenn er in diesem Zusammenhang sagt: "Ich aber starb", "starb durch das Gesetz"? Der Katechismus erwähnt dreierlei Tod: den leiblichen, den geistlichen und den ewigen. Hier aber wird noch ein vierter Tod genannt. Denn geistlich tot war der Apostel ja schon, bevor das Gebot kam. Was meint er nun hier mit dem Wort "starb"? Die es erfahren haben, die wissen es; und andere glauben es nicht.
Wenn das Gesetz den Menschen recht trifft und wenn die heiligen Augen Gottes anfangen, die Gedanken und Begierden seines Herzens zu verfolgen, dann stirbt er. Und je ernstlicher er angegriffen wird, desto eher stirbt er. Es war der alte Pharisäer Saulus, der getötet wurde, bevor aus ihm ein Paulus werden konnte. Jakobs Hüfte musste in dem nächtlichen Kampf mit dem Unbekannten verrenkt werden, bevor er sagen konnte: "Ich habe Gott von Angesicht gesehen, und meine Seele ist genesen." Erst dann erhielt er einen neuen Namen; seit der Zeit ging er nicht mehr aufrecht. Nimm darum die Worte des Apostels, wie sie lauten, dann merkst du, wer da starb. Er sagt: "Ich starb." Es war sein Ich, sein selbstwirkendes, selbstgerechtes, selbstheiliges Ich, das im Streit mit der Sünde unter dem Gesetz zu Boden sank. Das Gesetz spornte den Streit mit unausgesetztem Treiben, mit Forderungen und Bemerkungen an; die tiefe Einbildung von der eigenen Kraft, die die Seele im alten Menschen ist, unterhielt eine zähe Hoffnung auf Erfolg in solchem Streit. Alles aber trug dazu bei, ihn nur um so mehr zu ermatten und zu töten, so dass er schreibt: "Die Sünde betrog mich und tötete mich durch dasselbe Gebot." Jetzt ist sie gebrochen, die alte Einbildung von der eigenen Kraft und vom Vermögen des Gesetzes, den Menschen fromm und heilig zu machen; jetzt liegt der Mensch da, verloren, hilflos, ohnmächtig, ja, "tot".
Wird nun aber Gottes ewiger Versöhnungsratschluss, wird Christus mit Seinem tätigen und leidenden Verdienst der ermatteten Seele erklärt, die nun an aller eigenen Arbeit, an ihrem Willen und Vermögen, an ihrem Gebet, ihrer Buße, ja, an allem, was in ihr ist, verzweifelt, dann zieht es sie zu Ihm hin, so wie sie ist, so lahm, so gebrechlich und aller Gnade Gottes so unwürdig, dass sie vor Scham zu Boden sinkt. Dann sinkt sie in die Arme des Bräutigams, "dass sie eines anderen sei, nämlich dessen, der von den Toten auferweckt ist." Siehe, dann erhält sie auf einmal die ganze Erfüllung des Gesetzes in Ihm, der "des Gesetzes Ende ist; wer an den glaubt, der ist gerecht". Jetzt lebt die Braut nur von Seiner Gerechtigkeit und von Seiner Fürsorge in allen Dingen und spricht: "Ich sitze unter dem Schatten, dessen ich begehre; die Liebe ist Sein Panier über mir." Eine solche Seele ist jetzt vom Gesetz befreit, wie der Apostel so ausdrücklich erklärt: "Also ist das Gesetz unser Zuchtmeister gewesen auf Christus, dass wir durch den Glauben gerecht würden. Nun aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister."
Zwar kommt die Einbildung von der eigenen Kraft noch tausendmal wieder - gewöhnlich unter der feineren Form, dass ich durch mein Gebet und durch die Kraft Gottes so und so viel sein und tun kann und soll - und verrät sich als adamitische Einbildung dadurch, dass ich, ich und nicht Christus, der Mittelpunkt aller meiner Gedanken werde. Aber dann werde ich wieder aufs neue erschöpft und getötet, bis ich wiederum zu den Füßen meines Heilandes hinsinken muss und Ihn mein Alles sein lasse. Und solange dieses fortfährt, dass ich beständig aufs neue zu Christus zurückgeführt werde, bin ich nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade.
Hieraus kannst du nun auch verstehen, wer die sind, die nicht unter der Gnade, sondern unter dem Gesetz sind. Es sind diejenigen, die dem Gesetz noch nicht getötet sind, sondern die ihre Hoffnung und ihre Zuversicht noch auf das Gesetz, auf ihre Arbeit, ihr Gebet behalten haben. Sie sind nicht so verloren und an ihrer Arbeit verzweifelt, dass sie genötigt werden, sich zu ergeben, sich auf blosse Gnade hin als verloren zu ergeben. Sie streben also mit Vorsatz und in voller Meinung durch die genannte Arbeit nach dem Sieg. Sind sie dabei über sich selbst niedergeschlagener, dann können sie "dem Reich Gottes ganz nahe sein". Es ist eben nur notwendig, dass sie an ihren Versuchen verzweifeln und dann einen Augenblick Jesus zu sehen bekommen, weiss und rot - d.h., dass Er ihnen in einer seligen Stunde verklärt wird. Folgen aber mit dieser Arbeit noch viel Trost und Selbstzufriedenheit, sind Glaube und Bekenntnis von Christus nur ein Teil der eigenen Gerechtigkeit, ist der Glaube nicht die Zuflucht eines notleidenden und verlorenen Sünders zum Versöhner, sondern ein neuer, schönerer Lappen auf dem alten Kleid, dann ist man der wahren Gnade entfernter.
Du kannst's nicht selber besser machen, Dein Selbstversprechen ist nur Sand; Verzag' an allen deinen Sachen Und wirf dich unter Seine Hand, Als völlig tot und völlig blind, Kurz, als ein ganz verlor'nes Kind.
Zitate von Christoph Blumhardt anzeigen
Christus ist für unsre Sünden gekreuzigt worden. Das ist die große Tatsame, die ein echter Christ nimmer aus den Augen verliert. Der, bei dem's so ist, fühlt sich selbst als mit Ihm gekreuzigt, fühlt die Macht des natürlichen Menschen in sich gebrochen, ertötet, weil ja um ihretwillen Christus gestorben ist. Wie wichtig ist es doch, so im Glauben zu stehen, daß der Gedanke an Christi Kreuzestod die natürlichen, sündlichen Triebe zu ertöten, wirkungslos zu machen vermag, sooft sie sich geltend machen wollen. Es kann das nur bei dem geschehen, der die Sünde in ihrer Größe erkannt und gefühlt hat. Wer nur schläfrig ohne innere Zerknirschung es so hinnimmt, daß Christus für die Menschen gestorben sei, auf den hat's keine sonderliche Wirkung; und seine alte Natur behält in der Regel ihre Stärke. Wie sollten die Marter Christi uns doch tiefer ins Herz dringen, damit wir sagen und fühlen können, wir seien mit Christus gekreuzigt!
„Ich lebe aber“, sagt Paulus. Wie Christus nicht im Tode verblieben ist, so leben auch wir, die wir mit Ihm gekreuzigt sind. Aber es ist bei uns nun kein eigenes Leben mehr, sondern nur ein Leben Christi in uns. Nur was Er innerlich in uns zeugt und lehrt und mahnt und tröstet, gilt uns etwas. Und alles andere außer Ihm bleibt tot, hat alle Macht und Bedeutung für uns verloren. Das sagen die Worte: „Doch nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“ Ach, wie wenige mögen's zu solchem Leben Christi in sich gebracht haben!
Unterdessen leben wir doch noch im Fleisch, sind noch nicht über die Schwachheiten eines irdischen leiblichen Lebens hinübergekommen, müssen daher immer noch viel leiden, wie auch Christus im Fleisch gelitten hat. Aber Paulus sagt: „Was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich in dem Glauben an den Sohn Gottes.“
In diesem Glauben hält er zweierlei fest, das sein Leben im Fleisch zu einem neuen verklärt. Denn er sagt erstlich vom Sohne Gottes: „der mich geliebt hat“, und zweitens: „der sich selbst für mich dargegeben hat“. In unsrem Glaubensleben nämlich sollten wir immer wieder an die Liebe Jesu einerseits und an Seine Hingabe andrerseits kommen - nicht nur zu unsrer Stärkung und Belebung, sondern auch zur Erneuerung und Verklärung unsres Lebens im Fleische. Im Herzen des Glaubenden sollte sich dasselbe ausprägen, was er an seinem Heiland wahrnimmt und hochhält. Hat Jesus uns geliebt - wie sollte es uns schwer werden, auch zu lieben? Hat Er sich für uns hingegeben - wie sollten wir uns sträuben, Ihm auch Opfer zu bringen und in Verleugnungen treu zu sein? Christus lebt in uns, wenn beides, Seine Liebe und Seine Hingabe, in uns verwirklicht wird.
Aber wie leicht bleibt unser so genanntes Glaubensleben doch nur ein Leben im Fleische, als wäre kein Glaube da! Weil wir nicht lieben und nichts verleugnen können!
Ich bin mit Christus gekreuzigt, ich lebe aber
Augenscheinlich will Paulus uns zu verstehen geben, dass sein altes Wesen, da er selbst sein Mittelpunkt gewesen war, an das Kreuz Jesu geheftet sei, und dass das Leben Jesu jetzt dessen Stelle eingenommen habe. Einige haben dieses wahre Leben Christi in der Seele als etwas mystisches, unreelles angesehen; aber es kann darüber kein Zweifel bestehen, dass das ganze neue Testament überall davon spricht, als von einer Tatsache.
1. Der Tod ist die Türe des Lebens
Wir sehen dies beständig in der Natur um uns her. Alle Jahre legt sie sich einmal ins Grab, schläft in unterbrochener Ruhe und tritt dann wieder hervor im Glanz ihrer erneuten Schönheit. Öfters ist ein Schatten, der uns überfiel, der Ausgangspunkt neuen Lichtes geworden. Der blinde Milton wurde der Verfasser des „Verlorenen Paradieses.“ Der Tod eines innig mit uns verwachsenen Wesens gibt oft den Überlebenden einen neuen Trieb zum geistigen, verklärten Liebesleben. Wir können nicht zu gleicher Zeit uns selbst und in Christo leben. Aber sobald wir durch Gottes Gnade das Kreuz aufrichten und unser eigenes Wesen daran heften, so wird der Geist Gottes uns Leben und Kraft einhauchen.
2. Im Fleisch, aber nicht nach dem Fleisch
Wir leben zwar im Fleisch wie zuvor, und verrichten die Pflichten unsers täglichen Lebens mit sorgfältiger Genauigkeit; aber wir sind nicht mehr beherrscht von dem selbstsüchtigen Triebe, der allzu lang uns geleitet hat. Die Anziehungskraft der Erde ist überwunden durch den mächtigen Zug zum Ewigen und Unsichtbaren.
3. Nicht mehr ich
und doch als ein vom Sohne Gottes Geliebter, durch Ihn Erlöster, steht ein jeder von uns vor seinen liebevollen Augen. Er sieht uns nicht an als eine große Masse, sondern Er hat sich für jedes Einzelne dargegeben; seine Fürbitte, sein Blut, seine beständige Fürsorge gilt jedem.