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Predigten zu Daniel 9,18
Zitate von Christoph Blumhardt anzeigen
Daniel betet um die Rückkehr der Gefangenen aus Babylon. Diese war zwar auf eine gewisse Zeit hin verheißen; denn durch Jeremia hatte es Gott dem Volke anzeigen lassen, daß die Gefangenschaft 70 Jahre dauern würde (25,11). Aber Daniel, der jetzt „auf die Zahl der Jahre merkte“ (Dan. 9,1), wußte nur zu gut, daß solche Verheißungen stets nur bedingt gegeben sind und fehlen (ausbleiben) können, wenn auf Seiten derer, denen sie zufallen sollen, Gesinnung und Glauben fehlt. So kann es wirklich so sein, daß Gott wohl sagt: „In 70 Jahren dürft ihr in die Heimat zurückkehren“ - wenn aber keiner der Gefangenen sich darum bekümmert, keiner sich's ein Anliegen sein läßt, daß es wirklich werde, keiner darum bittet, dann kann es doch noch fehlen, so bestimmt es auch Gott vorausgesagt hat. Selbst wenn Zahlen angegeben sind, fühlt sich Gott nicht gleichsam mechanisch daran gebunden. Es ist immer so zu nehmen, wie wenn Er nur sagen würde: „In 70 Jahren wäre es Mein Sinn und Gedanke; haltet euch darnach, daß es geschehen kann!“
Jede Gnade, wenn sie auch verheißen ist, muß doch wieder erbeten sein. Und so hat Daniel es für nötig befunden, den HErrn recht ernstlich im Namen des Volkes zu bitten, daß Er die gegebene Verheißung erfüllen möge. Ein Mann wie er konnte sich auch als den Stellvertreter aller ansehen um des Ernstes willen, mit dem er beständig vor Gott stand. Es kann oft an einer einzigen Person liegen - wie das mehrmals im Alten Testament der Fall war -, die nicht gleichgültig sein darf; und auf sie vornehmlich sieht dann der HErr, ob es ihr darum zu tun sei. Von andern wird nicht immer dasselbe gefordert, weil ihnen die Einsicht gebricht und weil sie weniger die Aufgabe haben, das Ganze auf dem Herzen zu tragen. So hat Daniel wenigstens versucht, seine Schuldigkeit zu tun.
Wenn aber Daniel betet, darf er sich auf nichts anderes stützen; auf nichts, das auf seiner oder seines Volkes Seite an Gutem wäre, nicht etwa auf die Gerechtigkeit oder irgendwelche Güte, irgendwelchen Vorzug des Volkes vor anderen. Auf solches kann und will sich Daniel nicht berufen. Er stellt daher sich und sein Volk ganz als Sünder dar. Er muß es sagen und laut bekennen, wie sehr das Volk von Gott abgewichen gewesen und mit Recht in das große Elend hereingekommen sei, in dem es sich jetzt befinde. Darum sagt er auch: „Wir liegen vor Dir mit unsrem Gebet, (und vertrauen) nicht auf unsre Gerechtigkeit, sondern auf Deine große Barmherzigkeit.“
Die Barmherzigkeit Gottes, die ist es, auf die wir trauen dürfen - wenn wir ihrer auch noch so unwürdig sind! Wir müssen es erkennen, daß es lauter Barmherzigkeit Gottes ist, wenn Er auf unsre Bitten auch nur amtet. Nehmen wir sie, und sie allein, mit aller Demut in Anspruch, so steht sie für uns auch offen. So müssen wir bei jeder Bitte nur vor allem unsere Gerechtigkeit hingeben, diese ganz hinfallen lassen, um allein auf Gottes Barmherzigkeit hin bitten zu können. Wenn sie allein es sein soll, dann können wir etwas hoffen. Wenn wir aber zu ihr etwas von uns hinzulegen wollen, so bleibt alles im Ungewissen, was wir bitten und erwarten.
Gebe uns doch der HErr, sooft wir Ihn anrufen, vornehmlich Demut und klare Erkenntnis unsrer Unwürdigkeit und Sünde!
Zusatz Zu Dan. 9,18 Das Fehlen (Ausbleiben) der Weissagung
Wie selbst Zahlen, auch wenn sie bestimmt vorausgesagt sind, fehlen (nicht eintreffen) können, wenn die Gesinnungen der Betreffenden sich ändern, das beweist vornehmlich die Geschichte des Propheten Jona. Dieser mußte den Niniviten bestimmt anzeigen, daß ihre Stadt in 40 Tagen untergehen werde (3,11). Die Niniviten taten Buße. So „reute auch Gott das Übel, das Er ihnen angekündigt hatte, und Er tat's nicht“ (3,10) - was bekanntlich den Propheten Jona mit Unmut erfüllte, weil er mehr auf seine Ehre und Unfehlbarkeit als auf das Wohl der Bedrohten sah. übrigens kam später doch der Untergang Ninives.
Wie aber hier Gott des Übels reute, so kann Ihn auch, wenn die Betreffenden sich dessen unwürdig erzeigen, des Guten reuen, das Er zu tun gedachte. Dies ist besonders wichtig bei der Erwägung der Frage, wie es komme, daß die verheißene baldige Rückkehr des HErrn Christus so lange verziehe - was bei vielen so großen Anstoß erregt. Wir können einfach antworten: „Es reute den HErrn, in der Kürze das Vorausgesagte und Verheißene geschehen zu lassen. Denn mit der Gemeinde auf Erden machte es sich nicht so, wie es hätte sein sollen; und vor allem erfolgte die Verbreitung des Evangeliums unter alle Völker - die der HErr in Seinem letzten Wort befohlen hatte - nicht. “ Diejenigen, die in der Einfalt des Glaubens stehen, denken, die Zeit der Verheißung der Zukunft des HErrn sei eben wie immer auch eine bedingte gewesen; und sie lassen sich nicht stören, dennoch des HErrn zu harren. Sein endliches (Wieder-) Kommen bleibt dennoch gewiß; und der Verzug wird es um so herrlicher machen!
Zusatz Zu Dan. 9,18 Verkürzung der Trübsal
Daniels Gebet war um so wichtiger, als es immerhin ungewiß war, von wann an die 70 Jahre der Gefangenschaft zu zählen waren. Damals, als er betete und „auf die Zahl der Jahre merkte“, war's das Jahr 536 vor Christus. Da aber Jerusalem im Jahr 588 v. Chr. zerstört und dann erst vornehmlich das Volk, das am Leben blieb, in die Gefangenschaft abgeführt wurde, so schienen an der Zahl 70 noch 18 Jahre zu fehlen. Daniel aber wagt's, schon von der ersten Wegführung etlicher Israeliten an zu rechnen, die im Jahr 606 geschah. Da hätte, menschlich gesprochen, der HErr alle Freiheit ge- habt, die Erfüllung der Verheißung bis zum Jahr 518 anstehen zu lassen. So aber kann man sagen: Ein Gebet wie das Daniels verhinderte den Verzug. Oder: Der HErr verkürzte die Zeit und machte es gnädiger, als etwa viele sich's gedacht hatten, und ließ Daniels Rechnung gelten.
So wird auch einmal in den letzten Nöten die Zeit der Trübsal um der Auserwählten willen verkürzt werden (Mat. 24,22), d.h. sie wird schneller zu Ende gehen, als es zuerst im Plan war. „Diese Auserwählten“, so heißt es auch Luk. 18,7f., „die zu Ihm Tag und Nacht rufen, wird Er erretten in einer Kürze“. Ebenso sollte der HErr drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde liegen wie Jona im Bauch des Walfisches (Mat. 12,40). Aber die Wartezeit der überaus treuen und betenden Jünger - obwohl sie nicht recht wußten, was sie beten sollten - wurde verkürzt, indem es nicht drei volle Tage anstehen durfte, sondern indem ein Weniges vom ersten Tage, der sich schon mit Sonnenuntergang nach dem Begräbnis schloß, und die Hälfte des dritten Tages, vom Abend bis zum Morgen, für ganz genommen wurde.
In gleicher Weise können auch wir nicht wissen, wie viele Zeit wir uns an jeder Trübsal - auch wenn wir diese nicht wegbitten können - wenigstens abkürzen durch ernstliches Bitten und Flehen zum HErrn, während andere, die nicht demütig bitten, den Leidenskelch bis auf die Neige austrinken müssen. Da können namentlich bei Krankheiten schöne Erfahrungen gemacht werden!
Zitate von Hermann Bezzel anzeigen
Wir liegen vor dir mit unserem Gebet, nicht auf unsere Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit.
Durch die Gemeinde geht eine betende Bewegung, Leid, Not, Witwentrauer, Verwahrlosung, die Verschmachtenden und Verlorenen ihm zu empfehlen. Vergiss nicht, wenn du zur Ruhe dich begibst, mit einem letzten Seufzer der Elenden und Erschlagenen deines Volkes! Verweile bei den Gefangenen und Hartgebundenen, kehre im Geiste ein bei den Gefährdeten, Einsamen und Verlassenen, bei den auf falschen heimlichen Wegen Bedrohten, „sammle sie alle“, wie ein alter Vater (Tauler) sagt, „in deines Herzens Spittel und erbarme dich darüber!“. . . Aus den Herzen, den Häusern, dem Gedränge des Tages, der Stille der Nacht, aus dem Ringen der Kirche dringe das Kyrie empor: All Sünd hast du getragen, erbarm dich unser, o Jesu!