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Predigten zu Apostelgeschichte 22,25
Zitate von Alfred Christlieb anzeigen
Die Berufung des Paulus auf sein römisches Bürgerrecht.
Das römische Bürgerrecht war ein großer Vorzug. Ein römischer Bürger brauchte sich nicht ohne weiteres eine entehrende Behandlung seitens eines Richters gefallen zu lassen. Ein Bürger durfte nicht ohne Untersuchung gefesselt werden (Vers 29 b). Auch konnte ein solcher sich auf den Kaiser berufen, d. h. verlangen, dass seine Sache unmittelbar vor dem Richterstuhl des römischen Kaisers entschieden werde (Kap. 25, 10-12). Dieses Bürgerrecht besass Paulus. Unser Text erzählt uns: wie er es bekommen hatte, welchen Gebrauch er davon machte, und welche Wirkung dadurch erzielt wurde.
I.
Erlangt hatte Paulus das Bürgerrecht nicht durch irgendwelche Bemühungen. Er hatte es ererbt (Vers 28). Schon von Kindesbeinen an besass er es.
Darin dürfen wir eine Fürsorge Gottes erblicken, der im Leben des Apostels alle Umstände im Blick auf seinen späteren Beruf leitete. Wie die Bildung, die ihm zuteil wurde, so musste auch das angeborene römische Bürgerrecht zur Erfüllung seiner späteren Aufgaben dienen.
Lasst uns die Vorsehung Gottes, die sich im Leben seiner Kinder erweist, anschauen, und unsern Glauben dadurch stärken.
II.
Wie gebraucht Paulus dieses Bürgerrecht?
Die mit demselben verbundenen Vorrechte brachten für den Besitzer die Gefahr des Stolzes und falschen Selbstbewusstseins mit sich. Wie konnte man da verächtlich herabsehen auf die, welche dieses Recht nicht hatten. Selbstverständlich hat Paulus seinen Vorzug nicht in diesem Sinne missbraucht. Er ließ nie da und dort prahlerisch durchblicken, dass er römischer Bürger sei. Nur da, wo die Umstände es rechtfertigten, machte er von diesem Vorrecht Gebrauch. Hier, wo er widerrechtlich gegeißelt werden sollte, nachdem er schon körperliche Misshandlungen durch den Volkshaufen erfahren hatte (Kap. 21, 30 - 32), machte er sein römisches Bürgerrecht geltend.
Eigensinnige und rechthaberische Menschen, die immer wieder ihr eigenes Recht - nötigenfalls mit Gewalt - durchzudrücken versuchen, haben kein Recht, sich auf diese Stelle und das Beispiel des Paulus zu berufen.
Andererseits dürfen Jünger Jesu hier lernen, dass sie kein unnötiges Märtyrertum auf sich zu nehmen brauchen. Es gibt Fälle genug, wo sie sich still und duldend - ohne zu widersprechen - verhalten müssen. Das Wort Jesu: "Dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel" (Matthäus 5, 39), behält voll und ganz seine Gültigkeit. Paulus hat dies gewiss befolgt.
Hier aber, wo er, ohne einen andern zu schädigen und zu verletzen, unnötige Qualen vermeiden konnte, tat er dies. So dürfen auch wir, wenn wir in der Liebe bleiben, andere auf ein Unrecht hinweisen und von dem uns zustehenden Recht Gebrauch machen. Lasst uns nur zusehen, dass wir dies, so wie Paulus, nicht in Zorn und in fleischlicher Erregung, sondern in gebührender Weise tun. Lasst uns in Pauli Fußstapfen treten, wie er Jesus nachfolgte (Johannes 18, 23).
III.
Die Wirkung des Hinweises auf das römische Bürgerrecht äußert sich in einem heilsamen Erschrecken des Oberhauptmannes. "Der Oberste hatte einen Schrecken bekommen, als er erfuhr, dass er ein römischer Bürger sei, und weil er ihn hatte fesseln lassen" (Übersetzung Menge).
Er sah ein, dass er voreilig gehandelt habe. Er wusste nun, dass der vermeintliche Übeltäter nicht wie irgendein Sklave behandelt werden durfte, sondern unter besonderem Schutz der römischen Staatsgesetze stehe. Er musste befürchten, dass die ganze Angelegenheit wegen der Überschreitung seiner Befugnisse für ihn üble Folgen haben könne. Dieses Erschrecken war heilsam und gut. Es machte ihn behutsam und vorsichtig in der ferneren Behandlung seines Gefangenen.
Auf Menschen, die wenig oder gar kein geistliches Verständnis haben, macht auch heute noch der Hinweis auf eine bestehende Rechtsordnung - etwa die Erwähnung eines gewissen Gesetzesparagraphen - mehr Eindruck als alles andere. Was jede höfliche Bitte und jede sittliche Belehrung nicht bewirken könnte, das bringt bisweilen ein Hinweis auf "das römische Bürgerrecht" in einem Augenblick fertig.
Welch ein Vorzug war doch das römische Bürgerrecht! Nicht jeder von uns kann solch äußeren Vorzug erlangen. Aber ein anderes Bürgerrecht, das unendlich wichtiger ist als jenes, besitzt jeder wahre Christ im Glauben. "Unsere Gemeinde, in der wir das Bürgerrecht haben, ist in den Himmeln" (Philipper 3, 20; Übersetzung Schlatter). So rühmt der Apostel, der sein römisches Bürgerrecht nur selten hervorkehrt. Wenn schon ein römischer Bürger angesehen war und nicht angetastet werden durfte, wenn er den Schutz des großen römischen Weltreiches genoss, wie viel höher steht dann ein wahrer Untertan und Bürger des unbeweglichen Reiches (Hebräer 12, 28). Wohl allen, die dieses ewige Bürgerrecht besitzen und achthaben, dass sie desselben nicht verlustig gehen.