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Predigten zu Apostelgeschichte 22,24

"befahl der Oberste , dass er in das Lager gebracht würde, und sagte, man solle ihn mit Geißelhieben ausforschen, auf dass er erführe, um welcher Ursache willen sie also gegen ihn schrieen."

Autor: Alfred Christlieb (* 26.02.1866; † 21.01.1934) deutscher Theologe
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Fanatismus.

Die wild schreienden Juden, die in rasender Wut Staub in die Luft sprengen, sind ein besonders charakteristisches Beispiel von Fanatismus.

Wir Menschen neigen von Natur zum Fanatismus. Selbst Gotteskinder können noch dahineingeraten.

Fanatismus ist ein falscher, aus eigenem Geist stammender Eifer, der mit einer von Gott gewirkten Festigkeit nichts zu tun hat, obwohl beides manchmal verwechselt wird. Es gibt allerlei Arten von Fantismus. Man kann fanatisch für seine Lehrmeinung oder für seine Organisation und dergleichen kämpfen und dabei meinen, für Gott zu streiten. Lasst uns in diesem Text den Eifer jener Juden näher anschauen, damit wir derartigen Fanatismus vom gottgewollten, heiligen Eifer unterscheiden lernen. Wir sehen: die Entstehung, die Handlungsweise und die Folgen des Fanatismus der Zuhörer Pauli.

I. Wie kam es zu diesem Ausbruch blinden Eifers

Das letzte Wort des Paulus, der Bericht über seine göttliche Sendung in die Heidenwelt, berührte einen wunden Punkt in den Herzen der Hörer. Er tastete ihr Vorrecht, ihren Stolz, ihre eigene Gerechtigkeit an. Wenn der himmlische König den Saulus mit der Heilsbotschaft zu den Heiden sandte, so waren sie nicht mehr das allein von Gott bevorzugte Volk, sondern wurden auf gleiche Stufe mit den verachteten Heiden ("Gojim") gestellt. Sie verloren ihre Sonderstellung vor Gott, auf die sie sehr viel hielten. Das ging ihrer Ehre zu nahe. Wenn Paulus recht hatte mit seiner Botschaft von Jesus als dem Herrn der Herrlichkeit, dann waren sie ja alle, die das Christentum ablehnten, auf dem Irrweg, und dann waren sie Sünder und Gottlose. Das ließen sie sich nicht gefallen. Hatten sie bis dahin ruhig zugehört, so brach nun ihre Wut los. Wie ein Zahnkranker den Arzt ruhig arbeiten lässt, bis dieser mit seinem Bohrer den Nerv berührt, so ging es bei diesen Zuhörern. Als es an ihren Stolz und ihre eigene Gerechtigkeit ging, da wurde der Nerv berührt, und sie schrien laut auf.

Geht es nicht auch heute noch so, dass manche Zuhörer sich die Wortverkündigung ruhig gefallen lassen und still anhören. Sobald aber ihre kranke Stelle berührt wird, sobald sie zu "Sündern" gemacht werden oder ihr Stolz sonstwie angetastet wird, ist ihre Geduld zu Ende. Dann geraten sie in wütenden Eifer gegen den Verkündiger, der solches zu tun wagte.

Wer die ganze Wahrheit bezeugt, muss sich stets darauf gefasst machen, den fanatischen Eifer der Leute gegen sich zu erregen.

II. Wie handelt der Fanatismus?

Die fanatisch erregten Zuhörer unterbrachen den Apostel. Sie wollten kein Wort mehr von ihm hören. Der Fanatismus trägt immer das Kennzeichen der Ungeduld. Er verschließt sich gegen ruhige, besonnene Unterweisung. Er ist unbelehrbar.

Weiter fällten die Zuhörer ein völlig ungerechtes Urteil über Paulus. Sie erklärten ihn für einen todeswürdigen Menschen ("Hinweg mit solchem von der Erde! Denn es ist nicht billig, dass er leben soll".)

Der Fanatismus trägt Scheuklappen. Darum ist er ungerecht im Urteil gegenüber Andersdenkenden. Das schärfste Urteil ist dem Fanatiker kaum streng genug. An seinem Gegner erscheint ihm alles als Sünde.

Was für Urteile werden oft von denen gefällt, die ihre religiöse Sondermeinung oder ihre Partei und Organisation gegen andere verteidigen wollen!

Endlich schrien jene Volksmassen, warfen ihre Kleider ab und wirbelten den Staub in die Luft. Das Benehmen ließ nicht nur jede ruhige Besonnenheit vermissen, sondern musste bei einem unbeteiligten Fremden den Eindruck erwecken, als habe man es mit Tollhäuslern zu tun. Welch ein trauriges Bild, diese Volksmasse von tobenden, schreienden Menschen, die den Staub in die Luft wirbeln!

Heiliger Eifer, gerechter Zorn wird stets auch in den Schranken des Anstandes und der guten Sitte bleiben. Wo man mit wüstem Geschrei, mit Niederbrüllen des Gegners und mit wildem Toben etwas zu erreichen sucht, da sehe man wohl zu, ob man nicht in dem Fanatismus jener Juden steckt, die in ihrer Erregung jede Besonnenheit und jeden Anstand vermissen ließen.

III. Welche Folgen zog dieser Fanatismus nach sich?

Nicht nur brachten jene Zuhörer sich selbst um jede weitere Belehrung, sie rissen auch einen ruhigen, sachlichen, unparteiischen Menschen in die Ungesetzlichkeit mit hinein. Der Führer der Tempelwache gab Befehl, den Paulus auszupeitschen. Man wollte sicherlich nicht ungesetzlich handeln. Er wollte sachlich und richtig die Streitfrage prüfen. Aber der Fanatismus der Menge riss ihn doch so weit mit fort, dass er irgendwelche schlimme Schuld bei Paulus vermutete.

Wie oft trübt der blinde, ungerechte Eifer das sachlich ruhig urteilende Denken des nüchternen Menschen.

Wie anders gebärdet sich die ruhige, geheiligte Festigkeit des Apostels, die er in dieser Rede zeigte.

Gott erfülle uns alle mit heiligem Eifer, bewahre uns aber vor jeder Art von Fanatismus.


Autor: Alfred Christlieb (* 26.02.1866; † 21.01.1934) deutscher Theologe
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Der Befehl des Hauptmanns, Paulus zu geißeln

zeigt uns einen dreifachen Fehler, der sich auch bei uns wiederholt:

I. Falsch war zunächst seine Beurteilung des Paulus.

Der Hauptmann meinte, irgendeine schlimme Tat von Paulus müsse die Wut der ganzen Bevölkerung hervorgerufen haben. Diese Meinung war begreiflich, aber irrig. Obwohl die äußeren Anzeichen dafür sprachen, dass Paulus etwas Schlimmes getan habe, war er doch völlig unschuldig.

Wie oft haben auch wir uns in der Beurteilung eines Mitmenschen geirrt! Lasst uns doch behutsam im Urteil werden und nicht schnell einen anderen für einen Übeltäter halten, weil allerlei Gründe darauf hinzudeuten scheinen.

II. Aus diesem ersten Fehler entstand der zweite: ungerechte Strenge und Schärfe in der Behandlung des Apostels.

Es war damals ein Rechtsbrauch, einen Verbrecher, der seine Tat nicht eingestehen wollte, durch Geißelung zum Geständnis zu zwingen.

Diesen Rechtsbrauch wandte der Oberhauptmann hier bei Paulus an. Das war eine große Ungerechtigkeit. Wenn auch das römische Reich bei gewissen Übeltätern die Folterung beim Verhör erlaubte, so durfte man dies Verfahren doch nicht ohne weiteres bei einem Mann anwenden, dessen Schuld noch gar nicht erwiesen war. Der Hauptmann durfte nicht ohne jegliche Schuldprüfung den Apostel in eine Linie mit schlimmen Verbrechern stellen. Solche Schärfe war voreilig.

Beim Anblick dieses zweiten Fehlers müssen wir eingestehen, dass er auch von uns mannigfach begangen ist. Jeder Leiter einer Gemeinde, einer Schule, einer Gemeinschaft oder eines Vereins kann in diesem Punkte leicht fehlgreifen und dadurch oft für lange Zeit bei Jungen oder Alten das Vertrauen verlieren. Auch für Väter und Mütter gilt es, bei der Untersuchung einer Sache nie voreilig zu strengen und scharfen Maßnahmen zu greifen, die Schaden anrichten könnten.

III. Bei seinem übereilten Vorgehen machte sich der Oberhauptmann, ohne es zu wissen und zu wollen, selbst einer Gesetzesübertretung schuldig. Er ahnte nicht, dass der Gefesselte das römische Bürgerrecht besass. Mit seinem Befehl, den Paulus zu geißeln, hatte er seine Befugnisse überschritten und sich strafbar gemacht.

Wie leicht übertreten auch wir, besonders in Zeiten der Unruhe und Aufregung die bestehende Rechtsordnung und müssen für die Folgen einstehen.

Was bei dem Hauptmann vorkam, kann auch uns begegnen. Nur einer hat niemals gefehlt in der Beurteilung und Behandlung anderer Personen. Seine bewahrende Hand wollen wir suchen, dass des Hauptmanns Irrungen nicht die unsrigen werden.