Wenn Gott nicht heilt
Autor: Roland Scharfenberg
Ausgehend vom grundsätzlichen Heilungswillen Gottes, der für (gläubige) Kranke auch heute noch gilt, wird die Frage bearbeitet: Wie ist es theologisch einzuordnen, dass in vielen Fällen keine Heilung eintritt? Die Studie von R. Scharfenberg ist darüber hinaus eine grundsätzliche Analyse des gesamten Themenkomplexes „Krankheit und Heilung“ aus theologischer Sicht. Die einzelnen Problemfelder werden von ihm jedoch schwerpunktmäßig unter der oben genannten Fragestellung gesehen. Zunächst erläutert der Autor in einem geschichtlichen Rückblick verschiedene Positionen zur Krankenheilung im Lauf der Kirchengeschichte. Gegenwärtig bedeutsamen Strömungen innerhalb der Heilungsbewegung ist die Überzeugung gemeinsam, dass Gott heute genauso Heilungen bewirken kann wie in apostolischer Zeit. Wie Scharfenberg anhand von Zitaten erläutert, unterscheiden sie sich hinsichtlich ihrer Stellung zur wissenschaftlichen Medizin sowie der Frage, welche Rolle der Glaube des Kranken und die Person und das Umfeld des Heilers für den Heilungserfolg spielen. Er stellt drei von ihm so genannte „Heilungsvertreter“ vor, d.h. Theologen, die sich gegenwärtig besonders intensiv mit dem Thema Heilung beschäftigen (Wolfhard Margies, Wolfram Kopfermann, Wolfgang Bittner). Alle bekräftigen den auch heute noch gültigen Heilungswillen Gottes, gehen dabei aber nicht davon aus, dass jeder kranke Christ auch gesund wird. Margies und Kopfermann lehnen eine Sicht der Krankheit als Erziehungsmittel Gottes ab. Beide sehen Krankenheilungen auch als zeichenhaftes Wirken Gottes in der Mission. Für Margies ist der Glaube des Heilers und des Kranken der entscheidende Faktor für den Heilungserfolg. Die Heilung kann auch als Prozess erfolgen. Bittner legt dagegen den Schwerpunkt auf „Heilung als ein Zeichen des sich schon jetzt realisierenden Gottesreiches“. Da wir in der Spannung des „schon jetzt – noch nicht“ leben, geschieht Heilung manchmal nicht. Bittner betont auch den Wert ärztlichen Handelns. Als Gründe für nicht geschehene Heilung geben Heilungsvertreter (mit unterschiedlicher Betonung) an: Gründe beim Kranken (z.B. mangelnder Glaube, Sünde), Gründe beim Heiler (z.B. fehlende Berufung), beim Umfeld (z.B. Gemeinde trägt das Glaubensgebet nicht genügend mit) und bei Gott (z.B. Gott hält in seiner Souveränität Heilung zurück, um den Kranken vor Hochmut zu bewahren). Im folgenden Hauptteil des Buches untersucht Scharfenberg das Vorkommen von Krankenheilungen im Neuen Testament. Er gibt einen ausführlichen Überblick über den Heilungsdienst von Jesus. Im Anhang des Buches finden sich sehr hilfreiche Tabellen, in denen sämtliche im Neuen Testament vorkommende Krankenheilungen aufgelistet sind und auf charakteristische Punkte hingewiesen wird. Es wird deutlich, dass Heilungen von Krankheiten und Besessenheit ein bedeutender Aspekt des Dienstes von Jesus waren. Diagnostische Fragen (z.B. handelte es sich hauptsächlich um psychosomatische oder um organische Krankheiten, was ist unter Besessenheit zu verstehen) werden vom Autor zwar erwähnt, aber nicht weiter behandelt. Die (verständliche) Konzentration auf theologische Fragestellungen engt den Horizont des Buches etwas ein. Dabei kann man vermuten, dass zwischen theologischem Denken über Krankenheilungen und den Möglichkeiten und Erkenntnissen der modernen Medizin eine Wechselbeziehung besteht. Scharfenberg untersucht auch die Heilungsmethoden von Jesus, die ein relativ einheitliches Muster aufweisen. Sehr interessant ist die Analyse der griechischen Worte für „heilen“. Im Neuen Testament werden fünf Worte verwendet, die für eine jeweils unterschiedliche Dimension der Heilung stehen. Der Autor beschäftigt sich mit den Motiven für die von Jesus durchgeführten Heilungen. Ein besonders wichtiges Motiv war der vorhandene Glaube der Kranken und ihnen nahe stehender Menschen (Tabelle auf Seite 145). Bei Jesus gingen „heilen“ und „verkündigen“ oft miteinander einher (Übersicht auf Seite 151), beides war typisch für ihn. Die Verkündigung beinhaltete den nahen Anbruch des Gottesreiches und Heilungen waren ein Zeichen dafür. Dabei heilte Jesus nicht jeden Kranken in seiner Umgebung (Joh 5,3) aber seine Heilungen waren immer erfolgreich. Scharfenberg stellt dar, wie die Jünger von Jesus den Auftrag zu Krankenheilungen erhielten. Die zentrale Frage ist, ob dieser Auftrag als bleibend auch für die heutige Zeit gesehen werden kann. Wichtige biblische Belegstellen sind: Bei den Missionsaufträgen wird der Heilungsauftrag (außer bei Markus) nicht sehr deutlich. Scharfenberg sieht den Zusammenhang mit dem Auftrag zur Verkündigung, der Heilung einschließe. Das wird durch die Heilungen in der Urgemeinde (tabellarische Übersicht ab Seite 390) und bei Paulus (2Kor 12,12; Röm 15,18f; 1Kor 2,4; 1Thes 1,5) bekräftigt. Paulus erwähnt auch die „Gnadengaben der Heilungen“ (1Kor 12,9.28.30). Der Autor beschäftigt sich mit dem Verhältnis von „Gabe und Auftrag“, worin die „Gnadengaben der Heilungen“ konkret bestanden haben, wird von ihm nicht untersucht. Alle sollen für die Kranken beten, einige Gläubige haben eine besondere Fähigkeit zur Heilung. Im Hebräerbrief finden sich Zeichen und Wunder (Hebr 2,4), Handauflegung (Hebr 6,2 – allgemein als Begleithandlung zum Segensgebet zu sehen) und die Unveränderlichkeit von Jesus (Hebr 13,8). Das alles macht deutlich: Krankenheilungen gehörten zur Erfahrung der ersten Christen, im Vordergrund stand jedoch die Verkündigung von Buße und Glauben. Eine zentrale Stelle zum Thema Krankenheilung ist Jakobus 5, 13-18. Scharfenberg betrachtet die dort gegebene Anweisung als auch für heute uneingeschränkt gültig. Im Buchanhang gibt er eine ausführliche Auslegung dieser Bibelstelle. Er legt Wert auf die Feststellung, dass immer der souveräne Wille Gottes berücksichtigt werden muss. Der Glaube ist eine Gabe Gottes und das Gebet des Glaubens ist nur dann vorhanden, wenn Gott auch wirklich heilen will. In einem weiteren Abschnitt werden alle Stellen im Neuen Testament, in denen von kranken Gläubigen die Rede ist, behandelt. Es sind dies Gal 4,13-15 (Paulus – „Schwachheit des Fleisches“), Phil 2,25-30 (Epaphroditus), 1Tim 5,23 (Timotheus – Empfehlung von Wein als Heilmittel), 2Tim 4,20 (Trophimus) und 1Kor 11,30 (Gemeindeglieder in Korinth). Was immer die Gründe für die Krankheiten gewesen seien mögen, diese Stellen machen deutlich, dass Kranke zum Alltag der christlichen Gemeinden und zum Umfeld der Apostel gehörten. Im letzten Teil des Buches verwendet Scharfenberg die gesammelten Fakten, um die Anfangsfrage nach der theologischen Bewältigung nicht geschehener Heilung zu beantworten. Danach darf Heilung auch heute erwartet werden, tritt aber nicht zwangsläufig ein. „Krankheit“ und „Leiden“ sind im Neuen Testament keine identischen Begriffe (ab Seite 390), mit „Leiden“ ist fast immer Verfolgung gemeint, ebenso auch beim „Pfahl im Fleisch“ des Paulus (2Kor 12,7-10). Sollte hier doch ein körperlicher Mangel oder eine Krankheit gemeint sein, berechtigt der Text zum freimütigen Gebet um Wegnahme des Leidens. Scharfenberg sieht im „krank bleiben“ nicht den Normalzustand. Obwohl der Kleinglaube des Heilers oder der Unglaube des Umfeldes den Heilungsdienst einschränken kann (z.B. Mt 17,14-21 – mondsüchtiger Knabe und Mt 13,58 – in Nazareth) kann man nach Meinung des Autors Gesundheit oder Krankheit eines Gläubigen nicht als Kriterium für die Qualität seines Glaubenslebens ansehen. Wissenschaftliche Medizin und Glaubensheilung sehen die meisten Heilungsvertreter nicht als Gegensätze an. Die „antimedizinischen“ Haltungen in bestimmten christlichen Kreisen haben offensichtlich nachgelassen. Heilungen gehen mit dem Anbruch des Königreiches Gottes (Lk 4,16-19; Mk 1,15; Lk 7,22; Mt 11,5) und dem Sieg über den Teufel einher (Apg 10,38) und dieses ist mit dem ersten Kommen von Jesus bereits angebrochen (Lk 17,20-21). Das vollständige Ende aller Krankheiten wird erst noch kommen. Die Heilungen als Zeichen finden auch nach Christus Himmelfahrt statt (1Kor 12,9.10.29.30) und sind nicht auf die Apostel beschränkt. Gott will das ganzheitliche Heil (Tit 2,11), der Körper ist in dieses Heil einbezogen (Jes 53,4 in Verbindung mit Mt 8,16-17 und Jak 5,13-18). Der um Heilung betende Christ soll jedoch bereit sein, den Willen Gottes an sich geschehen zu lassen (Röm 8, 26-28; 2Kor 12,9). Nach Lesen des Buches und der biblischen Belegstellen wird man auch bei anderer Prägung nicht mehr ohne weiteres behaupten können, dass die im Neuen Testament berichteten Heilungen heute nicht mehr zu erwarten sind. Trotzdem bleibt es für viele Christen Realität, dass sie oder ihre Angehörigen und Freunde trotz Gebets nicht gesund werden. Die aus der Bibel bekannten Heilungen entsprechen nicht der Wahrnehmung der meisten Christen. Für manche ist vielleicht die beim Lesen aufkommende Frage hilfreich, ob sie von Gott überhaupt noch etwas erwarten (die Frage nach dem Glauben). Andererseits ist es legitim zu fragen, ob Heilungen wirklich in dem Umfang der biblischen Berichte erwartet werden können oder ob sie beim ersten Kommen von Jesus verstärkt auftraten. Es wird auch deutlich, dass Zurückhaltung angebracht ist, wenn Krankheiten mit Sünde in Verbindung gebracht werden. Für Christen besteht die lebenslange Übung darin, den Willen Gottes für sich anzunehmen. Sie können die Hoffnung haben, dass das „noch nicht“ in dem „schon bald“ aufgelöst wird. Das ist die Antwort und der Trost, die der Autor zu dem gestellten Thema gibt und die jedem Gläubigen helfen können. Leider hat das Buch kein Register. Das ist bei einem so umfangreichen Sachbuch ein großer Nachteil.
Die Rezension/Kritik stammt von: Thomas Freudewald
Kategorie: Sonstiges
Jahr: 2005
ISBN: 3-937965-36-x
Seiten: 488
€ Preis: 29,80 Euro