Der erste Brief des Paulus an die Korinther
Autor: Eckhard Schnabel
Es ist ein Grund zur Freude, dass endlich ein evangelikaler wissenschaftlicher Kommentar in deutscher Sprache zu einem so wichtigen Brief des NT vorliegt wie dem 1. Korintherbrief! Eckhard Schnabel, früher Dozent in Manila, Wiedenest und Giessen – heute Professor für NT in Deerfield/Chicago, geht mit Gründlichkeit und Fleiß zu Werke und legt dabei einen Bibelkommentar vor, der seinesgleichen sucht. In einer Zeit, wo „historisch“ in der Regel nur mit dem Zusatz „-kritisch“ zu haben ist, tut es wohl, einen Kommentar zu studieren, der sowohl methodisch als auch bibliografisch up to date ist, sich aber in jedem Detail einem historisch-biblischen Ansatz verpflichtet weiß. 1134 Seiten mögen für manche erdrükkend wirken, aber im Vergleich mit anderen wissenschaftlichen Auslegungen ordnet sich dieses Buch umfangsmäßig zwischen einem Handkommentar (z.B. Wolff) und den noch gewaltigeren Werken (z.B. Schrage, Thiselton, Garland) ein. Obendrein bietet dieser Kommentar verschiedene Praxisanwendungen, die in den meisten akademischen Kommentaren vergebens gesucht werden. Die relativ kompakte Einleitung (etwa 40 Seiten) vermittelt einen guten Überblick über die (sozial)historische Situation der Adressaten wie auch das theologische Anliegen des Apostels Paulus. Sehr gut gelungen ist auch die Gliederung des Briefes nach den Hauptproblemen der Christen in Korinth: Kompromisse mit der heidnischen Kultur Korinths und Konflikte unter Leitern in der Gemeinde (Hier folgt er Bruce Winter, Cambridge. Siehe Inhaltsverzeichnis sowie die Begründung S.32ff). Die Detailanalyse der einzelnen Textabschnitte erfolgt (wie auch in den anderen HTA-Kommentaren) nach einem gut strukturierten Vier-Schritte-Schema: Fazit und Kontextualisierung unter IV (S.347f) hätten aber durchaus noch etwas konturierter sein können (z.B. im Blick auf vor- und außerehelichen Sexualverkehr). An anderen Stellen ist der Kommentar aber auch in der Anwendung ausführlich genug, um als „praktisch“ bezeichnet zu werden. Hier wäre bspw. die Anwendung von 1Kor 11,2-16 zu nennen (S. 623-625), wo Schnabel aufgrund seiner mustergültigen Untersuchung des historischen Hintergrundes auf das gesellschaftlich angemessene Verhalten von Ehefrauen in der westlichen Kultur verweist: Wenn Ehefrauen im römischen Korinth in der (Gemeinde-)Öffentlichkeit ihre Kopfbedeckungen ablegten, dann war das ein (erotisches) Signal gegenüber der Umwelt, das zugleich den Ehemann gesellschaftlich degradierte. In der westlichen Kultur sind es jedoch andere Gesten und Handlungen, die diese Botschaft ausdrücken... Zusammenfassend kann man sagen: Der vorliegende Kommentar ist ein hervorragendes, überschaubares Werk, das einen erstklassigen Überblick über die aktuelle Forschung gibt, plausible exegetische Entscheidungen trifft und den Weg in die Gemeindepraxis weist. - Eine absolut empfehlenswerte Anschaffung.
I. Textübersetzung;
II. Erörterungen zu Form, Gattung, Hintergrund, Theologie;
III. Versfür-Vers-Exegese;
IV: Einige Gedanken zur Wirkungsgeschichte und zur Anwendungen in der Gegenwart.
Allerdings zeigt der Vergleich dieser vier Kategorien auch, wo das Herz des Autoren schlägt: Die exegetischen Details sind präzise und facettenreich diskutiert, die Anwendung dagegen hätte stellenweise noch etwas umfangreicher sein dürfen. In einem wissenschaftlichen Kommentar erwartet man vielleicht letzteres auch nicht, aber der Anspruch des Kommentars laut Cover-Rückseite ist immerhin: „Die Auslegung behält dabei die Praxis von Verkündigung und Seelsorge im Blick.“ Machen wir das an einem Textbeispiel fest: Ab S.331 analysiert Eckhard Schnabel den Abschnitt über den Verkehr mit Prostituierten (1Kor 6,12-20). Dabei werden die relevanten exegetischen Themen diskutiert und zum Teil auch Sichtweisen dargelegt, die sich vom Mainstream der Forschung abheben: Schnabel tritt z.B. gegen die gängige (und auch vom Rezensenten vertretene) These an, dass der Satz „Alles ist mir erlaubt“ als korinthischer Slogan zur Begründung ihrer sexuellen Freizügigkeit zu verstehen sei (S.332- 333). Die Diskussion solch umstrittener Einzelpassagen führt aber nicht dazu, dass das Ganze der paulinischen Argumentation aus dem Blick gerät: So macht Schnabel auf die wichtige (oft übersehene) inhaltliche Verbindung zwischen 1Kor 6,14 und dem Auferstehungskapitel 1Kor 15 aufmerksam (S.336).
Die Rezension/Kritik stammt von: Markus Schäller
Kategorie: Kommentare, Auslegung, Lexika
Jahr: 2014
ISBN: 3-417-29724-9
Seiten: 1136
€ Preis: 49,90 Euro