Buch-Rezension: Dein Wort ist die Wahrheit - Beiträge zu einer schriftgemässen Theologie

Dein Wort ist die Wahrheit

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Gerhard Maier wird sich über die vorliegende Festschrift zu seinem 60. Geburtstag gefreut haben. Zeigen die Beiträge der verschiedenen Autoren doch sehr deutlich, wie fruchtbar seine Arbeit im Bengel-Haus in Tübingen war. Ein großer Teil der Autoren ist entweder z. Zt. Mitarbeiter dort oder war es in der Vergangenheit. Weiter zeigt sich in fast allen Beiträgen, wie befreiend für die evangelikale theologische Arbeit Gerhard Maiers Buch Das Ende der historisch-kritischen Methode (1974) gewirkt hat und wie aufbauend sein Entwurf Biblische Hermeneutik (1990) war. So beschäftigen sich die meisten der 23 Beiträge des Aufsatzbandes mit der Hermeneutik, d.h. der Lehre vom Verstehen der Heiligen Schrift. Das tun sie in einer großen Breite ausgehend von Grundsatzfragen, über exegetische Entscheidungen bis hin zur evangelistischen Predigt.

ROLF HILLE zeigt in seinem Beitrag "Was ist schriftgemäß?" die Ausrichtung der gesamten Festschrift an: "Mit diesem Aufsatzband wollen wir [...] die Frage nach dem Wesen der Offenbarung und damit auch nach der Wahrheit der Schrift aufnehmen [...]. Uns leitet dabei die Gewißheit, daß die Frage: ´Was ist schriftgemäß?´ nicht nur des Fragens würdig ist, sondern daß sie sich auch theologisch überzeugend beantworten läßt" (17). Hilles anschließende Entfaltung einer Hermeneutik in Thesen, die sich inhaltlich an G. Maier orientieren, kann als Einleitung zum ganzen Band angesehen werden. Das Frage nach Schriftgemäßheit wird in ihrer Bedeutung dargestellt und ansatzweise einer Lösung zugeführt, um dann die Auswirkungen für die Bereiche der Theologie anzudeuten. Hille betont die Notwendigkeit einer Hermeneutik für das Verstehen der Schrift, macht aber ausreichend deutlich, daß eine solche an der Schrift selbst gewonnen werden muß, so daß die Schrift sich auch hier selbst auslegt. Hervorzuheben ist, daß er in der Konsequenz feststellt, daß Gott im Sinne einer Verbalinspiration "auch in der schriftlichen Formulierung der Offenbarungsinhalte, ihrer Sammlung, Überlieferung bis hin zu der Übersetzung aramäischer Texte ins Griechische" gehandelt hat, so daß für den Menschen allein eine Haltung "ehrfürchtiger Demut" für den Umgang mit dem geschriebenen Wort angemessen ist (33-35). GERHARD DIEKMEYER macht in seinem Aufsatz "Staunend Gott in seinem Wort verstehen lernen" von H. Cremers Ansatz her darauf aufmerksam, daß Hermeneutik dem Schriftstudium nicht vorlaufen kann, sondern nur im Hören auf das Wort gewonnen wird. Howard Marshall fragt "Is the doctrine of the claritas scripturae still relevant today?"

Etwas unklar bleibt im Gesamtüberblick, wo das "hermeneutische Problem" gesehen wird, dem man mit der Forderung nach "Schriftgemäßheit" begegnen will. Liegt es in der "Indirektheit der Kommunikation" Gottes, so daß man vom Buchstaben auf den "geronnenen Lebensvorgang" schließen muß (HILLE, 30) oder ist im ganzen klar verständlich, was die biblischen Texte sagen, nur die Übertragung auf uns heutige ist schwierig (MARSHALL, 93) oder trifft eher RAINER RIESNER den Kern, wenn er feststellt, daß selbst "gläubige Exegeten" dazu neigen, "die Aussagen der Schrift dem jeweils herrschenden frommen oder theologischen Gemeingeist zu unterwerfen" (126)? Im besten Fall kommen in der Vielstimmigkeit die Facetten des in der Summe nicht einfach mit Methoden zu lösenden Problems zum Ausdruck. Allerdings spiegelt diese Unklarheit auch die wesentliche Schwierigkeit der ganzen Hermeneutikdiskussion wieder.

Interessant ist der Aufsatzband auch deswegen, weil er Beiträge zu einer Reihe von Fragen enthält, die in dieser Zeitschrift mit z.T. anderen Ergebnissen diskutiert wurden. Mehrere Autoren lassen durchblicken, daß es ihres Erachtens eine Gefahr gibt, auf zwei Seiten vom Pferd zu fallen. Auf der einen stürzt man in den Abgrund der alles in Frage stellenden und zersetzenden Bibelkritik, auf der anderen Seite verfällt man - in der Absicht die Autorität der Bibel zu schützen - in ein Mehr- und Besserwissenwollen als die Schrift selber. Der Heiligen Schrift wollen alle Autoren des Aufsatzbandes mit ihren Beiträgen zu einer schriftgemäßen Theologie treu bleiben. Darum an diesem kritischen Seitenhieb keine Differenz zu bibeltreuer Theologie festgemacht werden. Schriftgemäßheit muß auch bedeuten, daß kontroverse Antworten, die aufgrund des Schriftstudiums gewonnen wurden, nicht in Konkurrenz zum eigentlichen Anliegen Gottes mit der Heiligen Schrift treten. Das geschieht aber auch dann, wenn Ansichten mit der Schrift begründet werden, die sich mit ihr nicht begründen lassen. Gottes Wort würde mißbraucht, wenn es menschlichen Meinungen einen quasi göttlichen Anstrich verleihen soll.

In seinem Beitrag "Wenn sich pneumatische Exegese beim Geist widerspricht" diskutiert RAINER RIESNER das Problem exemplarisch am Streit um das Fortbestehen oder Aufhören der Zungenrede. Insgesamt will er deutlich machen, daß auch jede geistgeleitete Exegese mit philologischer Methode nach dem genauen Sinn des jeweiligen Schriftwortes suchen muß. Er zeigt auf, daß die z.B. von W. Nestvogel vertretene Ansicht vom Ende der Zungenrede mit Abschluß des Kanons sich auf einige Argumente stützen kann, sich aber nicht zwingend aus der Heiligen Schrift ergibt. Auch Exegese von evangelikaler Seite, die sich als vom Geist geleitet ansehe, führe nicht immer zu übereinstimmenden Ergebnissen. Immer wieder brachte ein erkenntnisleitendes subjektives Interesse die Ausleger auf eine falsche Spur, was Riesner auch bei Nestvogel gegeben sieht. "Nicht nur böswillige Kritiker, sondern auch übereifrige Verteidiger" hätten dem Ansehen der Bibel schon geschadet (131). Das von Riesner aufgezeigte Problem ist ernstzunehmen. Ob er es aber angemessen löst? Sein Ergebnis erscheint am Ende leider als Mehrheitsentscheidung (5:1 Exegeten gegen Nestvogel) und weniger als Frucht genauer Exegese.

CLAUS-DIETER STOLL zeigt in seinem Aufsatz "Umstrittene Verfasserschaft am Beispiel des Jesaja-Buches", daß es letztlich die "persönliche Vorentscheidung und Einstellung des jeweiligen Betrachters" (187) ist, die die Argumente aus dem Jesaja-Text entweder für die Autorenschaft des einen Jesaja ben Amoz oder für die Annahme zweier oder noch mehr Jesajas ins Feld führt. Das Jesaja-Buch selbst ließe es "durchaus zu[, daß man] zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann". Um zu diesem Ergebnis zu kommen, hat Stoll fast alle Argumente für und gegen die einheitliche Verfasserschaft aufgelistet und bewertet. Ein wirklich guter Überblick. Es gibt eben etliche Hinweise, die Ausleger zu der in Deutschland gängigen Meinung eines Deutero-, Trito- oder einer Jesaja-Schule geführt haben. Keiner dieser Hinweise kann aber als Beweis gelten. Nur genausowenig beweisen nach Stolls Ansicht die anderen Hinweise eine einheitliche Verfasserschaft. Die argumentative Basis für die Einheit ist jedoch entgegen der Meinung in der derzeitigen alttestamentlichen Wissenschaft ausgesprochen stark. Und der Eindruck, den die ganze Bibel vermittelt, ist sowieso eindeutig. Stolls Folgerung, die Entscheidung über die Einheit in das Belieben des Auslegers zu stellen, befriedigt allerdings dann doch nicht angesichts des von ihm gesammelten Materials. Besonders weil es seine Schlußfolgerung ist. Man bleibt am Ende brennend interessiert, wie mit einer eventuellen Entscheidung für mehrere Jesajas das Jesajabuch schriftgemäß ausgelegt werden kann. Ist dann jede Argumentation aufgrund der einmal getroffenen Entscheidung berechtigt? Soll z.B. eine Predigt über einen Jesajaabschnitt vom historischen Hintergrund einfach absehen?

In dieser Hinsicht ist RALF ALBRECHTs Artikel "Das Ende der neueren Urkundenhypothese - Zur Einheit der Schöpfungsgeschichte der Genesis" vollständig. Auch er sammelt die Argumente, die zu der Rede von den zwei Schöpfungsberichten in 1Mo 1-3 geführt haben, zeigt ihre schwache Basis und gibt eine gute Erklärung für den Aufbau der Schöpfungsgeschichte mit ihren Doppelungen und unterschiedlichen Betonungen. Er ist sich dabei bewußt, daß die "Art der Auslegung [...] Auswirkungen" hat bis in die "systematische Theologie hinein" (146) und somit nicht in das freie Belieben des Auslegers gestellt sein kann.

Eine hilfreiche Einführung in "Die Hermeneutik des Hebräerbriefes" gibt SØREN RUAGAR. Er betont, daß die gerade das Schriftverständnis des Briefes ein Schlüssel zu seinen Schwierigkeiten darstellt. OTTO BETZ beweist in seinem Aufsatz "Die Septuaginta: Das Verhältnis von Übersetzung und Deutung", daß diese alte griechische Übersetzung des Alten Testamentes sowohl im Urteil alter Zeugen als auch nach heutigen Mäßstäben eine gute Leistung darstellt.

Im stärker praktischen Teil der Festschrift finden sich Aufsätze wie der von WOLFGANG BECKER "Die Autorität der Heiligen Schrift in der evangelistischen Verkündigung", der zeigt, daß evangelistische Predigt ohne das Vertrauen in die Wahrheit der Heiligen Schrift unmöglich ist und mit dem Wachsen der Kritik an der Schrift die Evangelisation in der Kirche ihre Berechtigung und Grundlage verliert. ROLF SCHEFFBUCH gibt Einblick in seine kirchenleitende Tätigkeit in der Württemberbigschen Kirche. Dabei diskutiert er "Schriftgemäße Möglichkeiten und Grenzen des kirchlichen Leitungsamtes". So will der Artikel keine steile Lehre entfalten, wie man nun richtig leitet, sondern Verantwortliche in der Kirche ermutigen und überzeugen, ihre Arbeit im Vertrauen auf Christus zu tun. Das kann ihm wohl gelingen.

Was als eine Art Rechtfertigung für die Konzeption des Bengel-Hauses in Tübingen gedacht war, gerät dem dortigen Studienassistenten MARTIN HOLLAND zum Eigentor. Wenn er Antwort geben will auf die Frage "Was nützt dem Gemeindepfarrer eine wissenschaftliche Ausbildung?", dann wird es z.T. kurios. 5 bis 7 Jahre seiner Lebenszeit an einer theologischen Fakultät zu verbringen, um zu lernen, daß "alle(r) Ergebnisse jeder wissenschaftlichen Theologie" realtiv sind, dann vielleicht noch sein eigenes Image aufzupolieren, damit der angehende Pfarrer keine "Minderwertigkeitskomplexe" gegenüber seinen klugen Zeitgenossen bekommt, kann wohl kaum zur Begründung für ein wissenschaftliches Studium dienen. Von der derzeitigen wissenschaftlichen Theologie Erkenntnis der geistigen Strömungen und Anleitung zur Selbstkritik zu lernen, führt Holland dann gleich selbst ad absurdum. Zum praktischen Nutzen vermag er auch so recht nichts zu sagen. So bleibt allein das gründliche Lernen der biblischen Sprachen auf der Positivliste des wissenschaftlichen Universitätsstudiums. Nur springt ihm hier ROLF SCHEFFBUCH mit seinem oben erwähnten Aufsatz in die Seite: "Es gehört zu den Abstrusitäten der heutigen Lage, daß selbst solche Theologen die ´Schrift meistern´ wollen, welche Mühe haben, auch nur einen Satz im griechischem Urtext richtig zu lesen, geschweige denn richtig zu übersetzen" (251). Es wäre ehrlicher gewesen, klar auszusprechen, daß Gemeinde und Pfarrer vom Theologiestudium im gegenwärtigen Zuschnitt herzlich wenig Nutzen haben. Aber das Bengel-Haus betreibt - Gott sei Dank - sowohl Schadensbegrenzung als auch - wie der Aufsatzband beweist - selber hilfreiche wissenschaftliche Theologie.

Damit ist der Reichtum dieses Aufsatzbandes lange noch nicht dargestellt. Auch der an Pietismusgeschichte Interessierte kann auf seine Kosten kommen, z.B. in EBERHARD HAHNs Beitrag "J. Ch. K. von Hofmanns Programm theologischer Erneuerung" oder mit dem Aufsatz "´Schriftgemäßheit´ in der pietistischen Hermeneutik Johann Jacob Rambachs" von HELGE STADELMANN. Man hat also mit diesem Buch eine gute Möglichkeit einen Überblick über einen großen Teil der theologischen Diskussion auf der Grundlage der Treue zur Schrift bekommen. Nur wenige Artikel erfordern grundlegende Kenntnisse in Griechisch und Hebräisch. Zwei Artikel sind in englischer Sprache. So kann der Titel auch für theologisch Interessierte in der Gemeinde eine willkommene Herausforderung sein.

 Die Rezension/Kritik stammt von: Thomas Jeising
 Kategorie: Biblische Lehre

  Verlag: SCM R. Brockhaus
  Jahr: 1997
  ISBN: 3-417-29424-X
  Seiten: 368
 €    Preis: 24,90 Euro

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