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Predigten zu Titus 2,11

"Denn die Gnade Gottes ist erschienen, heilbringend für alle Menschen,"

Autor: Carl Eichhorn (* 11.07.1810; † 08.02.1890) deutscher lutherischer Pastor
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Die erziehende Gnade

"Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen und züchtigt uns, dass wir sollen verleugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste und züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt."

Die heilsame oder rettende Gnade wird auch zu einer erziehenden, die nicht ruht, bis sie uns in den rechten, gottwohlgefälligen Stand gebracht hat. Gerettet sind wir mit einem Male. Der Sünder ist begnadigt in dem Augenblick, da er den Heiland im Glauben ergreift. Gott nimmt die ganze Sündenschuld mit einem Mal weg, an einem einzigen Tag, wie es schon im Propheten Sacharja heißt (Sach. 3, 9). Anders verhält sich's mit der erziehenden Gnade. Ihr Werk geht durchs ganze Leben fort. - "Der Herr wird das gottlose Wesen von Jakob abwenden. Und dies ist mein Testament mit ihnen, wenn ich ihre Sünden werde weggenommen haben" (Röm. 11, 26.27). Das erste ist also die große Gnadentat der Wegnahme der ganzen Sündenschuld. Dann hat Gott es als ein Testament, als eine unverbrüchliche Bestimmung gesetzt, dass er auch alles gottlose Wesen von seinem begnadigten Volk abwendet. Das hat er sich fest vorgesetzt, davon geht er nicht ab. Er ruht nicht, bis er uns so weit gebracht hat, dass wir züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt. Die einzige Bedingung ist die, dass wir uns seiner Gnadenzucht willig und gehorsam unterstellen. Die Gnade deckt das in unserem Herzen noch vorhandene ungöttliche Wesen und die oft noch versteckten weltlichen Lüste auf. Sie straft uns darüber, sie macht uns diese Dinge zur Last. Wir spüren, dass dies zu dem neuen Wesen durchaus nicht passt. Früher waren die Welt und ihre Lust unsere natürliche Heimat und unser Element. Im Stand der Gnade aber empfinden wir sie als etwas, was dem neuen Wesen des Geistes fremd ist. Die Gnade macht, dass wir alles Ungöttliche ablehnen und nichts mehr davon wissen wollen. - Das Ziel der Gnadenerziehung ist, dass wir züchtig leben oder uns in beständiger Zucht halten, so dass der alte Mensch mit seinen Lüsten und Leidenschaften sich nicht mehr durchsetzen kann. Nicht wir beherrschen uns eigentlich, sondern die Gnade wird Herr über uns, wenn wir ihrem Ziehen gehorsam sind. Zweitens bringt uns die Gnade dahin, dass wir gerecht leben im Verhältnis zu unsern Mitmenschen, niemand Unrecht tun weder mit Worten noch mit Werken und jedem das Seine zukommen lassen, auch dem Dürftigen von unserm Überfluss. Denn zur Gerechtigkeit im biblischen Sinn gehört auch die Liebe. Drittens treibt uns die Gnade zum gottseligen Leben. Sie führt uns aus der Zerstreuung des äußeren Lebens in die Stille; sie mahnt uns, durch Gottes Wort und Gebet die Verbindung nach oben zu stärken und zu befestigen und die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn treulich zu pflegen. Denn daraus fließt alles andere. Züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser zuchtlosen, ungerechten, gottlosen Welt, das ist wahrlich etwas Großes. Doch die Gnade bringt's fertig in denen, die sich treu ihrer Zucht unterstellen.


Autor: Samuel Keller (* 15.03.1856; † 14.11.1924) deutscher protestantischer Theologe und Schriftsteller

Zu Weihnachten

"Denn es ist erschienen die allen Menschen heilsame Gnade Gottes."

Allen Menschen heilsam - d.h. ohne diese Gnade wird kein Mensch von seinem natürlichen Schaden geheilt, ohne diese Gnade geht jeder Mensch an sich selbst zugrunde. Man braucht nicht an grobe Laster zu denken - aber es steckt doch in einem jeden von uns schon viel erbliche Belastung von bösen Anlagen. Darum durfte die Gnade nicht verborgen bleiben, sondern musste erscheinen. Sonst ist manches von der Herrlichkeit und Schönheit Gottes verborgen, aber diese eine der Menschheit zugekehrte Seite hätte gar nicht wirken können, wenn sie vor aller Welt verborgen geblieben wäre. Nun ist es zu Weihnachten so deutlich geworden, was Gott vorhat, dass er seine Gnade als ein menschliches Kind unter uns hat geboren werden lassen, dass seine Gnade persönlich in unser Leben hineinkam, damit alle, die daran glauben, persönliche Hilfe erleben sollten. Heilsam, Gnade, erschienen - drei Gedanken zu einer Weihnachtsbetrachtung für dich! Denke jeden in seinen Wirkungen für dich selbst durch und bete darüber, dann wird's eine stille, gesegnete Feststunde für dich werden, und die alte Weihnachtsbescherung wird dir neuen Glanz und neue Freude bringen.

Wir danken dir, lieber Vater im Himmel, dass du dich unseres Elends so tiefgründig erbarmt hast und so viel Heilkraft in deine Gnade gelegt hast, die da Jesus heißt. Lass uns wieder aus seiner Fülle nehmen Gnade um Gnade. Amen.


Autor: Samuel Keller (* 15.03.1856; † 14.11.1924) deutscher protestantischer Theologe und Schriftsteller

"(Die heilsame Gnade Gottes) züchtigt uns ..."

Merkwürdig: Gnade und Züchtigen in einem Atem genannt. Gnade vergibt, Gnade heilt, Gnade richtet auf, Gnade rettet - alles mögliche lässt sich mit ihr vereinen und von ihr aussagen; aber wie sollen wir das verstehen, dass sie züchtigt? Wer so fragt, hat wohl die Gnade noch nie erlebt. Solch eine volle, rettende Gnade, die alle alten Sünden verzeiht, als hätte man sie nie gehabt, noch getan, dass man sich ihr gegenüber vorkommt wie in einer mächtigen Liebeswelle, bringt die Eiskruste des Misstrauens gegen Gott zum Schmelzen und schafft ein neues Leben. Sie zieht uns in einen Liebesumgang mit Gott hinein, wo wir einfach außerstande sind, die alten Schlechtigkeiten gutzuheißen und listig zu verstecken. Sie entwaffnet uns und beschämt uns, sie überbietet alles, was wir uns hatten träumen lassen, und zwingt uns neue Entscheidungen und Entschlüsse ab. Wir können hinter solcher Hingabe Gottes in Christo nicht zurückbleiben. Er vertraut uns und glaubt an unsere Änderung: können wir solch einen großartigen Gott enttäuschen? Wir müssen mit der Erneuerung unseres Lebens Ernst machen, wie Gott Ernst machte mit der Tilgung der alten Schuld. Die Gnade wird unser weiser, starker Erzieher, dem wir gehorchen müssen.

Wir danken dir, Herr Jesus, dass du unsere persönliche Gnade geworden bist, dass du uns von innen heraus erneuerst und zu dir ziehst. Jetzt lass unser Mund und Leben dein Lob verkünden! Du bist es wert. Amen.


Autor: Hermann Friedrich Kohlbrügge (* 15.08.1803; † 05.03.1875) niederländischer reformierter Theologe

Wir sollen die Gnade Gottes recht ins Auge fassen, auf dass wir uns nicht von der Gnade ab auf’s Gebiet der Werke treiben lassen und dann umkommen in unserer Eigengerechtigkeit. Wir sollen es verstehen, glauben und dafürhalten, dass die Gnade Gottes alles schafft und aus ihrer Fülle darreicht, was einem Menschenkinde Not tut, auf dass es rechtschaffen umgehe mit Gott und Menschen und ohne Gleißnerei tue, was ihm obliegt, von ganzem Herzen dem Herrn und nicht dem Fleische.

Auf dass aber keinem von euch eine solche Gnade ein bloßes Spielzeug sei, sondern Wahrheit des Herzens, habt ihr euch selbst die Frage vorzulegen: Glaube ich diese Gnade dergestalt, dass ich in diesem Leben auf Grund derselben die Lehre meines Gottes und Heilandes geziert habe in allen Stücken? Denn ihr sollt euch selbst richten, auf dass ihr nicht dermaleinst mit all eurem Glauben verdammt werdet. Ihr sollt auch nicht denken, was kehre ich mich dran, ob die blinde Welt mir etwas nachsagt. Wer in diesem Stück die Welt als blind schilt, verachtet Gottes Geschöpf. Gott hat seinen geliebten David wohl heimgesucht mit der Bestrafung: Weil du die Feinde des Herrn durch diese Geschichte hast lästern gemacht; und wem das gleichgültig ist, dass durch sein verkehrtes Benehmen Gottes Name gelästert wird, der ist ein Verächter des Namens Gottes, wie süß er auch von der Gnade möge sprechen können. Denn der Apostel Paulus spricht hier von der Gnade, welche es schafft, dass wir die Lehre zieren, darum heißt er sie die heilsame oder errettende.

Auf dem so schmalen Pfade
gelingt uns ja kein Tritt,
es gehe seine Gnade
denn bis zum Ende mit.


Autor: Hermann Friedrich Kohlbrügge (* 15.08.1803; † 05.03.1875) niederländischer reformierter Theologe

Der Apostel schreibt nicht, dass das Gesetz uns züchtigt, sondern dass die Gnade uns züchtigt. Da seht ihr, wie hoch der Apostel die Gnade rühmt, dass sie nicht etwa eine solche Gnade ist, welche uns nur die Sünde vergibt, sondern auch und vielmehr eine solche Gnade, welche uns erzieht. Wie die Könige und Fürsten ihren Kindern eine fürstliche Erziehung zukommen lassen, so ist auch die Gnade des Königs Himmels und der Erde. Er züchtigt, d. i. er erzieht auch seine Menschenkinder, auf dass sie sich fürstlich benehmen, indem er ihnen das Reich gibt. Das fühlt auch ein jeglicher recht gut, der die erschienene Gnade auch nur etwa anerkennt, dass er durch die Gnade gezüchtigt wird, so dass, wie einerseits das Reich der Sünde die Gnade nicht will Gnade bleiben lassen, so auch andrerseits die Gnade das Reich der Sünde nicht will bestehen lassen, und so hat sie auch deren Herrschaft ganz siegreich zunichte gemacht und macht sie zunichte, hat die Werke des Teufels zerstört und zerstört sie. Denn die Gnade lässt dem Menschen keine Ruhe; ist Sünde da, alsbald ist die Gnade auch da und will solche Sünde an ihm nicht leiden oder sehen, sondern er soll von der Sünde gereinigt und von ihr erlöst sein. – Nun erzieht oder züchtigt uns die Gnade so, dass wir die Gottlosigkeit und die weltlichen Begierden drangegeben haben.

Siege bald, siege bald!
Komm, das kalte Reich der Nacht
aller Enden zu zerstören.
Sieh', es sammelt seine Macht;
doch wer kann den Sieg dir wehren?
Denn die Sonne der Gerechtigkeit
führt den Streit, führt den Streit.


Autor: Carl Olof Rosenius (* 03.02.1816; † 24.02.1868) schwedischer Laienprediger und Initiator einer neuevangelischen schwedischen Erweckungsbewegung

"Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen und unterweist uns, ... dass wir warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilandes Jesus Christus."

"Die Wiederkunft des Herrn ist nahe", sagt der Apostel Jakobus. Was kann wohl die Ursache davon sein, dass der Gedanke an die Wiederkunft des Herrn uns so wenig beschäftigt? Was kann die Ursache dafür sein, dass dieser Gedanke, der unter viel geringeren äußeren Umständen bei den ersten Christen doch so lebhaft, so gegenwärtig und allgemein war, bei den Zeichen der Zeit in unseren Tagen uns so fremd, ja, fast ganz aus unseren Herzen verschwunden ist?

Wir leugnen nicht, dass wir ganz allgemein bei der Lehre von der Wiederkunft des Herrn als einem Glaubensartikel bleiben. Daraus folgt aber nicht, dass wir diese Ankunft Christi auch zu unserer Hoffnung haben. Die Frage ist nämlich nicht: "Glaubst du, dass der Herr kommen wird?" sondern: "Lebst du in der Hoffnung, in einer wirklichen Erwartung Seiner Wiederkunft?" Auf diese Frage können nicht viele unter uns mit einem Ja antworten. Wäre es so, dass alle Gläubigen in der Hoffnung und der Erwartung der Wiederkunft des Herrn wandelten, dann würde diese Hoffnung sich auch mehr in unseren Predigten, unseren Gesprächen, unserem ganzen Leben kundtun - dann würden sich nicht allerlei Glaubensbekenntnisse und oft unbiblische Lehren über die Zukunft der Kirche Jesu Christi oder über die Frage nach unseren Entschlafenen unter uns einschleichen können.

Aber kommen wir wieder auf die Frage: Was kann die Ursache davon sein, dass der Gedanke an die Wiederkunft des Herrn uns so fremd, ja, beinahe unwillkommen ist, während er in den Herzen der ersten Christen so lebhaft, lieb und gegenwärtig war? Es ist dies sicherlich kein gutes Zeichen. Jede Hoffnung setzt einen Wunsch voraus, jeder Wunsch aber hat seine Wurzel in dem, was man liebt. Wünschten wir und sehnten wir uns wirklich nach dem Tag der Wiederkunft des Herrn, wo alles Dunkel im Glauben, alle Schwachheit, alle Sünde und alle Untreue gegen unseren Heiland ein Ende haben und wir Ihn ergreifen werden, wie wir von Ihm ergriffen wurden, Ihn sehen, wie Er ist, und Ihm gleich sein werden - wünschten wir diese Seine Offenbarung mehr, dann würden wir auch alle Verheißungen, die es für die selige Hoffnung dieses erwünschten Tages gibt, aufsuchen und mit Freuden umfassen. Wären wir demnach mehr geistlich gesinnt, liebten wir unseren Heiland mehr und strebten wir mehr nach dem, wonach die Liebe immer strebt, nämlich ganz mit Ihm vereinigt zu werden, dann würden wir auch mehr in der Hoffnung leben!

Diejenigen, die das Wort Gottes mit grösserem Ernste zu Herzen nehmen, die mehr in der Übung der Buße zu Gott und des Glaubens an unseren Herrn Jesus Christus stehen, so dass der Geist der Gottesfurcht stündlich über ihr ganzes Wesen wacht, die Sünde also nicht unbestraft bleibt, sondern schmerzlich gefühlt wird - wobei auch die Gnade in Christus umso köstlicher wird, durch die Sünde aber auch vor ihren Blicken verdeckt und verborgen ist - sie haben in der seligen Hoffnung auf die herrliche Wiederkunft unseres Herrn Christus eine liebe Betrachtung, eine lebendige Hoffnung. Sie blicken mit inniger Sehnsucht dem Tage entgegen, an dem der dicke Nebel, der hier ihren Glauben umgab, auf ewig von der Herrlichkeit des Herrn zerteilt sein wird. Sie warten auf den Tag, an dem sie den Freund und Heiland sehen werden, an den sie hier glaubten, mit dem sie redeten und von dem sie, ohne Ihn zu sehen, begleitet wurden, und an dem sie endlich einst auf ewig das geniessen werden, was sie hier vergebens suchten - nämlich eine vollkommene Klarheit, eine volle Gewissheit, eine fühlbare Nähe des Heilandes -, an dem sie außerdem auf ewig von dem bösen Fleisch, das hier immer so viele Sünden, Schwachheiten und Anfechtungen mit sich brachte, und von den feurigen Pfeilen des argen Feindes befreit sein werden.

Wären wir der Welt und diesem Gegenwärtigen mehr abgestorben und hätten wir unser Leben und unsere Freude in Gott allein, sicherlich wäre dies dann eine selige Hoffnung für unser Herz. Wo das Herz aber geteilt, wo es auch von irdischen Dingen eingenommen ist, da kann die Sehnsucht nach dem himmlischen Bräutigam nicht Eingang finden. Und dies Leben kann weder recht heilsam noch gesund sein, da es nicht mit dem Wort der Schrift und dem Sinn der ersten Christen übereinstimmt. "Unser Wandel ist im Himmel", sagt Paulus, "von dannen wir auch warten des Heilandes Jesus Christus, des Herrn, welcher unseren nichtigen Leib verklären wird, dass er ähnlich werde Seinem verklärten Leibe." Und er ermahnt: "Seid ihr nun mit Christus auferstanden, so sucht, was droben ist, da Christus ist, sitzend zu der Rechten Gottes. Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist. Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen, ja, verborgen mit Christus in Gott. Wenn aber Christus, euer Leben, sich offenbaren wird, dann werdet ihr auch offenbar werden mit Ihm in der Herrlichkeit."

O, dass wir die Lehre Christi, wie auch die der Apostel von der Wiederkunft des Herrn und der Hoffnung der Christen mehr zu Herzen nehmen möchten!

Ach, wär' ich doch schon droben, Mein Heiland, wär' ich da, Wo Dich die Scharen loben, Und säng' Halleluja!