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Predigten zu Römer 2,21
Zitate von Adolf Schlatter anzeigen
Als Paulus der römischen Christenheit sagte, warum er nicht mehr Jude sei, schalt er nicht einzelne Vorgänge und besondere Gruppen in der Judenschaft. Er hielt ihr nicht vor, dass sie die Herodier frönten, oder dass sie den Pharisäismus mit seiner frommen Schauspielkunst bewundere, oder dass sie den jüdischen Freisinn bei sich pflege, der das Leben mit all dem füllte, wonach das Fleisch Lust hat, und von Gott nicht viel mehr begehrte, als dass er ihn dabei nicht störe. Er kämpfte nicht gegen einzelne Juden, sondern sagte der Christenheit, warum das Judentum ihr die Hilfe nicht bringe und nicht das Bleibende sei, was Gott uns gibt. Darum deckt er die tiefste Not auf, die immer an der Kirchlichkeit entsteht. Sie breitet eine gemeinsame Überzeugung über alle aus und gestaltet das Verhalten aller durch die geheiligte Sitte. Aber dieser gemeinsame Besitz wird nicht zum Eigentum des Einzelnen. Sie werden nur von außen bewegt, nicht von innen. Die Lehre wird nicht Wille; das Wissen wird nicht Kraft. In der Öffentlichkeit gilt die Lehre und wird vor den anderen vertreten; aber dich selber lehrst du nicht. Fürchtete Paulus die Einrede nicht: in deinen Gemeinden sieht es ebenso aus? Die Kirche zeigt in der Tat dieselben Zustände wie die Judenschaft. Aber Paulus verglich nicht die Juden und die Christen miteinander, nicht die Judenschaft und die christliche Gemeinschaft, nicht den Menschen und den Menschen. Er wusste nichts von besseren Menschen, deren Frömmigkeit mehr wert sei als die der anderen, und war nicht deshalb nicht mehr Jude, weil er ein besserer Mensch etwa als Gamaliel geworden sei. Was vergleicht er? Das Judentum und Christus. Diese Vergleichung ergibt für ihn den Beweis, dass er nicht Jude bleiben kann. Denn Christus bringt etwas Neues zustande, nicht nur den sichtbaren Juden, der es durch seine Erziehung gelernt hat, sein wahres Wesen zu verstecken, sondern den verborgenen Juden, der es nicht durch die Schrift ist, sondern durch den Geist. Indem Paulus den Schaden des Judentums enthüllte, leitete er seine Gemeinden zum Glauben an. Zum selben, heilsamen Zweck wird uns immer aufs neue die religiöse Not der Kirche sichtbar gemacht, alle diese peinlichen Zwiespältigkeiten, der Streit zwischen unserem Bekenntnis und unseren tatsächlichen Zuständen, der Riss zwischen unserem Wort und unserem Verhalten, Gerechtfertigte, die über die Rechtfertigungslehre zanken, an das Kreuz Christi Glaubende, die nicht vergeben können, all die bitteren Widersprüche, die uns schänden. Was soll daraus werden? Daran soll ich glauben lernen und soll ohne Schwanken dabei bleiben: nicht der Mensch, sondern Gott, nicht die Kirche, sondern der Christus, nicht das Fleisch, sondern der Geist sind die rettende Macht.
Aus der Tiefe, Herr, rufen wir zu Dir; noch ist es bei uns Nacht. Wenn wir aber aufsehen zu Dir, so steht Deine Sonne über uns und in ihrem Licht verschwinden Schuld und Ohnmacht und das klagen darf nicht zum Murren werden, sondern erweckt die Danksagung, die Deine Gnade preist. Amen.