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Predigten zu Matthäus 11,3

"und ließ ihm sagen: Bist du der Kommende, oder sollen wir auf einen anderen warten?"

Autor: Adolf Schlatter (* 16.08.1852; † 19.05.1938) schweizer evangelischer Theologe und Professor fürs Neues Testament
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Ich kenne die Frage des Täufers auch und trage sie beständig in mir. Sie kommt mir, wenn ich die Macht spüre, die mein Leib über mich hat; sie kommt mir, wenn ich auf den Lebenslauf manches Christen sehe, der sich zeitlebens mit der Bürde seines Unverstandes schleppt; sie kommt mir bei der Betrachtung der Geschichte unserer Kirche mit allen Dunkelheiten, die auf ihr liegen, und nicht weniger beim Blick auf die gegenwärtige Christenheit und das, was sie zersplittert und entzweit. Ich halte es dabei wie der Täufer, der nicht imstande war, sein Warten einzustellen, auch wenn Jesus gegen seine Erwartung gesagt hätte: Ich bin nicht der Kommende. Auch dann bliebe er der Wartende. Ohne Hoffnung kann er nicht leben. Wäre er nicht ein Wartender, wie könnte er es in seinem Israel aushalten, dass er, als es zur Taufe kam, in seiner Not gründlich kennen lernte? Jesus lässt sich so fragen. Er hat den Täufer nicht gescholten, weil er ihn fragte, sondern hat ihn eben damals den Größten von allen Menschen genannt. Ihn fragte Johannes, bereit, an sein Wort sich zu halten, und damit erwies er ihm Glauben. Das ist für jede Frage das Merkmal, ob sie aus dem Glauben kommt, dass sie bereit ist, die Antwort Jesu zu hören. Sieh, sagte er dem Täufer, was ich mache. Blinde sehen, Lahme gehen. Ich bringe die gnädige Hilfe denen, die sie bedürfen. Den Herodes lasse ich in Ruhe und ziehe ihn nicht herab von seinem Thron. Gamaliel hole ich nicht aus seinem Lehrsaal und Kaiphas nicht aus dem Tempel heraus; sie sollen weiter ihres Amtes warten. Die Welt neu zu machen, dafür ist die Stunde noch nicht da. Da aber, wo aus einem zerbrochenen Leben die Bitte kommt: erbarme dich, da helfe ich. Ist die Antwort Jesu heute undeutlich geworden? Ist nicht das, was er mir gibt, gerade das, was ich brauche? Wo sehe ich den Vater, wenn nicht bei Ihm? Wo lerne ich glauben, wenn nicht bei Ihm? Was macht aus meinem Wirken, mag es noch so sehr mit Sündlichem vermengt sein, einen Gottesdienst, wenn er das nicht kann? Nun aber fasse es: Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert; selig ist der, dem ich nicht zum Anlass werde, dass er fällt.

Wir schreiten, lieber Herr, nicht über die Wellen, ohne zu schwanken. An das Unsichtbare uns zu halten, das bringen wir nicht fertig ohne die Angst, wir verlieren den Grund. Aber Deine Hand erfasst auch die auf den Wellen Schwankenden. Gelobt seist Du. Amen.


Autor: Elias Schrenk (* 19.09.1831; † 21.10.1913) deutscher Theologe und Erweckungsprediger des Pietismus

Bist Du, der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten?

Das ist die Frage Johannis des Täufers, die er aus dem Gefängnis, in das ihn Herodes geworfen hatte, durch seine Jünger an den Heiland stellte. Man kann einen doppelten Grund vermuten, der ihn veranlasste zu dieser Frage: erstens mochte er ahnen, was ihm bevorstand, und deshalb seine Jünger, die bisher Jesu noch nicht nachgefolgt waren, zum Herrn gewiesen haben, wohin sie ja gehörten. Oder aber dürfen wir auch annehmen, dass Johannes in seiner Trübsal persönliche Zweifel bekommen konnte, ob der Herr wirklich der Messias sei, auf den die Väter harrten. Wenn wir an die verkehrten Hoffnungen der Jünger des Herrn denken, so kann es uns nicht befremden, wenn auch Johannes nebenher zu äußerliche Erwartungen vom Heiland hatte, weshalb ihm im Gefängnis die Zeit lang werden konnte, gegenüber der unscheinbaren Arbeit des Herrn. – Geht es ja doch auch vielen in unsern Tagen ähnlich; unsere traurigen Zustände haben es ihnen zweifelhaft gemacht, ob das Christentum wirklich die Religion sei, die den Völkern das Heil bringe. Die Früchte des Christentums sind ihnen nicht materiell und handgreiflich genug. Was ist das beste Gegenmittel gegen Zweifel? Die Erfahrung des Herrn am eigenen Herzen. Der Herr kam nicht, um in dieser Weltzeit die Regierungsformen zu ändern; Er hat sein Werk in Republiken, wie in Monarchien. Er kam auch nicht, um den Leuten große Reichtümer zuzuwenden, weil Er weiß, dass sie ihr Herz daran hängen. Die Gaben, die Er bringt, sind ewige, geistliche Gaben: Gerechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geiste. Wer diese in Buße und Glauben von Ihm empfangen hat, und ein seliger Mensch geworden ist, fragt nicht mehr: bist Du, der da kommen soll? Er weiß, Er ist gekommen in sein Herz; er hat in Ihm Leben und volle Genüge gefunden. Wer den Herrn in dieser Weise erfahren hat, darf dann allerdings weiter erfahren, wie er auch in äußeren Dingen durchhilft und segnet, und wir an ihm einen Helfer und Heiland haben für unser ganzes Leben. Würden die Menschen ganz unter Christo stehen, so ginge es auch im Äußeren viel besser. Die Sünde verbreitet ihren Fluch nach allen Seiten, und nur Christus kann ihn wegnehmen. Siehst du selber in Lebenserfahrung mit Christo da, so kannst du auch andern ihre Zweifel heben. Die einfachste Erzählung von dem, was er an dir getan hat, wirkt mehr, als Gelehrsamkeit und Vernunftbeweise.

Dir sei Lob und Dank gesagt, dass ich auf keinen andern warten darf. Du bist auch in mein Herz gekommen, Herr Jesu! Bei Dir will ich bleiben, und bitte Dich, Du wollest Dich immer mehr in mir verklären durch Deinen Geist. Amen