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Predigten zu Lukas 15,12

"und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Vater, gib mir den Teil des Vermögens, der mir zufällt. Und er teilte ihnen die Habe."

Autor: Carl Eichhorn (* 11.07.1810; † 08.02.1890) deutscher lutherischer Pastor
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Verloren und gerettet (I)

"Gib mir, Vater, das Teil der Güter, das mir gehört!"

Haben wir wohl schon beachtet, wo der Punkt ist, da der verlorene Sohn auf die abschüssige Bahn geriet? Man übersieht ihn leicht. Sein trauriger Niedergang nahm seinen Anfang, als ihm der Gedanke kam, sich selbständig zu machen und sich der Kontrolle des Vaters zu entziehen. Er wollte nicht mehr sich alles vom Vater geben und von ihm seinen Weg sich vorzeichnen lassen. Er löste sich dadurch innerlich vom Vater. In solchem Freiheitsbegehren liegt schon ein verborgener Abfall. Sieh dagegen den Herrn Jesus an! Er konnte und wollte keinen Schritt ohne den Vater tun. Er redete kein Wort, das ihm der Vater nicht schenkte, und tat nichts, was ihm der Vater nicht zeigte (Joh.5, 19.20). Er stand in völliger Abhängigkeit von Gott. Es gehört zum Wesen der Sünde, dass man nicht abhängig von Gott, sondern selber Herr sein will. Man will auf eigene Faust wirtschaften. Die Gaben und Kräfte, die Gott verliehen hat, all die Güter, die wir ihm verdanken, eignet sich der Sünder selbst zu. Es gehört alles ihm, und er will darüber verfügen, anstatt nur Haushalter zu sein unter der steten Aufsicht seines Gottes. Dieser Selbständigkeitstrieb macht sich besonders in der Jugend aufs stärkste geltend. Man verübt nicht sofort offenbare Schlechtigkeiten. Aber man handelt nach dem eigenen Sinn und Willen. Und weil das Menschenherz böse ist, steigen auch finstere Gedanken auf, und böser Rat und Wille kommt zur Ausführung. Es geht stufenweise abwärts. Zuerst keimt das schlimme Begehren im Herzen, dann spricht sich's aus in Worten, dann geht's weiter zur Tat: Der verlorene Sohn sammelte alles und verließ das Vaterhaus, er entzog sich der lästigen Aufsicht. Er gab sich dann einem zügellosen Leben hin, verprasste alles und geriet in Ausschweifungen und Laster. So vergeuden wir die edlen Kräfte des Leibes und der Seele in schnödem Sündendienst. Wie wunderbar ist die Korrektur, die Gott dem verirrten Menschen angedeihen lässt! Der verlorene Sohn wollte nicht abhängig sein vom Vater, der ihn doch liebte und nur sein Bestes im Auge hatte. Nun wurde er abhängig von einem wildfremden, lieblosen Menschen, der ihm nicht einmal die Treber gönnte, welche die Säue assen. "Er hing sich an ihn." Er musste bitten und betteln um die elendeste Unterkunft und niedrigste Arbeit. Zuvor führte er dem verwöhnten Gaumen auserwählte Leckerbissen zu; jetzt war er froh, wenn er sich nur den Bauch füllen konnte mit Speise, vor der ihm sonst geekelt hätte. Vorher konnte er nicht genug der Geselligkeit und Zerstreuung sich hingeben; jetzt war er in tiefe und traurige Einsamkeit versetzt. - Es war dies gerechte Vergeltung und zugleich heilsame Zucht. Sein früheres lockeres Leben hielt er für Glück, und es war doch sein Unglück. Die Lage, in die er nun geriet, hat er zunächst als ein großes Unglück empfunden, und sie war doch die Anbahnung großen Glücks.


Autor: Jakob Kroeker (* 1872; † 12.12.1948) wichtigster Vertreter des freikirchlichen russländischen Protestantismus
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"Der Jüngere sprach zum Vater: ,Gib mir, Vater, den Teil der Güter, der mir gehört!' Und er teilte ihnen ihr Gut."

Gottes Barmherzigkeit wartet auf die Heimkehr des Sohnes, weil der Sohn seinen Vater verloren hat. Ob es der jüngste, ob es der älteste in dem inhaltsvollen Gleichnis Jesu ist, der Vater hat für seinen Umgang den Sohn verloren, weil der Sohn in der Ferne den Vater verloren hat.

Denn der Mensch ist Sohn Gottes. Er war von seiner Schöpfung her immer unendlich mehr, als nur Geschöpf. Er trug von Anfang an das Ebenbild seines Vaters. Als Gott im Uranfang sein ganzes Schöpfungswerk in sechs Tagen vollendet hatte, da stand es vor Ihm als eine Fülle seiner Herrlichkeit. Als Er jedoch in dieser seiner Schöpfung nach einem Bild und Gleichnis suchte, nach welchem Er den Menschen schaffen könne, da fand Er dieses nicht in etwas bisher Geschaffenem. Das Bild und Gleichnis für den Menschen fand Er nur in sich selbst, dem Schaffenden.

So ist seit seinem Ursprung der Mensch ein Ebenbild seines Vaters. Dieses Ebenbild des Schöpfers trägt kein anderes Geschöpf weder im Himmel, noch auf der Erde, noch unter der Erde. Nur der Mensch ist jenes Geschöpf, das der Vater der Barmherzigkeit im Uranfang schuf nach seinem Bilde.

Es kam aber jener Tag, wie Jesus das in dem schlichten Gleichnis vom ältesten und vom jüngsten Sohn dargestellt hat, wo der Sohn unabhängig sein wollte von seinem Vater. Er trat zu ihm und bat um das Erbe, das ihm gehörte. Als nun der Vater ihm sein Erbe übergab, entzog er sich der weiteren Abhängigkeit von seinem Vater. So wurde der jüngste Sohn in dieser seiner Unabhängigkeit von seinem Vater zu einem verlorenen Sohn.

Was aus ihm wurde in dieser Unabhängigkeit, das wissen wir. In der eignen Verwaltung seines Erbes zerrannen sehr bald seine Güter, und er stand in seinem Leben so bettelarm da, dass er hungerte. Alles Empfangene zerrann unter seinen Händen. Er selbst endete in der Knechtschaft eines ihm völlig Fremden. Die Mittel jedoch, die ihm vom Fremden zur Erhaltung seines Lebens wurden, reichten nicht aus, seinen Hunger zu stillen.

Vielleicht bestreiten wir dieses Bild in unserem Leben. Vielleicht bestreiten wir es auch in der Geschichte unseres Volkes und der Völker. Wir versuchen vielleicht, es wegzuleugnen aus dem Weltgeschehen. Wir glauben vielleicht, eine andere Lösung für unser Versagen und unsere Knechtschaft gefunden zu haben. Wir suchen uns vielleicht bewusst über den anstössigen Begriff "Sünde" hinwegzusetzen und streichen das Wort aus der Geschichte unsres Lebens. Wer nicht an den verlorenen Sohn glaubt, der wird eines Tages auf Grund seines persönlichen Falles an den verlorenen Sohn glauben lernen.


Autor: Wilhelm Busch (* 27.03.1897; † 20.06.1966) deutscher evangelischer Pfarrer, Prediger und Schriftsteller
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„Freiheit!" Das ist ein berauschendes Wort. Wohl dem, der die rechte Freiheit kennt! Die rechte Freiheit ist die, die ein Kind Gottes hat.

Aber so kann der Teufel alles durcheinander bringen, dass man das gerade für Knechtschaft hält. Im Vaterhaus ist es dem jüngsten Sohn zu eng geworden. Mit der Parole: „Freiheit!" schlägt er einen Weg ein, der ihn in die schmählichste Abhängigkeit führt. Als elender Schweinehirt beschließt er seine so genannte „Freiheit".

Immer wieder versuchen Menschen diesen Weg. Es ist ihnen zu eng bei Gott. Und sie toben mit den Leuten, die der zweite Psalm nennt: „Lasst uns zerreißen Gottes Bande und von uns werfen seine Seile!" Und so laufen sie einen Weg, der elendeste Knechtschaft ist: Sklaverei unter Menschen und die so genannte „öffentliche Meinung"; Sklaverei unter Triebe und Leidenschaften; Sklaverei unter Welt und Satan; Sklaverei unter tägliche Sorgen. Und sie laufen diesen traurigen Weg mit der herrlichen Parole: „Freiheit!" Ja, die gebundensten Sünder rühmen am lautesten ihre „Freiheit" und spotten damit sich selbst, ohne es zu wissen.

Jesus sagt: „Wen der Sohn frei macht, der ist recht frei!" So ist es in der Tat. Wen Jesus zum Kinde Gottes gemacht hat, der ist in die Freiheit gekommen. Der jüngste Sohn hat das nach traurigen Erfahrungen auch eingesehen; wie froh war er später, als er wieder im Vaterhaus war. Gott schenke uns allen die rechte Freiheit der Kinder Gottes! Amen.


Autor: Wilhelm Busch (* 27.03.1897; † 20.06.1966) deutscher evangelischer Pfarrer, Prediger und Schriftsteller
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„Ohne den Vater!" – So will's der jüngste Sohn einmal versuchen. Ohne den Vater! Ohne sein Gebot! Ohne seine Hilfe! Aber, sieh da, er kann den. Start zu diesem neuen Leben „ohne den Vater" gar nicht beginnen – ohne den Vater. Er empfand es selbst als seltsamen Widerspruch, dass er zum Leben „ohne den Vater“ den Vater nötig hatte. Darum gibt er seiner Forderung die freche Wendung: „Gib mir das Teil der Güter, das mir gehört." Als wenn man einen Mann vor seinem Tode beerben könnte! Die Peinlichkeit und der Widerspruch bleiben. In dieser Lage ist der natürliche Mensch, der sein Leben dem Gehorsam Gottes entzogen hat, der sein Leben ohne den himmlischen Vater führen. will. Er will aus eigener Kraft leben und aus eigener Verantwortung. Er will nur sich selbst Rechenschaft ablegen.

„Ohne den Vater!" Ach, wir können das ja gar nicht ohne den Vater. Er selbst muss uns dazu alles geben aus Seiner Fülle: Leben und Gesundheit, Verstand und Geist, Kraft und tägliches Brot. Es ist eine seltsame Sache, dass der Vater dem Sehne schweigend sein Teil der Güter" gab. Ja, so ist Gott. Gott hindert keinen, in sein Elend und Gericht zu laufen. Es ist die unheimliche Ironie Gottes, dass Er den Menschen erlaubt, ohne Ihn zu leben; dass Er sie dazu sogar mit allem beschenkt. Aber wenn wir nun schon so ganz und gar von Ihm abhängig sind, dann lasst uns doch nicht Toren sein! Dann lasst uns doch gern und fröhlich Kinder Gottes sein! Es gibt ja keinen schöneren und größeren Stand. Amen.


Autor: Adolf Schlatter (* 16.08.1852; † 19.05.1938) schweizer evangelischer Theologe und Professor fürs Neues Testament
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Was ist Sünde? Das, was dieser Sohn hier tat. Mir gehört, was du besitzest, sagt er zum Vater, wenn auch nicht dein ganzer Besitz, so doch der mir gebührende Teil. Ich will ihn haben, selbst über ihn verfügen und ihn brauchen, wie es mir gefällt. Und als er das Gut seines Vaters an sich genommen hatte, ging er weg in ein fernes Land. Am Guten entsteht das Böse, an Gottes Gabe. Wir können nur deshalb sündigen, weil uns Gottes Gnade mit ihren reichen Gaben beschenkt hat. Weil uns Gott durch die Natur begabt, gibt es Versündigungen im natürlichen Bereich unseres Lebens. Weil uns unser Leib mit seinen wunderbaren Kräften gegeben ist, können wir ihn missbrauchen, und es gibt nur deshalb Unzucht, weil unser Leib das Geheimnis der Vater- und Mutterschaft in sich trägt. Weil uns unsere inwendigen Vermögen, unser Denkvermögen und unsere Willenskraft, gegeben sind, sind wir imstande, verwerfliche Gedanken hervorzubringen und Ungerechtes zu begehen. Da uns schon die Natur die Erinnerung an Gott gewährt, können wir närrische Religionen erzeugen oder auch Gottlosigkeit zustandebringen, die Gott missachtet. Wir können auch von denjenigen Gaben, die uns Jesus verleiht, sagen: Gib sie mir, ich brauche sie nach meiner Lust. Weil die Vergebung unserer Sünden uns geschenkt ist, können wir uns die Busse ersparen und mit uns zufrieden sein. Weil uns Gottes Gesetz gezeigt ist, können wir es dazu missbrauchen, um die anderen zu richten. Weil uns Gottes Geist bewegt, können wir uns zu stolzer Hoffart aufrichten, die nichts anderes als unsere Meinungen und Wünsche gelten lässt. Darum gewinnen wir die Erkenntnis der Sünde nicht dadurch, dass wir unser Elend betrachten. Damit suchen wir die Sünde nicht da, wo sie ist. Denn aus der missbrauchten und vergeudeten Gabe entsteht die Schuld.

Du stellst, Herr, unser Sündigen in Dein Licht, weil Du gnädig bist. Dass wir es erkennen, ist der Anfang unseres Heils, und dass wir von ihm frei werden, ist Dein seliges Werk. Du hast mich mit Deiner ganzen Christenheit reich gemacht durch die Güter Deines Hauses. Nun gib mir auch, dass das, was Dein ist, Dir diene, nicht mir, und Deinen Namen preise, nicht den meinen. Amen.