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Predigten zu Johannes 10,12

"Der Mietling aber und der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht eigen sind, sieht den Wolf kommen und verläßt die Schafe und flieht; und der Wolf raubt sie und zerstreut [die Schafe."

Autor: Carl Olof Rosenius (* 03.02.1816; † 24.02.1868) schwedischer Laienprediger und Initiator einer neuevangelischen schwedischen Erweckungsbewegung

"Ich bin der gute Hirte."

Diese Worte sind so bekannt und oft gehört! Wer würde sie jetzt wohl wieder betrachten wollen? Mancher könnte dabei sogar einschlafen. Und trotzdem ist es gerade dieses Thema, das vor jedem anderen ein eiskaltes Herz brennend und den Toten lebendig machen kann, wenn es dem Geist Gottes gelingt, dies Herz zu öffnen. O, halte darum noch einmal still und bedenke, was der Herr Christus hier sagt: "Ich lasse Mein Leben für die Schafe." Vielleicht bist du friedlos, freudlos, kalt und unglücklich; hier kannst du erfahren, wie du ein warmes, glückliches und friedevolles Herz erhalten kannst. Und wie geschieht dies? Ja, wenn du nur einen festen Blick auf das Angesicht deines Heilands richten kannst, während Er spricht: "Ich bin der gute Hirte - Ich lasse Mein Leben für die Schafe", und wenn du dieses nur in dein Herz hineinbekommst, dann wird es wahrlich anfangen, warm zu werden und unaussprechlichen Frieden und wahre Freude empfinden. Bitte Gott um die Barmherzigkeit, dass Er dir einen stillen, betrachtenden Geist und geöffnete Sinne gebe, wenn du den Herrn diese Worte reden hörst. Bedenke, wer es ist, der hier redet! Es ist derselbe, den du im Gebet anrufst, es ist dein Heiland. Blicke auf Ihn und höre Ihn sagen: "Ich bin der gute Hirte, - Ich lasse mein Leben für die Schafe."

Merkst du nicht eine tiefe und herzliche Zärtlichkeit bei Ihm, wenn er so redet? Oder meinst du dennoch, dass Er wirklich so kalt und gleichgültig gegen dich sein könnte, wie es dein ungläubiges und kaltes Herz wähnt? Nimm dann diese Worte mit dir ins Gebet. Und wenn du die drückendste und verzehrendste Besorgnis auf deinem Herzen hast und sie deinem Heiland klagen willst, aber keine Liebe von Ihm zu empfinden wähnst, suche dann Sein Bild zu fassen und in Sein Antlitz zu sehen, wenn Er spricht: "Ich bin der gute Hirte - Ich lasse mein Leben für die Schafe."

Denn sieh! Es sind doch Seine Worte, die du betrachtet hast. Schaue Ihn sodann in dem eigentlichen Werk an, das hier erwähnt wird, - in Seinem willigen Leiden und in Seinem bitteren Tod, - und lass dann die Worte: "Ich lasse Mein Leben für die Schafe" beständig vor dir stehen und deiner Seele alles das erklären, was du siehst. Sieh, wie Er freiwillig der Macht der Finsternis entgegenschreitet, die Ihn in Gethsemane aufsucht. Höre, wie Er spricht: "Sucht ihr Mich, so lasst diese gehen." - "Ich lasse Mein Leben für die Schafe." Sieh, wie Er still "wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird", auf den Richtplatz hinausgeht und dort Seine Hände und Füße durchbohren und sich an das Holz des Kreuzes hängen lässt. Und wenn du Ihn im Ernste des Todes siehst, höre dann Seine ewig gültigen Worte: "Ich lasse Mein Leben für die Schafe."

Wagst du nun trotzdem, Seine Liebe und Zärtlichkeit in Zweifel zu ziehen? Wagst du trotzdem, lieber deinem finsteren, lügenhaften Herzen und dem Teufel zu glauben, welche sprechen: "Er ist gleichgültig gegen dich, Er kehrt sich nicht an deine Not, Er erwartet, dass du selbst dein Übel überwinden sollst. Er erwartet, dass das Schaf sich selbst gegen den Wolf verteidigen soll" usw.? Erbebe vor solchen Einflüsterungen der Finsternis und lass deinen Heiland einmal das sein, was Er wirklich ist, - die ewige und unbegreifliche Zärtlichkeit, die nicht einmal dulden konnte, dass das Volk in der Wüste hungerte oder dass ein Mann eine verdorrte Hand hatte. Wieviel weniger kann Er dann dulden, dass deine Seele in Not und Gefahr ist, ohne dass Er etwas dagegen tun sollte, da Er doch zur Errettung der Seelen in die Welt gekommen ist!

Ich sehe, wie die ganze Person Christi und Sein Auftrag für die Welt nur ein einziger großer Beweis einer unbegreiflichen Liebe und Zärtlichkeit gegen das Menschengeschlecht sind. Er selbst will, dass wir es so betrachten sollen, indem Er spricht: "Niemand hat grössere Liebe denn die, dass er sein Leben für seine Freunde lässt." Nun habe ich wahrlich Grund zu dem Schluss, dass alles, was ich selbst erfahre, sehe, fühle und meine, unmöglich ebenso gewiss ist wie das, was Christus mit der Hingabe Seines Lebens beweist. Mag er mich nachher prüfen so sonderbar und beunruhigend, wie Er kann, mag Er mich dem Teufel und allem Bösen überlassen, solange es Ihm gefällt, - ich ahne doch, dass sich bei Ihm noch ein Herz verbirgt, das aus inniger Liebe blutet, und dass Er - da ich noch in der Gnadenzeit bin und mich selbst richte, aber auch zu Seiner Barmherzigkeit fliehe - mich unmöglich im Ernst verlassen wird. Nein, so wahr dieser treue Herr nicht lügen kann, ist in Seinem Herzen schon Freude über ein wiedergefundenes Schaf. Kurz, durch diesen Beweis der Liebe Christi, nämlich durch die Hingabe Seiner ganzen Person und Seines Lebens, musst du zu einem solchen Glauben kommen, dass Er hinfort mit dir handeln kann, wie Er will, und du so jenen großen Beweis mehr gelten lässt. - In dieser Weise müssen wir uns das zunutze machen, was Er hier sagt: "Der gute Hirte lässt Sein Leben für die Schafe", indem wir nämlich, was auch immer unser Herz bedrückt, bedroht, einschüchtert und plagt, doch ein inniges Vertrauen zu Seiner Liebe und Hirtentreue haben und zu Ihm hinfliehen, der allen Dingen so herzlich gern abhelfen will und es so leicht kann.

In meiner kurzen Wandrungsfrist, Was ängst' ich mich und klage? Er, der der gute Hirte ist, Trägt mich in jeder Lage. Er, der uns liebet fort und fort, Mit Seinem Geist und Seinem Wort, Ist bei uns alle Tage.


Autor: Adolf Schlatter (* 16.08.1852; † 19.05.1938) schweizer evangelischer Theologe und Professor fürs Neues Testament
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Während der, der im Taglohn eine Herde hütet, vor dem Wolf flieht, flieht der Hirte nicht, sondern er kämpft. Damit sagt mir Jesus, warum ihn jenes weichliche Ideal von Sanftmut und Friedfertigkeit nicht gelockt hat, das wir so oft mit seinem Namen schmücken. Wie oft haben wir unsere Maler aus Jesus eine kraftlose Figur gemacht, die nur empfinden, leiden und seufzen kann, ganz und gar ein Mietling, der, wenn der Wolf in der Nähe ist, fortspringen muss, weil ihn der Wolf fräße. In Wahrheit ging Jesus, ohne zu schwanken, dem Wolf entgegen und hat ihn dadurch erlegt, dass er sein leben für seine Schafe ließ. Das sieghafte Wort, mit dem er hier erläutert hat, warum er das Kreuz erfasst, steht völlig im Einklang mit den zahlreichen Worten, mit denen jesus das Schwert des Geistes gewaltig handhabt, herrlich in seinem richtenden Zorn, wahrlich der zum Kampf Bereite, der den Wolf nicht machen lässt, was er mag, sondern seine Herde schützt und ihrem Feind den tödlichen Streich versetzt. Sie rieten ihm alle: Flieh! Er aber sagt ihnen, warum er dem Rat ihrer kranken, eigensüchtigen liebe nicht gehorcht. Die Schafe sind sein eigen. Aus seinem königlichen Recht entsteht sein Griff nach dem kreuz, nicht aus seiner Schwachheit die sich nicht zu schützen weiß. Die Liebe, mit der er sein Eigentum an sich zieht und sich mit den Seinen eint, macht ihn streitbar und aus seiner Gnade strömt sein zürnender Eifer hervor, mit dem er mit Wort und Tat die Werke des Teufels zerstört. Er hieß den Verkläger den Menschenmörder von Anfang an. Denn er ist der Feind des Lichts, das er verdrängt, indem er den Menschen lügen lehrt, und der Feind des Lebens, das er dem Menschen raubt, indem er ihn schuldig macht. Darum vernichtet Jesus mit seinem Kreuz die Lüge und begräbt mit seinem Tod die Schuld. Nun ist der Wolf verjagt. Die Festigkeit seiner Liebe beruht darauf, dass sie völlig eins mit seinem Gehorsam gegen den Vater ist. Er hat ja die Schafe nicht mit eigener Kunst und Macht für sich erworben, sondern sie sind deshalb sein, weil sie Gottes Eigentum sind, und sein königliches Recht ist nicht die Einbildung seines Eigenwillens, sondern gehört ihm deshalb unverlierbar, weil er der Sohn des Vaters ist. Dass er seine Herde nicht verlässt und dass er den Vater nicht verlässt, das ist ein und derselbe Wille, eine und dieselbe Tat. Er verschloss sich für das Teuflische dadurch, dass er sich Gott ergab, und hat den Satan dadurch geschlagen, dass er Gott gehorcht.

Du stellst, Herr Christus, Deinen Gehorsam ohne Flecken und Lücken zwischen uns und unseren Verkläger und bist dadurch unser Schutz, in dem wir ewiglich geborgen sind. Weil Du Deine Gnade durch Dein vergossenes Blut vollendet hast, gibt es für uns keine Verdammung. Darum preisen wir Deinen zerbrochenen Leib als unsere Speise und dein ausgeschüttetes Blut als unseren Trank und folgen Dir, dem Hirten, der für seine Schafe sein Leben ließ, dem Lamm, das für uns geschlachtet ward. Amen.