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Predigten zu Apostelgeschichte 22,1
Zitate von Alfred Christlieb anzeigen
Drei naheliegende Fehler, die Paulus in der Rede nach seiner Gefangennehmung vermied.
1. Paulus klagt nicht über die ihm widerfahrene Ungerechtigkeit.
Nachdem Paulus von dem Hauptmann die Genehmigung zu einer Ansprache an das Volk erhalten hatte, hielt er eine längere Rede (Vers 1 - 21). In dieser ist nicht nur das, was er sagte, für uns lehrreich, sondern auch das, was er nicht sagte. Zuerst hätte Paulus mit vollem menschlichen Recht über die geradezu empörende Behandlung, die ihm widerfahren war, Klage führen und den Zuhörern darüber Vorwurfe machen können. Wie ungerecht und roh war er überfallen, verleumdet und geschlagen worden!
Bis dahin hatte Paulus noch gar nicht zu Worte kommen und auf alles antworten können. Nun er aber jetzt das Wort ergreifen konnte, hätte mancher es nach allen Vorkommnissen für selbstverständlich gehalten, dass er nun alle Verleumdungen mit Entrüstung zurückgewiesen hätte und zum Gegenangriff in Vorhaltungen über ihr Benehmen übergegangen wäre. Nichts davon hat Paulus getan. Kein Wort der Klage und Beschwerde ist in seiner ganzen Rede zu finden. Kein Ton des Zornes oder des Unwillens klingt irgendwo durch.
Lasst uns hier vom Paulus lernen! Er war ein rechter Schüler des Meisters, "der ein solches Widersprechen von den Sündern wider sich erduldet hat" (Hebräer 12, 3). Er folgt dem, "welcher nicht wiederschalt, da er gescholten ward, nicht drohte, da er litt" (1. Petrus 2, 23). Wohl allen, die ihm darin nachfolgen! (Römer 12, 19).
2. Paulus triumphierte nicht über das Misslingen des Planes seiner Feinde.
Die Juden aus Asien und die durch sie erregte Menge hatten die Absicht gehabt, Paulus zu töten (Kap. 21, 31). Dieser Plan war durch das Dazwischentreten des römischen Wachkommandos vereitelt worden. Paulus war ihrer Macht entrissen und unter militärische Deckung gestellt worden. Wie sehr sich die Feinde über das Misslingen ihres Planes ärgerten, beweist ihr ohnmächtiges Wutgeschrei bei seiner Fortschaffung (Vers 36).
Nun hätte Paulus aus seiner gesicherten Lage heraus irgendwelche Schadenfreude über dieses Misslingen ihres Planes zeigen können, wenn auch in feinerer Form. Unserer natürlichen menschlichen Art hätte dieses recht naheliegen können. Aber dadurch wären die jüdischen Gegner noch mehr gereizt, verbittert und in masslose Wut versetzt worden. Paulus vermied diesen Fehler. Er kränkte niemand durch einen spöttischen Hinweis auf das abermalige Entrinnen aus ihrer Macht.
Auch darin wollen wir in seine Fußstapfen zu treten suchen. Wenn Gott einen Plan unserer Feinde gegen uns zuschanden macht, so haben wir nie die Aufgabe, diese unsere Gegner noch mehr zu erregen durch Bespötteln ihrer misslungenen Absicht (Epheser 5, 15; Kolosser 4, 5).
3. Paulus flehte nicht ängstlich um Rücksichtnahme auf seine Person und um Befreiung.
Paulus war der Freiheit beraubt worden. Was seiner in der Gefangenschaft wartete, wusste er nicht. Jedenfalls hätte er mit großer Sorge in die Zukunft schauen und um sein Leben und seine Freiheit besorgt sein können. Unter diesen Verhältnissen lag es wohl recht nahe, die zahlreichen Zuhörer um Mithilfe anzuflehen, dass er bald wieder in Freiheit gesetzt und vor jeder Verurteilung bewahrt würde.
Auch dies geschah nicht. Paulus zitterte nicht für sein Leben. Er wusste sich nicht von der Stellungnahme seiner Zuhörer, sondern von seinem Gott abhängig. Das verleiht seinen Worten eine getroste Festigkeit, die allein geeignet war, auf diese Hörer Eindruck zu machen. Auch wir wollen Gnade suchen, dass wir in Stunden großer Gefahr nicht in eine Ängstlichkeit und Furcht hineingeraten, die der Gotteskinder unwürdig ist. Wer sich in Gottes Hand weiss, redet getrost, auch wenn drohende und wutschnaubende Feinde ihn umgeben (Psalm 118, 11 - 13; Nehemia 6, 9 11).