Wo weilest du so lange    

1) Wo weilest du so lange,
du heller Morgenstrahl?
Es harrt die Welt so bange
in Finsternis und Qual.
Aus ihren schweren Träumen
hebt sie das Haupt empor:
ist's Nacht noch wie zuvor?
Wirst du noch länger säumen?
Soll noch nicht Zeit und Stunde
des lieben Tages sein?
Sie ruft mit bangem Munde:
o komm, o tritt herein!

2) Was zögerst du, zu kommen,
du Helfer in der Not?
Es liegt das Volk beklommen,
geängstet bis zum Tod.
Es trägt ja Knechtesbande
des Wahns, der Schuld bis nun,
muss Knechtesarbeit tun.
Sein Lohn ist Schmach und Schande.
O säume nicht, zu retten,
du Held bist stark und groß,
o komm und mach von Ketten
die armen Dulder los.

3) O wirst du bald erscheinen,
du einzig treuer Freund?
Vor heißem Schmerze weinen
die Schar'n der der armen Deinen.
Wen sollen sonst sie haben,
der sie so innig liebt,
sich selber ihnen gibt,
und alle Himmelsgaben?
Wer kann die Sehnsucht stillen,
die jede Brust durchquillt?
Wer sie mit Lust erfüllen,
als du, so lind und mild?

4) O, weile nicht so ferne,
o zögre nicht so sehr,
lass deines Himmels Sterne,
komm zu uns Armen her.
Komm auf die dunkle Erde,
ach, sie bedarf ja dein.
Komm, dass der Angst und Pein
ein fröhlich' Ende werde,
komm, weil dein Auge blicket
auf alles Leid so mild,
weil es dein Herz erquicket,
wenn du auch das gestillt.

5) Herr, droben in den Höhen,
in Himmels-Herrlichkeit,
hörst du die Deinen Flehen,
die ganze Christenheit?
Es flehn in allen Zungen,
die dich noch nie gekannt,
so hat der Sehnsucht Brand
ihr tiefstes Herz durchdrungen:
der Erdkreis in die Runde,
in Inseln all' dazu,
sie flehn mit einem Munde:
Herr, wann erscheinest du?

Text:
Melodie: Unbekannt