Wer Gottes Minne will erjagen    

1) Wer Gottes Minne will erjagen.
Der muss ein jagendes Herze tragen.
Das nicht verzagen
könne auf der jagenden Weide.
Er muss auch Heldeskräfte ha'n.
Will er die reine Minne sahn.
Und feste stahn;
ringen, Streiten, die beide,
die muss er haben Nacht und Tag
nach der geweihten Minne,
sie keiner schlafend fangen mag.
Man muss sie zwingen in den Hag
kräftig strack?
Mit reinem, stetem Sinne.

2) Die Gottesminne ist hochgemut,
dabei demütig und gut.
Wer nicht so tut,
wie er soll, gegen die Minne,
dem wird sie nimmer rechte kund,
noch minniglicher Wunden wund
zu keiner Stund'
wird er in seinem Sinne.
Sie ist also seliglich gemut.
Dass sie will offenbare
sein in dem Herzen das höchste Gut
und das allerliebste Herzensblut.
Wer das nicht tut.
Dem bleibt sie fremd, die Klare.

3) Die Gottes Minne fremde sind,
die sind mit lichten Augen blind,
dieselben Kind',
die heißen Kind' der Erde.
Die aber Gottes Minne hant,
die Kind' sind Gottes Kind' genannt
Über alle Land',
mit minniglichem Werte.
Ihre edle Frucht hat milden Regen
und Himmelstaues Süße,
ob ihnen schwebt der Gottessegen,
der ihrer kann zu allen Zeiten pflegen.
Wie er uns aufregen
zu hohen Freuden müsse.

4) Wen Gottes Minne nie bezwang,
nie der in hohen Freuden rang.
Noch gut' Gedank
ihm je gewürzet inne.
Wer Gottes Minne nie empfand,
der ist wie ein Schatten an einer Wand,
dem unerkannt
ist Leben, Wissen und Sinne.
Wem Gottes Minne nie besaß
den Sinn noch das Gemüte,
der ist der Gnaden ein leeres Fass,
blind ist seines Herzens Spiegelglas,
sein Leib ist lass
gegen alles Heiles Blüte.

5) Dass ich nun von der Minne sage,
und ihrer doch so wenig trage,
das ist eine Klage,
und auch eine Noch viel große.
Versuchte sie mir meinen Mut,
wie sie den reinen Herzen tut.
Die wohl behut
sind und ganz tadellose:
so möchte ich desto besser sagen
von der geweihten Minne.
Nun muss ich an der Rede verzagen.
Denn ich ihrer leider hab' getragen
bei meinen Tagen
so wenig in meinem Sinne.

6) Und hülfe mir nun sehnendes Klagen:
ich klagete, dass man's möchte sagen.
Dass ich der Tagen
so wenig hatte der Minne,
mit der ich sollte geworben han
die Liebe, die nimmer kann zergahn.
Mich trog der Wahn,
der mannichem nimmt die Sinne.
Ich wähnte, und wollte wissen nicht.
Ich bin der Wähner einer,
der innen ist blind und außen sicht,
wie allen Toren das geschicht.
die haben Trost nicht,
und Herzensfreude kleiner.

7) Getreuer Gott, nun erbarme dich
in deiner Gnaden über mich!
Der Gnaden ich
bedarf von ganzem Herzen.
Denn meiner Sünden der ist meh',
als Wogen sind in einem See,
des' ist mir weh,
und dulde manniche Schmerzen.
Ich hab' dich wenig meine Tage
geminnet mit frommem Willen,
das ich dir, Herr, auch klage;
ich war gegen deiner Liebe ein Zage,(e)
davon ich trage
ein wundes Herz im Stillen.

8) Wo tugendreiche Herzen sein.
Denen diese Klage werde schein.
Die sollen mein
um Gott zu Gotte gedenken,
und zu der süßen Sohne sein,
dass sie dem dürren Herzen mein
den labenden Wein
der wahren Reue schenken.
Das bitt' ich durch das heilige Blut,
das er vergoss uns Armen.
Seid mir zu seiner Minne gut.
Die dürres Herz' aufblühen tut.
Dass mir der Mut
in Reue müsse erwarmen!

Text:
Melodie: Unbekannt