Wenn mein Widersacher mich    

1) Wenn mein Widersacher mich,
Gott, du Menschenfreund, betrübet
und mein Herz ihn dennoch liebet:
o, dann ehr und lieb ich dich!
Du gabst selber mir den Willen,
gabst den Vorsatz mir dazu!
Stärk auch mich, ihn zu erfüllen
und mein Muster, Gott, sei du!

2) O wie schwach ist die Natur:
hasst, und glaubt doch nicht zu hassen.
Scheint voll Sanftmut, scheint gelassen.
Denkt's zu sein und scheint's doch nur!
Heimlich wünscht sie sich zu rächen,
gibt dem Hass des Feindes Raum
und gewaltsam auszubrechen
wehrt sie ihrem Zorne kaum.

3) Jedem Argwohn steht das Herz
gegen seinen Hasser offen,
ungern will's das Beste hoffen,
lieber wählt sich's Furcht und Schmerz.
Selbst Verleumdern glaubt's mit Freuden
wenn der falschen Zungen Gift
nur den Stifter seiner Leiden,
seinen Widersacher trifft.

4) Fällt der Feind auf seiner Bahn
jauchzt die schadenfrohe Seele.
Sieht mit Freuden seine Fehle,
selbst gar seine Sünden an.
Sucht sie möglichst zu vergrößern,
wünscht, er sündige noch viel.
Denkt nicht daran, ihn zu bessern,
klagt nicht, dass so tief er fiel!

5) Gott, so schwach ist Fleisch und Blut!
Ungelehrig, die zu lieben,
die uns hassen und betrüben,
nährt es heimlich Zorn und Wut.
Und du willst, dass unsre Triebe
ganz von Menschenfeindschaft rein,
ganz dir und der wahren Liebe,
auch des Feindes, heilig sein!

6) Herr, dein Werk vollend' in mir!
Wollen gabst du, gib Vollbringen!
Lass mir doch den Sieg gelingen!
Mache selbst mich ähnlich dir!
Lehr das Unrecht mich ertragen,
wie mein Heiland es ertrug!
Dir mein Leiden kindlich klagen
und verzeih'n: das sei mit g'nug!

Klage über die mangelnde Feindesliebe

Text:
Melodie: Unbekannt