Wenn die Sonne in des Stromes Fluten    

1) Wenn die Sonne in des Stromes Fluten
blässer spiegelt ihres Spätrots Gluten
und der Abendstern dem Meer entsteigt.
Wenn das Dunkel Berg und Tal umschleiert,
wenn die müde Schöpfung Sabbat feiert,
und der Abendhauch die Halme beugt.

2) Wenn der fernen Berge Gipfel grauen,
sanfte Labungen den Fluren tauen
und der Erdball neue Kraft erwirbt.
Wenn Erfrischung in des Abends Kühle
niedersinkt, und jegliches Gewühle
in des Schlummers heil'ger Wiege stirbt.

3) Wenn verstummt die Sänger ruhn auf Zweigen,
Flur und Wald und Tal und Hügel schweigen,
die Natur im Blütendufte schwimmt,
wenn vertraulich aus dem Ring der Sterne
Hoffnung flimmert in der lauen Ferne
und im Moos des Glühwurms Funke glimmt.

4) O, dann weih' ich der verschwiegnen Stille
meines Busens tiefe Sehnsuchtsfülle,
die mir ahnend höh'res Licht verheißt.
Und es steigt auf der Entzückung Flügel
von des Glaubens heil'gem Sonnenhügel
dankend auf zur bessern Welt mein Geist.

5) Aus der Sinnenwelt in mich geflüchtet
hat die Nacht oft meinen Geist gelichtet,
oft den Streit in Frieden eingewiegt,
oft das Herz geheilt vom falschen Wahne
und den Harm zerstörter Erdenplane
mit des Himmels Flammenschwert besiegt.

6) Mag mich denn des Lebens Nacht umgrauen,
mögen Tränen meine Saat betauen:
reifen Garben nur auf meiner Flur!
Dann beglückt am Abend meiner Tage,
bei der Totenglocke dumpfem Schlage,
einst auch mich ein Sabbath der Natur!

7) Drum gesegnet sei mir, Abendglocke,
wenn mich einst in silbergrauer Locke
Todeshauch zum Hügel niederbeugt!
Mag mich doch des Grabes Nacht umschleiern:
ruhig will ich meinen Sabbat feiern,
bis der gold'ne Morgen niedersteigt.

Text:
Melodie: Unbekannt