1) Und wenn sich einst die Seele schließt,
wie diese Abendblume,
wenn alles um sie Dämmrung ist
von Lebensglück und Ruhme.
Und ihre Freuden rings umher
ihr kalte Schatten scheinen:
o Seele, wirst du auch so schwer,
wie diese Blume, weinen?
2) Beweinen deiner Jugend Saft,
in öde Lust verhaucht,
verwelkte Blüte, Lebenskraft
in Tagesglut verrauchet?
Und wenn die letzten Blick' umher
mit Reue dich entfärben:
was bleibt dir dann, Verlassne, mehr
als, Blumen gleich, zu sterben?
3) Macht seine große Allmacht je
geschehnes ungeschehen?
Und stillt sie auch das innre Weh,
sich selbst beschämt zu sehen?
Und wächst nicht jeder Menschentat
der Keim so tief verborgen?
Wer schafft mir neuen Blumenpfad
und neuen Jugendmorgen?
4) Ein holder Schlaf, schafft beides! Du
erneust der Jugend Morgen,
erneust, im Frühlingshain voll Ruh',
die Lethe aller Sorgen!
Bist Todesbruder! O, wie schön
mein Sein und Nichtsein grenzen!
Wie Tau wird meine Abendträn'
am bessern Morgen glänzen.
5) Und nach dem Tod? Es wird uns sein,
als nach des Rausches Schlummer:
verrauscht, verschlummert Lebens-Pein,
und Schmerz, und Reu und Kummer.
O Tod, o Schlaf, der dich erfand,
erfand der Menschheit Segen:
breit aus auf mich dein grau' Gewand,
zur Ruhe mich zu legen.
6) Denn, was war unsre Lebenszeit,
auch unsre Zeit der Freuden?
Ein Wirbel voll Mühseligkeit,
ein Tagwerk süßer Leiden,
ein ew'ger Taumel! Holder Schlaf,
zu neuem Freudenmale
reich mir für alles, was mich trag,
heut' auch die Labeschale!
Lethe ist einer der Flüsse in der Unterwelt der griechischen Mythologie, aus dem die Toten trinken sollten, um die Erinnerungen an das Leben (beim Eintritt) bzw. um die Erinnerungen an das Totenreich (bei der Rückkehr ins Leben) zu vergessen.