Treuster Hirte deiner Schafe    

1) Treuster Hirte deiner Schafe,
suchst du noch ein Schäfelein,
welches aus gerechter Strafe
sollte gar verstoßen sein,
weil es selbst von deiner Schar
freventlich gelaufen war?

2) Ja, dein Herze will dir brechen,
wenn du Thomas hier erkiest.
denn du willst das Rohr nicht schwächen,
das vorhin zerstoßen ist.
Du gehst ihm wohl selber nach,
ob er dir gleich widersprach.

3) Die verlockten Tauben wissen,
wo man Felsenlöcher findt,
und ein einzig' Friedensgrüßen
Thomas dir aufs neu verbindt.
Der zuvor so gröblich fällt,
wird gar bald ein Glaubensheld.

4) Große Liebe! Groß' Erbarmen!
Ach, erwerbe die auch mir.
Denn es flößet auch mir Armen
manche Glaubensschwachheit für.
Ach, wie oft verlauf ich mich,
und alsdann versäum ich dich.

5) Suche mich, mein Hirte, wieder,
bringe mich auf rechten Steg.
Fall ich schon aus Schwachheit nieder,
wirf mich nur nicht gänzlich weg,
weil mein Docht noch etwas glimmt,
dass es nicht zum Löschen kömmt.

6) Mittler, tritt du in die Mitten,
komm durch die verschlossne Tür
in mein Angstgemach geschritten
und sprich: Friede sei mit dir!
Weise nur die offne Seit',
meine Hände sind bereit.

7) O, ihr teuren Nägelmale,
offne Seite, Taubenloch!
küss ich euch schon tausend Male:
tu ich viel zu wenig doch.
Rosengarten, Felsenritz,
meiner Seelen Freudensitz.

8) Ach, ich kann nichts mehr als Lallen,
die Entzückung ist zu groß.
Nur zwei Worte lass ich schallen,
dies ist mein gedoppelt' Los:
ach, mein Herr, mein Gott allein!
Du, mein Gott, mein Herr, bist mein.

9) Lass, mein Herr, den Knecht nicht sinken,
lass, mein Haupt, dein Gliedmaß nicht.
Ach, wie selig wirds mich dünken,
wenn dein Mund nur so viel spricht:
reiche Hand und Finger her!
Ja, ich zweifle gar nicht mehr.

10) Nun ich glaube und vertraue,
ob ich gleich mit Thomas nicht
dich mit Leibes-Augen schaue,
denn der Glaube gibt mir Licht.
Selig sind auch andre noch,
die nicht sehn, und glauben doch.

Text:
Melodie: Komm, o komm, du Geist des Lebens