Schau an, im Westen wird es helle    

1) Schau an, im Westen wird es helle,
und um den Abend wird es licht,
wo noch des Spätrots Feuerwelle
den düstern Wolkendamm durchbricht.
Die Sonne grüßet mild im Neigen,
als wäre sie des Zornes müd',
ein Vögelein aus nassen Zweigen
singt noch sein selig' Abendlied.

2) Welch sanfte Glut ist ausgegossen
auf Stadt und Flur, auf Tal und Höhn!
Die Welt, von Rosenglanz umflossen,
sie strahlt nach Regen doppelt schön,
und tröstlich mit Posaunentönen
erklingt vom Turme der Choral,
in Harmonien zu versöhnen
des Tages Lärm, der Erde Qual.

3) O trüber Tag, im Sturm gekommen,
der mir kein Sonnenblickchen bot,
und endlich Abschied noch genommen
mit einem süßen Abendrot.
Du zeigst mir meines Gottes Walten,
der, ob sein Antlitz sich verhüllt,
doch nicht auf ewig Zorn zu halten,
nicht stets zu strafen ist gewillt.

4) Wie oft, wenn mir ein grauer Morgen,
voll Wolken ob dem Haupte hing,
dass ich beklemmt von bangen Sorgen
dem trüben Tag entgegenging,
wie oft zerrannen alle Nöte,
eh' noch herniedersank die Nacht,
dann jauchzt' ich in die Abendröte:
der Herr hat alles wohlgemacht!

5) Wie ging ich oft auf rauem Pfade
mit düsterem, gebundnem Sinn,
ohn' einen Sonnenblick der Gnade,
durch meines Tages Arbeit hin.
Doch noch in stillen Abendstunden
hat sich zu seligem Genuss
mein Heiland bei mir eingefunden,
wie weiland dort in Emmaus!

6) Schau hin, im Westen wird es helle
und um den Abend wird es licht! -
so neig an meines Grabes Schwelle
mir einst, o Sonne, dein Gesicht.
Wenn durchgekämpft des Lebens Mühen,
wenn durchgeseufzt der Erde Not,
Gott meiner Tage, lass erblühen
mir noch ein selig' Abendrot.

7) Im milden Spätrot deiner Gnade
zeig mir verklärt zum letzten Mal
all meiner Erdenwallfahrt Pfade
zurück bis in der Kindheit Tal,
dass, wenn mein Tag sich nun geneiget
und niedersinkt die letzte Nacht,
lobpreisend dir mein Geist bezeuget:
der Herr hat alles wohlgemacht!

8) Und wie die Wolken dort verschwinden
in roter, warmer Abendglut,
so tilge meiner Jugend Sünden
in deines Sohn Versöhnungsblut,
dass losgesprochen und begnadet
mein Geist sich leicht von hinnen hebt
und froh, in goldnem Licht gebadet,
der Sonnenwelt entgegenschwebt!

Text:
Melodie: Wie groß ist des Allmächtgen Güte