Ob mir als Mensch der irdschen Klänge Fülle    

1) Ob mir als Mensch der ird'schen Klänge Fülle
sich sanft ergießet in des Wohllauts Bahn;
ob ich der Engel Sphärenchor enthülle,
blitzschnell zerstörend Vorurteil und Wahn –
durchglüht nicht heil'ge Liebe mir die Seele,
ist es ein tönend' Erz, das voll erschallt,
ein müßig' Klingeln einer Schellenkehle,
das machtlos in des Windes Hauch verhallt.

2) Und ist Weissagung auch mir zugefallen,
erforscht Geheimnistiefen klar mein Geist:
es gleicht dies alles eines Kindes Lallen –
besitz' Erkenntnis ich, die jeder preist,
und hab' ich selbst den unbesiegten Glauben,
der Berge hebt und in die Ferne trägt;
vermag ihm nichts den frommen Mut zu rauben:
was ist ein Herz, das nicht in Liebe schlägt?! –

3) Und teil' all' meine Habe ich den Armen
auch selbstentsagend reich und reicher aus,
durchweht nicht meine Seele mild' Erbarmen,
es bleibet schaurig öde doch mein Haus.
Und ob für meinen Nächsten Flammenbrände
verschlingen meinen Leib im Opfertod:
doch ohne Liebe lässet dieses Ende
mich nimmer handeln nach des Herrn Gebot.

4) Die Liebe, o wie schauet in dem andern
sie nicht die Mängel, nur des Guten Spur!
Nicht sinket Hoffnung bei dem irr'gen Wandern
ihr trüb und flüchtig, nein sie liebet nur. –
gebrechen wird sie herzlos nicht verhöhnen,
sich nicht ergötzen an des Nächsten Qual;
nicht ihn erniedern, um sich selbst zu krönen,
nicht kalt ihm bohren in die Brust den Stahl.

5) Sich selbst vergessend lenket sie ihr Sinnen,
ihr Denken all' auf jenes hohe Ziel,
die eig'nen Freuden lassen zu verrinnen,
um ander'n Raum zu geben für ihr Spiel.
Ob tief gekränkt, lässt sie sich nicht erbittern,
nicht bietet heiße Rache ihr Genuss;
um and're mag voll Mitgefühl sie zittern,
doch unaufhaltsam eilt dahin ihr Fluss.

6) Gerechtigkeit wird selbst dem Feind sie zollen,
als unantastbar steht ihr Wahrheit da;
dem Munde, der sie schmäht, wird sie nicht grollen,
ob's Herz auch blutet – Lieb' verzeihet ja.
Sie duldet, hofft, dass Gutes überwinde,
sie hört nicht auf, ihr Schein erlöschet nicht;
ob auch der Himmel Strahlenglanz erblinde –
wie einst entleuchtet noch ihr sanftes Licht.

7) Und alles Wissen, dessen sich die Weisen
vermessen rühmen und mit eitlem Stolz,
die Weisheit, drauf sie kühn die Welt umkreisen,
ihr Geist, vor dem die Dunkelheit zerschmolz:
nur stümperhaftes Stückwerk ist dies alles –
erst wenn des Himmels Licht verklärt wir schaun,
wenn Irdisches verklungen leisen Halles,
dann wird, Vollkommenheit, dein Tag ergraun!

8) Als Kind war es des Kindes holde Sprache,
die unschuldsvoll dem reinen Mund entquoll;
noch ahnt' ich nicht des Lebens schwere Plage
und heiter, ungetrübt die Stimm' erscholl.
Zum Manne doch gereift, warf solch' Gebaren
ich ab wie ein veraltet' Festgewand;
voll Feuer reiht' ich ein mich jenen Scharen,
zu denen hin mein freudig' Sehnen stand.

9) So bleibt der Glaube fest, als sich're Leuchte
erstrahlend auf der dunkeln Wogen Flut,
wo Hoffnung treu die Rettungshand uns reichte,
belebend neu den tief gesunk'nen Mut;
die Liebe bleibt, die hehre Gottgesandte,
sie will das arme Leben huldvoll weihn:
und segenspendend fließt durch alle Lande
die Höchste sie, die Größte von den Drein.

Text:
Melodie: Unbekannt