O du, den meine Seele liebt    

1) O du, den meine Seele liebt,
ach Herr! ich bin so tief betrübt
und weiß mich nicht zu fassen –
ich hatte dich und hielt dich schon,
und nun bist du mir ganz entflohn,
hast mich allein gelassen!
Hast meinen Blicken dich verborgen,
verhüllst vor mir dein Angesicht:
ach Herr! ich rufe jeden Morgen
und schweige bis zum Abend nicht

2) Sag' an, wo bin ich hin versetzt?
Wo irrt dein armes Schäflein jetzt?
Ich muss hier ganz verkommen!
Sag' an, o Herr! wo weidest du?
Wo hat mein Hirte seine Ruh'
zur Mittagszeit genommen?
Ja Mittag ist's und schwül und dürre,
ich treffe nirgends Schatten an –
wo ruhst du Herr, dass aus der Irre
ich fröhlich zu dir eilen kann?

3) Das Herz ist mir so liebeleer,
mir ist so bang, mich dürstet sehr
und meine Kräfte schwinden.
Nach Stärkung schrei ich fort und fort.
Ich suche Trost in deinem Wort
und kann nur Zweifel finden.
Ja selbst die Stimme deiner Hirten,
sie labt mich nicht, ob sie erklingt:
sag', was den Fuß mir, den verirrten,
zurück auf deine Weide bringt?

4) Ich tue alles, was ich weiß.
Ich tret' in meiner Brüder Kreis,
an ihnen mich zu stärken.
Doch muss ich ganz verlassen stehn
und kann von deines Geistes Wehn
nicht eine Spur mehr merken.
Sonst konnt' ich freudig mit lobsingen,
jetzt lässt mich der Gesang so kalt.
Mein Beten kann empor nicht dringen,
wenn ihr Gebet zum Himmel schallt.

5) O, warum bist du mir so fern!
Ich bin, als hätt' ich keinen Herrn,
gehörte nicht zur Herde!
Die Brüder werden irr' an mir
und zweifeln, ob ich auch zu dir
mich wieder finden werde.
Als hätte ich dich ganz verloren,
so ist mir selber immerdar.
Ach Herr, hab' ich dich denn verloren?
Und hast du mich vergessen gar!

Text:
Melodie: Unbekannt
Bibelstelle: Hohelied 1,7