Liebster, willst du meiner warten?    

1) Liebster, willst du meiner warten?
Bis die Sonne bricht herfür
und mich führen in den Garten,
durch der Andacht schönste Tür,
hübscher Blumen Lieblichkeit
in der süßen Frühlingszeit
mit Verwundern zu besehen,
ei, so komm und lass uns gehen!

2) Jesu, soll ich deinen Augen
einmal recht gefällig sein,
soll mein Schmuck nur etwas taugen,
soll ich prangen hell und rein
dir zur Ehr', und mir zum Ruhm?
Ei, so musst du manche Blum'
an den klaren Tugendbächen
mich zu zieren freudig brechen.

3) Ja, du führst mich bei den Händen
zu dem bunten Blumenheer,
ach, wohin soll ich mich wenden?
Finden, was ich längst begehr?
Haben dort nicht ihre Stell'
edle Rosen, die so hell
und gar rot von Farben blühen,
dass sie Purpur vorzuziehen.

4) Aber das so scharfe Stechen
ihrer Zweiglein tut mir weh!
Herr, du wollst es ja nicht rächen,
wenn ich etwa, leider, geh
in der schnöden Wollustbahn,
als ich manchen Tag getan,
so dass ich in Schand und Nöten
wie die Rosen muss erröten.

5) Lieblich sind zwar diese Rosen,
dauern doch nur kurze Zeit,
sollt ich selber mich liebkosen?
Als ein Kind der Eitelkeit
rein, die Wollust fliegt dahin,
auch des Lebens Räuberin,
unser Zeit muss schnell vergehen,
wie die Rosen nicht bestehen.

6) Liebster, führe mich nur weiter
auf das klare Lilienfeld!
Brich mir eine, mein Begleiter!
Bin ich dir doch zugesellt.
Ach, dass solch' ein' edle Blum'
ich in deinem Heiligtum
möcht' in rechter Unschuld heißen
und von wahrer Tugend gleißen.

7) Aller Menschen Schmuck und Prangen
ist doch lauter Trügerei,
auch kein Kaiser kann erlangen,
dass er gleich den Lilien sei,
will ich helle Kleider sehn,
darf ich nur zu Gärten gehn
wo die Blumen auch erzählen,
dass den Frommen nichts kann fehlen.

8) Ei, wie blühen die Narzissen
und Violen mancher Art!
Gleichwohl lässt mein Freund mich wissen,
dass die Zeit sie nimmer spart.
Was ist unser Leben doch?
Wenn man ist bemühet noch.
Viel zu lernen, viel zu schaffen,
pflegt der Tod uns hinzuraffen.

9) Meine Zeit ist fast vergangen,
führe mich, mein Jesu, hin,
wo sich stillet mein Verlangen
und ich selbst dein Blümlein bin
in dem schönsten Paradeis,
wo man nichts zu sagen weiß
als von Jauchzen triumphieren
und als König zu regieren.

Text:
Melodie: Unbekannt