1) Lass dich, Überwinder, von mir überwinden
und die Seele Ruh und Trost in deinem Schoße finden.
Sage mir, mein Freund, den meine Seele liebt:
wo weidest du? Ich bin ohn' dich betrübt.
2) Weide auch mich Armen mit bei deinen Herden,
lass mich auch aus deinem Brünnelein getränket werden.
Ich mag nicht die Nahrung, die die Erde mir reicht,
Freud', Ehre, Lust und was dem Zeuge gleicht.
3) Wirst du mir noch länger deine Kost entreißen,
werd' an diese Heerling ich aus großem Hunger beißen.
Aber, Hirte, kannst du wohl dein Schäflein hier
ganz ungelabt entfernet sein von dir?
4) Hirte, ich beschwöre dich bei deiner Treue,
dass du schaffest, dass ich mich in deiner Liebe freue.
Siehe, was für Reizung meine Seele plagt,
und was für Pfeil' mich hin und her gejagt.
5) Nun ich bin vom Suchen müde, Jesu, höre!
Zu mir deine Helferarme und Gesicht hinkehre.
Hörst du mich nicht, so schrei ich: Hilf mir, Davids Sohn,
wirf deinen Strahl auf mich von deinem Thron.
6) Nur geduldig, Jesu, dein Verlangen merket,
weißt du nicht, wie er von diesem deinen Geist gestärket.
Seufze ferner: wenn er schweiget, zürnt er nicht,
bitt' ihn und wart, bis er den Segen spricht.
Heerling = Weintraube, die zu spät blühte und nicht zur Frucht gedieh