1) Kein Vogel schneller fliegen mag
als unsre Zeiten, Jahr und Tag
in diesem Jammerleben.
Wir fliegen gleichsam fort und fort,
bis dass wir kommen an den Ort,
da Ruh' uns wird gegeben.
2) Ein Tag geht nach dem andern hin,
wohl aber, der sein Herz und Sinn
zum letzten Tage lenket
und täglich seiner Missetat,
dadurch er Gott erzürnet hat,
in wahrer Reu' gedenket.
3) Es fällt ein Mensch gar oftermal,
er sündigt täglich ohne Zahl
mit Worten und Gedanken.
Doch muss er gleichwohl nicht von Gott,
dass er nicht werde gar zu Spott,
aus Zweifel abewanken.
4) Er muss die Sünd' und Missetat
des Morgens früh, des Abends spat
von Herzen Gott abbitten
und treten vor sein Angesicht,
darauf in rechter Zuversicht
sein Herz vor Ihm ausschütten.
5) Weil denn nun dieser helle Tag,
den niemand widerrufen mag,
auch jetzt von uns gegangen,
im Gegenteil die finstre Nacht
bei uns bricht ein mit ganzer Macht
und gleichsam uns umfangen:
6) So will ich Dir von Herzensgrund,
mein Gott, in dieser Abendstund'
ein Abend-Opfer bringen.
Das soll mit Christi Tod und Pein
besprenget und gefärbet sein
und aufwärts zu Dir dringen.
7) Ach, schau die Opfer gnädig an,
wie Du an Abel hast getan,
und lass es auch darneben
dir sein ein lieblicher Geruch,
dass ich von des Gesetzes Fluch
befreiet möge leben.
8) Ich steck in großer Seelennot,
weil ich heut, leider! Dein Gebot
gar öfters überschritten.
Doch schone meiner, meiner schon'
und lasse Dich in Deinem Sohn,
o großer Gott, erbitten!
9) Ich rufe zu Dir ängstiglich:
mein Gott und Herr, erbarme Dich
jetzt über mich in Gnaden!
Verbleibe mir doch immer hold,
ja, nimm von mir der Sünden Schuld,
damit ich bin beladen.
10) Es ist mir gar von Herzen leid,
dass ich hier meine Lebenszeit
auch bis auf diesen Abend
so sündlich, leider! zugebracht
und Deinem Wort nicht nachgetracht,
stets meine Seele labend.
11) Ich will doch aber gleichwohl nicht
in meinen Sünden, o mein Licht!
Mit Kain so gar verzagen:
ich weiß und glaube festiglich,
dass Du wirst als ein Vater mich,
dein Kind, nicht von Dir jagen.
12) Ich werde nicht verlassen sein,
obgleich die Sonn' mit ihrem Schein
von mir anjetzt verblichen,
denn Du, o meine Gnadensonn',
als meines Herzens höchste Wonn',
bist von mir nicht gewichen.
13) Du wirst vor allen Dingen heint
mich vor dem ärgsten Seelenfeind,
den Teufel, wohl bewahren
durch Deine heil'ge Engelein,
auf dass kein Leid, noch Seelenpein
mir könne widerfahren.
14) Drum leg ich mich getrost zur Ruh'
und schlaf in Deinem Namen zu:
du wirst, ob mir wohl wachen
und mich, so bald des Tages Licht
nach Deiner großen Güt' anbricht,
erwecken trotz dem Drachen.
15) Lass aber meine Seelelein
frisch, munter und auch wachsam sein,
auf dass sie nicht in Sünden
einschlafen möge diese Nacht,
ja, lass dem Teufel keine Macht
an mir doch nimmer finden.
16) Gib, dass ich mich mög' allezeit
erinnern meiner Sterblichkeit
und alle Tag' ausziehen
das alte grobe Sündenkleid.
Lass mich zu der Gerechtigkeit,
die vor Dir gültig, fliehen,
17) Damit, wenn ich nun sterben soll,
ich könne selig, sanft und wohl
den letzten Tag beschließen
und kommen zu der Ewigkeit,
die mir erworben in der Zeit
durch Christi Blutvergießen.
18) Gott Vater, komm, komm, Jesu Christ,
so bald es Dir gefällig ist,
reiß ab den Lebensfaden.
Komm, werter Geist, und nimm mich auf,
wenn ich vollendet meinen Lauf:
mir kann der Tod nicht schaden.