Heb deine Augen auf und schau ins Land    

1) Heb deine Augen auf und schau ins Land –
du meintest es im Todesschlaf befangen,
o siehe hin! der Winter ist vergangen,
es sprosst und keimt, was vormals dürre stand.
Denn wie der Lenz, der Auferstehungsmorgen,
dir selbst erschien, so schaust du nun die Welt
in meinem Licht; der Nebelschleier fällt,
der noch bisher mein Walten dir verborgen.

2) O siehe hin! das ganze Land ist mein!
Ich hab es mir mit Schweiß und Blut erstritten.
Meinst du, dass ich umsonst den Tod erlitten,
es dürfe jemals eines andern sein?
Das Land ist mein! Ich breite meine Hände,
so Tag wie Nacht darüber schützend hin
und ein von meinem Geist erleucht'ter Sinn
sieht, wie der Segen träuft, ohn' Maß und Ende.

3) Befruchtend, wie des Lenzes warmer Hauch
der öden Flur den kalten Schoß durchdringet
und mit dem starren Wintertode ringet,
durchwallt mein Odem diese Lande auch,
und wie im Hain, bevor sie wiederkehren
die tausendstimm'gen Sänger allzugleich,
so lässt verheißend auch in meinem Reich
die Turteltaube ihre Stimme hören.

4) Du kennst ihn auch, der süßen Stimme Klang!
Der Angst, dem Zweifel lagest du zum Raube,
da war's der Geist zuerst, die Himmelstaube,
die tröstend über dir die Flügel schwang,
so schwebt sie ewig über unserm Lande,
sie trägt den Ölzweig und das Palmenblatt.
Wo in der Flut ein Herz gerungen hat,
da bringt sie Botschaft von dem Friedensstrande.

5) O Zeit der Hoffnung, wenn ihr Ruf erklingt!
Da steigt der Saft, da regt sich's in den Zweigen.
Die Erde kreist, dem vollen Schoß entsteigen
die ersten Kinder, die dem Lenz sie bringt.
Süßduftend in des Haines tiefster Stille,
hebt schüchtern sich manch' zarter Kelch empor.
Am Zweige bricht das erste Blatt hervor
und sprengt in junger Kraft die Knospenhülle.

6) Schau' aus, schau' aus, der Frühling zieht herein!
Die Rebe schwillt, es schwillt am Baum die Feige,
ein süßer Duft, ein Duft der jungen Zweige
erfüllt das Land – und dieses Land ist mein!
Steh' auf, steh' auf! was säumst du aufzustehen?
Du bist die Braut und liegst in träger Ruh?
Was mein ist dein! Steh' auf und tritt herzu,
komm unser Land und Erbe zu besehen.

Text:
Melodie: Unbekannt
Bibelstelle: Hohelied 2,11-13