Ein stiller Abend breitet seine Flügel    

1) Ein stiller Abend breitet seine Flügel
erquickend über weite Fluren aus.
Und fern am Horizont verbirgt ein Hügel
der Sonne Eintritt in ihr nächtlich' Haus.
Wird mir's so voll stiller Wonne
auch an jenem Abend sein,
wenn sich meine Lebenssonne
in die Fluten tauchet ein?

2) Und wie ein Spiegel liegt in klarer Stille
der weite See vor meinem trunknen Blick.
Er wirft in üppig rosenfarbner Fülle
das Bild des Abendrotes treu zurück.
Wird einst meine Sonne trübe
und verlieret ihren Schein,
wird das Meer von Gottes Liebe
mir dann auch so stille sein?

3) Und hoch vom heitern Himmel schaut hernieder
der volle Mond in diese klare Flut.
Und liebend gibt die Flut sein Bildnis wieder,
es schaut heraus so voll, so rein, so gut.
Wird der klare Schein von oben
mir einst fallen in den Schoß,
wenn die Seele wird gehoben
aus des Lebens Fesseln los?

4) Und hin und wieder fahren Fischerkähne,
sie gleiten lautlos auf der Fläche hin.
Und nur der Ruder regelmäß'ge Töne
bekunden, dass ein Leben noch darin.
Wird mein Kahn so ruhig gleiten
bei der letzten Wiederkehr,
wenn der Fährmann mich wird leiten
über's dunkle Todesmeer?

5) Und in den nahen dichtbelaubten Büschen
ertönt der Nachtigall melodisch' Lied,
des ernsten Horchers Seele zu erfrischen,
wenn der Gedanke sie nach oben zieht.
Ob mir's in der letzten Stunde
auch wohl so melodisch klingt,
wenn der Tod mit kaltem Munde
mir das ernste Grablied singt?

Text:
Melodie: Unbekannt