Du sahst mit trunknen Blicken    

1) Du sahst mit trunknen Blicken
das Walten meiner Hand.
Das Wehen meines Odem's,
du hast es nun erkannt –
wohlauf denn, meine Taube,
wohlauf denn, ungesäumt:
der Tag hat sich gerötet,
du hast genug geträumt.

2) Lass deine Stimme hören,
brich aus in Wort und Tat!
Lass jedermann erkennen
die Fülle meiner Gnad'.
Du, die ich hoch geschmücket,
da ich dich eingeführt:
zeig nun, wie du gestaltet,
zeig nun, wie du geziert.

3) Lass jetzt das weiche Sinnen,
gib, da ich bei dir bin,
dem ersten Rausch der Liebe
dich träge nicht mehr hin.
Geh' aus, dem Tag entgegen!
Verlass das enge Haus,
lass deine Stimme hören,
in Wort und Tat brich aus!

4) O, wolle nicht erbangen,
dass dich der Feind gewahrt –
wohl bist du eine Taube
und schwach nach Taubenart.
Doch bist du meine Taube
und ich dein Schirm und Hort.
Fleug aus in meinem Namen,
du kommst gewiss zum Port.

5) Ich habe dich erwählet.
Ich schließ', ein Fels, dich ein,
und jedes Feindes Waffe
prallt ab von dem Gestein.
Es soll dich niemand reißen
aus meiner starken Hand,
lass deine Stimme schallen
weit über dieses Land.

6) Und wo ein müder Pilger
nicht findet Ruh' noch Rast.
Und wo ein Herz erbebet
nur seiner Sünden Last.
Und wo ein Auge tränet
in Furcht und bittrer Reu':
da lock' in meine Netze
solch edles Wild herbei.

7) Denn deine Stimm' ist süße
und lieblich die Gestalt.
Dass noch manch' Herz dem meinen
in Lieb' entgegenwallt,
dass noch manch' Herz dem Staube,
der Knechtschaft sich entrafft:
durchfleugst du frei die Lande
in meines Geistes Kraft.

8) Wohlauf denn, meine Taube,
wohlauf denn, unverweilt.
Du Weib, mit dem der König
sein Gut und Blut geteilt!
Ich hob' dich aus dem Staube
zur Herrlichkeit empor:
wohlauf, du Auserwählte,
wohlauf und brich hervor!

Text:
Melodie: Unbekannt
Bibelstelle: Hohelied 2,14