Du gabst mir, Vater, dieses Leben    

1) Du gabst mir, Vater, dieses Leben
nicht für den Augenblick der Zeit.
Nein, was du mir davon gegeben,
gabst du mir für die Ewigkeit.
Hier ist allein der Prüfungsort.
Bestrafung und Belohnung dort.

2) Du schenktest mir Verstand und Willen,
die Wahrheit zu erkennen, Licht.
Kraft, deine Vorschrift zu erfüllen
und eine Richtschnur meiner Pflicht,
der Tugend inneres Gefühl
und Freiheit, wie ich wählen will.

3) Du schmücktest durch dein mächtig: 'Werde!'
mit Reiz und Pracht mein irdisch' Haus,
und gossest über diese Erde
die Wunder aller Schönheit aus
und schufst mir feine Sinnen an,
dass ich sie auch empfinden kann.

4) Und dennoch lässest du mich wissen,
dass dies mein irdisch' Haus zerbricht.
Ich soll zwar diese Welt genießen,
doch, als genöss' ich ihrer nicht.
Ich soll der Sinne Lüste fliehn,
wenn sie mich zu der Erde ziehn.

5) Der Freude soll ich oft nicht achten,
die mein Herz für so schmeichelnd hält.
Nach Wollust, Ehr' und Gold nicht trachten,
das meinem Wahn so wohl gefällt.
Was Fleisch und Blut oft wehe tut,
das soll ich wählen, als ein Gut.

6) Die Prüfung, Gott, war nicht vergebens,
du wollest sehn, ob ich dir treu,
in der Gemeinschaft jenes Lebens
mit dir zu wohnen, würdig sei.
Ob ich, vom Tand des Eitlen leer,
einst höh'rer Freuden fähig wär.

7) Denn du willst eine neue Erde
und einen neuen Himmel baun.
Und, dass ich hier geheiligt werde,
soll ich auf's Unsichtbare schaun,
dem Reiz der Lüste widerstehn
und stets auf deinen Wegen gehn.

8) Wohl mir, wenn ich es mutig wage,
der großen Hoffnung wert zu sein
und diese kurzen Prüfungstage
Gott und der Tugend bloß zu weihn.
Wenn nie mein Fuß den Pfad verliert,
der mich zum bessern Leben führt.

9) Wohl mir, wenn ich den Hang zur Sünde,
die Lust des Fleisches und der Welt,
und jede Lockung überwinde,
die noch mein Herz gefesselt hält,
und (o, welch' glänzender Gewinn!),
hier Sieger, dort gekrönet bin!

10) O Gott, gib deines Geistes Stärke,
der du in Schwachen mächtig bist,
dem, der zu diesem großen Werke
zu klein, zu schwach, zu sinnlich ist.
Lehr' mich das Irdische verschmähn
und stets nach meinem Ziele sehn.

11) Lass mich oft in gesunden Tagen
mein Grab mir in Gedanken baun,
und bei des Lebens Freud' und Plagen
auf dich und auf das Künft'ge schaun.
Damit ich, meiner Pflicht getreu,
des höhern Lebens fähig sei.

Text:
Melodie: Wer nur den lieben Gott lässt walten