Auf, Seele, die du lastbar Jahre lang    

1) Auf, Seele, die du lastbar Jahre lang
in Gräbern wohnst und Erden wühlst,
und, unterdrückt von diesem Erbenhange,
Bestimmungen vergisst, nicht deine Würde fühlst.

2) O zittre, die gewisse ernste Stunde
schlägt dir, die die Zerstreuung hemmt.
Ein Tag heischt Wucher vom vertrauten Pfunde,
wach, und erwarte ihn, dass er nicht plötzlich kommt.

3) Zwar ist dein Leben nicht zum Tier versunken,
im Strom der Laster hingerauscht;
doch bist du besser, wenn du sorgetrunken
den Würger eilen heißt, der deinen Tritt belauscht?

4) Gott gab dir darum nicht dies Maß von Kräften
zur höhern Kenntnis, um allein
verhärtet unter tierischen Geschäften
zur Fühlung deines Grams und mehr als Tier zu sein.

5) Hat er dich nur für eine Welt voll Leiden,
zum Erdenwurm für diesen Kot gemacht?
Nein, Gottes Hauch in mir ist höhern Freuden
bestimmt, zum ew'gen Glück vom Schöpfer angefacht.

6) So wirf sie einmal ab, des Christen Schande,
die Fesseln, die zur Erde ziehn.
Erkenne deinen Wert, die Sklavenbande
wirft der befreite Christ den Erdesklaven hin.

7) Unsterbliche! hast du sonst keine Pflichten
als nur für die Vergänglichkeit?
Verlohrne Müh', unseliges Verrichten,
die nur dies Leben lohnt, und nicht die Ewigkeit.

8) Und was wird in der schauervollen Stunde
des Todes einst dein Wucher sein,
von dem vergrabnen, ungenützter Pfunde?
Sieh, Gottes Schrecken stürzt dein Werk, den Sandbau, ein.

9) Fühl ihn, und rechne die versäumten Tage,
dein unnütz' Leben, Gott geraubt.
Noch Gnadenzeit! Doch bald Gericht und Waage
und alsdann Gottes Donner auf die Sünders Haupt.

Text:
Melodie: Unbekannt