Zwei verschiedene Familien
Hans Pförtner erzählt, wie er in einer Familie mit fünf Kindern zu Tisch geladen war: "Ah, Tomatensuppe!", rief Anna. "Was, Tomatensuppe? Die kann ich nicht ausstehen!", maulte Benno. "Ich will überhaupt keine Suppe, sonst kann ich nicht so viel von dem Auflauf essen!", kam eine andere Stimme. "Was, Auflauf gibt's? Kein Fleisch? Da werde ich nie satt, wenn es kein Fleisch gibt!", meldete sich eine weitere Stimme. "Du hast doch gesagt, heute gibt es Kalbsmörgel!", ertönte es vorwurfsvoll vom fünften Kind der Mutter entgegen, als sie Platz nahm. Der Vater verharrte in Schweigen, er schien von allem gar nichts gehört zu haben. Unvermittelt fragte er dann die Mutter: "Hat der Hausherr den Voranschlag noch nicht geschickt?"
Als Gast kam man sich recht überflüssig vor. Die Mutter machte gezwungene Versuche, liebenswürdig zu sein, doch schien sie mit anderen Dingen beschäftigt. Man hörte nur die Kinder reden, erzählen, lachen. Auf ihre Fragen kamen von Seiten der Eltern keine, oder nur lässige Antworten. Als es zu laut wurde, schrie der Vater "Ruhe!", so dass alles verstummte. Endlich schien er anwesend zu sein, und nun kam erst eine Art Tischgespräch zwischen Gastgeber und Gast zustande. Kaum war gegessen, wurde der Hausherr unruhig. Er sah mehrmals auf die Uhr, stammelte verlegen eine Entschuldigung und verschwand. Die Frau schalt ihm halblaut nach. "So ist es immer bei uns: Mein Mann wird vom Geschäft aufgefressen..."
Nicht sehr lange darauf bekam ich einen Brief des Vaters der Fünf. Er war voll von Klagen über die Kinder, die nicht mehr zu bändigen wären. Er gab dem Zeitgeist die Schuld, der die elterliche Autorität in den Hintergrund schiebe, er zieh seine Gattin der Schwäche, die ihn, den Vielbeschäftigten, nicht verstehe und ihm nicht an die Hand gehe, kurz, er klagte alle und alles an, nur nicht sich selbst. Ob ich nicht vermitteln könne, dass der unbändigste der Buben in einer Erziehungsanstalt, dessen Leiter mir befreundet war, zu Ausnahmesätzen untergebracht werden könne.
Bald danach war Hans Pförtner in einer anderen Familie mit vier Kindern Mittagsgast, in der nach dem Tischgebet keines der Kinder sprach, außer es gab Antwort auf eine Frage, aber sonst ein fröhlicher Geist herrschte. Pförtner hatte mit dem Vater eine geschäftliche Korrespondenz und schrieb ihm, wie gut es ihm gefallen habe. Da bekam er einen langen Antwortbrief, in dem der Vater schrieb, dass es früher auch ganz anders bei ihnen ausgesehen habe, als er noch mit Gewalt versuchte, Disziplin zu schaffen. Er schrieb: "Ein unfroher Geist des Gegeneinander, statt des für- und miteinander, war nicht zu bannen. Es begannen auch allerlei Lügereien. Mein Franz log, er sei im Kindergottesdienst gewesen, obwohl er ihn geschwänzt hatte. Da ich den Christenglauben noch für nötig erachtete für die Kinder, hielt ich darauf, dass alle in den Kindergottesdienst gingen. Ich gab Franz ein paar Backpfeifen. Aber schon während ich es tat, fühlte ich den Widersinn, dass ich von meinen Kindern etwas verlange, was ich selber nicht tue. Aus einer gewissen soldatischen Konsequenz zwang ich mich um der Kinder willen zum Kirchgang. Ich muss gestehen, es kam mich sauer an; ich saß drin, als ob ich nicht hineingehörte. Ich hatte auch anfänglich nichts davon. Aber ich fing manchen neuen Blick meiner Kinder auf. In ihnen war ein Fragen und Staunen, das zunächst noch keine Worte fand. Da kam die erste Frage eines Kindes. Es war eine Frage nach Gott. Ich wurde verlegen. Ein Bekenntnis hätte erfolgen sollen. Ich hatte keins.
Das traf mich, und ich nahm mir vor, in der Kirche nun auch wirklich hinzuhören. Aus der Erziehungsnot heraus bekam ich fragende, hörende Ohren. Der Glaube kommt ja aus dem rechten hören, und er kam. Also keine festgewurzelte Sitte war es, was sie bei uns sahen, sondern neugeschenktes Leben in der Familie. Nun rief eine Erkenntnis die andere. Der Hausvater brauchte nun die Stärkung die im Anruf Gottes, der Quelle aller Kraft, liegt, schon beim Tagesbeginn. So wurde das Morgengebet eine Selbstverständlichkeit. Die Weihe der Speise als der Gabe Gottes durch Danksagung, und der besinnliche Tagesbeschluss mit der Bitte um Bewahrung in der Nacht wurde nun allen unentbehrlich. Gott war nun der Herr im Haus geworden. Von ihm bekam der Vater plötzlich eine innere Autorität, die durch äußeren Zwang nie zu erzielen war. Liebe und Vertrauen kehrten ein, wo vorher selbsüchtiges Gegeneinander und Misstrauen gewaltet."
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