Zufriedenheit im Alter

Er saß am Ofen. Das faltige Gesicht in trostlosem Dunkel. Und draußen war ein wahrhaftiger Frühlingstag. 

"Nun, woran fehlt´s denn, dass Sie sich vergraben wie der Dachs im Bau?" 

"Herr Pfarrer, mit einem Wort ist alles gesagt. Man sollt´ nicht so alt werden. Alt heißt einsam, und einsam heißt elend! Ich habe dieser Tage ein Bild gesehen, das hat ein alter, einsamer Mann gemalt, der hieß Ludwig Richter. Auf dem Grabe seiner Frau sitzt er, und der Herbstwind wühlt in seinen weißen Haaren. Und unten dran steht: Ich wollt´, dass ich daheime wär´ und aller Welt nicht diente mehr. So akkurat, so ist mir´s zumut." 

"Ja, aber hören Sie, derselbe Mann, der das Bild gemalt hat, ist bei seinen Kindern und Enkelkindern aus- und eingegangen, und so oft er kam, hat alles gejauchzt. Es war, wie wenn ein Sonnenschein ins Haus käme. Sehen Sie, der Mann hat seinen Gram und sein Heimweh still im Herzen behalten und hat sich gesagt: Solange ich noch auf der Welt bin, muss ich noch etwas nützlich sein. Da muss ich so viel Sonnenschein in alle Häuser und Herzen schicken, wie dort nur Platz hat. So müssen Sie´s auch machen. Im Herzen Heimweh nach dem Himmel und außen im Gesicht hellen Sonnenschein - als ob Sie schon im Himmel wären. Sagen Sie, ob da nicht das Altwerden doch ein lauterer Segen wäre?"

Quelle: Er ist unser Leben: Beispiel- und Stoffsammlung für die Verkündigung, Martin Haug, 1941, Beispiel 105a
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